Trans­nis­trien: Russische Propa­ganda in Tiraspol

Foto: Landen­berger

Symbole russi­scher Propa­ganda sind in Trans­nis­trien allge­gen­wärtig. Der russische Angriffs­krieg gegen die Ukraine befeuert die Befürch­tungen, dass Russland versuchen wird, die Region weiter zu desta­bi­li­sieren. Eine Reportage aus Tiraspol von Yeli­za­veta Landenberger.

Auf der Landkarte bildet Trans­nis­trien, ein De-Facto-Staat mit der Eigen­be­zeich­nung PMR (Prid­nes­tro­wi­sche Molda­wi­sche Republik), einen dünnen Streifen zwischen der Republik Moldau und der Ukraine. Es leben dort laut offi­zi­ellen moldaui­schen Angaben aktuell ca. 360.000 Menschen, Moldauer:innen, Russ:innen und Ukrainer:innen bilden die drei größten Bevölkerungsgruppen.

Rumänisch vs. „Molda­wisch“: Amts­spra­chen und Sprachenpolitik

In der Verfas­sung Trans­nis­triens sind als Amts­spra­chen Molda­wisch, Russisch und Ukrai­nisch – in dieser Reihen­folge – fest­ge­schrieben, Russisch herrscht jedoch vor. Molda­wisch ist in kyril­li­scher Schrift geschrie­benes Rumänisch, ein Erbe aus sowje­ti­schen Zeiten. Damals wurde gezielt eine “molda­wi­sche” Sprache in Abgren­zung zum Rumä­ni­schen postu­liert, um eine sowje­ti­sche Identität für diesen Raum zu konstruieren.

In der Republik Moldau ist hingegen die Amts­sprache Rumänisch, das Adjektiv “molda­wisch” bzw. die in Deutsch­land oft noch gängige Länder­be­zeich­nung “Moldawien”, wird als sowje­tisch-imperial wahrgenommen.

Einge­fro­rener Konflikt und russische Destabilisierungsversuche

Trans­nis­trien erklärte 1990 seine Unab­hän­gig­keit, wird aber bis an den heutigen Tag von der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft als Teil Moldaus betrachtet: Nicht einmal Russland selbst, nur die anderen post­so­wje­ti­schen De-Facto-Staaten Südos­se­tien, Abchasien und das aktuell von einer aser­bai­dscha­ni­schen Blockade betrof­fene Arzakh erkennen Trans­nis­trien an. 1990 kam es zu einer ersten bewaff­neten Ausein­an­der­set­zung zwischen Moldau und Trans­nis­trien, die 1992 in einen Krieg mündete. Russische Truppen nahmen an der Seite Trans­nis­triens am Kriegs­ge­schehen teil, noch im selben Jahr wurde ein Waffen­still­stand verein­bart. Seitdem gilt der Konflikt zwar als einge­froren, es besteht aber ange­sichts des derzei­tigen russi­schen Angriffs­krieges in der Ukraine Anlass zur Sorge, dass er wieder auftauen könnte. Denn die soge­nannten russi­schen “Frie­dens­truppen”, die laut Verein­ba­rung eigent­lich längst hätten abgezogen werden müssen, sind immer noch anwesend, es sind etwa 1.500 an der Zahl. Dieser Umstand befeuert die Befürch­tungen, dass Russland versuchen könnte, einen Korridor von besetzten Gebieten in der Ukraine nach Trans­nis­trien zu errichten oder gar ganz Moldau einzu­nehmen.

Im Frühjahr 2022 kam es zu einer Serie von myste­riösen Explo­sionen in Trans­nis­trien, die mutmaß­lich als russische Desta­bi­li­sa­ti­ons­ver­suche einzu­stufen sind. Gele­gent­lich wird aber auch die Hoffnung laut, dass bei einem andau­ernden mili­tä­ri­schen Versagen Russlands in der Ukraine Trans­nis­trien in die Republik Moldau inte­griert werden könnte.

Trans­nis­trien ist kein isoliertes „euro­päi­sches Nordkorea”

Trans­nis­trien ist jedoch kein isoliertes „euro­päi­sches Nordkorea”, es betreibt Handel, allen voran mit der EU und ist Haupt­en­er­gie­ver­sorger der Republik Moldau. Die Grenze Trans­nis­triens mit der Ukraine ist seit Ende Februar 2022 dicht, Trans­nis­trien kann folglich nur noch in Richtung Moldau verlassen werden. Da trans­nis­tri­schen Ausweis­pa­piere inter­na­tional nicht anerkannt werden, besitzen die meisten Einwohner:innen noch einen moldaui­schen Pass und häufig einen dritten: Plakate in Tiraspol bewerben Anwalts­kanz­leien, die sich auf die Besorgung moldaui­scher, rumä­ni­scher, russi­scher oder ukrai­ni­scher Ausweis­pa­piere spezia­li­siert haben.

