Ein Kursbuch für die öko-soziale Marktwirtschaft

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Der Verzicht der Privi­le­gierten wird angesichts von bald zehn Milli­arden Menschen und wachsenden Mittel­schichten das Klima nicht retten. Wie die ökolo­gische Moder­ni­sierung der Ökonomie gelingen kann, beschreibt der Band „Soziale Markt­wirt­schaft ökolo­gisch erneuern“. Eine Buchbesprechung.

Die Bedrohung der liberalen Demokratien durch die Erder­hitzung und autoritäre Konkurrenz wird nicht mit business as usual und gutem Zureden zu meistern sein. Schon gar nicht mit einer morali­schen Quali­täts­stei­gerung der Leute. Um das zu wissen, muss man nicht in den Siebzigern in einem kommu­nis­ti­schen Elite­lager gewesen sein. Die neue System­kon­kurrenz durch autoritäre Regime können wir nur gewinnen, wenn Demokratie und Markt­wirt­schaft die Probleme des 21. Jahrhun­derts lösen – und für große Teile der Welt Wohlstand bringen, für andere zumindest bewahren. Alles andere, speziell das Gerede von indivi­du­ellem Verzicht der Privi­le­gierten auf Fleisch, Fliegen und SUV ist angesichts von bald zehn Milli­arden Menschen und wachsenden Mittel­schichten mit wachsenden Bedürf­nissen ein Illusio­nismus, der nicht tugendhaft, sondern verant­wor­tungslos ist. 

Portrait von Peter Unfried

Peter Unfried ist Chefre­porter der taz und Autor.

Ralf Fücks, Gründer des ökoli­be­ralen Thinktanks Zentrum Liberale Moderne, hat mit dem konser­va­tiven Politik­stra­tegen Thomas Köhler von der Konrad-Adenauer-Stiftung einen Konzeptband heraus­ge­bracht, der das Nirwana des „Man müsste mal“ oder „Schöner wärs, wenn’s schöner wär“ verlässt, in dem er gesell­schaft­liche Träger einer mehrheits­fä­higen Zukunfts­po­litik zusam­men­bringt: Grüne, Union, Verbände und Aktivisten. „Egal ob die Katze grün oder schwarz ist“, sagt Fücks in Anlehnung an das Diktum von Deng Xiaoping: „Haupt­sache, sie fängt Mäuse.“

Die Frage der demokra­ti­schen Mehrheits­fä­higkeit ist in den letzten Jahrzehnten genauso vernach­lässigt worden, wie die der dafür notwen­digen Allianzen. Mit dem sorgfältig gewählten Titel „Soziale Markt­wirt­schaft ökolo­gisch erneuern“ wird die Anschluss­fä­higkeit der Union an die sozial­öko­lo­gische Wirtschaft herge­stellt und Wege aufge­zeigt, wie sie im sozial­li­be­ralen Kapita­lismus statt­finden kann. Vor allem aber wird hier – das ist das Entschei­dende – zumindest in einigen Beiträgen der Versuch unter­nommen, die Trans­for­mation in unter­schied­lichen Sektoren ordnungs­po­li­tisch durchzudeklinieren.

„Wir sehen uns mittler­weile ja fast täglich“

„Wir sehen uns mittler­weile ja fast täglich“, sagte die CDU-Vorsit­zende Annegret Kramp-Karren­bauer bei der Buchprä­sen­tation am Dienstag in Berlin zu Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klima­fol­gen­for­schung. Das brachte einen Lacher, war aber einer von vielen Sätzen, mit denen Kramp-Karren­bauer offenbar ernsthaft versucht, ihre Bewusst­seins­ent­wicklung seit Anfang des Jahres nachzu­weisen und Klima­po­litik als ureigenstes CDU-Anliegen darzu­stellen. Klaus Töpfer, der wahre Öko-Pionier der Union, saß im Publikum. Er war in den letzten Jahren mit seiner Partei nicht besonders glücklich.

Fossiles Wirtschaften auf mehr oder weniger freien Märkten war die Basis für indivi­du­ellen, sozialen und emanzi­pa­to­ri­schen Fortschritt. Nun zerstören die negativen Auswir­kungen der fossilen Ökonomie unsere Gesell­schaften. Populär-Liberale verstehen gern Freiheit und Klima­schutz als Gegen­sätze oder tun zumindest so. Ralf Fücks buchsta­biert im zentralen Buchka­pitel „Ökologie und Freiheit“ durch, dass Freiheit eben genau dann massiv verloren geht, wenn die Erder­hitzung nicht begrenzt wird. Dito Wohlstand und Frieden. Die sozial-ökolo­gische Trans­for­mation des Wirtschaftens ist der Weg, um die indivi­du­ellen und gesell­schaft­lichen Freiheiten der liberalen Moderne nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu erweitern. Weshalb nicht prioritär die Besitz­ver­hält­nisse, sondern die gesell­schaft­liche Produk­ti­ons­weise geändert werden muss. Statt mit fossiler muss mit erneu­er­barer Energie gewirt­schaftet werden, an die Stelle linearer Produk­ti­ons­ketten müssen künftig abfall­freie Wertstoff­kreis­läufe treten.

