Trotz alledem: Amerika

Foto: Štěpán Vraný, Unsplash

Ein trans­at­lan­ti­sches Manifest in Zeiten von Donald Trump

1. Ordnungs­fragen – der neue deutsch-ameri­ka­nische Interessengegensatz

Eine der großen Heraus­for­de­rungen der neuen Bundes­re­gierung wird es sein, die trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen durch die Präsi­dent­schaft Donald Trumps zu steuern. Wie gut der Bundes­re­gierung das gelingt, wird einer der Prüfsteine ihres Erfolges sein. Wir, eine Gruppe von außen­po­li­ti­schen Exper­tinnen und Experten aus der Zivil­ge­sell­schaft, möchten dazu jetzt, mit Blick auf die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen, einige Denkan­stöße liefern.

Die Zukunft der liberalen Weltordnung mit ihrem multi­la­te­ralen Politik­ver­ständnis, ihren globalen Normen und Werten, offenen Gesell­schaften und Märkten ist gefährdet. Freiheit und Wohlstand der Bundes­re­publik hängen aber genau von dieser Ordnung ab. Sie wird aus verschie­denen Richtungen in Frage gestellt: Neue Mächte streben nach Einfluss und Gestal­tungsraum; die Wirkmacht illibe­raler Regie­rungen und autori­tärer Regime wächst; innerhalb der westlichen Demokratien gewinnen antimo­derne Strömungen Zulauf und Einfluss; Russland stellt die europäische Friedens­ordnung in Frage; neue Techno­logien brechen die alten wirtschaft­lichen Struk­turen auf und verändern auch die inter­na­tio­nalen Beziehungen.

Schließlich sehen sich die Verei­nigten Staaten, Miter­finder und bislang ein entschie­dener Verfechter der liberalen Ordnung, gegen­wärtig nicht mehr als deren Garant. Als erster US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg stellt Donald Trump Idee und Insti­tu­tionen der liberalen inter­na­tio­nalen Ordnung grund­sätzlich in Frage. Er stellt ihr eine macht­ba­sierte nationale Inter­es­sen­po­litik gegenüber, in der kleine und mittlere Mächte ihre Rolle als nachge­ordnete Akteure finden sollen. Jeder Bindung der USA an multi­la­terale Insti­tu­tionen und Normen steht er skeptisch gegenüber. Deutschland hingegen – mit seinen Präfe­renzen für Vertrags­bin­dungen und Stabi­lität – will die multi­la­terale Ordnung fortent­wi­ckeln. Für die Bundes­re­publik gehören inter­na­tionale Zusam­men­arbeit und die Stärkung supra­na­tio­naler Insti­tu­tionen zu den Eckpfeilern ihrer Politik. Daraus ergibt sich ein bisher ungekannter Gegensatz zu unserem wichtigsten Verbündeten.

Weil der Erfolg und die Sicherheit der Bundes­re­publik und Europas auf diesem System beruhen, weil Präsident Donald Trump die USA auf einen anderen Kurs einschlägt, entfällt auf Deutschland und die Europäische Union eine besondere Verant­wortung, dieses System zu erhalten und zu stärken.

2. Ein Präsident sui generis

Man kann nicht ignorieren, dass Präsident Trump 60 Millionen Wähle­rinnen und Wähler hinter sich versammeln konnte. Auch haben nationale Allein­gänge, protek­tio­nis­tische Anwand­lungen und Ruf „America First“ Tradition. Dennoch ist Donald Trump ein Präsident sui generis, der sich in keine der etablierten Tradi­ti­ons­linien ameri­ka­ni­scher Politik einordnet. Seine Verachtung inter­na­tio­naler Allianzen und Insti­tu­tionen trifft auf breites Unver­ständnis außerhalb und sogar innerhalb des Regie­rungs­ap­pa­rates. Unter den außen­po­li­ti­schen Eliten der Verei­nigten Staaten ist Donald Trumps Haltung randständig. Ob sich die Unter­mi­nierung der inter­na­tio­nalen Ordnung in den USA durch­setzen wird, ist ungewiss, ja sogar unwahrscheinlich.

