Reißt die Gebirgs­ta­peten runter! Warum tun sich die Grünen mit Heimat so schwer?

Quelle: Flickr/​Günter Hentschel

Peter Unfried findet, Liberal-Progressive dürfen die Heimat nicht rechts­na­tional liegen lassen. Die Grünen sollten den Begriff im neuen Grund­satz­pro­gramm deshalb zeitgemäß prägen. 

Heimat war der Ort, aus dem wir flohen. Ein von CDU, Katho­li­zismus, Volks­musik und Vollsuff verseuchtes Konfor­misten-Kaff, das nur eine ordent­liche Straße hatte. Diejenige, die aus ihm hinaus­führte. CDU, Kirche und Schule waren die autoritäre, anti-emanzi­pa­to­rische Macht; wer sie in Frage stellte, kriegte zuhause gleich noch eine reinge­semmelt. Volks­musik und Vollsuff waren die tradi­tionell gepflegte Kultur. Wobei man sagen muss, dass auch wir soffen, aber das war etwas anderes. Wir soffen im progres­siven Wider­stand gegen diese inakzep­tablen Verhältnisse.

In Öster­reich hat der Grüne Bundes­prä­sident Alexander van der Bellen gewonnen, weil er eine fast kinder­buch­artige Formel gefunden hat, die Heimat offen und liberal beschreibt: Heimat ist der Ort, an dem die, die schon immer da waren und die, die neu dazuge­kommen sind, gut mitein­ander leben. 

Ich landete dann in Berlin-Kreuzberg, was ziemlich ironisch ist, wobei ich aller­dings lange brauchte, um zu kapieren, dass das nicht das Gegenteil einer geistig engen und struk­tur­kon­ser­va­tiven Heimat war. Was mich direkt zu einem Tweet von Daniel Wesener bringt, einer aus dem Führungs-Trium­virat des in Kreuzberg herrschenden Grünen-Clans. Er schrieb unlängst: „Ein gutes hat dieser ganze #Heimat­mi­nis­terium-Quatsch ja: Die peinlichen Versuche, den histo­risch belas­teten Begriff „Heimat“ links-progressiv umzudeuten, werden damit endgültig ad absurdum geführt.“

Heimat entstauben

Dahinter steckt eine geistige Schule, die ich „Kreuz­berger Denken“ nenne. Ihr Kernsatz lautet: Was früher richtig war, kann heute nicht falsch sein. Und früher war es richtig, Heimat schlimm zu finden. Nazi-verseucht. Und wer jetzt im Angesicht des 21. Jahrhun­derts neu darüber nachdenkt, ist peinlich und nicht mehr links-progressiv. Andrea Nahles würde hinzu­fügen: Bätschi.

Anklänge davon kann man auch beim Grünen-Geschäfts­führer Michael Kellner finden, der den Begriff „Heimat“ schnell mal für unpoli­tisch erklärt und dafür lieber „Solida­rität entstauben“ will. „Entstauben“ ist auf jeden Fall schon mal die richtige Idee. Die Frage ist nur: Wen oder was?

Nun muss man damit klarkommen, dass es Worte gibt, bei denen sich anderen die Nacken­haare stellen. Ich kenne Linke und Liberale, denen das auch beim Begriff „sozial­öko­lo­gische Trans­for­mation“ so geht. Das wider­strebt ihnen körperlich (und kulturell). Anderen Milieus geht es so bei „Gender Mainstreaming“.

Aber warum triggert „Heimat“ so, dass die einen ein Show-Minis­terium draus machen und die anderen sofort böse Männer in Stiefeln marschieren sehen (wollen)?

„Ich-Wir-Verlust“

Weil es sich vor einem Hinter­grund abspielt, in dem Konflikte von denen, die sie emotional schüren, wieder verstärkt über Ethnie, Religion, Klasse und Nation erklärt werden. Im rechts­na­tio­nalen Kontext wird von „Volk“ gesprochen, im links­na­tio­nalen von „Arbeitern“.

Das zuneh­mende diffuse Gefühl der Unsicherheit, des Unkon­trol­lier­baren, der schlech­teren Zukunft, der abneh­menden oder fehlenden Teilha­be­mög­lichkeit wird in ein Bild gefasst, mit dem es beschreibbar und sichtbar scheint: Heimat­verlust. Dieser Heimat­verlust ist aber im Kern ein Ich-Wir-Verlust. Es geht nicht um das Fehlen von Volks­musik, Natur oder des Schweins­bratens von der Oma: Es geht darum, dass man sich selbst nicht mehr als Teil von etwas sieht und verorten kann.

Heimat, um das mal ganz hart zu sagen, ist da, wo man jemand ist. Das heißt nicht, dass man Premium-Status hat. In einem Dorf kannst Du der Sepp sein, der die Bauer Theres gehei­ratet hat, im Sägwerk arbeitet, im Gesang­verein singt und früher beim TSV ein eisen­harter Vorstopper war. Soweit okay, der Sepp, sagen sie. Manche sagen auch: Oh, Gott, dieser Sepp.

