Das LibMod-Projekt Erinnerungskultur: Wie alles begann
LibMod hat zuletzt zwei große Gedenken in Czernowitz und Odesa veranstaltet. Nun setzen wir uns für eine würdige Gedenkstätte für Opfer der „Shoa durch Kugeln“ in der südukrainischen Hafenstadt ein. Unser Engagement für die Erinnerung an die Verbrechen an den Juden in der Ukraine dauert aber schon einige Jahre. Hier erzählen wir, wie alles begann.
Seit Beginn der Euromaidan-Revolution engagiert sich LibMod-Mitgründerin Marieluise Beck in der Ukraine, um den Reformprozess dort voranzutreiben. Sie tritt im Ausland für die Interessen des Landes ein, das sich im Osten mit Russland im Krieg befindet. LibMod unterstützt mit dem Projekt „Parlamentsberatung“ die Förderung demokratischer Institutionen.
Aber LibMod geht es auch um die Erinnerung und Vergegenwärtigung der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine und der dort lebenden jüdischen Gemeinschaft. Im Zuge des Überfalls von Wehrmacht und SS auf die Sowjetunion war das blühende jüdische Leben der Ukraine, insbesondere in der südukrainischen Hafenstadt Odesa, nahezu ausgelöscht worden. Odesa war internationales Zentrum jüdischer Kultur; unzählige berühmte Musiker, etwa David Oistrach, Nathan Milstein, Emil Gilels, stammen von hier.
Die „Odesa Classics“
Aus den Besuchen von Marieluise Beck in Odesa hat sich eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und der sich aufs Neue entfaltenden jüdischen Kulturlandschaft entwickelt. Es begann im Mai 2014 mit einem Treffen mit dem international bekannten Pianisten und Rachmaninow-Interpreten Alexey Botwinow im odesitischen „Impact Hub“, einem alternativen Existenzgründerzentrum. Daraus entwickelte sich eine „kulturelle Partnerschaft“ zwischen dem RathsChor in Bremen – dem damaligen Wahlkreis Marieluise Becks –, der Odesiter Philharmonie und der Musikakademie Odesa.
Schon im Jahr darauf entstand aus der musikalischen Partnerschaft zwischen Bremen und Odesa das Musikfestival „Odesa Classics“. Botwinow gelang es, namhafte Künstler für das Festival zu gewinnen: Daniel Hope, Matthias Goerne, Mischa Maisky, Michael Gutman. Ein Höhepunkt des Festivals ist ein großes kostenloses Konzert für die Bevölkerung der Stadt auf der berühmten Potemkinschen Treppe, welche die auf einem Plateau gelegene Innenstadt mit Hafen verbindet.
Eine Musikpartnerschaft zwischen Odesa und Bremen
Begonnen hatte die Partnerschaft zuvor mit einem Konzert Botwinows im Konzerthaus „Die Glocke“ in Bremen. Zudem gab er einen Meisterkurs in der Hochschule der Künste und probte mit dem RathsChor für den späteren Auftritt in Odesa. Ende 2015 besuchte Jan Hübner, der Konzertmeister und Dirigent des Bremer RathsChors die Philharmonie Odesa und bereitet die Aufführung im Rahmen der „Odessa Classics“ vor. Diese vom Auswärtigen Amt ermöglichten Besuche ließen die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Odesa wiederaufleben.
Im April des darauffolgenden Jahres fanden dann die „Bremer Woche in Odesa“ (16.04.2016) und die „Odesitische Woche in Bremen“ (31.04.2016) statt. In beiden Städten führten der Bremer RathsChor und das Kammerorchester der Philharmonie Odesa Konzerte auf. Mehr als 150 Musiker aus beiden Städten musizierten zusammen. Mit über 1000 Besuchern in Odesa und etwa 800 in Bremen waren beide Konzerte ein großer Erfolg. Das Konzert in Bremen wurde vom Deutschlandfunk aufgezeichnet und bundesweit ausgestrahlt. Auch in 2017 ermöglichte das Auswärtige Amt einen Konzertzyklus, um „Die musikalische Brücke zwischen Bremen und Odesa“ zu erhalten.
Während der Konzerttage in Odesa nahmen Marieluise Beck und der Bundestagsabgeordnete Alois Karl (CSU) an einer Stadtführung teil. Sie stießen wir auf das kleine, in einem Hinterhof gelegene Holocaustmuseum der Stadt. Dort ist die – bis heute kaum bekannte – Geschichte der Shoa in Odesa dokumentiert: In einer Nacht wurden dort als Vergeltungsakt von rumänischen und deutschen Truppen 25.000 überwiegend jüdische Bürger der Stadt bei lebendigem Leibe verbrannt. Es waren zumeist Frauen, Kinder und Alte. Die Männer kämpften zum Teil bei den Partisanen oder in den Reihen der Roten Armee.
