Wirtschaft­liche Grund­lagen populis­ti­scher Bewegungen in westlichen Industrieländern

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Die Debatte um das Erstarken natio­na­lis­ti­scher und fremden­feind­licher Parteien wird immer stärker zu einer gesin­nungs­ethi­schen Ausein­an­der­setzung. Dagegen zeigt der Ökonom Thieß Petersen, dass die Tendenz zur Abschottung in den wirtschaft­lichen Auswir­kungen begründet liegt, die ein ungebremster globaler Wettbewerb vor allem für gering quali­fi­zierte Lohnab­hängige hat. Populis­tische Parteien haben vor allem dort großen Zulauf, wo die Import­kon­kurrenz mit Niedrig­lohn­ländern direkt auf Löhne und Beschäf­tigung durch­schlägt. Die Antwort darauf kann nicht der Rückzug in die nationale Wagenburg sein. Vielmehr braucht es politische Strategien, um die poten­ti­ellen Verlierer der Globa­li­sierung sozial abzusi­chern und Zukunfts­branchen zu fördern.

Das Erstarken populis­ti­scher Parteien und Politiker in vielen westlichen Indus­trie­ländern hat viele Ursachen, zu denen auch ökono­mische Gründe zählen. Selbst­ver­ständlich lassen sich populis­tische Bewegungen keines­falls monokausal erklären. Mögli­cher­weise sind ökono­mische Aspekte noch nicht einmal die wichtigsten Treiber populis­ti­scher Tendenzen. Dennoch ist unbestritten, dass wirtschaft­liche Entwick­lungen eine Bedeutung für das Erstarken des Populismus haben. Die ökono­mische Globa­li­sierung spielt in diesem Kontext eine besonders wichtige Rolle.

Ökono­mische Globa­li­sierung fördert Wirtschaftswachstum

Die ökono­mische Globa­li­sierung kann als die wirtschaft­liche Verflechtung aller Länder mitein­ander verstanden werden. Diese Verflechtung bezieht sich sowohl auf den Austausch von Produk­ti­ons­fak­toren (Arbeit, Kapital, Techno­logien, Wissen) als auch auf den Austausch von Produkten (Sachgüter und Dienst­leis­tungen, Vor- und Endpro­dukte, Konsum- und Produktionsgüter).

Die so verstandene Globa­li­sierung steigert das wirtschaft­liche Wachstum in allen betei­ligten Ländern, wenn auch in unter­schied­lichem Ausmaß. Dafür sorgen vielfältige Mecha­nismen: Der Abbau von Handels­hemm­nissen erlaubt eine stärkere inter­na­tionale Arbeits­teilung und ermög­licht damit verbundene Spezia­li­sie­rungs­ge­winne. Produk­ti­ons­fak­toren können weltweit dort einge­setzt werden, wo sie den größten Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Der zuneh­mende inter­na­tionale Wettbe­werbs­druck erzwingt techno­lo­gische Fortschritte, die die Produk­ti­vität steigern. Und die Produktion für den Weltmarkt erlaubt die Ausnutzung von Vorteilen der Massenproduktion.

Der Umstand, dass die ökono­mische Globa­li­sierung das Wirtschafts­wachstum aller betei­ligten Volks­wirt­schaften steigert, bedeutet jedoch keines­falls, dass auch alle Menschen in den betei­ligten Ländern Einkom­mens­zu­wächse erzielen können.

Ökono­mische Globa­li­sierung verändert Knapp­heiten und Preise

Die stärkere wirtschaft­liche Verflechtung von einzelnen Ländern durch einen zuneh­menden grenz­über­schrei­tenden Austausch von Gütern, Dienst­leis­tungen, Kapital, Arbeits­kräften und Techno­logien hat zur Folge, dass sich der Grad der Knappheit aller dieser Tausch­ob­jekte in den invol­vierten Volks­wirt­schaften verändert. Daraus ergeben sich in markt­wirt­schaftlich organi­sierten Gesell­schaften Preis­än­de­rungen, die dann auch zu Einkom­mens­än­de­rungen führen.