Die Exter­na­li­sierung der Umwelt­kosten war – lange unbewusst – der zentrale Webfehler der Markt­wirt­schaft, der zur Erder­hitzung durch CO2 geführt hat. Die Inter­na­li­sierung dieser gesell­schafts­be­dro­henden Kosten ist die zentrale politische Entscheidung für einen erfolg­reichen Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft. Die Instru­mente der Wahl sind Öko-Steuern und Umwelt­ab­gaben. Es geht wohlge­merkt nicht um Laissez-faire, sondern um eine markt­wirt­schaftlich ausge­richtete Ordnungs­po­litik. Zentral ist die Bepreisung von CO2. Aber nicht ausrei­chend, weil er in der notwen­digen Höhe nicht ohne Wettbe­werbs­ver­zer­rungen hinzu­kriegen ist. Daneben braucht es einen robusten Markt­rahmen (der bisherige ist zu unver­bindlich). Was es dagegen nicht braucht, ist Moralgeschwätz.

Dass es kein „Weiter so“ geben kann, ist inzwi­schen auch der CDU klar

Wenn Einigkeit darüber besteht, dass für die liberal-demokra­ti­schen Gesell­schaften des Westens keine autoritäre Alter­native erstre­benswert ist, die ökolo­gische Entschei­dungen durch­peitscht, lautet die schwierige Frage: Wie kriegt man das hin, dass aus der sozialen Markt­wirt­schaft eine öko-soziale wird? Felix Matthes, energie- und klima­po­li­ti­scher Experte am Ökoin­stitut, dekli­niert in einem weiteren Grund­satztext den notwen­digen Schritt durch: „Vom Ordoli­be­ra­lismus zur öko-sozialen Markt­wirt­schaft“. Matthes skizziert, wie eine trans­for­mative ökolo­gische Moder­ni­sierung die Balance halten kann zwischen den politi­schen Pfadent­schei­dungen und der notwen­digen Freiheit für Markt und Unter­nehmen. Dirk Messner und Ina Schie­fer­decker bringen die bisher vernach­läs­sigte Dimension eines Nachhal­tig­keits­profils der Digita­li­sierung ein. Hildegard Müller, Ex-CDU-Politi­kerin und heutige Energie-Managerin, will die Energie­wende als markt­wirt­schaft­liches Projekt durch­buch­sta­bieren, um zu zeigen, dass die Akzeptanz so größer ist als bei einem „EU-Dirigismus“. Klaus Müller, Chef der Verbrau­cher­zen­tralen, bringt endlich mal eine realis­tische Jobbe­schreibung des „Verbrau­chers“ ein, der nämlich erst dann wirksam handeln kann, wenn der Rahmen stimmt. PIK-Direktor Ottmar Edenhofer und Linus Mattauch stellen die soziale Frage in den Mittel­punkt: Wie können sich Demokratien ambitio­nierte Klima­po­litik leisten? Ihre funda­mentale Antwort – fast zu schön: Die öko-soziale Markt­wirt­schaft ist der Weg, um die Ungleich­heiten zu verringern, die die Markt­wirt­schaft verur­sacht, weil sie die Kosten für die Gemein­güter Atmosphäre, Ozeane, Wälder nicht inter­na­li­siert. Was zu Lasten der Ärmeren geht. „Der Wohlstand des 21. Jahrhun­derts hängt davon ab, die Gemein­schafts­güter richtig und gemeinsam zu bewirt­schaften“, sagte Edenhofer bei der Buchvor­stellung im Tagungs­zentrum Axica am Branden­burger Tor.

Das Ceterum Censeo lautet: Nichts geht mehr, wenn man so weiter­machen will, wie bisher. Das ist inzwi­schen auch der CDU klar. Was selbst­ver­ständlich nicht heißt, dass sie jetzt und sofort im politi­schen Alltag ihr bishe­riges Prinzip des Verlang­samens des sozial­öko­lo­gi­schen Trans­for­mation aufgeben würde. Gar nicht. Aber Fücks hat der Union eine Brücke gebaut, indem ihre Markt­wirt­schaft eben nicht abgeräumt wird, sondern die Grundlage bleibt, die sie jetzt moder­ni­sieren muss mit einem neuen Ordnungs­rahmen, der „die Dynamik der Markt­wirt­schaft in eine ökolo­gische Richtung lenkt“, wie er sagt.

Dieser Grund­ge­danke ermög­licht es den Unionisten, zuzustimmen. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil die Grünen in dieser entschei­denden Politik­frage endlich konzep­tuell heraus­ge­fordert und ergänzt werden müssen. Es ist essen­tiell, weil die liberale Mitte in Deutschland nicht ohne die CDU mehrheits­fähig ist. Deshalb braucht die CDU ein inhalt­liches Konzept, mit dem sie ihre macht­po­li­ti­schen Zweifel überwinden kann, dass ernst­hafte Trans­for­ma­ti­ons­po­litik sie schwächt und die populis­tische Konkurrenz stärkt. Eine öko-soziale Markt­wirt­schaft ist ihr Weg, um in einer hetero­genen werdenden Gesell­schaft auch in Zukunft Mehrheiten zu gewinnen.

Sie können das Buch „Soziale Markt­wirt­schaft öko­lo­gisch erneu­ern“ von Ralf Fücks und Thomas Köhler (Hrsg.) hier kos­ten­los per E‑Mail bestel­len

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