Popu­lis­ti­sche Wirt­schafts­po­litik – ein konjunk­tu­relles Stroh­feuer mit desas­trösem Ausgang

andresAzp [CC BY-NC-ND 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/)] via Flickr

Seit einigen Jahren setzt eine wachsende Zahl von Regie­rungen mit popu­lis­ti­schem Einschlag auf eine Wirt­schafts­po­litik, die das Wohl der einhei­mi­schen Bevöl­ke­rung auf Kosten künftiger Gene­ra­tionen und des Rests der Welt steigern will. Doch dieses Vorgehen kann besten­falls kurz­fristig das wirt­schaft­liche Wachstum steigern. Mittel­fristig endet popu­lis­ti­sche Wirt­schafts­po­litik mit einem Abschwung, der sogar in einem kompletten Zusam­men­bruch der Wirt­schaft enden kann.

Das Spektrum der bishe­rigen Erfah­rungen mit einer popu­lis­ti­schen Wirt­schafts­po­litik ist breit gefächert. Es reicht von latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern in den 1970er und 1980er Jahren wie Chile unter Salvador Allende über Hugo Chavez in Venezuela und natio­nal­kon­ser­va­tiven Regie­rungen in osteu­ro­päi­schen Staaten bis hin zur US-Regierung unter Trump. Auch wenn sich die poli­ti­schen Grund­aus­rich­tungen dieser Regie­rungen zum Teil erheblich unter­scheiden, sind die Kern­ele­mente ihrer Wirt­schafts­po­litik sehr ähnlich.

Ziel einer popu­lis­ti­schen Wirt­schafts­po­litik ist es, der einhei­mi­schen Bevöl­ke­rung so schnell wie möglich einen möglichst hohen Lebens­stan­dard zu ermög­li­chen. Dafür werden sowohl eine hohe Staats­ver­schul­dung als auch ein Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit in Kauf genommen. Letzteres bedeutet eine Verschul­dung des Landes im Rest der Welt.

Die Regierung ergreift für die vermeint­lich Lösung wirt­schafts­po­li­ti­scher Probleme einfache und schnell wirkende Maßnahmen. Mittel- und lang­fris­tige Kosten dieses Vorgehens werden ignoriert bzw. den nach­fol­genden Gene­ra­tionen aufge­bürdet. Konkrete Instru­mente sind z. B.:

  • Massive Steu­er­sen­kungen, die die verfüg­baren Einkommen der Bürger erhöhen und die inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit der heimi­schen Unter­nehmen verbessern.
  • Dauerhaft kredit­fi­nan­zierte Erhöhung der Staats­aus­gaben, die die Versor­gung der Bürger mit staat­li­chen Gütern und Dienst­leis­tungen verbes­sern und über höhere Sozi­al­trans­fers die Einkommen der Bürger zusätz­lich steigern.
  • Subven­tionen, die die Produk­ti­ons­kosten im Inland verrin­gern und über die damit verbun­denen Preis­sen­kungen für Konsum­güter die Kaufkraft der Bürger erhöhen. Zudem sichern Subven­tionen kurz­fristig Arbeitsplätze.
  • Massive Eingriffe in das Preis­system, z. B. durch Höchst­preise, die die Verbrau­cher vor Preis­stei­ge­rungen schützen.

Notwen­dige Struk­tur­re­formen – etwa in der Arbeits­markt- und Steu­er­po­litik, bei Renten oder in der öffent­li­chen Verwal­tung – unter­bleiben, um die Popu­la­rität der Regierung nicht zu gefährden. Die damit verbun­dene nach­las­sende inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit wird durch Einfuhr­be­schrän­kungen, Subven­tionen und Höchst­preise kompensiert. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Kommu­ni­kativ wird diese Politik flankiert durch eine simple Auftei­lung der wirt­schaft­li­chen Akteure: Auf der einen Seite steht die einhei­mi­sche Bevöl­ke­rung, deren Wohlstand und Arbeits­plätze durch die Selbst­sucht der Eliten und die Konkur­renz aus dem Ausland bedroht sind. Auf der anderen Seite gibt es eine kleine Gruppe von Profi­teuren. Sie besteht aus einhei­mi­schen Eliten in Politik und Wirt­schaft und auslän­di­schen Konzernen.