Dies lässt sich exempla­risch am Beispiel des globalen Arbeits­marktes verdeut­lichen. Ausgangs­punkt ist dabei die Feststellung, dass hoch entwi­ckelte Indus­trie­na­tionen wie Deutschland im Vergleich zu wirtschaftlich weniger entwi­ckelten Ländern wie China und Indien über relativ viel Kapital verfügen, aber nur über ein begrenztes Angebot an Arbeits­kräften. In Kombi­nation mit den unter­schied­lichen Niveaus des wirtschaft­lichen Wohlstands führt dies zu relativ hohen Löhnen in den Indus­trie­na­tionen und relativ geringen Löhnen in den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Wäre nun eine unbeschränkte grenz­über­schrei­tende Arbeits­kräf­te­mo­bi­lität möglich, käme es zu einer Migration chine­si­scher Arbeits­kräfte nach Deutschland. Das zusätz­liche Arbeits­an­gebot würde einen tenden­zi­ellen Rückgang der Löhne bewirken. In China hingegen führt ein Rückgang des Angebots an Arbeits­kräften zu einem Anstieg der Löhne. Die deutschen und chine­si­schen Löhne bewegten sich also auf einander zu.

Die Befürchtung sinkender Löhne dürfte in den entwi­ckelten Indus­trie­na­tionen ein zentraler Grund für strikte Regeln zur Begrenzung der Einwan­derung sein. Aller­dings, und das wird in der Diskussion über Arbeits­mi­gration leicht übersehen, ergeben sich selbst bei einer vollkom­menen Abschottung der Arbeits­märkte gegenüber dem Ausland die gleichen Arbeits­markt­ef­fekte, wenn es statt­dessen zum inter­na­tio­nalen Handel mit Gütern und Dienst­leis­tungen kommt.

Lohnan­glei­chung durch inter­na­tio­nalen Handel

Wegen des – im inter­na­tio­nalen Vergleich – hohen Angebots an Arbeits­kräften hat China einen inter­na­tio­nalen Wettbe­werbs­vorteil bei arbeits­in­tensiv herge­stellten Produkten. Die Spezia­li­sierung auf die Herstellung und den anschlie­ßenden Export dieser Güter erhöht in China die Beschäf­tigung und über eine höhere Nachfrage nach Arbeits­kräften auch die Löhne.

Deutschland spezia­li­siert sich hingegen auf die Produktion von Gütern, für deren Herstellung viel Kapital und Techno­logie, aber wenig Arbeit benötigt wird. Die Produktion arbeits­in­tensiv herge­stellter Güter wird hingegen reduziert. Das Ergebnis ist ein Rückgang der Nachfrage nach Arbeits­kräften – vor allem nach gering quali­fi­zierten Arbeits­kräften – mit einem entspre­chenden Lohndruck.

Dass diese skizzierten Wirkungs­me­cha­nismen nicht nur graue Theorie sind, zeigen unter anderem die Unter­su­chungen von Autor, Dorn und Hanson für die lokalen Arbeits­märkte in den USA und Ronge für Deutschland.

Wirtschaft­liche Entwick­lungen und populis­tische Tendenzen

Die skizzierten wirtschaft­lichen Entwick­lungen dürften auch Einfluss auf das Wahlver­halten der Bürger haben. In hoch entwi­ckelten Volks­wirt­schaften wie Deutschland, Frank­reich, den USA und dem Verei­nigten König­reich, die in Konkurrenz zu Niedrig­lohn­ländern stehen, lassen sich die grund­le­genden Wirkungs­zu­sam­men­hänge zwischen ökono­mi­scher Globa­li­sierung und einer wachsenden Zustimmung zu populis­ti­schen Strömungen wie folgt beschreiben:

  • Die skizzierten negativen Einkommens- und Beschäf­ti­gungs­ef­fekte führen bei den betrof­fenen Personen zu wachsender Unzufriedenheit.
  • Bei denje­nigen, die befürchten, in der Zukunft Einkom­mens­ein­bußen oder sogar einen Arbeits­platz­verlust hinnehmen zu müssen, kommt es zu Verun­si­cherung und Abstiegsangst.
  • Die reale oder gefühlte oder Bedrohung durch die Globa­li­sierung führt dazu, dass sich unzufriedene und verun­si­cherte Wähler globa­li­sie­rungs- und moder­ni­sie­rungs­kri­ti­schen Parteien zuwenden. So gesehen sind ökono­misch verur­sachte Unzufrie­denheit und Ängste der „Nährboden für populis­tische Politiker“.

