Kommt die neue Chinesische Weltordnung?
China erholt sich wirtschaftlich besser von Corona als der Rest der Welt. Das befeuert eine der großen Debatten des 21. Jahrhunderts: Ist die Pandemie das Ende der Pax Americana – und der Beginn des „chinesischen Jahrhunderts“?
Es war ein Paukenschlag. Als China und 14 asiatische Staaten im November erklärten, die größte Freihandelszone der Welt zu schaffen, kam das für viele Beobachter nicht nur überraschend. Es passte auch so gar nicht in ihr von der Corona-Pandemie geplagtes Weltbild.
In Europa tobt seit dem Herbst die zweite Welle, die Infektions- und Todeszahlen sind höher als im Frühjahr. Zum Jahresende gingen mehrere Länder erneut in einen harten Lockdown – obwohl man das um jeden Preis vermeiden wollte. Aber in vielen Ländern Asiens ist Corona Vergangenheit. Zwar trafen sich die Unterzeichner des Abkommens nur online. Aber mitten in die größte Krise des 21. Jahrhunderts sendeten sie die gut gelaunte Botschaft: Wir treiben Handel – und zwar mehr als je zuvor!
Die Unterzeichnung des Abkommens, das den Namen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) trägt, war besonders für China ein geopolitischer Sieg. Die USA hatten unter Barack Obama versucht, das asiatische Land mit dem Handelsvertrag TPP (Trans-Pacific Partnership) zu isolieren. Doch Donald Trump stieg aus dem Abkommen aus – nur drei Tage nach seinem Amtsantritt. RCEP war für die Volksrepublik also ein später Triumph über Amerika, ihren größten geopolitischen Rivalen.
Doch RCEP ist nicht Pekings einziger Sieg. Chinas Wirtschaft hat sich auf erstaunliche Weise von der Pandemie erholt. Bereits im zweiten Quartal wuchs sie um 3,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Im ersten Quartal war sie – gegenüber dem Vergleichszeitraum – noch um 6,8 Prozent eingebrochen. Der Positivtrend setzte sich im dritten Quartal fort: Die chinesische Wirtschaft wuchs um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Nach einer Prognose des Internationalen Währungsfonds ist China damit dieses Jahr die einzige führende Volkswirtschaft, deren Bruttoinlandsprodukt wächst. Die Sonderorganisation der Vereinten Nationen schätzt das chinesische Wirtschaftswachstum bis Jahresende auf 1,9 Prozent.
Ein weiteres Freihandelsabkommen
Zum Jahresende unterzeichneten China und die EU zudem ein Investitionsabkommen. Nur wenige Wochen vor dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden ist auch das ein geopolitischer Sieg für Peking.
Die Ironie: China, das Land, in dem die Pandemie ausgebrochen ist, kommt so erfolgreich aus der Krise wie kaum ein anderes Land.
Chinas v‑förmige wirtschaftliche Erholung befeuert eine der großen Debatten des 21. Jahrhunderts: die Frage, wie sich die Pandemie auf das Verhältnis zwischen den USA, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einzig verbliebenen Supermacht, und China, der aufstrebenden Supermacht, auswirkt. Die Pandemie sei der Beginn einer neuen Weltordnung mit China als Mittelpunkt, behaupten die einen. Die USA seien zwar nicht mehr die unangefochtene Supermacht, würden aber, insbesondere nach der Wahl von Joe Biden, wieder zu alter Führungsstärke zurückfinden, argumentieren die anderen. Zwei Experten, die für diese Sichtweisen stehen äußern sich:
Kishore Mahbubani gilt als einer der bekanntesten Verfechter der Idee des „chinesischen Jahrhunderts“. Der 72-Jährige stand mehr als 30 Jahre lang im diplomatischen Dienst Singapurs. Unter anderem war er der ständige Vertreter des Stadtstaates bei den Vereinten Nationen. Seit seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst lehrt Mahbubani an Universitäten und schreibt Bücher. Zuletzt hat er das Buch „Has China won?“ veröffentlicht. Der Titel formuliert Mahbubanis Meinung als Frage. Doch eigentlich ist für ihn völlig klar, dass China gegen den Westen gewonnen hat.