Folgen einer popu­lis­ti­schen Wirtschaftspolitik

Die bisher am besten doku­men­tierten Erfah­rungen mit einer derar­tigen Wirt­schafts­po­litik beziehen sich auf latein­ame­ri­ka­ni­sche Länder wie Peru, Chile, Brasilien, Argen­ti­nien, Mexiko und Nicaragua in den 1970er- und 1980er Jahren. Rüdiger Dornbusch und Sebastian Edwards iden­ti­fi­zierten einen typischen Verlauf der wirt­schaft­li­chen Entwick­lung als Ergebnis einer popu­lis­ti­schen Wirtschaftspolitik:

Zunächst werden Steu­er­sen­kungen und höhere Staats­aus­ga­ben­er­hö­hungen durch­ge­setzt. Beides kurbelt kurz­fristig das Wirt­schafts­wachstum und die Beschäf­ti­gung an. Gleich­zeitig aber steigt die Staats­ver­schul­dung. Die hohe Güter­nach­frage kann von den einhei­mi­schen Unter­nehmen nicht bedient werden. Fehlende Güter müssen aus dem Ausland impor­tiert werden. Hieraus resul­tiert ein Handels­bi­lanz­de­fizit, das mit einer Verschul­dung im Ausland einher­geht. Das Handels­bi­lanz­de­fizit bewirkt zudem eine Abwertung der Landeswährung.

Die hohe kredit­fi­nan­zierte Binnen­nach­frage führt zu einem Anstieg der Preise. Die Abwertung der heimi­schen Währung verteuert die Importe und treibt die Infla­ti­ons­rate weiter nach oben. Die Infla­ti­ons­stei­ge­rung bewirkt höhere Lohn­stei­ge­rungen und löst eine Lohn-Preis-Spirale aus. Staat­liche Subven­tionen und Preis­ein­griffe mildern die Kauf­kraft­ver­luste der wach­senden Inflation zunächst noch ab. Das Staats­de­fizit und die Verschul­dung im Ausland wachsen. Um die Importe zu verrin­gern, werden protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen ergriffen.

Die Anstren­gungen zur Eindäm­mung von Inflation und Abwertung haben jedoch keinen nach­hal­tigen Erfolg. Handels­bi­lanz­de­fizit, Auslands- und Staats­ver­schul­dung nehmen zu. Die nominalen Lohn­stei­ge­rungen können die Infla­ti­ons­raten nicht mehr kompen­sieren, die Arbeit­nehmer erleiden Kauf­kraft­ver­luste. Inflation und Abwertung bewirken eine Kapi­tal­flucht, die zu einem Inves­ti­ti­ons­rück­gang führt. Produk­tion, Beschäf­ti­gung und Brut­to­in­lands­pro­dukt schrumpfen. Devi­sen­mangel und nach­las­sende Kredit­wür­dig­keit schränken die Import­mög­lich­keiten ein. Es kommt zu Versor­gungs­eng­pässen der Bevölkerung.

Letzt­end­lich lassen sich die negativen wirt­schaft­li­chen Entwick­lungen – Hyper­in­fla­tion, Abwertung, Kapi­tal­flucht, wachsende Verschul­dung – nicht mehr aufhalten. Es kommt zu einem massiven Wirt­schafts­ein­bruch mit Massen­ar­beits­lo­sig­keit. Die poli­ti­sche Folge ist die Abwahl bzw. der Sturz der Regierung. Um die Wirt­schafts­ak­ti­vi­täten nun wieder in Gang zu bringen, sind finan­zi­elle Unter­stüt­zungen aus dem Ausland notwendig, häufig vom Inter­na­tio­nalen Währungsfonds.

Popu­lis­ti­sche Wirt­schafts­po­litik – das Beispiel Türkei

Wie eingangs erwähnt, gibt es aktuell eine Reihe von Regie­rungen, die diese Form der Wirt­schafts­po­litik betreiben. Besonders weit voran­ge­schritten sind die damit verbun­denen negativen Effekte in der Türkei. Dort ergriff die Regierung nach einem schwä­cheren Konjunk­tur­ver­lauf im Jahr 2016 eine Reihe von Maßnahmen, um die Wirt­schaft anzu­kur­beln. Dazu gehören unter anderem Steu­er­sen­kungen, kredit­fi­nan­zierte staat­liche Inves­ti­tionen, subven­tio­nierte Mindest­löhne und die niedrigen Zinsen der Zentral­bank. Die Konse­quenzen dieser Politik folgen dem skiz­zierten lehr­buch­mä­ßigen Verlauf: Das reale Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) wuchs 2017 um rund 7 Prozent nach lediglich 3,2 Prozent im Jahr 2016. Der Preis für diesen Konjunk­tur­auf­schwung ist jedoch beträcht­lich: Die tradi­tio­nell hohe Infla­ti­ons­rate stieg von 7,8 im Jahr 2016 auf 11 Prozent im Folgejahr. Das türkische Leis­tungs­bi­lanz­de­fizit erhöhte sich 2017 um rund 2 Prozent­punkte (von 3,8 Prozent des BIP auf 5,5 Prozent). Damit vergrö­ßerte sich die Ausland­ver­schul­dung der Türkei.