Dieser Zusam­menhang ist in den vergan­genen Jahren intensiv unter­sucht worden. Es gibt eine umfang­reiche empirische Evidenz, die zeigt, dass es in entwi­ckelten Volks­wirt­schaften einen Zusam­menhang zwischen dem Handel mit Niedrig­lohn­ländern und der Zustimmung für rechts­po­pu­lis­tische oder sogar rechts­ra­dikale Parteien und Personen gibt. Dies lässt sich u. a. für die USA, für Deutschland, Frank­reich und für 15 westeu­ro­päische Staaten nachweisen. Beim Brexit-Referendum hatten Regionen mit besonders hohen Importen aus China syste­ma­tisch einen höheren Anteil an Brexit-Befürwortern.

Gesell­schafts­po­li­tische Implikationen

Ob in entwi­ckelten Volks­wirt­schaften dieje­nigen, die wegen der voran­schrei­tenden Globa­li­sierung Einkommens- und Beschäf­ti­gungs­nach­teile erleiden, aus Gründen der Gerech­tigkeit kompen­siert werden sollten, ist letzt­endlich eine Frage von Wertur­teilen und politi­schen Präferenzen.

Anders sieht es jedoch aus, wenn eine nachlas­sende gesell­schaft­liche Akzeptanz für Markt­wirt­schaft und liberale Demokratie eine Gefährdung der langfris­tigen Funkti­ons­fä­higkeit dieses Systems darstellt. Zur Vermeidung sozialer Spannungen und politi­scher Polari­sierung ist es meiner Ansicht nach zwingend erfor­derlich, gesell­schafts­po­li­tische Maßnahmen zu ergreifen, um die skizzierten Ängste abzubauen und somit den populis­ti­schen Bewegungen ihren Nährboden zumindest teilweise zu entziehen. Hierfür gibt es in entwi­ckelten Volks­wirt­schaften zwei grund­sätz­liche Ansätze:

  • Kompen­sa­to­rische Maßnahmen für dieje­nigen, deren Beschäf­ti­gungs- und Einkom­mens­chancen sich verschlechtern. Dies stellt eine inklusive Lösung dar, die alle Gesell­schafts­mit­glieder an den Vorteilen der inter­na­tio­nalen Arbeits­teilung beteiligt.
  • Die Verhin­derung der globa­li­sie­rungs­be­dingten Einkom­mens­ver­än­de­rungen durch eine wirtschaft­liche Abschottung, also die Verhin­derung oder zumindest Behin­derung eines inter­na­tio­nalen Wettbe­werbs und des damit verbun­denen Strukturwandels.

Bei einer gesamt­wirt­schaft­lichen Betrach­tungs­weise erweist sich der erste Ansatz als das überlegene Konzept. Er ermög­licht einen größeren materi­ellen Wohlstand durch die Ausnutzung der eingangs skizzierten Spezia­li­sie­rungs­vor­teile und Produk­ti­vi­täts­zu­wächse. Damit die gesell­schaft­liche Akzeptanz nicht verloren geht, müssen die Zugewinne aus Globa­li­sierung und techno­lo­gi­schem Fortschritt breit gestreut werden. Gefordert sind dadurch viele Politik­be­reiche: die Steuer- und die Sozial­po­litik, die Bildungs- und Arbeits­markt­po­litik sowie die Struktur- und Regio­nal­po­litik. Denkbare Maßnahmen sind z. B. niedrigere Steuern und Sozial­ab­gaben für untere Einkom­mens­gruppen, gezielte Quali­fi­zie­rungs­maß­nahmen, damit Erwerbs­tätige in die Sektoren wechseln können, die von der Globa­li­sierung profi­tieren, und ein verbes­serter öffent­licher Perso­nen­verkehr, der die Mobilität erhöht und Menschen dorthin bringt, wo die Arbeits­plätze sind.

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