Foto: Landen­berger

Foto: Werbe­plakat eines Lebens­mit­tel­her­stel­lers, das ein Gedicht aus dem russi­schen Gangs­ter­film „Brat 2“ zitiert, aufge­nommen auf der zentralen „Straße des 25. Oktobers“

Russische und trans­nis­tri­sche Flaggen

Anders als in Chișinău, wo die moldaui­sche und die EU-Flagge paarweise zur Schau gestellt werden, sind in Tiraspol, der Haupt­stadt Trans­nis­triens, die Flaggen Trans­nis­triens und Russlands zu sehen. Aber auch die Flaggen der anderen post­so­wje­ti­schen De-facto-Staaten Abchasien, Arzakh und Südos­se­tien säumen einige Fassaden und Masten. Die trans­nis­tri­sche Flagge ist rot-grün-rot, mit einem gelben Hammer-und-Sichel-Symbol und Stern in der linken oberen Ecke – eine exakte Kopie der (zweiten) Flagge der molda­wi­schen sozia­lis­ti­schen Sowjet­re­pu­blik, die von 1952 bis 1990 in Verwen­dung war.

Plakative Sowjet­nost­algie

Dieser Umstand verweist in vielerlei Hinsicht auf die Atmo­sphäre in Tiraspol: Sowjet­nost­algie mit einem modernen Anstrich. Im Zentrum gibt es gleich mehrere Gastro­no­mie­an­ge­bote im sowje­ti­schen Stil, welche einer­seits westliche Touristen, aber durchaus auch die lokale Bevöl­ke­rung anlocken – zumindest dieje­nigen, die sich einen Restau­rant­be­such leisten können. Auf dem Menu stehen Speisen aus den unter­schied­li­chen Regionen der ehema­ligen Sowjet­union, aus den Laut­spre­chern dröhnt neue russische Popmusik, an den Wänden Marx, Lenin und Stalin.

Selbst die Währung heißt hier in Anlehnung an die Sowjet­union bzw. Russland Rubel, auf den Münzen ist ein Hammer-und-Sichel-Symbol geprägt.

Foto: Landen­berger

Foto: Das Restau­rant mit dem Namen “Wieder in der UdSSR”

Das Sankt-Georgs-Band ist weit verbreitet

Von Z‑Symbolik ist in Tiraspol aller­dings keine Spur. Das ebenfalls als russi­sches Kriegs­symbol dienende orange-schwarze Sankt-Georgs-Band ist häufig anzu­treffen, meist in Kombi­na­tion mit der Erin­ne­rung an den soge­nannten „großen vater­län­di­schen Krieg“. Es ist ein schon lange gebräuch­li­ches Symbol, das aktuell im Zusam­men­hang mit dem in Russland aufstre­benden Faschismus eine Renais­sance erlebt.

An den Wänden des Museums für lokale Geschichte kann man neben Kunst – sozia­lis­ti­scher Realismus aus dem heutigen Trans­nis­trien – auch bestaunen, wie propa­gan­dis­ti­sche Geschichts­nar­ra­tive konstru­iert werden: Der Krieg 1992 wird als Fort­füh­rung des „großen vater­län­di­schen Krieges” darge­stellt. Der Feind ist dabei stets der Faschismus, wodurch in dieser Logik Bewohner:innen der Republik Moldau als „Faschisten” an die Stelle von Deutschen treten – die Ähnlich­keit zur russi­schen Darstel­lung der Ukrainer:innen als Faschisten ist offensichtlich.

„Kampf gegen den Faschismus” als russi­sches Kontinuitäts-Narrativ

Das Konti­nui­täts-Narrativ des „Kampfes gegen den Faschismus” mani­fes­tiert sich ebenfalls auf dem benach­barten „Denkmal der Ehre”: Gräber von im Zweiten Weltkrieg gefal­lenen Soldaten, graue Skulp­turen und eine ewige Flamme – ein Ehrenmal, wie es überall im post­so­wje­ti­schen Raum stehen könnte. Doch nur ein paar Meter entfernt befinden sich – quasi als logische Verlän­ge­rung – die Gräber der 1992 im Krieg gegen Moldau gefal­lenen Soldaten. Etwas weiter ist ein sowje­ti­scher Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg mit der Aufschrift „für die Heimat” ausge­stellt, der, so scheint es, auf die 2011 einge­weihte Sankt-Georgs-Kapelle mit ihrem goldenen Dach schießt.

Foto: Landen­berger

Foto: Ein sowje­ti­scher Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg, Teil des “Denkmals der Ehre“

Allge­gen­wär­tige Symbole russi­scher Propa­ganda im Zentrum von Tiraspol

Im Zentrum von Tiraspol ist ausge­spro­chen viel russische Propa­ganda-Symbolik auf engstem Raum konzen­triert: Plakate, Flaggen, Denkmäler. Tiraspol ist eine „Vitrine“, so die Worte einer moldaui­schen Foto­grafin – eine Metapher, die sehr passend anmutet: Das Gras in den zentralen Parks der Stadt wirkt zu grün. Entfernt man sich einige hundert Meter vom Stadtkern, beginnen schlam­mige Gehwege und marode Gebäu­de­fas­saden. Trans­nis­trien ist sehr arm, das monat­liche Mindest­ein­kommen ist auf etwa umge­rechnet 90€ fest­ge­setzt. Die Armut in Kombi­na­tion mit der Angst vor einem Über­schwappen des Krieges auf Trans­nis­trien führt zu Land­flucht und Emigra­tion, die Bevöl­ke­rungs­zahl ist seit den 90er Jahren stark rück­läufig. Ande­rer­seits scheint diese Armut zugleich die Anfäl­lig­keit für russische Propa­ganda zu befeuern.

Die Recherche vor Ort für diesen Text wurde durch eine Förderung von n‑ost ermöglicht.

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