3. Gefähr­liche Konsequenzen

Manche politische Analysten und Akteure wollen aus dieser Ungewissheit weitrei­chende Konse­quenzen ziehen. Sie befür­worten eine strate­gische Umori­en­tierung der Bundes­re­publik. Einige streben eine außen- und sicher­heits­po­li­tische Abkop­pelung Europas von den Verei­nigten Staaten an. Andere setzen auf ein deutsch-franzö­si­sches Klein­europa. Manchmal verkleiden die europäi­schen Bekennt­nisse nur deutschen Natio­na­lismus, mit dem man auf ameri­ka­ni­schen Natio­na­lismus reagieren will. Dann sind Empfeh­lungen nicht weit, Deutschland solle auf Ad-hoc-Koali­tionen setzen oder Äquidi­stanz zwischen Russland und Amerika halten. Freunde findet auch der Vorschlag, Deutschland solle gleich einen Schritt weiter gehen und sich an Russland oder China anlehnen.

All diese Vorstel­lungen sind kostspielig oder gefährlich oder beides.

4. Amerika bleibt unverzichtbar

Wer sich von den Verei­nigten Staaten abkoppeln möchte, bringt Unsicherheit über Deutschland und letztlich über ganz Europa.

Weltweit kann kein Akteur die Vorteile aufwiegen, die Deutschland durch die Allianz mit den Verei­nigten Staaten entstehen. Diese Bindung ist aus Abhän­gigkeit entstanden, entspricht aber längst dem ureigenen Interesse Deutschlands.

Nach wie vor übernimmt keine andere Macht so weit reichende Sicher­heits­ga­rantien und stellt so umfas­sende politische Ressourcen bereit wie die USA. Als liberaler Hegemon haben die USA den europäi­schen Integra­ti­ons­prozess ermög­licht. Der Großteil des politi­schen Estab­lish­ments in den Verei­nigten Staaten sieht das Land auch weiterhin als wohlwol­lenden Verbün­deten für den europäi­schen Einigungs­prozess – durchaus im eigenen Interesse der USA, die Verbündete benötigen, mit denen sie Werte und Inter­essen teilen. Zu den Gegen­be­we­gungen, die Donald Trump in den USA selbst ausgelöst hat, gehört ein neu erwachtes Interesse am gemein­samen demokra­ti­schen Erbe und seiner Verteidigung.

Deutschland braucht die USA, um als starker europäi­scher Akteur handeln zu können. Wer die Bindung zu Amerika kappen will, verzichtet auf die Rückver­si­cherung, die andere europäische Länder benötigen, um ein starkes Deutschland in der Mitte des Konti­nents zu akzep­tieren. Je mehr Führung Deutschland in Europa übernehmen soll und muss, desto enger muss die Abstimmung mit den Verei­nigten Staaten sein.

Eine Abkop­pelung von den USA würde eine der wichtigsten politisch-kultu­rellen Errun­gen­schaften der vergan­genen 70 Jahre in Frage stellen: Deutsch­lands Westbindung.

Letztlich bedeutet die Westbindung Deutsch­lands unsere Selbst­bindung an die Werte von Freiheit und Demokratie und zur Zusam­men­arbeit mit allen, die dafür eintreten. Freiheit ist die Bedingung der Möglichkeit, dass alle Menschen selbst­be­stimmt und in Würde leben können. Mit dem Grund­gesetz hat sich die Bundes­re­publik in diese Tradition gestellt. Die Veran­kerung im Westen hat die Wider­stands­kraft gegen die kommu­nis­ti­schen Regimes gestärkt und damit die Wieder­ver­ei­nigung Deutsch­lands und die Einigung Europas möglich gemacht.

Jede Abkehr von dieser trans­at­lan­ti­schen Bindung beschwört die Gefahr eines deutschen Sonder­weges, stärkt linke und rechte Natio­na­listen und gefährdet die europäische Friedensordnung.

