Nächster Kanzler Friedrich Merz? Dieser Fisch ist noch lange nicht gefangen

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Wie denkt die CDU über die Welt, die sie mitge­stalten will? Wer sind mögliche Koali­ti­ons­partner nach den Land­tags­wahlen, wer wird Kanz­ler­kan­didat? Auch program­ma­tisch bleibt nach dem CDU-Bundes­par­teitag vieles offen. Was fehlt, ist das Vertrauen in die eigene geistige Führungs­kraft. Ein Kommentar von Markus Schubert.

Wer der Oppo­si­tion in Berlin bislang bei der Arbeit zusah, konnte meinen, die CDU sei mit ihrer Rolle ganz zufrieden. Erstaun­lich, wie schnell und einfach der Abschied von der Macht gelang. So hat sie erst gar nicht versucht, Grünen und FDP in Sondie­rungen ein Angebot zu unterbreiten.

Söder wollte auf seine zweite Chance in vier Jahren warten, die CDU war ermattet. So kam Friedrich Merz zum Zug, und der ist nun mal gelernter Oppo­si­ti­ons­po­li­tiker. Dazu kommt, dass die Umfragen schnell den Eindruck erweckten, es sei wirklich nur ein einma­liger Ausrut­scher auf Platz 2 gewesen.

Die Union scheint nun wieder – und das mit großem Abstand – die Partei zu sein, um die herum sich eine Regie­rungs­kon­stel­la­tion der Mitte bildet. Man muss anschei­nend nur abwarten, bis die Ampel­ko­ali­tion sich mit einem Winseln oder einem Knall vom Hof macht. Doch das ist ein trüge­ri­sches Bild.

Oppo­si­tion gegen eine als planlos und zerstritten wahr­ge­nom­mene Regierung ist einfach und wird demo­sko­pisch rasch und reich belohnt. Dafür sind die 30 Prozent in Umfragen sogar eher mau. Die Merkel-CDU erzielte durchweg höhere Werte als Partei in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung.  Außerdem hat es die Union im demo­kra­ti­schen Sektor der Oppo­si­tion zwar leicht, den Ärger über die Ampel und auch den Frust von Anhängern der Koali­ti­ons­par­teien über das unge­wollte Bündnis „abzu­greifen“ – die Ampel­ko­ali­tion wird aber nicht als solche in den Wahlkampf ziehen.

Die drei Regie­rungs­par­teien wissen das, die Oppo­si­tion weiß das, und die Wähle­rinnen und Wähler wissen das im Grunde auch. Die FDP ist ohnehin längst auf eigene poli­ti­sche Rechnung unterwegs. Wahl­kämpfe und Wahlen sind keine Bilanzen, sie sind Zukunfts­pro­jek­tionen. Sie verlangen Perspek­tiven und Vertrau­ens­per­sonen, die für sie stehen.

Auch die Union hat spätes­tens mit dem CDU-Bundes­par­teitag doku­men­tiert, dass sie den Blick nach vorne auf den Wahlkampf richtet. Die breite Zustim­mung für den Partei­chef und das Abhaken des neuen Grund­satz­pro­gramms sollen signa­li­sieren: Wir sind bereit. Der Trick des Vorsit­zenden dabei: Die Kanz­ler­schaft nicht anspre­chen, aber reden wie ein Kanzler und so das Wahl­er­gebnis als Vorsit­zender als Zustim­mung zur Kandi­datur erscheinen lassen.

Was denkt die CDU über die Welt, die sie mitge­stalten will?

Vor einer Wahl­ent­schei­dung wollen die Wähle­rinnen und Wähler von den Parteien wissen, wie sie auf die Welt und die Lage in Deutsch­land blicken, welche zentralen Projekte sie vorhaben, mit welchen Partnern im Viel­par­tei­en­system sie in einer Regierung zusam­men­ar­beiten würden und wer als zentrale Vertrau­ens­person ein solches Bündnis mode­rie­rend führt.

Auf diese Fragen gibt es von der CDU aller­dings noch keine Antworten. Was denkt die CDU über die Welt, die sie mitge­stalten soll? Ihr neues Grund­satz­pro­gramm ist intel­lek­tuell schmal­brüstig, schon die Herlei­tung der Grund­werte aus der katho­li­schen Sozi­al­lehre ist kraft­loser denn je. Die Ergänzung der Nach­hal­tig­keit als viertem Grundwert neben Freiheit, Gerech­tig­keit und Soli­da­rität fällt erneut aus.

