Ökologische Transformation: Eingriff in den gesellschaftlichen Maschinenraum
Viele wichtige Entscheidungen stehen an, um die gesellschaftlichen Transformationen in die ökologische Moderne anzutreiben. Dafür braucht es neue Koalitionen, Diskussionen und die Zusammenarbeit von Akteuren, die sonst eher gegeneinander arbeiten.
Widersprüche und Komplexität aushalten
Die Klimadebatte der vergangenen Monate ist durch die anhaltende Coronakrise jäh unterbrochen worden. Nun liegt die Priorität darin, der Wirtschaft Liquidität zu verschaffen und Arbeitsplätze zu erhalten. Sind die dafür notwendigen Entscheidungen getroffen, wird in einigen Wochen oder Monaten das Ringen um den richtigen Weg aus dem fossilen Zeitalter in die ökologische Moderne weitergehen. Die Debattenstränge sind bekannt: Grünes Wachstum durch Innovation und Technologie, weniger oder kein Wachstum durch eine neue Verzichtskultur, Geoengineering ja oder nein, mehr Verbote oder weniger, mehr oder weniger Markt, mehr oder weniger individuelle Verantwortung. Dass diese konkurrierenden Vorschläge sowie Konfliktlinien bestehen und im Kampf um die Deutungshoheit befeuert werden, liegt in der Natur der Sache. Angesichts sich verhärtender Fronten zwischen den politischen Lagern und der veränderten Situation durch die Coronapandemie stellt sich die Frage auf neue Weise, wie die Transformation zur ökologischen Gesellschaft erreicht werden kann.
Einigkeit besteht darüber, dass viel zu tun ist. Nachdem in den vergangenen Jahren einige ökologische low hanging fruits geerntet wurden – etwa hinsichtlich des Ausbaus von Wind- und Solarenergie sowie einer enormen Effizienzsteigerung in der Wirtschaft – stehen jetzt technisch und politisch schwerer umsetzbare Veränderungen an. Für viele gesellschaftliche Bereiche muss im Detail geklärt werden, wie sie in den kommenden Jahrzehnten von CO₂-lastigen Energieträgern wegkommen und ganze Wirtschaftsbereiche ihre Produktion ändern. Um diese Aufgaben zu lösen, ohne die Freiheiten der liberalen Demokratie zu gefährden, werden noch mehr Verhandlungen zwischen den Akteuren und damit eine robuste Debatten- sowie Konfliktkultur notwendig sein.
Im Maschinenraum der Gesellschaft
Das Leben in der modernen Gesellschaft bringt mit sich, dass niemand wissen kann, welcher Entwicklungspfad der richtige ist. Weder Staat noch Markt oder ein Gott wissen das allein. Uns bleibt nur das Vorantasten und darauf vertrauen, die richtigen Lösungen für die Problemen zu finden, von denen wir glauben, dass es die richtigen Probleme sind. Die ökologische Transformation muss man sich so vorstellen, dass die Eingriffe in den gesellschaftlichen Maschinenraum nicht nur bei voller Fahrt stattfinden, sondern zeitweise bei Gegenwind. Auch sind notwendigen Ersatzteile oft unbekannt und Unsicherheit besteht darüber, in welcher Reihenfolge diese einzusetzen sind. Um eine komplexe Gesellschaft darauf einzustellen, mittelfristig weniger und langfristig keine fossilen Energieträger zu verbrauchen, sind – bei aller gebotenen Dringlichkeit – Kompromisse und Abwägungen unerlässlich. WissenschaftlerInnen können und sollen Vorschläge machen, können uns politische Entscheidungen jedoch nicht abnehmen.
Ein Argument für mehr Austausch und Kompromisse hängt mit der banalen Einsicht zusammen, dass gesellschaftliche Veränderungen nur mit den Mitteln der Gesellschaft erreicht werden können. Die ökologische Transformation der Gesellschaft kann nur mit der jetzigen Wirtschaft oder mit der jetzigen Politik erreicht werden. Es stehen uns keine anderen zur Verfügung.