Mitt­ler­weile haben sich die negativen Entwick­lungen gegen­seitig erheblich verstärkt: die beschleu­nigte Inflation und der starke Wert­ver­lust der türki­schen Lira führen im Zusam­men­spielt mit der hohen Unsi­cher­heit über den zukünf­tigen poli­ti­schen Kurs zu einer Verun­si­che­rung der Inves­toren. Die Folge sind eine Kapi­tal­flucht und eine weitere Abwertung der türki­schen Währung. Diese Abwertung und die nach wie vor hohe Güter­nach­frage treiben die Infla­ti­ons­rate weiter in die Höhe, was wiederum die Abwertung beschleu­nigt. Der wirt­schaft­liche Teufels­kreis setzt sich fort. Da notwen­dige Struk­tur­re­formen unter­bleiben, steigen die Zweifel der inter­na­tio­nalen Kapi­tal­geber an der Bonität der türki­schen Volks­wirt­schaft. Folglich wird es immer schwie­riger, die Schulden von Staat und privaten Wirt­schafts­ak­teuren zu refinanzieren.

Noch ist es nach Ansicht des DIW Berlin möglich, einen Wirt­schafts­zu­sam­men­bruch zu verhin­dern. Notwendig dafür ist eine Abkehr vom bishe­rigen wirt­schafts­po­li­ti­schen Kurs. Ohne diese Kehrt­wende dürften die inter­na­tio­nalen Kapi­tal­geber früher oder später nicht mehr bereit sein, die Türkei mit frischem Kapital zu versorgen. Die Folge wären weitere Inves­ti­ti­ons­rück­gänge und mögli­cher­weise sogar ein Staats­bank­rott. Letzterer ließ sich bereits 2001 nur durch Kredite des Inter­na­tio­nalen Währungs­fonds und der Weltbank abwenden.

Und was ist mit Trump?

Auch die Politik von Donald Trump enthält Elemente einer popu­lis­ti­schen Wirt­schafts­po­litik, allen voran Stei­ge­rung der Staats­aus­gaben, Steu­er­sen­kungen und eine Beschrän­kung von Importen. Kurz­fristig bewirkt der finanz­po­li­tisch ausge­löste Wachs­tums­im­puls einen Anstieg von Produk­tion und Beschäf­ti­gung in den USA, deren Wirt­schaft momentan boomt und stärker wächst als in Europa. Irgend­wann stoßen die Verschul­dungs­mög­lich­keiten der Regierung jedoch an Grenzen. Die dann notwen­digen Steu­er­erhö­hungen und Staats­aus­ga­ben­sen­kungen verrin­gern die Güter­nach­frage. Damit kommt es zu einer Abschwä­chung der Produk­tion und Beschäf­ti­gung, die in eine Rezession umschlagen kann. Ein Staats­bank­rott droht den USA dennoch vorerst nicht, weil das Land eine sehr hohe Bonität hat.

Die Gefahr einer Hyper­in­fla­tion besteht ebenfalls nicht. In den erwähnten latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern wurde die Inflation durch die Abwertung der eigenen Währungen massiv beschleu­nigt: Wenn die inter­na­tio­nalen Kapi­tal­an­leger das Vertrauen in die Währung eines Landes verlieren, trennen sie sich von dieser Währung. Die USA verfügen jedoch über die momentan einzige Welt­wäh­rung. Der Rest der Welt benötigt also stets große Mengen des US-Dollars, was eine massive Abwertung der ameri­ka­ni­schen Währung verhindert.

Für die Welt­wirt­schaft ist der wirt­schafts­po­li­ti­sche Kurs der USA dennoch gefähr­lich. Wenn ein ökono­mi­sches Schwer­ge­wicht wie die USA protek­tio­nis­ti­sche Maßnahmen ergreift, kann dies zu Vergel­tungs­maß­nahmen anderer Länder führen. Die Folge wäre ein globaler Handels­krieg, der die Welt­wirt­schaft rasch in eine Rezession stürzen könnte.

Eine popu­lis­ti­sche Wirt­schafts­po­litik ist also keine vernünf­tige, lang­fristig trag­fä­hige Antwort auf wirt­schaft­liche Probleme, die sich im Zuge von voran­schrei­tender Globa­li­sie­rung, Struk­tur­wandel und tech­no­lo­gi­schem Fort­schritt ergeben. Wesent­lich ziel­füh­render ist eine „Globa­li­sie­rung mit Sicher­heits­gurt“ , die die Menschen besser vor möglichen Arbeits­platz- und Einkom­mens­ver­lusten schützt.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.