Republik Moldau nach den Wahlen: Das ideale poli­ti­sche Momentum für entschei­dende Reformen

Foto: Shut­ter­stock, Alex­an­dros Michailidis

Die vorge­zo­genen Wahlen in der Republik Moldau konnte die euro­pa­freund­liche Partei für Aktion und Soli­da­rität (PAS) für sich entscheiden. Zusammen mit der ebenfalls der EU zuge­wandten Präsi­dentin Maia Sandu hat die neue Regierung beste Voraus­set­zungen, um das Land auf einen nach­hal­tigen Reform­kurs zu bringen und die gras­sie­rende Korrup­tion zu bekämpfen, analy­siert Denis Cenusa.

Die vorge­zo­genen Wahlen vom 11. Juli in der Republik Moldau haben gezeigt, dass quali­ta­tive Verän­de­rungen im Macht­ge­füge in Demo­kra­tien der Woche durch Wahlen und nicht unter dem Druck der Straße statt­finden können. Bei einer Wahl­be­tei­li­gung von 48 % haben sich rund 1,4 Millionen Wähler an den Wahlen beteiligt, das sind etwa 200.000 weniger als bei der zweiten Runde der Präsi­dent­schafts­wahlen 2020. Die Diaspora hat mehr als 212.000 Stimmen in den 150 im Ausland einge­rich­teten Wahl­lo­kalen beigetragen.

Die absolute Mehrheit der Wähler favo­ri­sierte die Partei, die mit Präsident Maia Sandu verbunden ist – die Partei für Aktion und Soli­da­rität (PAS). Sie erhielt 52,8% der Gesamt­stimmen, zog 774.754 Stimmen auf sich und erhielt 63 von 101 Sitzen im neu gewählten Parlament. Die beiden anderen Wahl­kon­kur­renten, die die Schwelle von 5% für Parteien und 7% für Blöcke über­schritten haben, sind der Kommu­nis­ti­sche und Sozia­lis­ti­sche Block (398.678 Stimmen und 32 Sitze) und die Shor Partei (84.185 Stimmen und 6 Sitze).

Die Wahlen waren in vielerlei Hinsicht kompe­titiv. Insgesamt nahmen 23 Kandi­daten an den Wahlen teil, darunter zwei Wahl­blöcke und ein unab­hän­giger Kandidat. Lokale Beob­achter merkten jedoch an, dass die Medi­en­be­richt­erstat­tung unaus­ge­wogen war, mit viel Desin­for­ma­tion und über­mä­ßigem Gebrauch von Hassreden während des gesamten Wahl­vor­gangs. Weitere Unre­gel­mä­ßig­keiten betrafen fest­ge­stellte Fälle von orga­ni­siertem Wähler­trans­port und angeb­li­cher Bestechung von Wählern aus der sepa­ra­tis­ti­schen Region des Landes (der Region Trans­nis­trien). Keiner dieser Rück­schläge hat das Ergebnis der Wahlen zugunsten der pro-EU und pro-refor­mis­ti­schen poli­ti­schen Kräfte wesent­lich beein­träch­tigt. Obwohl die Wahlen noch weit von Perfek­tion entfernt waren, wurden alle Mindest­be­din­gungen erfüllt, um diese vorge­zo­genen Wahlen als legitim zu betrachten. Die inter­na­tio­nale Gemein­schaft, sowohl die EU als auch Russland, haben sie am nächsten Tag anerkannt und damit ihre Bereit­schaft zur zukünf­tigen Zusam­men­ar­beit unterstrichen.

Der Anti-Korrup­tions-Diskurs gewann die Herzen der Wähler

Das Ergebnis der vorge­zo­genen Neuwahlen hat Präsi­dentin Maia Sandu geholfen, eines ihrer wich­tigsten poli­ti­schen Ziele, die sie sich für die Präsi­dent­schafts­wahlen 2020 gesetzt hat, zu einem großen Teil zu erfüllen, nämlich die poli­ti­sche Korrup­tion zu bekämpfen. In ihrer Antritts­rede Ende Dezember 2020 wies sie darauf hin, dass sie vorge­zo­gene Parla­ments­wahlen auslösen wird, um das Parlament von „korrupten“ Poli­ti­kern zu säubern. Zunächst schuf sie die Voraus­set­zungen für die Auflösung des Parla­ments, die vom Verfas­sungs­ge­richt im April 2021 genehmigt wurde und den Weg für vorge­zo­gene Wahlen im Juli ebnete. In der Folge förderte sie aktiv einen Diskurs, der sich mit der Wahl­agenda der PAS über­schnitt und sogar mit ihr synchro­ni­sierte. Darüber hinaus hat die PAS das Image von Maia Sandu im Wahlkampf genutzt, was für den Sieg über das kommu­nis­tisch-sozia­lis­ti­sche Wahl­tandem von wesent­li­cher Bedeutung war.