Der Westen ist auch heute ohne die USA weder ideell noch als politi­sches Subjekt existent. Er ist und bleibt der Anker­punkt des liberalen Univer­sa­lismus und der offenen Ordnung der Welt. Auch wenn die Präsi­dent­schaft Donald Trumps erheb­liche Risiken für die liberale Ordnung birgt, so werden diese Risiken nicht kleiner, wenn Deutschland seine strate­gische Partner­schaft mit den Verei­nigten Staaten von sich aus aufs Spiel setzt. Eine strate­gische Abkop­pelung von den USA gefährdet die liberale inter­na­tionale Ordnung am Ende mehr als die kritische Zusam­men­arbeit mit einem Amerika, dessen Führungs­spitze gegen­wärtig an dieser Ordnung rüttelt. Autokratien wie China und Russland mögen wichtige adhoc-Partner für einzelne Projekte sein; der strate­gische Partner eines demokra­ti­schen und europäi­schen Deutsch­lands müssen die Verei­nigten Staaten bleiben.

Das Verhältnis zu den Verei­nigten Staaten ist eine Werte­part­ner­schaft, die sich aus der gemein­samen demokra­ti­schen Ordnung ergibt. Selbst wenn der aktuelle Präsident wesent­liche Teile dieser Ordnung zu Hause in Frage stellt, so bleiben die USA eine Demokratie. Präsident Trump ist ebenso wenig mit Amerika gleich­zu­setzen wie die illiberale Gegen­be­wegung, für die er steht, ausschließlich ein ameri­ka­ni­sches Phänomen ist. Sie erhebt ihr Haupt auch in Europa. Deshalb handelt es sich nicht um einen Gegensatz zwischen Europa und den USA, sondern um einen Konflikt innerhalb des Westens, der auf beiden Seiten des Atlantiks ausge­tragen wird.

Darüber hinaus ist die wirtschaft­liche, wissen­schaft­liche und kultu­relle Verflechtung mit den USA weit enger als mit allen anderen Weltre­gionen. Das Wechsel­spiel mit den Verei­nigten Staaten bleibt ein zentrales Element für die Innova­ti­ons­fä­higkeit Europas.

5. Trotzdem nicht bloß „weiter so“

Wie also umgehen mit den Verei­nigten Staaten in Zeiten Donald Trumps?

Auch wenn die Abwendung von den USA für Deutschland keine verant­wort­liche Option ist, kann es angesichts der gegen­wär­tigen Präsi­dent­schaft kein „weiter so“ geben. Genauso wenig hilft es zu schweigen, wegzu­sehen und wegzu­schauen – so lange, bis alles vorbei ist und im Weißen Haus ein Nachfolger einzieht. Vier oder gar acht Jahre sind zu lang für eine Politik des Aussitzens, zumal es ein Zurück zur vermeintlich guten alten Zeit nicht geben wird. Dafür ist die Dynamik der Verän­derung innerhalb und außerhalb der Verei­nigten Staaten zu groß.

6. Grund­ge­danken einer Amerika-Strategie

Deutschland braucht also etwas, das es in dieser Form bisher nicht geben musste: eine Amerika-Strategie.

Eine verant­wort­liche Amerika-Politik muss langfristig angelegt sein und eine Brücke bauen in eine Zeit jenseits der Präsi­dent­schaft Trump, jenseits einer exzep­tio­nellen Periode ameri­ka­ni­scher Skepsis gegenüber jedweder multi­la­te­raler Selbst­bindung. Zwar darf Deutschland nicht der Illusion anhängen, dass es nach Präsident Trump eine Rückkehr zum status quo ante geben wird. Auch innerhalb der USA dürften einige Trend­linien politi­scher Überzeu­gungen die Periode Trump überdauern – zum Beispiel die Forderung nach einer ausge­wo­ge­neren Lasten­teilung zwischen Europa und den USA innerhalb der NATO. Was nicht überdauern dürfte, ist der Dissens über grund­le­gende Fragen der Weltordnung. Sobald hier wieder weitgehend Einigkeit besteht, können verblei­bende Meinungs­ver­schie­den­heiten viel besser konstruktiv gelöst oder überbrückt werden.

Diese langfristige Perspektive muss der Orien­tie­rungs­punkt für Deutsch­lands kurzfris­tiges Handeln während der Periode Trump sein.