Heimat heißt nicht, dass einen alle gut finden. Es heißt aber, dass man einen Namen hat und ein Gesicht.

Den Heimat­be­griff zukunfts­offen besetzen

Und Alarm­stufe rot herrscht, wenn jemand – ob Großstadt oder Dorf – sagt: „Man kennt ja gar niemand mehr“. Das Problem sind dann nicht die Zugezo­genen und die ganzen Leute, die er nicht kennt – in der Stadt ist das noch offen­sicht­licher – sondern dass seine Teilhabe-Struk­turen schrumpfen und damit er selbst. Bäcker, Kneipe, Verein, Schule, Fußball­ju­gendteam, wenn eins nach dem anderen wegfällt, was man als das Eigene begreift, dann kann es passieren, dass man das Gefühl hat, von „Fremdem“ umzingelt zu sein. Das ist man sowieso durch die Plura­li­sierung und zuneh­mende Indivi­dua­li­sierung, die das Dorf genauso betrifft wie die Großstadt. Es gibt nicht nur unter­schied­liche Lebens­ent­würfe neben­ein­ander. Es gibt nicht mal mehr Volli­den­ti­täten, man ist immer etwas und auch etwas anderes und nochmal was ganz anderes. Das ist der Preis der Aufklärung, der Emanzi­pation und Libera­li­sierung der Gesell­schaft, und es ist ein guter Preis. Nur tun sich manche zunehmend schwer damit. Das macht die einen anfällig für fremden- und zukunfts­feind­liche illiberale Parteien und Bewegungen. Und auch Leute, die sich für „progressiv“ halten, verleitet es dazu, in der schein­baren Sicherheit des progres­siven Denkens einer unter­ge­gan­genen Welt hängenzubleiben.

Selbst­ver­ständlich spielt das Sozial­öko­no­mische eine zentrale Rolle, ob man Teil von etwas ist oder nicht. Es sind daher die sozia­li­gno­ranten Natio­na­listen – rechts­außen wie links­außen – die die Heimat am meisten bedrohen, indem sie verant­wor­tungs- und zukunfts­kon­zeptlos davon schwafeln.

Und dennoch darf man nicht von Heimat schweigen: Die Vertei­digung der liberalen Demokratie gegen die autoritäre Konkurrenz beginnt bei der rheto­ri­schen und politi­schen Bearbeitung des Heimat­ver­lust­ge­fühls. Sonst überlässt man dieses Gefühl heime­ligen Nostal­gie­flächen von vermeint­licher Gebor­genheit im autori­tären Kapita­lismus oder autori­tären Sozia­lismus. Oder vermeint­lichen Konser­va­tiven wie ÖVP und CSU, die denen hinterherrennen.

Dieses Gefühl der Verlo­renheit gibt es übrigens auch in Ländern, die das Wort Heimat nicht haben. Deshalb ist das keine Frage des Begriffes und hochpo­li­tisch, weil an dieser emotio­nalen Glutstelle das Denken die Richtung ändern kann: zum Schlechten, aber auch zum Besseren. Es geht darum, die Heimat nicht rechts­na­tional liegen zu lassen, sondern sie zeitgemäß zu deuten: Wenn die Grünen jetzt ein neues Grund­satz­program schreiben wollen, und „Heimat“ darin kein einziges Mal auftaucht, dann können sie es gleich bleiben lassen.

Heimat ist da, wo du ein Teil von etwas bist.

Öster­reichs Grüner Bundes­prä­sident Alexander Van der Bellen hat den autori­tären FPÖ-Gegner nicht geschlagen, weil er den Leuten gesagt hat: Ach, leckt mich doch am Arsch mit eurer Heimat, ihr Nazis. Oder: Versucht’s doch mal mit Solida­rität. Ist eh besser.

Nein, er hat gewonnen, weil er eine fast schon kinder­buch­artige Formel gefunden hat, die Heimat offen und liberal beschrieben hat und mehrheits­fähig war: Heimat ist der Ort, an dem die, die schon immer da waren und die, die neu dazuge­kommen sind, gut mitein­ander leben.

Damit das hinhaut, braucht es zivil­ge­sell­schaft­liche und neue sozial­po­li­tische Struk­turen, die Teilhabe unter den Bedin­gungen einer sich radikal verän­dernden digitalen Postmo­derne anders als über Erwerbs­arbeit definiert. Aber auch Verantwortung.

Heimat ist da, wo du ein Teil von etwas bist. Es ist eben, anders als manche denken, keine geistige Gebirgs­tapete oder senti­mentale Jugend­er­in­nerung, es ist der konkrete Ort, wo die eigene Verant­wortung für das Ganze beginnt und aktiv ausgeübt werden kann. Die Grünen Heimat-Kritiker sind gebildete, gutver­die­nende Menschen, die an einem Ort Namen und Gesicht haben und Verant­wortung ausüben. Sie haben eindeutig eine Heimat. Dieses Grund­be­dürfnis müssen sie anderen auch ermöglichen.

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