Ein Kursbuch für die öko-soziale Marktwirtschaft
Der Verzicht der Privilegierten wird angesichts von bald zehn Milliarden Menschen und wachsenden Mittelschichten das Klima nicht retten. Wie die ökologische Modernisierung der Ökonomie gelingen kann, beschreibt der Band „Soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern“. Eine Buchbesprechung.
Die Bedrohung der liberalen Demokratien durch die Erderhitzung und autoritäre Konkurrenz wird nicht mit business as usual und gutem Zureden zu meistern sein. Schon gar nicht mit einer moralischen Qualitätssteigerung der Leute. Um das zu wissen, muss man nicht in den Siebzigern in einem kommunistischen Elitelager gewesen sein. Die neue Systemkonkurrenz durch autoritäre Regime können wir nur gewinnen, wenn Demokratie und Marktwirtschaft die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen – und für große Teile der Welt Wohlstand bringen, für andere zumindest bewahren. Alles andere, speziell das Gerede von individuellem Verzicht der Privilegierten auf Fleisch, Fliegen und SUV ist angesichts von bald zehn Milliarden Menschen und wachsenden Mittelschichten mit wachsenden Bedürfnissen ein Illusionismus, der nicht tugendhaft, sondern verantwortungslos ist.
Ralf Fücks, Gründer des ökoliberalen Thinktanks Zentrum Liberale Moderne, hat mit dem konservativen Politikstrategen Thomas Köhler von der Konrad-Adenauer-Stiftung einen Konzeptband herausgebracht, der das Nirwana des „Man müsste mal“ oder „Schöner wärs, wenn’s schöner wär“ verlässt, in dem er gesellschaftliche Träger einer mehrheitsfähigen Zukunftspolitik zusammenbringt: Grüne, Union, Verbände und Aktivisten. „Egal ob die Katze grün oder schwarz ist“, sagt Fücks in Anlehnung an das Diktum von Deng Xiaoping: „Hauptsache, sie fängt Mäuse.“
Die Frage der demokratischen Mehrheitsfähigkeit ist in den letzten Jahrzehnten genauso vernachlässigt worden, wie die der dafür notwendigen Allianzen. Mit dem sorgfältig gewählten Titel „Soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern“ wird die Anschlussfähigkeit der Union an die sozialökologische Wirtschaft hergestellt und Wege aufgezeigt, wie sie im sozialliberalen Kapitalismus stattfinden kann. Vor allem aber wird hier – das ist das Entscheidende – zumindest in einigen Beiträgen der Versuch unternommen, die Transformation in unterschiedlichen Sektoren ordnungspolitisch durchzudeklinieren.
„Wir sehen uns mittlerweile ja fast täglich“
„Wir sehen uns mittlerweile ja fast täglich“, sagte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Buchpräsentation am Dienstag in Berlin zu Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Das brachte einen Lacher, war aber einer von vielen Sätzen, mit denen Kramp-Karrenbauer offenbar ernsthaft versucht, ihre Bewusstseinsentwicklung seit Anfang des Jahres nachzuweisen und Klimapolitik als ureigenstes CDU-Anliegen darzustellen. Klaus Töpfer, der wahre Öko-Pionier der Union, saß im Publikum. Er war in den letzten Jahren mit seiner Partei nicht besonders glücklich.
Fossiles Wirtschaften auf mehr oder weniger freien Märkten war die Basis für individuellen, sozialen und emanzipatorischen Fortschritt. Nun zerstören die negativen Auswirkungen der fossilen Ökonomie unsere Gesellschaften. Populär-Liberale verstehen gern Freiheit und Klimaschutz als Gegensätze oder tun zumindest so. Ralf Fücks buchstabiert im zentralen Buchkapitel „Ökologie und Freiheit“ durch, dass Freiheit eben genau dann massiv verloren geht, wenn die Erderhitzung nicht begrenzt wird. Dito Wohlstand und Frieden. Die sozial-ökologische Transformation des Wirtschaftens ist der Weg, um die individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten der liberalen Moderne nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu erweitern. Weshalb nicht prioritär die Besitzverhältnisse, sondern die gesellschaftliche Produktionsweise geändert werden muss. Statt mit fossiler muss mit erneuerbarer Energie gewirtschaftet werden, an die Stelle linearer Produktionsketten müssen künftig abfallfreie Wertstoffkreisläufe treten.
