Mehr Freiheit wagen – erneut!

Foto: Shutter­stock, Markus Mainka

Am Ende der Corona­krise mit tempo­rären massiven Einschrän­kungen der Bürger­rechte ist es Zeit für eine Renais­sance des Libera­lismus. Welchen Beitrag kann dabei die FDP leisten, welchen die anderen Parteien und die Bürger­ge­sell­schaft? Ludwig Greven sucht Antworten.

Freiheit heißt, sich aufs Spiel zu setzen, auch wenn man dabei einen ziemlichen Aufprall erlebt.

... so der Soziologe und Regie­rungs­be­rater Heinz Bude im Interview mit der WELT.

Willy Brandt begann den sozial­li­be­ralen Aufbruch der SPD/FDP-Koalition vor einem halben Jahrhundert am 28.10.1969 mit dem Ruf: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ Nach 16 Jahren fast ununter­bro­chenen gouvern­men­talen Regierens einer großen, zunehmend grauen Koalition mit einer „alter­na­tiv­losen“ Kanzlerin, und eines pande­mie­be­dingten Staats­exzesses in ihrer vorläu­figen Schluss­phase ist es höchst angebracht, sich auf einen Kern dieser Demokratie zu besinnen: die Libera­lität einer modernen, emanzi­pierten, ihrer selbst bewussten Gesellschaft.

Vorder­gründig ist es um die Freiheit in Deutschland gut bestellt. Die Meinungs- und Presse­freiheit sind entgegen anders­lau­tenden Behaup­tungen nicht beschränkt, Minder­heiten werden geschützt, jeden­falls dem Gesetz nach, jede/​jeder kann nach ihrer/​seiner Façon glücklich werden, solange sie oder er nicht anderen in die Quere kommt. Doch die Corona-Krise hat gezeigt und bei vielen den Sinn dafür geschärft, wie schnell elementare Freiheits­rechte bedroht sind – in diesem Fall durch ein Virus, aber auch durch teils fragwürdige Entschei­dungen der Regie­renden aller demokra­ti­schen Parteien. Zu denken geben sollte Freiheits­lie­benden nicht nur, dass Bürger dagegen auch aus teils absurden, teils gefähr­lichen Motiven aufbe­gehrten. Sondern auch, dass so viele lange Zeit bereit waren, diese Einschrän­kungen einfach hinzu­nehmen ohne sie zu hinterfragen.

Denn in ihre Grund­rechte – von der Bewegungs­freiheit über das Versamm­lungs­recht bis zur Berufs‑, Gewerbe‑, Kultur- und Religi­ons­freiheit und dem Recht auf Bildung der Kinder – griff ja nicht nur das Virus ein, sondern auch die mangelnde Prävention der Regie­rungen im Bund und den Ländern und deren Fehler beim recht­zei­tigen Bestellen von Impfstoffen, Tests und Schutz­aus­rüs­tungen oder bei der Digita­li­sierung der Schulen. Dadurch mögen die verord­neten Maßnahmen im Einzelfall unaus­weichlich gewesen sein. Aber waren sie im überge­ord­neten Sinne gerecht­fertigt? Was ist von einem freiheit­lichen Staat zu halten, der nicht in der Lage ist, sich auf eine solche absehbare Krise vorzu­be­reiten, seine Bürger ausrei­chend zu schützen und deshalb ihnen ihre Freiheiten in nie gekanntem Maße nimmt, wenn auch nur für begrenzte, aber doch lange Zeit? Vor allem: Wird der Staat, der sich ohnehin gerne selbst ermächtigt zulasten der Bürger, von diesem verlo­ckenden Gift wieder lassen, wenn die nächste Pandemie droht oder eine angeblich oder tatsächlich noch größere Krise durch den mensch­ge­machten Klimawandel?

Freiheit und Selbstverantwortung

Libera­lität heißt selbst­ver­ständlich nicht, dass jeder tun und lassen kann, was er will, und sei es auf Kosten der Gesundheit und des Lebens anderer. Oder ihrer Freiheit. Zur Freiheit gehört zwingend Verant­wortung für das eigene Handeln. Aber in einer modernen liberalen Gesell­schaft bedeutet dies zunächst die selbst­be­stimmte Selbst­ver­ant­wortung der Bürger, nicht eine von oben verordnete. Nur dann, wenn das nicht reicht und nicht hilft, sind Regie­rungen berechtigt einzu­greifen, im Extremfall auch in Grund­rechte. Das aber muss, so steht schon im Grund­gesetz und so hat es auch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt immer wieder angemahnt, sehr gut und penibel genau begründet sein. Daran hat es, wie Gerichte festge­stellt haben, immer wieder gemangelt.

