Resilienz gegen Pandemien: Wie Digi­ta­li­sie­rung hilft

Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung schreibt für LibMod über die Resilienz gegen Pandemien wie Corona / Covid-19. Digitalisierung und technische Innovation würden helfen, Volkwirtschaften für künftige Pandemien vorzubereiten
Patrick Daxen­bichler /​ Shut­ter­stock

Selbst wenn die Ausbrei­tung des Coro­na­virus einge­dämmt sein wird: Eine weitere Pandemie dieser Art lässt sich auch für die Zukunft nicht ausschließen. Dann aber könnten digitale Tech­no­lo­gien noch mehr als heute schon helfen, die wirt­schaft­li­chen Folgen abzumildern.

Zunächst eine Anatomie der aktuellen Wirt­schafts­krise. Die durch die Ausbrei­tung des Corona-Virus COVID-19 ausge­löste weltweite Rezession ist eine Kombi­na­tion aus drei verschie­denen Krisen­typen: aus einer Nachfrage‑, einer Angebots- und einer Finanzmarktkrise:

  1. Nach­fra­ge­krise: Eine sich rasch ausbrei­tende Infek­ti­ons­krank­heit senkt zunächst einmal die Nachfrage. Aus Angst vor einer Anste­ckung meiden Menschen Geschäfte in den Innen­städten und schränken ihren Konsum ein. Sie verzichten auf den Besuch von Restau­rants, Kinos, Theatern, Frei­zeit­parks, Konzerten, Sport­ver­an­stal­tungen etc. und sagen Urlaubs­reisen ab. Verbieten staat­liche Behörden diese Akti­vi­täten sogar, um die Präven­ti­ons­maß­nahmen zu opti­mieren, sind die Nach­fra­ge­aus­fälle besonders gravierend.
  2. Ange­bots­krise: Mensch­liche Arbeits­kräfte sind nach wie vor eine zentrale Grund­vor­aus­set­zung für wirt­schaft­liche Produk­ti­ons­pro­zesse. Fallen sie infolge einer Infek­ti­ons­krank­heit aus, verrin­gern sich die Produk­ti­ons­ka­pa­zi­täten der Unter­nehmen. Dieser Effekt verstärkt sich zusätz­lich, wenn auch gesunde Beschäf­tigte nicht mehr zur Arbeit gehen, weil sie Angst vor einer Anste­ckung haben. Gibt es für die ausfal­lenden Beschäf­tigten keinen Ersatz, müssen die betrof­fenen Unter­nehmen ihre Produk­tion einschränken oder sogar einstellen – mit z. T. weiteren erheb­li­chen Auswir­kungen: Werden die herge­stellten Produkte z. B. in anderen Unter­nehmen als Vorleis­tung genutzt, kann es dort zu Produk­ti­ons­ein­schrän­kungen kommen, wenn es für die fehlenden Vorleis­tungen keine Substi­tute gibt. Im schlimmsten Fall droht in diesen Betrieben ebenfalls ein kompletter Produk­ti­ons­stopp. Schließ­lich ist auch Betriebs­schlie­ßungen zur Eindäm­mung der Pandemie zu denken.
  3. Finanz­markt­krise: Beide Entwick­lungen bedeuten für die Unter­nehmen Umsatz­ein­bußen, während sie gleich­zeitig – zumindest kurz­fristig – auf unver­än­derten Kosten sitzen­bleiben. Die Folge sind Gewinn­ein­bußen, die an den Akti­en­märkten zu Kurs­ein­brü­chen mit erheb­li­chen Vermö­gens­ein­bußen führen. Die Angst vor möglichen Verlusten beschleu­nigt den Verkauf von Aktien und damit einen weiteren Kurssturz.

Jede dieser Krisen­ent­wick­lungen ist für sich  komplex, sie verstärken einander aber noch gegen­seitig: Wenn Menschen wegen Produk­ti­ons­ein­schrän­kungen weniger Geld verdienen, fallen sie als Nach­frager aus und verstärken so die Nach­fra­ge­krise. Selbst in Unter­nehmen, die weiter Güter herstellen könnten, werden Produk­tion und Beschäf­ti­gung dann wegen mangelnder Nachfrage heruntergefahren. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Was lässt sich gegen die Krisen­dy­namik tun? Der Einsatz von digitalen Tech­no­lo­gien könnte sie zumindest entspannen.

Digitale Tech­no­lo­gien als Antwort auf eine Nachfragekrise

Den Nach­fra­ge­rück­gängen kann – zumindest in Teil­be­rei­chen – durch das Auswei­chen auf den Online­handel (häufig inklusive einer Online­be­ra­tung) entge­gen­ge­wirkt werden. Online­käufe ersetzen dann den Einkauf im statio­nären Handel. Stellt dieser selbst entspre­chende Online­an­ge­bote bereit, ist noch nicht einmal ein Wechsel des Anbieters erfor­der­lich. Gleiches gilt für Liefer­dienste, die Restau­rant­be­suche ersetzen, und Strea­ming­dienste wie Netflix, die an die Stelle der Kinos treten. Und wer mensch­liche Kontakte im öffent­li­chen Perso­nen­nah­ver­kehr vermeiden will, aber kein eigenes Auto besitzt, kann ein über digitale Platt­formen orga­ni­siertes Carsha­ring in Anspruch nehmen.