Die globale Heraus­for­de­rung der Demo­kratie und der regel­ba­sierten Welt­ord­nung scheint kaum am Horizont auf. Wie werden wir resi­li­enter? Eine gemein­same euro­päi­sche Armee im Rahmen der NATO? Wie finan­zieren wir eine glaub­wür­dige Abschre­ckung?  Soll es eine entschei­dende Vertie­fung und Demo­kra­ti­sie­rung der Euro­päi­schen Union geben? Einen Bundes­staat? Wie kann man eine euro­päi­sche Öffent­lich­keit schaffen? Gelingt die Über­win­dung des Natio­na­lismus als der großen geistigen Pandemie des 20. Jahr­hun­derts – aktuell neu entfacht von Popu­listen und Extremisten?

Die CDU fragt nicht und antwortet nicht. Ihr Euro­pa­wahl­pro­gramm spricht von einem Europa, das „nützt“.  Die ganze EU wird geschil­dert wie ein von einer entfernten Tante geerbtes Feri­en­haus, dessen Einrich­tung aus der Zeit gefallen ist und das einem nur zusätz­liche Arbeit beschert. Weiter kann man sich von Helmut Kohl kaum entfernen.

Hat das Früh­warn­system der CDU funktioniert?

Klar, die CDU ist – vergli­chen mit anderen Christ­de­mo­kraten und Konser­va­tiven in Europa – nicht in den Sog des (National-)Populismus geraten, aber hat sie ihre spezi­fi­sche Lektion aus Weimar gelernt? Ist ihr noto­ri­sches Bekenntnis, man werde weder mit AfD noch der Linken koope­rieren – das eine Äqui­di­stanz sugge­riert – die ange­mes­sene Antwort auf die aggres­sive, extre­mis­ti­sche Heraus­for­de­rung durch die AfD?

Und hat ihr Früh­warn­system funk­tio­niert? Stand ihre Brand­mauer auch, als Hans-Georg Maaßen in einem vom CSU-Chef geführten Innen­mi­nis­te­rium Karriere machen und die Gefah­ren­ab­wehr gegen rechts unter­mi­nieren durfte? Als die „Werte-Union“ ihr Unwesen als Scharnier zwischen Union und AfD treiben durfte, solange sie nur für Merz trommelte?

Die AfD konnte unter CDU-Chef Merz weiter zulegen, weil die Grund­an­nahme, man müsse nur ein paar von deren Themen „aufgreifen“ und „abräumen“, krachend geschei­tert ist. Während die Söder-CSU daraus phasen­weise Schlüsse zog, begehen zahl­reiche Akteure in der CDU fort­ge­setzt den Kardi­nal­fehler, Themen auch mit Unter­stüt­zung von Boule­vard­me­dien in den Vorder­grund zu schieben, die der AfD genau wie auch anderen Rechts­par­teien in Europa verläss­lich Zulauf und Legi­ti­mie­rung verschaffen – und die der Kreml nicht umsonst als Ansatz­punkte für eine Spaltung demo­kra­ti­scher Gesell­schaften betrachtet und verwendet: Sei es der poli­ti­sche Dauer­kampf gegen Zuwan­de­rung, die fort­wäh­rende Kritik an mangelnder Effizienz oder angeb­li­cher Bevor­mun­dung durch die EU, aber auch am öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk oder an angeb­li­chen Gender-Sprach­dik­taten, die Darstel­lung von Klima­po­litik und Ener­gie­wende als grün-ideo­lo­gisch motiviert oder das Aufwei­chen demo­kra­ti­scher Resilienz im Umgang mit dem tota­li­tären Regime in Moskau durch ostdeut­sche CDU-Politiker.

Es ginge auch anders: Seit 2013 hält der wohl klügste Christ­de­mo­krat des Konti­nents, der heutige finnische Staats­prä­si­dent Alexander Stubb, dem CDU und CSU die Spit­zen­kan­di­datur für die EVP bei der zurück­lie­genden Euro­pa­wahl vorent­hielten, den Konflikt „Globa­lismus vs. Loka­lismus“ für die zentrale Konflikt­linie, anhand derer Wahl­ent­schei­dungen getroffen werden. Die Euro­päi­sche Union ist darauf eigent­lich eine gute christ­de­mo­kra­ti­sche Antwort. Aber die CDU agiert in alle Rich­tungen mutlos, auch einge­schüch­tert von der AfD und ihren Erfolgen, und daraus erwächst kein Vertrauen in ihre geistige Führungsstärke.

Die unbequeme Frage nach den möglichen Koalitionspartnern

Die zweite Frage, mit wem die Union nach der Wahl koalieren und regieren will, lässt sie bislang unbe­ant­wortet, weil die Front­stel­lung gegen die Ampel taktisch bequemer ist. Sobald die FDP aber vollends selb­ständig auf dem Wähler­markt unterwegs ist, kann eine rasche Erosion der Umfra­ge­werte zugunsten der FDP eintreten.