Deshalb ist es gut, dass sich jetzt wo die größte Gesund­heits­gefahr vorbei zu sein scheint, Bürger sich darauf besinnen, wie wichtig ihnen ihre Freiheiten sind. Und sei es die Freiheit, Spaß und Lebens­freude zu haben, ein reales Konzert zu genießen, zu reisen, Freunde zu treffen ohne Kontrollen und Kontin­gen­tierung – all das, was unser Leben auch ausmacht. Vor allem aber die Freiheit und das Recht, Regie­rungs­handeln und Eingriffe des Staates auch und gerade in einer schweren, nicht nur von außen verur­sachten Krise unter die Lupe zu nehmen.

Denn wie der Blick in andere Länder, z.B. Singapur (mit einem strikten Lockdown und Quarantäne gleich zu Beginn und einer sehr weitrei­chenden Öffnung direkt anschließend), aber auch in Europa zeigt, war die kaum kontrol­lierte Corona­po­litik der selbst­er­mäch­tigen Runde der Kanzlerin mit den Minis­ter­prä­si­denten keineswegs alter­na­tivlos. Andere Regie­rungen haben mit teils wesentlich gerin­geren Eingriffen ähnliche oder größere Gesund­heits­er­folge vorzu­weisen, aber weit geringere Schäden in der Gesell­schaft und bei den Einzelnen. Hierzu­lande wurde gerne auf den schwe­di­schen Weg herab­ge­sehen. Auch wenn es dort aufgrund von Fehlern in der ersten Phase deutlich mehr Tote vor allem in Alten- und Pflege­heimen gab, wurde der Kurs, sehr stark auf die Eigen­ver­ant­wortung der Bürger zu setzen, von einer breiten Mehrheit getragen. Zur Freiheit einer Gesell­schaft gehört eben auch abzuwägen, welche Verluste an Bürger­frei­heiten, an Wohlergehen der Gesamtheit und an langfris­tigen sozialen, ökono­mi­schen, finan­zi­ellen, psychi­schen und politi­schen Schäden ihnen Gesund­heits- und Lebens­schutz wert ist. Und wo der seine Grenzen findet, wenn eine von sehr liberalem und sozialem Geist geprägte Gesell­schaft sich nicht aufgeben will.

Vollkom­mener Schutz durch den Staat ist unmöglich

Ganz ähnlich hatte die norwe­gische Gesell­schaft übrigens schon nach dem Angriff des Rechts­extre­misten Breivik auf ein sozial­de­mo­kra­ti­sches Jugendcamp und ihre Freiheit reagiert. Auch sie war da, anders als viele in Deutschland, nicht bereit, der ohnehin unmög­lichen totalen Sicherheit vor terro­ris­ti­scher Bedrohung ihre Libera­lität und Offenheit zu opfern. Genauso wenig lassen sich offene Gesell­schaften vor Gesund­heits­ge­fahren durch noch so scharfe Maßnahmen absolut schützen. Es sei denn, man verwan­delte sie in eine chine­si­sches Sicherheitslager.

Im Bundes­tags­wahl­kampf wird es daher darauf ankommen, nicht nur über die Bewäl­tigung der immensen Folgen der Corona­krise und der Krisen­be­kämpfung zu reden. Sondern auch über die langfris­tigen Folgen für das Freiheits­ver­ständnis der Bürger und der Gesell­schaft. Auch mit Blick auf die Klima­po­litik oder die Angriffe von rechts und links auf eine offene Debat­ten­kultur. Auch da lauern Gefahren für die innere Freiheit. Natürlich kann niemand ernsthaft bestreiten, dass dringend mehr getan werden muss, um die Klima­er­wärmung zumindest zu begrenzen. Aber über die Mittel dazu muss gestritten werden. Und auch hier muss der liberale Grundsatz gelten, wie er in der Corona­po­litik immer hätte gelten müssen: Soviele Eingriffe wie unbedingt nötig, aber sowenig Eingriffe wie irgend­möglich. Genauso in den öffent­lichen Debatten auch im Netz, in der Wissen­schaft und der Kultur. Auch hier sollten Diskri­mie­rungen und Abwer­tungen vermieden werden – und zwar in alle Richtungen. Regie­rungen jedoch haben sich hier heraus­zu­halten. Das Überwachen der Meinungs­freiheit und der Einhaltung von Gesetzen obliegt allein den Gerichten, nicht Politikern, die selbst im Meinungs­kampf stehen.