Die Pandemie habe den Ansehensverlust der USA dramatisch beschleunigt, findet der Singapurer. „Das Land, das einen Mann auf den Mond geschossen hat, kriegt die Pandemie nicht in den Griff“, sagt er am Telefon. Amerika, dessen Wissenschaftler und Institutionen lange als die besten der Welt galten, mache im Vergleich zu China eine schlechte Figur. Corona werde die Rollen zwar nicht schlagartig neu verteilen. Aber die Pandemie führe dazu, dass Chinas schrittweiser Aufstieg weitergehe. „Das relative Gewicht hat sich bereits deutlich verschoben – und das wird so weitergehen“, so Mahbubani. Den USA wirft der Ex-Diplomat vor, keine Vision für eine multipolare Welt zu haben. Er ist der Überzeugung, Washington sei enttäuscht, dass sich China trotz seines wirtschaftlichen Aufstiegs nicht zu einer Demokratie entwickelt habe. Und er glaubt, dass es in den USA eine rassistisch grundierte Abneigung gegen eine asiatische Supermacht gebe.
Meritokratie vs. Plutokratie
Den entscheidenden Grund für Chinas langfristigen Erfolg sieht Mahbubani aber in einem anderen Punkt: Das Land sei eine Meritokratie. Wer etwas leiste, habe Aufstiegsmöglichkeiten. Die USA hingegen sieht er als Plutokratie, also als eine Gesellschaft, in der Vermögen die Voraussetzung für Teilhabe darstellt.
Mahbubanis Ansichten sind umstritten. Oft wird ihm vorgeworfen, dass er keine Moral kenne. Als ihn der „Spiegel“ im Frühjahr fragte, ob er Pekings Unterdrückung der Muslime in Xinjiang für eine Politik halte, die einer Kulturnation würdig sei, antwortete er ausweichend: „Das weiß ich nicht.“ Wer ihm eine Weile zuhört, bekommt den Eindruck, dass er von Chinas Stärke gar nicht so sehr überzeugt ist, sondern vielmehr von Amerikas Schwäche.
Chinas demographisches Problem
Auch Gabriel Felbermayr beobachtet, dass China – relativ betrachtet – immer mächtiger wird. Der Österreicher ist seit 2019 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Seine Schlussfolgerung aber ist eine andere. Dass das Land deswegen zur neuen Hegemonialmacht aufsteigt, glaubt er nicht. Felbermayr weist auf die Einheit des Bruttoinlandsprodukts in US-Dollar hin. Vor der Pandemie habe der chinesische Wert bei rund 63 Prozent des US-Niveaus gelegen. Nach der Pandemie werde er wohl bei mehr als 70 Prozent liegen. Corona sei deswegen keine Wegscheide, sondern ein Katalysator. „Die geopolitischen Gewichte haben sich schon vor der Pandemie verschoben“, sagt er am Telefon. „Aber Corona hat diese Verschiebung beschleunigt.“
China werde, so Felbermayr, immer schneller der wichtigste Handelspartner von einer wachsenden Anzahl von Ländern. Damit böten sich der Volksrepublik mehr Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen. Das Abkommen RCEP sieht er als Ausdruck dieses Bedeutungsgewinns. Aber dem Aufstieg Chinas seien Grenzen gesetzt. „Relativ gewinnt China schon seit Jahrzehnten an wirtschaftlicher Bedeutung. Das wird wahrscheinlich bis etwa 2040 so weitergehen.“
Den Flaschenhals für Pekings Aufstieg sieht Felbermayr in Chinas Demografie: Das Land werde vermutlich alt, bevor es reich werde. „Und selbst auf dem Höhepunkt der Macht wird Chinas wirtschaftliche Bedeutung nicht die des Westens überschreiten.“ All jenen, die eine chinesische Weltordnung ausrufen, erteilt er damit eine Abfuhr. Felbermayr weist auch noch auf einen weiteren Punkt hin: China verfüge zwar über eine florierende Wirtschaft, aber über wenig politische und kulturelle Strahlkraft. Und auch das sei ein limitierender Faktor. „China ist als wirtschaftliches Modell attraktiv“, sagt er. „Aber nicht als gesellschaftspolitischer Entwurf.“
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