Diese Anti-Korrup­ti­ons­re­form, zusammen mit der Säuberung des Justiz­sek­tors, domi­nierte den Diskurs von Präsi­dentin Sandu und der PAS. Die Prio­ri­sie­rung von Fragen der Rechts­staat­lich­keit half, Verschwö­rungen des pro-russi­schen kommu­nis­tisch-sozia­lis­ti­schen Blocks wirksam zu begegnen. Letzterer verbrei­tete Verschwö­rungen über die Risiken für die Existenz des moldaui­schen Staates, die durch den zuneh­menden Dialog mit Rumänien verur­sacht würden oder die sich aus der Zusam­men­ar­beit mit der NATO bei der Lösung des Konflikts in der Region Trans­nis­trien ergäben. Diese hypo­the­ti­schen Bedro­hungen waren jedoch weniger über­zeu­gend als die Beweise über die greif­baren Auswir­kungen der Korrup­tion auf verschie­denen Ebenen des poli­ti­schen und öffent­li­chen Lebens.

Tatsäch­lich war die PAS die einzige Partei, die aus der öffent­li­chen Unzu­frie­den­heit mit der Korrup­tion effektiv Kapital schlug. Sie zielte auf den Anführer der prorus­si­schen Kräfte, den ehema­ligen Präsi­denten Igor Dodon, der für den Kommu­nis­ti­schen und Sozia­lis­ti­schen Block zu einer nicht wieder­gut­zu­ma­chenden Belastung wurde, da ihm eine lang­jäh­rige Zusam­men­ar­beit mit dem flüch­tigen Olig­ar­chen Wladimir Plahot­niuc vorge­worfen wurde und vor kurzem erneut der Vorwurf der geheimen Abspra­chen mit Russland aufkam, das bei den Präsi­dent­schafts­wahlen 2020 und den vorge­zo­genen Wahlen 2021 finan­zi­elle Hilfe angeboten habe.

Die pro-russi­schen Kräfte waren in der Minderheit

Im Gegensatz zur PAS und anderen Pro-EU-Parteien hatte der Kommu­nis­ti­sche und Sozia­lis­ti­sche Block keine starken Unter­stützer außer den kontrol­lierten Medien und der Kirche. Der Bezug auf die tradi­tio­nelle Kirche und Familie war beträcht­lich, aber das hat die Wähler­schaft nicht verbrei­tert, ganz im Gegenteil. Der vom Block beschwo­rene Schutz der russisch­spra­chigen Minder­heiten kam bei der Mehrheit nicht an. Hinzu kommt die demo­gra­fi­sche Schrump­fung der russisch­spra­chigen Minder­heit, die innerhalb eines Jahr­zehnts (2004–2014) von 20% auf 17% Bevöl­ke­rungs­an­teil sank. Die vom kommu­nis­tisch-sozia­lis­ti­schen Block ange­prie­senen sozialen Angebote waren weder einzig­artig noch hatten sie eine trag­fä­hige Basis.

Das Versäumnis, glaub­wür­dige Reformen zur Korrup­ti­ons­be­kämp­fung zu fördern, verstärkte die Diskre­panz zwischen den pro-russi­schen Kräften und der Diaspora, der Zivil­ge­sell­schaft und den verschie­denen Medien. Im Kontrast hierzu stellte die PAS die Korrup­ti­ons­be­kämp­fung in den Mittel­punkt ihres Wahl­pro­fils und behielt die Konti­nuität der Botschaften bei, die sie während der Präsi­dent­schafts­wahlen 2020 propa­gierte. Darüber hinaus ist es der PAS gelungen, neue Gesichter aus der Zivil­ge­sell­schaft und der Öffent­lich­keit im Allge­meinen anzu­ziehen, die sich für eine Verjün­gung der poli­ti­schen Klasse einsetzen, die die korrupten Eliten der Vergan­gen­heit ersetzen kann. Darüber hinaus behielten die Zivil­ge­sell­schaft und die Medien kritische Posi­tionen gegenüber dem Kommu­nis­ti­schen und Sozia­lis­ti­schen Block bei, der aufgrund der frag­wür­digen Inte­grität des ehema­ligen Präsi­denten Igor Dodon unter einer schweren Image­krise leidet.

