Ein Kursbuch für die öko-soziale Marktwirtschaft

© Shut­ter­stock

Der Verzicht der Privi­le­gierten wird ange­sichts von bald zehn Milli­arden Menschen und wach­senden Mittel­schichten das Klima nicht retten. Wie die ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung der Ökonomie gelingen kann, beschreibt der Band „Soziale Markt­wirt­schaft ökolo­gisch erneuern“. Eine Buchbesprechung.

Die Bedrohung der liberalen Demo­kra­tien durch die Erder­hit­zung und auto­ri­täre Konkur­renz wird nicht mit business as usual und gutem Zureden zu meistern sein. Schon gar nicht mit einer mora­li­schen Quali­täts­stei­ge­rung der Leute. Um das zu wissen, muss man nicht in den Sieb­zi­gern in einem kommu­nis­ti­schen Elite­lager gewesen sein. Die neue System­kon­kur­renz durch auto­ri­täre Regime können wir nur gewinnen, wenn Demo­kratie und Markt­wirt­schaft die Probleme des 21. Jahr­hun­derts lösen – und für große Teile der Welt Wohlstand bringen, für andere zumindest bewahren. Alles andere, speziell das Gerede von indi­vi­du­ellem Verzicht der Privi­le­gierten auf Fleisch, Fliegen und SUV ist ange­sichts von bald zehn Milli­arden Menschen und wach­senden Mittel­schichten mit wach­senden Bedürf­nissen ein Illu­sio­nismus, der nicht tugend­haft, sondern verant­wor­tungslos ist. 

Portrait von Peter Unfried

Peter Unfried ist Chef­re­porter der taz und Autor.

Ralf Fücks, Gründer des ökoli­be­ralen Thinktanks Zentrum Liberale Moderne, hat mit dem konser­va­tiven Poli­tik­stra­tegen Thomas Köhler von der Konrad-Adenauer-Stiftung einen Konzept­band heraus­ge­bracht, der das Nirwana des „Man müsste mal“ oder „Schöner wärs, wenn’s schöner wär“ verlässt, in dem er gesell­schaft­liche Träger einer mehr­heits­fä­higen Zukunfts­po­litik zusam­men­bringt: Grüne, Union, Verbände und Akti­visten. „Egal ob die Katze grün oder schwarz ist“, sagt Fücks in Anlehnung an das Diktum von Deng Xiaoping: „Haupt­sache, sie fängt Mäuse.“

Die Frage der demo­kra­ti­schen Mehr­heits­fä­hig­keit ist in den letzten Jahr­zehnten genauso vernach­läs­sigt worden, wie die der dafür notwen­digen Allianzen. Mit dem sorg­fältig gewählten Titel „Soziale Markt­wirt­schaft ökolo­gisch erneuern“ wird die Anschluss­fä­hig­keit der Union an die sozi­al­öko­lo­gi­sche Wirt­schaft herge­stellt und Wege aufge­zeigt, wie sie im sozi­al­li­be­ralen Kapi­ta­lismus statt­finden kann. Vor allem aber wird hier – das ist das Entschei­dende – zumindest in einigen Beiträgen der Versuch unter­nommen, die Trans­for­ma­tion in unter­schied­li­chen Sektoren ordnungs­po­li­tisch durchzudeklinieren.

„Wir sehen uns mitt­ler­weile ja fast täglich“

„Wir sehen uns mitt­ler­weile ja fast täglich“, sagte die CDU-Vorsit­zende Annegret Kramp-Karren­bauer bei der Buch­prä­sen­ta­tion am Dienstag in Berlin zu Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klima­fol­gen­for­schung. Das brachte einen Lacher, war aber einer von vielen Sätzen, mit denen Kramp-Karren­bauer offenbar ernsthaft versucht, ihre Bewusst­seins­ent­wick­lung seit Anfang des Jahres nach­zu­weisen und Klima­po­litik als urei­genstes CDU-Anliegen darzu­stellen. Klaus Töpfer, der wahre Öko-Pionier der Union, saß im Publikum. Er war in den letzten Jahren mit seiner Partei nicht besonders glücklich.

Fossiles Wirt­schaften auf mehr oder weniger freien Märkten war die Basis für indi­vi­du­ellen, sozialen und eman­zi­pa­to­ri­schen Fort­schritt. Nun zerstören die negativen Auswir­kungen der fossilen Ökonomie unsere Gesell­schaften. Populär-Liberale verstehen gern Freiheit und Klima­schutz als Gegen­sätze oder tun zumindest so. Ralf Fücks buch­sta­biert im zentralen Buch­ka­pitel „Ökologie und Freiheit“ durch, dass Freiheit eben genau dann massiv verloren geht, wenn die Erder­hit­zung nicht begrenzt wird. Dito Wohlstand und Frieden. Die sozial-ökolo­gi­sche Trans­for­ma­tion des Wirt­schaf­tens ist der Weg, um die indi­vi­du­ellen und gesell­schaft­li­chen Frei­heiten der liberalen Moderne nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu erweitern. Weshalb nicht prioritär die Besitz­ver­hält­nisse, sondern die gesell­schaft­liche Produk­ti­ons­weise geändert werden muss. Statt mit fossiler muss mit erneu­er­barer Energie gewirt­schaftet werden, an die Stelle linearer Produk­ti­ons­ketten müssen künftig abfall­freie Wert­stoff­kreis­läufe treten.

