Klimaziele und Carbon Management – Ein Plädoyer für mehr Mut und einen differenzierten Blick
Ohne das Abscheiden, Speichern oder die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre lassen sich die Klimaziele nicht erreichen. Wir brauchen jetzt einen integrierten Carbon Management Ansatz, der Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz ebenso wie industrie- und klimapolitische Aspekte berücksichtigt. Nur mit einer realitätstauglichen und konstruktiven Analyse von Chancen und Herausforderungen – und einer ordentlichen Portion Mut – wird Klimaschutz funktionieren.
Lukas Daubner & Aysel Aliyeva
Sultan Ahmed Al Jaber ist ein großer Fan von CCS, dem Abscheiden und Speichern von CO2. Das ist wenig überraschend, ist er doch nicht nur Präsident der Klimakonferenz COP28 in Dubai, sondern auch Chef des staatlichen Öl- und Gaskonzerns der Vereinigten Arabischen Emirate. Und diese haben ein Interesse, ihr fossiles Geschäft noch möglichst lange fortzuschreiben. Technologien, die eine vermeintliche Lösung für CO2 Emissionen bieten, kommen da gelegen. Es scheint daher vielleicht naheliegend, CCS in Bausch und Bogen zu verdammen – dies würde uns den Klimazielen jedoch kein Grad näher bringen. So wird in Deutschland und Europa die Diskussion um CCS und die Wiederverwendung von CO2 denn auch unter anderen Vorzeichen geführt: CCS als Brücke in eine klimafreundliche Zukunft, als mögliches Verfahren für CO2-Emissionen, die sich gegenwärtig (noch) nicht vermeiden lassen.
CCS Debatte unter nachhaltigeren Vorzeichen
Die Debatte über den Umgang mit diesen sogenannten Restemissionen – die, anders als es der Begriff vielleicht vermuten lässt, eine in zeitlicher und quantitativer Hinsicht nicht zu vernachlässigende Größe sind – müssen wir in Deutschland, aber auch weltweit führen. Nicht nur Industrie- und Wirtschaftsverbände sind an dieser Diskussion interessiert, auch Umweltverbände wie NABU, Germanwatch oder Akteure wie die Deutsche Energieagentur oder das Umweltbundesamt entwickeln Szenarien, wie CCS innerhalb eines festgesteckten Rahmens zum Einsatz kommen könnte. Das BMWK plant, für die Förderung von CCS Projekte Milliarden Euro bereitzustellen und auch die Grünen haben sich unlängst im aktuellen Europawahlprogramm dem Thema geöffnet. Mit Spannung wird die für Januar 2024 angekündigte Carbon-Management-Strategie der Bundesregierung erwartet – und damit eine Antwort auf die Frage, ob CO2-Speicherung in Deutschland zukünftig ermöglicht wird.
Das Abscheiden und Speichern von CO2 ist allerdings nur ein Werkzeug im Carbon Management-Werkzeugkasten. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen neben Abscheidung und Speicherung von CO2 bei industriellen Prozessen mittel- und langfristig zusätzlich auch große Mengen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden. Deshalb sollten wir schon jetzt ein breites Spektrum an Carbon Management Ansätzen in den Blick nehmen und neben dem Abscheiden und Speichern auch Carbon Dioxid Removal (CDR) – die CO2 Entnahme aus der Atmosphäre – mitdenken.
Auch Nicht-Handeln birgt Risiken
In Deutschland stehen bei der Diskussion um Carbon Management meist die Risiken im Vordergrund, wie beispielsweise mögliche Leckagen bei der Speicherung von CO2. Aber wir dürfen nicht vergessen: Auch Nicht-Handeln birgt enorme Risiken. Stellen wir uns jetzt nicht der Herausforderung, Carbon Management mit Industriestrategien zu verknüpfen und entsprechende Methoden zu skalieren, laufen wir Gefahr, die globalen Klimaziele in den kommenden Jahrzehnten krachend zu verfehlen.