Voran­treiben der Pro-EU-Agenda

Obwohl die PAS versuchte, sich von geopo­li­ti­schen Ausein­an­der­set­zungen mit ihren poli­ti­schen Rivalen fern­zu­halten, verknüpfte sie dennoch viele attrak­tive Punkte ihres Wahl­pro­gramms mit der euro­päi­schen Inte­gra­tion des Landes. Selbst die Korrup­ti­ons­be­kämp­fung bei der Justiz­re­form spiegelt sich in Verpflich­tungen gegenüber der EU wider, für die die Republik Moldau im Gegenzug finan­zi­elle Unter­stüt­zung erhalten kann. Die Annä­he­rung zwischen Präsi­dentin Maia Sandu und euro­päi­schen Spit­zen­po­li­ti­kern zwischen Dezember 2020 und Juni 2021, von Rumänien über Polen bis nach Brüssel und Berlin, hat den Wählern signa­li­siert, dass der Sieg der PAS „mehr Europa“ bedeutet.

Die EU scheint die PAS als eine Erwei­te­rung der poli­ti­schen Macht von Präsident Sandu wahr­zu­nehmen. Während sie die sieg­rei­chen Ergeb­nisse der PAS begrüßten, gaben die EU-Spit­zen­be­amten Josep Borrell und Oliver Varheley der PAS eine zweit­ran­gige Rolle als Umsetzer der „ehrgei­zigen Agenda von Präsident Maia Sandu“. Dies verstärkt eine falsche Vorstel­lung über die Republik Moldau, die eine parla­men­ta­ri­sche Republik ist, in der der Präsident eine symbo­li­sche Rolle hat. Da die PAS mit Hilfe von Maia Sandu die vorge­zo­genen Wahlen gewonnen hat, wird es keinen Wider­spruch zwischen dem Amt des Präsi­denten und dem Parlament geben. Dies könnte jedoch im Ausland und im Inland für Verwir­rung sorgen, indem das poli­ti­sche Gewicht, das die Verfas­sung dem Parlament zuschreibt, auf Maia Sandu verlagert wird.

Die Republik Moldau hat eine der euro­pa­freund­lichsten Mehr­heiten im Parlament erhalten, die es in den 30 Jahren seiner Unab­hän­gig­keit je hatte. Zusammen mit der EU-freund­li­chen Präsi­dentin Maia Sandu wird die PAS in Kürze eine Regierung bilden, die sich ganz der Umsetzung des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens mit der EU widmet. Sicher­lich werden die opti­mis­ti­schen Aussichten für die Bezie­hungen zwischen der EU und Moldawien das Interesse der Präsi­dent­schaft, des Parla­ments und der Regierung an einer Teilnahme an der Gemein­schaft Unab­hän­giger Staaten oder an einer Kapi­ta­li­sie­rung des Beob­ach­ter­status in der Eura­si­schen Wirt­schafts­union, den der ehemalige Präsident Igor Dodon 2018 erlangt hat,  verringern.

Nach den vorge­zo­genen Wahlen hat das Land alle Voraus­set­zungen, um nicht nur bei struk­tu­rellen, sondern auch bei sekto­ralen Reformen auf dem Weg zu einer engeren Beziehung zur EU voran­zu­kommen. Um erfolg­reich zu sein, muss es viel­leicht lernen, die absolute poli­ti­sche Macht zu teilen und Trans­pa­renz und Inklu­si­vität im Gesetz­ge­bungs­pro­zess zu meistern. Sich mit profes­sio­nellen und reform­ori­en­tierten Menschen zu umgeben, die die Wahrheit sagen, wird wesent­lich sein. Kompli­zier­tere stra­te­gi­sche Reformen müssen intel­li­gent mit leich­teren und greif­ba­reren Reformen kombi­niert werden, ohne zu viele Reformen zu schnell anzu­stoßen. Die PAS muss effektiv sein, aber sie darf nicht von zu vielen kompli­zierten Reformen auf einmal über­for­dert werden. Die Qualität und Dauer­haf­tig­keit der Erneue­rungen sollte wichtiger sein als unnötige Eile.


Denis Cenusa ist Wissen­schaftler beim Institut für Poli­tik­wis­sen­schaft, an der Justus-Liebig-Univer­sität, Gießen (Germany), und Asso­ciated Expert beim Think Tank Expert-Grup.

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