Die Externalisierung der Umweltkosten war – lange unbewusst – der zentrale Webfehler der Marktwirtschaft, der zur Erderhitzung durch CO2 geführt hat. Die Internalisierung dieser gesellschaftsbedrohenden Kosten ist die zentrale politische Entscheidung für einen erfolgreichen Umbau der Industriegesellschaft. Die Instrumente der Wahl sind Öko-Steuern und Umweltabgaben. Es geht wohlgemerkt nicht um Laissez-faire, sondern um eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Ordnungspolitik. Zentral ist die Bepreisung von CO2. Aber nicht ausreichend, weil er in der notwendigen Höhe nicht ohne Wettbewerbsverzerrungen hinzukriegen ist. Daneben braucht es einen robusten Marktrahmen (der bisherige ist zu unverbindlich). Was es dagegen nicht braucht, ist Moralgeschwätz.
Dass es kein „Weiter so“ geben kann, ist inzwischen auch der CDU klar
Wenn Einigkeit darüber besteht, dass für die liberal-demokratischen Gesellschaften des Westens keine autoritäre Alternative erstrebenswert ist, die ökologische Entscheidungen durchpeitscht, lautet die schwierige Frage: Wie kriegt man das hin, dass aus der sozialen Marktwirtschaft eine öko-soziale wird? Felix Matthes, energie- und klimapolitischer Experte am Ökoinstitut, dekliniert in einem weiteren Grundsatztext den notwendigen Schritt durch: „Vom Ordoliberalismus zur öko-sozialen Marktwirtschaft“. Matthes skizziert, wie eine transformative ökologische Modernisierung die Balance halten kann zwischen den politischen Pfadentscheidungen und der notwendigen Freiheit für Markt und Unternehmen. Dirk Messner und Ina Schieferdecker bringen die bisher vernachlässigte Dimension eines Nachhaltigkeitsprofils der Digitalisierung ein. Hildegard Müller, Ex-CDU-Politikerin und heutige Energie-Managerin, will die Energiewende als marktwirtschaftliches Projekt durchbuchstabieren, um zu zeigen, dass die Akzeptanz so größer ist als bei einem „EU-Dirigismus“. Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentralen, bringt endlich mal eine realistische Jobbeschreibung des „Verbrauchers“ ein, der nämlich erst dann wirksam handeln kann, wenn der Rahmen stimmt. PIK-Direktor Ottmar Edenhofer und Linus Mattauch stellen die soziale Frage in den Mittelpunkt: Wie können sich Demokratien ambitionierte Klimapolitik leisten? Ihre fundamentale Antwort – fast zu schön: Die öko-soziale Marktwirtschaft ist der Weg, um die Ungleichheiten zu verringern, die die Marktwirtschaft verursacht, weil sie die Kosten für die Gemeingüter Atmosphäre, Ozeane, Wälder nicht internalisiert. Was zu Lasten der Ärmeren geht. „Der Wohlstand des 21. Jahrhunderts hängt davon ab, die Gemeinschaftsgüter richtig und gemeinsam zu bewirtschaften“, sagte Edenhofer bei der Buchvorstellung im Tagungszentrum Axica am Brandenburger Tor.
Das Ceterum Censeo lautet: Nichts geht mehr, wenn man so weitermachen will, wie bisher. Das ist inzwischen auch der CDU klar. Was selbstverständlich nicht heißt, dass sie jetzt und sofort im politischen Alltag ihr bisheriges Prinzip des Verlangsamens des sozialökologischen Transformation aufgeben würde. Gar nicht. Aber Fücks hat der Union eine Brücke gebaut, indem ihre Marktwirtschaft eben nicht abgeräumt wird, sondern die Grundlage bleibt, die sie jetzt modernisieren muss mit einem neuen Ordnungsrahmen, der „die Dynamik der Marktwirtschaft in eine ökologische Richtung lenkt“, wie er sagt.
Dieser Grundgedanke ermöglicht es den Unionisten, zuzustimmen. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil die Grünen in dieser entscheidenden Politikfrage endlich konzeptuell herausgefordert und ergänzt werden müssen. Es ist essentiell, weil die liberale Mitte in Deutschland nicht ohne die CDU mehrheitsfähig ist. Deshalb braucht die CDU ein inhaltliches Konzept, mit dem sie ihre machtpolitischen Zweifel überwinden kann, dass ernsthafte Transformationspolitik sie schwächt und die populistische Konkurrenz stärkt. Eine öko-soziale Marktwirtschaft ist ihr Weg, um in einer heterogenen werdenden Gesellschaft auch in Zukunft Mehrheiten zu gewinnen.
Sie können das Buch „Soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern“ von Ralf Fücks und Thomas Köhler (Hrsg.) hier kostenlos per E‑Mail bestellen.
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