Insbesondere für politische Organisationen oder Protestbewegungen ist diese Einsicht nicht selbstverständlich. Sie richten sich in Freund-/ Feindunterscheidungen ein und stellen Maximalforderungen auf, der Zeithorizont zwischen Utopie und Umsturz schwankt. Utopische Bezugspunkte politischen Handelns zu diskutieren, ist wichtig. Allerdings sollte das Zielbild nicht mit konkreten, in der Gegenwart möglichen Veränderungen verwechselt werden: Wenn der Kapitalismus überwunden ist, kommt das gute Leben. Oder, wenn das Wachstum aufhört, ist das Klima gerettet. Denn das bedeutet, dass, solange der Kapitalismus nicht überwunden ist oder die Wirtschaft weiterwächst, sich kaum etwas im Sinne der anvisierten Ziele ändert.
Weltentwürfe deuten Richtungen und senden Signale in die jeweiligen politischen Lager. Um aber im hier und jetzt Veränderungen zu erreichen, ist es unvermeidlich sich – bildlich gesprochen – die Hände im gesellschaftlichen Maschinenraum schmutzig zu machen. Um die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen zu verändern, sie in Richtung einer ökologischen Moderne zu wandeln, ist es notwendig, dass Akteure Kompromisse eingehen, Koalitionen schmieden, kleinste gemeinsame Nenner finden, kurz: die bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen. Denn, es sind die einzigen, die wir haben.
Allerdings befinden sich Parteien, Protestbewegungen oder Unternehmen im Dilemma. Die Zusammenarbeit mit politischen Gegnern ist öffentlich nur schwer vermittelbar. Gerade in einer Mediendemokratie, mit ihrer dauerhaften medialen Beobachtung, ist eine konsistente Fassade aber ein wichtiger Faktor. Protestbewegungen drohen sonst ihr Anti-Image zu verlieren und Parteien ihr Profil – die große Koalition lässt grüßen. Doch Konsistenz – genauer: Unbeweglichkeit – können sich nur diejenigen leisten, die den Oppositionsmodus nicht verlassen und auf die Gestaltung der Wirklichkeit verzichten. Soll die Gesellschaft und damit ihre Wirtschaft ökologisch transformiert werden, gilt es viele komplizierte, oft miteinander verwobene Detailfragen zu beantworten: Wie kann zum Beispiel Stahl CO₂-neutral produziert werden, wie die Chemieindustrie Naphtha und Erdgas ersetzen? Solche und weitere Innovationen werden allerdings nicht ausreichen.
Offenheit für Kompromisse und eine hohe Ambiguitätstoleranz sind notwendig
Eine Kultur des Kompromisses, der Kooperation und auch des Detailblicks ist erforderlich. Dem läuft allerdings der gesellschaftliche Sound der Zeit zuwider. Ambiguitäten müssten ausgehalten, unterschiedliche, parallel verlaufende Lösungswege offengehalten werden. Die moderne Gesellschaft ist zu komplex und ausdifferenziert, als dass sie eingleisig gestaltbar wäre. Um die notwendigen regulatorischen und technologischen Veränderungen auf den Weg zu bringen, werden Interessenskoalitionen benötigt. Diese können themenbezogene ad hoc Netzwerke sein oder korporatistische Regime, wie sie in Deutschland zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bekannt und erprobt sind. Umwelt – und Industrieverbände, sowie Parteien müssen über ihre jeweiligen kulturellen Schatten springen und sich ernsthaft auf die Positionen der jeweils anderen Seite einlassen.
Ein erfolgreicher Transformationsprozess weg von den fossilen Strukturen der Gesellschaft ist von einer hohen Fehler- und Ambiguitätstoleranz abhängig, sowie von einem hohen Maß an Verständigung über Lagergrenzen hinweg. Keiner der oben erwähnten Lösungsansätze ist eindeutig richtige; zu unterschiedlichen Zeitpunkten werden immer neue Kombinationen dieser Ansätze notwendig sein. Oft sind es Innovationen und technische Lösungen, in anderen Fällen kultureller Wandel, und in bestimmten Bereichen, auch negatives Wachstum, Verzicht oder Verbote.
Zugegeben, politisch ist das keine eingängige Botschaft. Unsicherheit aushalten und Kompromisse eingehen, scheint angesichts der bestehenden Drohszenarien nicht marktauglich. Sie sind auch in Anbetracht des globalen Trends zum Nationalismus und Ich-First-Mentalität kontraintuitiv. Aber es sind die einzigen Mittel, die bestehen, um eine komplexe Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Die „Kohlekommission“ hat es vorgemacht, viele ähnliche diskursive Arrangements sind jetzt gefordert, um die notwendigen Weichen in die ökologische Moderne zu stellen.
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