Je mehr die CDU dann eine Koali­ti­ons­be­reit­schaft mit den Grünen aufblitzen lässt – auch Friedrich Merz hat dies vernünf­ti­ger­weise nicht ausge­schlossen – umso rasanter kann dieser Abfluss geschehen; vom FDP-Chef wird dies zulasten der Regie­rungs­fä­hig­keit der Koalition stra­te­gisch und konse­quent vorbe­reitet. Zugleich kann die Union ihre Wähler­schaft unter diesen Vorzei­chen nicht mehr so leicht gegen die Grünen mobilisieren.

In schwere Turbu­lenzen könnte die Union geraten, wenn sie nach den Land­tags­wahlen im Herbst zwar rech­ne­risch Koali­tionen unter Ausschluss der AfD bilden könnte, dafür aber auch die Linke oder ihr noch proble­ma­ti­scheres popu­lis­ti­sches Spalt­pro­dukt BSW einbinden muss. Aber gut, das sind Probleme, die SPD und Grüne in Sachsen, Thüringen und Bran­den­burg gerne hätten.

Diesen Heraus­for­de­rungen kann man durch eine funk­tio­nie­rende Rollen­ver­tei­lung entgehen: Neben dem Kanz­ler­kan­di­daten müssen Minis­ter­prä­si­denten, die mit den Grünen, der SPD, der FDP oder allen dreien regieren, die Verläss­lich­keit CDU-geführter Koali­tionen im Alltag unterstreichen.

Auf den Kanzler kommt es an

Damit sind wir aber beim perso­nellen Dreh- und Angel­punkt der anste­henden Kampagne. Auf den Kanzler kommt es an. In einem Wahlkampf, in dem sieben bis acht Parteien Chancen auf einen Einzug in den Bundestag haben und drei bis vier von ihnen Kanz­ler­kan­di­daten oder ‑kandi­da­tinnen ausrufen, wollen Menschen in der künftigen Regie­rungs­chefin oder dem Regie­rungs­chef einen bere­chen­baren Anker­punkt der Vernunft in allen Turbu­lenzen sehen. Das lehren alle Land­tags­wahlen, aber auch die vergan­gene Bundes­tags­wahl, in der Olaf Scholz mit Erfolg als Lord­sie­gel­be­wahrer der Merkel-Koalition auftrat.

Die CDU als routi­nierter „Wahl­verein“ hat nun bereits drei Bundes­vor­sit­zende gekürt, die nicht Kanzler wurden oder werden. Gegen Friedrich Merz spricht unver­min­dert das Fehlen jedweder Regie­rungs­er­fah­rung, einschließ­lich der Erfahrung in der Bildung und Führung einer Koalition. Auch eine Spit­zen­kan­di­datur plus entspre­chender Kampagne kann der Wahl­kreis­ab­ge­ord­nete nicht vorweisen, wie es ihm zuletzt der ideo­lo­gisch unver­däch­tige Ex-Minis­ter­prä­si­dent Bernhard Vogel ins Stammbuch schrieb: „Ich finde die Minis­ter­prä­si­denten geeig­neter.“ Hinzu kommen persön­liche Umfra­ge­werte noch unter denen seiner Partei. Merz ist der Kanzler der CDU-Mitglieder, aber weniger der CDU-Wähler und noch weniger der poten­zi­ellen CDU-Wähler.

Das Lob für den CDU-Chef fiel auf und am Rande des Partei­tags denn auch eher schmal­lippig aus. Dass er die Partei seit seinem Amts­an­tritt „zusam­men­ge­halten hat“, ist ja eher ein Hinweis, dass die Partei der – gerade von Merz betrie­benen – Dauer­kon­kur­renzen um die Führung müde ist. Aber auch seine Kritiker belassen es maximal bei vergif­tetem Lob, wie Schleswig-Holsteins Regie­rungs­chef Daniel Günther, der Merz beschei­nigte, ein guter „Partei- und Frak­ti­ons­vor­sit­zender“ zu sein – als sei damit das Ende der Fahnen­stange beschrieben.

In Sachen Kanz­ler­kan­di­datur ist also noch keine finale Entschei­dung getroffen, zumal es der CDU-Gene­ral­se­kretär versäumt hat, diese Entschei­dung über ein Wolfrats­hau­sener Frühstück hinaus zu forma­li­sieren. Die Minis­ter­prä­si­denten Wüst, Günther und Rhein haben Regie­rungs- und Koali­tions- sowie Kampa­gnen­er­fah­rung, könnten den Bundes­vor­sit­zenden aber nicht heraus­for­dern, solange dieser den „ersten Zugriff“ auf die Kanz­ler­kan­di­datur reklamiert.

Das wiederum kann nur der CSU-Chef in Frage stellen, aber nach dem Debakel 2021 nicht mehr für eigene Ansprüche. Wird Merz‘ „kraft Amtes“ erhobener Anspruch intern oder öffent­lich in Frage gestellt, dann laufen diese Debatten neu, müssen aber anders als beim letzten Mal zum zügigen Abschluss führen.

Textende

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