Die Shoa durch Kugeln
Die Ukraine war ein Hauptschauplatz des Holocausts in Europa. Über 1,5 Millionen ukrainische Juden wurden während des Krieges von deutschen bzw. kollaborierenden Besatzungsmächten ermordet. Fast alle wurden erschossen und in Gruben verscharrt – der Historiker und Priester Patrick Desbois bezeichnet dieses Kapitel der NS-Vernichtungspolitik deshalb als die „Shoa durch Kugeln“. Die allermeisten westukrainischen Städte und Dörfer waren Schauplätze solcher Verbrechen. Die in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 1941 ermordeten 25.000 Juden Odesas waren in einem Artillerielager (Pulverdepot) eingesperrt und erschossen bzw. bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Ähnliche Tragödien ereigneten sich in und rund um die westukrainische Stadt Czernowitz, dem Zentrum der Bukowina. Dort lebten vor dem Krieg ca. 325.000 Juden, von denen nur die Hälfte den Holocaust überlebte.
Diese Ereignisse sind kaum bekannt, weil der Kalte Krieg durch den Eisernen Vorhang auch der Erinnerungsarbeit Grenzen setzte. Hinzu kam, dass die Sowjetunion kein Interesse hatte, die Opfer der jüdischen Bevölkerung hervorzuheben.
Gedenkveranstaltung in Odesa
Im Herbst 2018 veranstaltete das Zentrum Liberae Moderne – auch Dank der Unterstützung durch Alois Karl – mit dem Regionalen Verband der ehemaligen Ghetto- und KZ-Überlebenden und dem Holocaust-Museum ein großes Gedenken in Odesa. Neben dem Holocaust-Überlebendem Mikhail Zaslawskij (93 Jahre) sprachen ein orthodoxer Rabbiner und eine liberale Rabbinerin. Der deutsche Botschafter, der rumänische Gesandte, ein israelischer Botschaftsvertreter und die örtlichen politischen Autoritäten sprachen. So auch der Gouverneur des Gebiets Odesa, der stellvertretende Bürgermeister und der Vorsitzende des Stadtrats. Auf dem Ort der Verbrennung, der heute als Parkplatz, Müllcontainerplatz, Spielplatz und Datschenplatz dient, fanden sich 200 Gäste ein. Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Poroshenko übermittelten Grußwörter. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung vom Bremer RathsChor. Das Gedenken wurde durch die Unterstützung der Antisemitismusbeauftragten des AA und der parteinahen deutschen Stiftungen ermöglicht.
Gedenkveranstaltung in Czernowitz
Am 5. September organisierte das Zentrum Liberale Moderne zusammen mit dem Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina und dem Allukrainischen Verband der jüdischen Organisationen und Gemeinden in Czernowitz eine Gedenkveranstaltung für die Holocaustopfer in der Bukowina. Wieder war es die Antisemitismusbeauftragte des AA und die deutschen politischen Stiftungen, die sich beteiligten.
Die Veranstaltung mit über 200 Gästen fand neben dem alten jüdischen Aufbahrungshaus statt. Der Friedhof von Czernowitz ist einer der größten jüdischen Friedhöfe in Europa. Neben zwei Überlebenden des Holocaust in Czernowitz, des Odesiter Verbands der ehemaligen KZ- und Ghettohäftlinge, einem Rabbiner und der jüdischen Gemeinde nahmen die deutsche Botschafterin, ein Vertreter des rumänischen Generalkonsulats sowie der stellvertretende Gouverneur des Gebiets Czernowitz teil, ferner der stellvertretende Bürgermeister und der Vorsitzende des Gebietsparlaments. Grußwörter von Bundespräsident Dr. Frank Walter Steinmeier und von Präsident Wolodymyr Selenskij rundeten die Veranstaltung ab. Der RathsChor Bremen und die jungen Sänger der Musikakademie Odesa begleiteten das Gedenken musikalisch.
Bundesverdienstkreuz für Holocaustüberlebenden
Am 19. Dezember erhielt Herr Roman Schwarzman, Holocaustüberlebender und Vorsitzender des odesitischen Regionalverbandes der ehemaligen Ghetto- und KZ-Häftlinge das Bundesverdienstkreuz. Es wurde ihm persönlich von der deutschen Botschafterin und in Anwesenheit hochrangiger Gäste übergeben. Gewürdigt wurden seine Verdienste um die ukrainisch-deutschen und deutsch-jüdischen Beziehungen, u.a. seine tragende Rolle bei der Organisation der Erinnerungsveranstaltung mit dem Zentrum Liberale Moderne in Odesa im Oktober 2018 sowie bei der Umsetzung des deutschen Ghettorenten-Gesetzes. Bei der Verleihung hob Herr Schwarzman die Veranstaltungen in Odesa und Czernowitz und ihre Bedeutung für die Region hervor. Auf dieser Veranstaltung lernten wir Wolodymyr Koltschinskyj kennen, der als junger Mann der Vernichtung in Odesa entkommen konnte, sich dann der Roten Armee anschloss und zu einer Vorhut gehörte, die Auschwitz erreichte, als die Wachen noch da waren. Für Koltschinskij war es Zeit zu sprechen: Er ist 94 Jahre alt, seine Gesundheit wechselhaft.
Interview mit Wladimir Koltschinskij
Es bedeutet ein Geschenk, dass wir am 6. März mit Wolodymyr Koltschinskyj in einem ausführlichen Interview sein Leben aufzeichnen konnten. Dank der Hilfe der Kameraleute des regionales Fernsehens von Odesa lässt sich die Lebensgeschichte dieses mutigen Menschen in einem Video auf LibMod nachhören.
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