Methoden verstehen und differenziert einsetzen
Die unterschiedlichen klimapolitischen Ziele – Emissionen vermeiden, CO2 aus der Atmosphäre entfernen oder der Schutz von Naturräumen – erfordern jedoch einen differenzierten Einsatz und eine individuelle Betrachtung der möglichen Methoden. Mit dem Abscheiden von CO2 und der anschließenden unterirdischen Speicherung (CCS) bekommt beispielsweise die Industrie eine Möglichkeit, mit aktuell schwer oder nicht vermeidbaren Emissionen umzugehen. Dies nährt in manchen Vorstandsetagen die Hoffnung, den fossilen Status quo aufrechterhalten zu können.
Um unlautere Verwendungen – etwa den fossilen Energieverbrauch lange fortzuschreiben – möglichst früh zu unterbinden, ist eine klare und verbindliche Definition nötig, welche Emissionen als nicht oder schwer vermeidbar gelten. Außerdem sollten nicht nur Ziele für die CO2-Reduktion, sondern auch für die Speicherung und Entnahme von CO2 quantifiziert und festgeschrieben werden.
Das bei industriellen Prozessen abgeschiedene CO2 kann auch wiederverwendet werden (Carbon Capture and Utilization, CCU). Die Kreislaufführung von CO2 als Rohstoff ist etwa in der chemischen Industrie Voraussetzung, um bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Die Etablierung und der Ausbau von zirkulären Ökosystemen tragen dazu bei, dass Arbeits- und Wertschöpfungsketten in Technologiebereichen in der jeweiligen Region bleiben – wie beispielsweise bei einer Integration von Zement- und Klinkerwerken sowie der Stahlproduktion in CCU-Prozessen. Chemieunternehmen könnten das dort abgeschiedene CO2 als Rohstoff nutzen. Doch nicht nur die Unternehmen müssen vermehrt in zirkulären Ökosystemen denken und Produkte mit einer nachhaltig langen Lebensdauer entwickeln – es ist auch ein regulatorischer Rahmen nötig, der dies unterstützt und fördert.
Ohne CDR keine negative Emissionsbilanz
Beide Methoden, das Abscheiden von CO2 an industriellen Punktquellen sowie dessen Speicherung oder Wiederverwendung, sind nötig, um bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Um darüber hinaus das EU-Ziel einer netto-negativen Emissionsbilanz zu erreichen – also mehr CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen als zu emittieren – müssen auch CDR-Verfahren (Carbon Dioxid Removal) zum Einsatz kommen, etwa Direct Air Capture and Storage (DACS) oder das Abscheiden und Speichern von CO2 an Bioenergieanlagen (BECCS). Dass diese Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre nötig ist, zeigen jüngste Forschungsergebnisse, so etwa des Stockholm Resilience Institutes, des PIK und des IPCC.
Studien zeigen zudem, dass es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ohne CDR-Methoden auch nicht gelingen wird, in Deutschland bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Wir müssen deshalb bereits weit vor den 2040er Jahren Methoden, die der Atmosphäre CO2 entziehen, in industriellem Maßstab skalieren. Immerhin müssen ab dem Jahr 2045 Schätzungen zufolge jährlich 60 bis 130 Mt CO2-Äquivalente Restemissionen ausgeglichen werden.
Entscheidend ist es dabei, die verschiedenen Methoden und Ansätze sowie die damit verbundenen klimapolitischen Ziele zu entwirren – und gut auseinanderzuhalten –, da sie auf unterschiedlichen technologischen, aber auch regulatorischen Voraussetzungen beruhen. Der Export von CO2 in andere Länder beispielsweise bedarf anderer Regulierungen als dessen Kreislaufführung. Darüber hinaus stellen sich auch Fragen bei der Bilanzierung des CO2, denn je nach Verfahren ist die Speicherdauer von CO2 sehr unterschiedlich: kurzzeitig in Einwegprodukten bis langfristig in Baumaterialien oder in terrestrischen oder marinen Speichern.
