Ökolo­gische Trans­for­mation: Eingriff in den gesell­schaft­lichen Maschinenraum

Foto: Flickr (CC BY-SA 2.0)

Viele wichtige Entschei­dungen stehen an, um die gesell­schaft­lichen Trans­for­ma­tionen in die ökolo­gische Moderne anzutreiben. Dafür braucht es neue Koali­tionen, Diskus­sionen und die Zusam­men­arbeit von Akteuren, die sonst eher gegen­ein­ander arbeiten.

Wider­sprüche und Komple­xität aushalten

Die Klima­de­batte der vergan­genen Monate ist durch die anhal­tende Corona­krise jäh unter­brochen worden. Nun liegt die Priorität darin, der Wirtschaft Liqui­dität zu verschaffen und Arbeits­plätze zu erhalten. Sind die dafür notwen­digen Entschei­dungen getroffen, wird in einigen Wochen oder Monaten das Ringen um den richtigen Weg aus dem fossilen Zeitalter in die ökolo­gische Moderne weiter­gehen. Die Debat­ten­stränge sind bekannt: Grünes Wachstum durch Innovation und Techno­logie, weniger oder kein Wachstum durch eine neue Verzichts­kultur, Geoen­gi­neering ja oder nein, mehr Verbote oder weniger, mehr oder weniger Markt, mehr oder weniger indivi­duelle Verant­wortung. Dass diese konkur­rie­renden Vorschläge sowie Konflikt­linien bestehen und im Kampf um die Deutungs­hoheit befeuert werden, liegt in der Natur der Sache. Angesichts sich verhär­tender Fronten zwischen den politi­schen Lagern und der verän­derten Situation durch die Corona­pan­demie stellt sich die Frage auf neue Weise, wie die Trans­for­mation zur ökolo­gi­schen Gesell­schaft erreicht werden kann. 

Portrait von Lukas Daubner

Lukas Daubner ist bei LibMod wissen­schaft­licher Mitar­beiter im Bereich Ökolo­gische Moderne

Einigkeit besteht darüber, dass viel zu tun ist. Nachdem in den vergan­genen Jahren einige ökolo­gische low hanging fruits geerntet wurden – etwa hinsichtlich des Ausbaus von Wind- und Solar­energie sowie einer enormen Effizi­enz­stei­gerung in der Wirtschaft – stehen jetzt technisch und politisch schwerer umsetzbare Verän­de­rungen an. Für viele gesell­schaft­liche Bereiche muss im Detail geklärt werden, wie sie in den kommenden Jahrzehnten von CO₂-lastigen Energie­trägern wegkommen und ganze Wirtschafts­be­reiche ihre Produktion ändern. Um diese Aufgaben zu lösen, ohne die Freiheiten der liberalen Demokratie zu gefährden, werden noch mehr Verhand­lungen zwischen den Akteuren und damit eine robuste Debatten- sowie Konflikt­kultur notwendig sein.

Im Maschi­nenraum der Gesellschaft

Das Leben in der modernen Gesell­schaft bringt mit sich, dass niemand wissen kann, welcher Entwick­lungspfad der richtige ist. Weder Staat noch Markt oder ein Gott wissen das allein. Uns bleibt nur das Voran­tasten und darauf vertrauen, die richtigen Lösungen für die Problemen zu finden, von denen wir glauben, dass es die richtigen Probleme sind. Die ökolo­gische Trans­for­mation muss man sich so vorstellen, dass die Eingriffe in den gesell­schaft­lichen Maschi­nenraum nicht nur bei voller Fahrt statt­finden, sondern zeitweise bei Gegenwind. Auch sind notwen­digen Ersatz­teile oft unbekannt und Unsicherheit besteht darüber, in welcher Reihen­folge diese einzu­setzen sind. Um eine komplexe Gesell­schaft darauf einzu­stellen, mittel­fristig weniger und langfristig keine fossilen Energie­träger zu verbrauchen, sind – bei aller gebotenen Dring­lichkeit – Kompro­misse und Abwägungen unerlässlich. Wissen­schaft­le­rInnen können und sollen Vorschläge machen, können uns politische Entschei­dungen jedoch nicht abnehmen.

Ein Argument für mehr Austausch und Kompro­misse hängt mit der banalen Einsicht zusammen, dass gesell­schaft­liche Verän­de­rungen nur mit den Mitteln der Gesell­schaft erreicht werden können. Die ökolo­gische Trans­for­mation der Gesell­schaft kann nur mit der jetzigen Wirtschaft oder mit der jetzigen Politik erreicht werden. Es stehen uns keine anderen zur Verfügung.