Liberale im Aufwind

Ist es Zufall angesichts all dieser Gefahren für die Freiheit, dass die FDP in den Umfragen kräftig zulegt, bundesweit schon fast zur taumelden SPD aufge­schlossen und in Sachsen-Anhalt wenn auch knapp die Grünen hinter sich gelassen hat? Das hat sicherlich damit zu tun, dass ihr Vorsit­zender Christian Lindner seinen krawal­ligen Stil abgelegt hat und sich und seine Partei seriöser präsen­tiert. Aber wohl auch damit, die FDP als einzige die Corona­po­litik überwiegend sachlich immer wieder kriti­siert hat – im liberalen Sinne, ohne sich in das populis­tische Fahrwasser der AfD oder der „Querdenker“ zu begeben. Und dass sie sich auch in anderen Politik­feldern wie der Energie­wende als freiheit­liche, auf Bürger­ver­ant­wortung setzende Alter­native darstellt. Im Kontrast zur Staats­fi­xierheit von SPD, Grünen, Linken, aber auch Merkels obrig­keit­lichem Politikstil.

Wenn im Wahlkampf um diese Grund­fragen gerungen würde: Freiheit – soziale Verant­wortung – Sicherheit – ökolo­gi­scher Schutz, nicht nur um persön­liche Eigen­schaften und Biogra­phien der Kanzler­kan­di­daten, wäre es ein wichtiger Beitrag für eine offene, zentrale Debatte. Viel zu lange galt Libera­lismus in Deutschland fast als Schimpfwort, geschuldet auch der Verengung der FDP und anderer auf einen wirtschaft­lichen Neoli­be­ra­lismus. Dabei steht Libera­lismus für viel mehr, und auch die FDP stand einmal dafür: Schutz von Bürger­rechten und Minder­heiten, Schutz von Freiheiten aller Art, auch der Kultur­freiheit, die nicht durch neue Eingriffe diesmal von linken Moral­wächtern statt früher konser­va­tiven gegängelt werden darf.

Regieren ab Herbst Öko-Links­li­berale mit Wirtschaftsliberalen?

Nach dem Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Verhand­lungen 2017 hatten sich Robert Habeck und andere vorge­nommen, diesen Teil des FDP-Erbes anzutreten und die Grünen zu einer auch liberalen Partei zu machen. Daraus ist nicht viel geworden, wenn man sich die inner­par­tei­liche Debatte um ihr Wahlpro­gramm und jüngste Äußerungen ihrer Kanzler­kan­di­datin Annalena Baerbock anschaut. Umso spannender könnte es nach der Bundes­tagswahl bei den Koali­ti­ons­ge­sprächen werden: Finden sich da eine eher rechts- und wirtschafts­li­berale FDP und eine links­li­beral-ökobür­ger­liche Partei zusammen, um mit einer von Angela Merkel libera­li­sierten, aber autoritär geführten CDU einen neuen Freiheits­auf­bruch zu wagen, wie Rot-Grün 1998 nach den kohlschen Still­stands­jahren? Oder wird die FDP in einer Ampel zum Korrektiv von Grün-Rot, die nach dem Vorbild der Corona­po­litik auch Klima­schutz dirigis­tisch durch­setzen wollen?

Zu den Fragen, die disku­tiert werden müssen, gehört auch, ob sich der Staat auch wirtschafts- und sozial­po­li­tisch wieder zu einem allum­fas­senden Versor­gungs-Überstaat aufblasen sollte. Sicher war es sinnvoll, großzügig Kurzar­beits- und Milli­arden-Nothilfs­pro­gramme für kleine und mittlere Betriebe, Selbständige, Freibe­rufler und Künstler aufzu­legen, auch wenn die Gelder an sie zum Teil bis heute, anders als an Großkon­zerne, nicht ausge­zahlt wurden und zu Missbrauch geradezu einluden, genauso wie z.B. die Schnelltest-Subven­tionen. Aber die gewaltige Verschuldung dafür belastet nicht nur folgende Genera­tionen. Sondern sie hilft den Betrof­fenen in ihrer Existenznot auch nur begrenzt und nur vorüber­gehend, bis die Hilfen auslaufen. Und sie schafft neue Abhän­gig­keiten – das Gegenteil von wirtschaft­licher Dynamik, auf die Deutschland dringend angewiesen ist, da es, wie diese Krise erneut gezeigt hat, in vielen Feldern weit zurück­ge­fallen ist.

Wie werden sich die Bürger zu all dem verhalten? Gefällt ihnen der Rückfall in den Nanny-Staat?
Werden sie akzep­tieren, wenn ihnen erneut zum Beispiel das Reisen einge­schränkt wird – eines der Ziele für die die Menschen in der DDR 1989 immerhin auf die Straßen gegangen sind und weshalb auch sie die SED-Diktatur hinweg­gefegt haben; diesmal begründet von den Befür­wortern mit einem angeblich anderen guten Zweck, nämlich das Klima zu retten? Oder werden sie nach den Erfah­rungen der Coronazeit hellhö­riger werden und sich vernehmbar zu Wort melden, und diesmal nicht das Feld Populisten und „Querdenker“ überlassen, die in Wahrheit selbst Freiheits­feinde sind? Zu hoffen ist es immerhin.

 

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