Risikostreuung durch Vefahrensvielfalt
Es existieren unterschiedliche, bereits erprobte und etablierte Verfahren, aber auch zahlreiche neue Ansätze zur Entnahme und Speicherung von CO2. Den Blick für andere CDR-Verfahren zu weiten, bedeutet auch, eine Risikostreuung vorzunehmen. Neben den technischen CDR-Verfahren sollten auch natürliche CO2-Senken berücksichtigt werden: Wiedervernässung von Mooren sowie Wiederaufforstung von Wäldern sind beispielsweise deutlich kostengünstiger als ein direktes Abscheiden von CO2 aus der Luft (Direct Air Capture). Zugleich muss mitbedacht werden, was es etwa für Land- und ForstwirtInnen bedeuten würde, ihre Ländereien anders oder gar nicht mehr zu bewirtschaften. Weitere CDR-Maßnahmen wie beschleunigte Verwitterung, Pflanzenkohle und die Sequestrierung von Bodenkohlenstoff sind bereits im Einsatz und bieten neben der dauerhaften Bindung von Kohlenstoff auch positive Nebeneffekte wie eine verbesserte Bodenqualität und einen optimierten Wasserhaushalt.
Greenwashing verhindern
Die CO2-Entnahme darf jedoch nicht als Ersatz für die dringend notwendige Reduzierung von Emissionen verstanden werden. Sie dient vielmehr als ergänzende Maßnahme. Auf EU-Ebene werden zurzeit Regulierungen vorbereitet, die auf der einen Seite CDR-Projekte beschleunigen, aber auch Greenwashing verhindern sollen. Die Europäische Kommission hat Zertifizierungsmethoden für verschiedene CDR-Aktivitäten vorgeschlagen, die Mitgliedsstaaten sowie das Europäische Parlament stimmen aktuell ihre Positionen ab. In Deutschland wird die Langfriststrategie Negativemissionen mit Spannung erwartet und die Förderregime nehmen langsam Gestalt an.
Regulatorische Hindernisse
Allerdings bestehen einige regulatorische Hindernisse, um die hier beschriebenen Methoden auszuschöpfen. Das Speichern und Exportieren von CO2 ist beispielsweise verboten und grundsätzlich sinnvolle Meeresschutzgesetze verhindern die Forschung an marinen CDR-Ansätzen. So ist etwa das Ausbringen von Seegrassamen zu Forschungszwecken untersagt. Zur Bewertung oder Weiterentwicklung der unterschiedlichen Methoden sind deutsche Akteure daher auf Daten aus anderen Ländern angewiesen. Zur evidenzbasierten Bewertung der Methoden in Deutschland ist ein regulatorischer Rahmen dringend geboten, der Forschung – und damit auch belastbare Risikoanalyen – möglich macht.
Gesellschaftliche Akzeptanz
Wichtig ist auch: Bei der Kommunikation und Diskussion über CDR und CC(U)S müssen nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch die sozialen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Die Akteure sollten verdeutlichen, welche technologischen Verfahren existieren und welche industrie‑, klima- und gesellschaftspolitischen Konsequenzen der Einsatz – oder Nichteinsatz – von CDR hat. Dabei ist auch begleitende Forschung nötig, insbesondere zu den lokalen Auswirkungen von CDR. Eine ehrliche und offene Debatte über Auswirkungen und Folgen für Bevölkerung sowie Industrie sind Voraussetzung für eine breite Akzeptanz der Anlagen und Infrastrukturen.
Integriertes Carbon Management im Kontext anderer Strategien
Darüber hinaus ist es wichtig, die Entnahme, Speicherung und Wiederverwendung von CO2 im Kontext anderer politischer Strategien wie der Industrie‑, der Klimaschutz‑, Kreislaufwirtschaft- oder der Biomassestrategie zu betrachten. Wie verändern sich die Kosten, wenn CO2-intensive Produkte und Dienstleistungen CDR integrieren? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat dies zur Folge?
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