Die Exter­na­li­sie­rung der Umwelt­kosten war – lange unbewusst – der zentrale Webfehler der Markt­wirt­schaft, der zur Erder­hit­zung durch CO2 geführt hat. Die Inter­na­li­sie­rung dieser gesell­schafts­be­dro­henden Kosten ist die zentrale poli­ti­sche Entschei­dung für einen erfolg­rei­chen Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft. Die Instru­mente der Wahl sind Öko-Steuern und Umwelt­ab­gaben. Es geht wohl­ge­merkt nicht um Laissez-faire, sondern um eine markt­wirt­schaft­lich ausge­rich­tete Ordnungs­po­litik. Zentral ist die Beprei­sung von CO2. Aber nicht ausrei­chend, weil er in der notwen­digen Höhe nicht ohne Wett­be­werbs­ver­zer­rungen hinzu­kriegen ist. Daneben braucht es einen robusten Markt­rahmen (der bisherige ist zu unver­bind­lich). Was es dagegen nicht braucht, ist Moralgeschwätz.

Dass es kein „Weiter so“ geben kann, ist inzwi­schen auch der CDU klar

Wenn Einigkeit darüber besteht, dass für die liberal-demo­kra­ti­schen Gesell­schaften des Westens keine auto­ri­täre Alter­na­tive erstre­bens­wert ist, die ökolo­gi­sche Entschei­dungen durch­peitscht, lautet die schwie­rige Frage: Wie kriegt man das hin, dass aus der sozialen Markt­wirt­schaft eine öko-soziale wird? Felix Matthes, energie- und klima­po­li­ti­scher Experte am Ökoin­stitut, dekli­niert in einem weiteren Grund­satz­text den notwen­digen Schritt durch: „Vom Ordo­li­be­ra­lismus zur öko-sozialen Markt­wirt­schaft“. Matthes skizziert, wie eine trans­for­ma­tive ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung die Balance halten kann zwischen den poli­ti­schen Pfadent­schei­dungen und der notwen­digen Freiheit für Markt und Unter­nehmen. Dirk Messner und Ina Schie­fer­de­cker bringen die bisher vernach­läs­sigte Dimension eines Nach­hal­tig­keits­pro­fils der Digi­ta­li­sie­rung ein. Hildegard Müller, Ex-CDU-Poli­ti­kerin und heutige Energie-Managerin, will die Ener­gie­wende als markt­wirt­schaft­li­ches Projekt durch­buch­sta­bieren, um zu zeigen, dass die Akzeptanz so größer ist als bei einem „EU-Diri­gismus“. Klaus Müller, Chef der Verbrau­cher­zen­tralen, bringt endlich mal eine realis­ti­sche Jobbe­schrei­bung des „Verbrau­chers“ ein, der nämlich erst dann wirksam handeln kann, wenn der Rahmen stimmt. PIK-Direktor Ottmar Edenhofer und Linus Mattauch stellen die soziale Frage in den Mittel­punkt: Wie können sich Demo­kra­tien ambi­tio­nierte Klima­po­litik leisten? Ihre funda­men­tale Antwort – fast zu schön: Die öko-soziale Markt­wirt­schaft ist der Weg, um die Ungleich­heiten zu verrin­gern, die die Markt­wirt­schaft verur­sacht, weil sie die Kosten für die Gemein­güter Atmo­sphäre, Ozeane, Wälder nicht inter­na­li­siert. Was zu Lasten der Ärmeren geht. „Der Wohlstand des 21. Jahr­hun­derts hängt davon ab, die Gemein­schafts­güter richtig und gemeinsam zu bewirt­schaften“, sagte Edenhofer bei der Buch­vor­stel­lung im Tagungs­zen­trum Axica am Bran­den­burger Tor.

Das Ceterum Censeo lautet: Nichts geht mehr, wenn man so weiter­ma­chen will, wie bisher. Das ist inzwi­schen auch der CDU klar. Was selbst­ver­ständ­lich nicht heißt, dass sie jetzt und sofort im poli­ti­schen Alltag ihr bishe­riges Prinzip des Verlang­sa­mens des sozi­al­öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­tion aufgeben würde. Gar nicht. Aber Fücks hat der Union eine Brücke gebaut, indem ihre Markt­wirt­schaft eben nicht abgeräumt wird, sondern die Grundlage bleibt, die sie jetzt moder­ni­sieren muss mit einem neuen Ordnungs­rahmen, der „die Dynamik der Markt­wirt­schaft in eine ökolo­gi­sche Richtung lenkt“, wie er sagt.

Dieser Grund­ge­danke ermög­licht es den Unio­nisten, zuzu­stimmen. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil die Grünen in dieser entschei­denden Poli­tik­frage endlich konzep­tuell heraus­ge­for­dert und ergänzt werden müssen. Es ist essen­tiell, weil die liberale Mitte in Deutsch­land nicht ohne die CDU mehr­heits­fähig ist. Deshalb braucht die CDU ein inhalt­li­ches Konzept, mit dem sie ihre macht­po­li­ti­schen Zweifel über­winden kann, dass ernst­hafte Trans­for­ma­ti­ons­po­litik sie schwächt und die popu­lis­ti­sche Konkur­renz stärkt. Eine öko-soziale Markt­wirt­schaft ist ihr Weg, um in einer hete­ro­genen werdenden Gesell­schaft auch in Zukunft Mehr­heiten zu gewinnen.

Sie können das Buch „Soziale Markt­wirt­schaft öko­lo­gisch erneu­ern“ von Ralf Fücks und Thomas Köhler (Hrsg.) hier kos­ten­los per E‑Mail bestel­len

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