Dass die Nutzung dieser Konsum­mög­lich­keiten zunimmt, wird bereits jetzt deutlich: Mitte März verkün­dete Amazon die Einstel­lung von zusätz­li­chen 100.000 Mitar­bei­tern in den USA, um die wachsende Zahl von Online­be­stel­lungen bear­beiten zu können.

Klar ist aber auch, dass sich Online­an­ge­bote längst nicht bei allen Konsum­ak­ti­vi­täten einsetzen lassen. Vor allem im Touris­mus­be­reich ist diese Form des Konsums nicht möglich.

Digitale Tech­no­lo­gien als Antwort auf eine Angebotskrise

Ein Instru­ment zur Verrin­ge­rung gesund­heits­be­dingter Ausfälle von Arbeits­kräften ist derzeit in aller Munde und wird bereits in großem Umfang genutzt: das Arbeiten im Home­of­fice. Diese Beschäf­ti­gungs­form verrin­gert die Anste­ckungs­ge­fahr und verhin­dert einen Arbeits­aus­fall aus Angst vor einer Anste­ckung im Betrieb. Aber auch hier gilt: Längst nicht alle wirt­schaft­li­chen Akti­vi­täten lassen sich so erledigen.

Eine andere, eher mittel­fris­tige Reaktion auf die Erfah­rungen mit der Corona-Pandemie besteht darin, dass Unter­nehmen in der Produk­tion verstärkt Maschinen, Roboter und andere digitale Tech­no­lo­gien einsetzen. Diese Auto­ma­ti­sie­rung ersetzt mensch­liche Arbeits­kräfte und reduziert damit die Abhän­gig­keit von ihnen.

Corona und Digi­ta­li­sie­rung: neue soziale Konfliktlinien

Die skiz­zierten möglichen tech­no­lo­gi­schen Antworten auf die Frage, wie sich Unter­nehmen bzw. ganze Volks­wirt­schaften besser auf zukünf­tige Pandemien vorbe­reiten können, zeigen, dass die Reak­ti­ons­mög­lich­keiten innerhalb der Wirt­schaft ungleich verteilt sind:

  • Während Hersteller von physi­schen Gütern auf den Online­handel zurück­greifen können, ist dies bei zahl­rei­chen Formen des soge­nannten sozialen Konsums – allen voran beim Tourismus – nicht möglich. Die Anbieter derar­tiger Konsum­ak­ti­vi­täten (und die bei ihnen beschäf­tigten Personen) tragen folglich ein größeres Risiko, bei einer zukünf­tigen Pandemie Einkom­mens­ein­bußen zu erleiden.
  • Auch die Möglich­keiten, beruf­liche Tätig­keiten in der eigenen Wohnung auszuüben, sind in der Gesell­schaft ungleich verteilt. Vor allem im Bereich der perso­nen­nahen Dienst­leis­tungen – etwa der Friseur­ar­beit – ist diese Form der Arbeit schlichtweg nicht möglich.

Für die Wirt­schafts­po­litik bedeutet dies: Dieje­nigen, die im Rahmen einer ange­mes­senen Krisen­prä­ven­tion keine digitalen Tech­no­lo­gien einsetzen können, müssen im Fall einer erneuten Krise mit ausrei­chenden finan­zi­ellen Mitteln bei der Einkom­mens­si­che­rung unter­stützt werden.

Die aktuellen Erfah­rungen mit den Konse­quenzen einer Pandemie werden Unter­nehmen dazu bewegen, ihre mittel- und lang­fris­tigen Stra­te­gien anzu­passen. Zwei Aspekte spielen eine besondere Rolle:

  1. Der Anreiz, verstärkt in Auto­ma­ti­sie­rung und digitale Tech­no­lo­gien zu inves­tieren, um die Anfäl­lig­keit im Fall einer Pandemie zu verrin­gern, wird zunehmen. Das gilt vor allem für alternde Gesell­schaften, in denen Arbeits­kräfte demo­gra­fisch bedingt sowieso knapp werden.
  2. Um von der Verfüg­bar­keit von Vorleis­tungen weniger abhängig zu sein, bietet es sich an, besonders kritische Vorpro­dukte nicht mehr im Ausland herstellen zu lassen, sondern im Inland (Reshoring) – mögli­cher­weise sogar im eigenen Unter­nehmen (Insour­cing). Hierbei wird auch die 3D-Druck-Tech­no­logie verstärkt zum Einsatz kommen.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Anreiz zur forcierten Substi­tu­tion von mensch­li­chen Arbeits­kräften durch Maschinen, Roboter, künst­liche Intel­li­genz etc. größer wird, als er ohnehin schon ist. Die Produk­ti­ons­pro­zesse werden somit kapital- und tech­no­lo­gie­in­ten­siver, was sich negativ auf die Lohn­ent­wick­lung auswirkt. Die zuneh­mende Digi­ta­li­sie­rung der Produk­ti­ons­pro­zesse dürfte zu einer stärkeren Ungleich­heit der Einkom­mens­ver­tei­lung führen sowie zu „sinkenden Real­löhnen in der Mitte des Lohn­spek­trums“. Um diese Auswir­kungen aufzu­fangen, muss die tech­no­lo­gi­sche Entwick­lung bildungs- und sozi­al­po­li­tisch flankiert werden. Verhin­dern sollten wir sie nicht, weil sie eine dringend notwen­dige Krisen­re­si­lienz deutlich verbessert.

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