Insbe­sondere für politische Organi­sa­tionen oder Protest­be­we­gungen ist diese Einsicht nicht selbst­ver­ständlich. Sie richten sich in Freund-/ Feind­un­ter­schei­dungen ein und stellen Maximal­for­de­rungen auf, der Zeitho­rizont zwischen Utopie und Umsturz schwankt. Utopische Bezugs­punkte politi­schen Handelns zu disku­tieren, ist wichtig. Aller­dings sollte das Zielbild nicht mit konkreten, in der Gegenwart möglichen Verän­de­rungen verwechselt werden: Wenn der Kapita­lismus überwunden ist, kommt das gute Leben. Oder, wenn das Wachstum aufhört, ist das Klima gerettet. Denn das bedeutet, dass, solange der Kapita­lismus nicht überwunden ist oder die Wirtschaft weiter­wächst, sich kaum etwas im Sinne der anvisierten Ziele ändert.

Weltent­würfe deuten Richtungen und senden Signale in die jewei­ligen politi­schen Lager. Um aber im hier und jetzt Verän­de­rungen zu erreichen, ist es unver­meidlich sich – bildlich gesprochen – die Hände im gesell­schaft­lichen Maschi­nenraum schmutzig zu machen. Um die bestehenden gesell­schaft­lichen Struk­turen zu verändern, sie in Richtung einer ökolo­gi­schen Moderne zu wandeln, ist es notwendig, dass Akteure Kompro­misse eingehen, Koali­tionen schmieden, kleinste gemeinsame Nenner finden, kurz: die bestehenden Möglich­keiten ausschöpfen. Denn, es sind die einzigen, die wir haben.

Aller­dings befinden sich Parteien, Protest­be­we­gungen oder Unter­nehmen im Dilemma. Die Zusam­men­arbeit mit politi­schen Gegnern ist öffentlich nur schwer vermit­telbar. Gerade in einer Medien­de­mo­kratie, mit ihrer dauer­haften medialen Beobachtung, ist eine konsis­tente Fassade aber ein wichtiger Faktor. Protest­be­we­gungen drohen sonst ihr Anti-Image zu verlieren und Parteien ihr Profil – die große Koalition lässt grüßen. Doch Konsistenz – genauer: Unbeweg­lichkeit – können sich nur dieje­nigen leisten, die den Opposi­ti­ons­modus nicht verlassen und auf die Gestaltung der Wirklichkeit verzichten. Soll die Gesell­schaft und damit ihre Wirtschaft ökolo­gisch trans­for­miert werden, gilt es viele kompli­zierte, oft mitein­ander verwobene Detail­fragen zu beant­worten: Wie kann zum Beispiel Stahl CO₂-neutral produ­ziert werden, wie die Chemie­in­dustrie Naphtha und Erdgas ersetzen? Solche und weitere Innova­tionen werden aller­dings nicht ausreichen.

Offenheit für Kompro­misse und eine hohe Ambigui­täts­to­leranz sind notwendig

Eine Kultur des Kompro­misses, der Koope­ration und auch des Detail­blicks ist erfor­derlich. Dem läuft aller­dings der gesell­schaft­liche Sound der Zeit zuwider. Ambigui­täten müssten ausge­halten, unter­schied­liche, parallel verlau­fende Lösungswege offen­ge­halten werden. Die moderne Gesell­schaft ist zu komplex und ausdif­fe­ren­ziert, als dass sie eingleisig gestaltbar wäre. Um die notwen­digen regula­to­ri­schen und techno­lo­gi­schen Verän­de­rungen auf den Weg zu bringen, werden Inter­es­sens­ko­ali­tionen benötigt. Diese können themen­be­zogene ad hoc Netzwerke sein oder korpo­ra­tis­tische Regime, wie sie in Deutschland zwischen Arbeit­gebern und Arbeit­nehmern bekannt und erprobt sind.  Umwelt – und Indus­trie­ver­bände, sowie Parteien müssen über ihre jewei­ligen kultu­rellen Schatten springen und sich ernsthaft auf die Positionen der jeweils anderen Seite einlassen.

Ein erfolg­reicher Trans­for­ma­ti­ons­prozess weg von den fossilen Struk­turen der Gesell­schaft ist von einer hohen Fehler- und Ambigui­täts­to­leranz abhängig, sowie von einem hohen Maß an Verstän­digung über Lager­grenzen hinweg. Keiner der oben erwähnten Lösungs­an­sätze ist eindeutig richtige; zu unter­schied­lichen Zeitpunkten werden immer neue Kombi­na­tionen dieser Ansätze notwendig sein. Oft sind es Innova­tionen und technische Lösungen, in anderen Fällen kultu­reller Wandel, und in bestimmten Bereichen, auch negatives Wachstum, Verzicht oder Verbote.

Zugegeben, politisch ist das keine eingängige Botschaft. Unsicherheit aushalten und Kompro­misse eingehen, scheint angesichts der bestehenden Drohsze­narien nicht markt­auglich. Sie sind auch in Anbetracht des globalen Trends zum Natio­na­lismus und Ich-First-Menta­lität kontrain­tuitiv. Aber es sind die einzigen Mittel, die bestehen, um eine komplexe Gesell­schaft nachhaltig zu verändern. Die „Kohle­kom­mission“ hat es vorge­macht, viele ähnliche diskursive Arran­ge­ments sind jetzt gefordert, um die notwen­digen Weichen in die ökolo­gische Moderne zu stellen.

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