Kurzfristig gilt es, stärker als bisher zu unter­scheiden zwischen dem Lösbaren, dem Unlös­baren und dem Zwischenfeld eines pragma­ti­schen Umgangs mit Konflikten.

Es versteht sich deshalb von selbst, dass die Bundes­re­gierung Gemein­sam­keiten mit den USA dort stärken sollte, wo sie auch mit der aktuellen Regierung vorhanden sind. Seine Inter­essen erfolg­reich zu vertreten, kann im Konkreten auch bedeuten, in einen begrenzten Konflikt einzu­treten oder – umgekehrt – eine unhaltbar gewordene Position zu korri­gieren. Und es wird darüber hinaus heißen, unsere Ansprech­partner nicht nur auf der höchsten Ebene zu suchen, sondern auch andere Akteure im Regie­rungs­ap­parat, in den Parla­menten, in den Bundes­staaten, in der Zivil­ge­sell­schaft und in der Wirtschaft anzusprechen.

Dem verant­wort­lichen Umgang mit Meinungs­ver­schie­den­heiten wird eine wesentlich größere Bedeutung zukommen als bisher.  Im eigenen langfris­tigen Interesse sollte Deutschland versuchen, Diffe­renzen mit der Regierung Trump einzu­hegen oder so zu handhaben, dass sie nicht durch eigenes Verhalten eskalieren und damit außer Kontrolle zu geraten.

Deutschland darf sich keinen Illusionen hingeben: Große gemeinsame Projekte mit der Regierung Trump wird es zumindest dort nicht geben können, wo sie den populis­ti­schen Kernbe­reich von Präsident Trumps Agenda berühren. Wer hier zu viel versucht, wird am Ende nur Streit säen.

Kurzum, Deutsch­lands Amerika-Strategie muss Verschie­denes gleich­zeitig erlauben: Kernin­ter­essen aktiv zu vertreten, Konflikte zu moderieren, unrea­lis­tische Ambitionen zu vermeiden und so eine Brücke in eine bessere Zukunft der trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen zu bauen.

Diese Art der Diffe­ren­zierung kann unter­schied­liche Folgen für die verschie­denen Politik­felder haben.

8. Handels­po­litik – nur Management von Konflikten anstreben

Nüchtern betrachtet stehen die Zeichen nicht günstig für größere Projekte in einigen Bereichen, in denen sie besonders notwendig wären, etwa der Handels­po­litik. Trotz aller Kontro­versen sind die strate­gi­schen und wirtschaft­lichen Gründe für ein trans­at­lan­ti­sches Freihan­dels­ab­kommen (TTIP) seit dem November 2016 nicht schlechter geworden. In Berlin und Brüssel hoffen nun manche, man könne TTIP in leicht verän­derter Form wieder aufer­stehen lassen. Das ist illusionär, vielleicht sogar gefährlich. Denn ein Präsident, der alle Handels­ab­kommen als unfair gegenüber Amerika geißelt, würde in inter­na­tio­nalen Verhand­lungen kaum Kompro­misse eingehen können. Ein Scheitern wäre am Ende schäd­licher als ein langer Winter­schlaf des Projekts.

Es deutet sich schon jetzt an, dass die USA und die Europäische Union auf Handels­aus­ein­an­der­set­zungen zusteuern. Auf Straf­zölle soll und muss die Europäische Union reagieren. Aber sie sollte ausschließlich legal, propor­tional und symme­trisch reagieren. Alles andere könnte eine Eskalation auslösen, die allen Betei­ligten über den Kopf wächst.

8. Inter­na­tionale Flücht­lings­po­litik – nicht gemeinsam gestaltbar

Wenig erfolg­ver­spre­chend wären auch größere gemeinsame Initia­tiven in der inter­na­tio­nalen Flücht­lings­po­litik. Das inter­na­tionale Schutz­system braucht zwar dringend eine Reform, um es an moderne Bedin­gungen anzupassen. Dabei käme es darauf an, die Rechte von Flücht­lingen zu wahren, zugleich illegale Migration einzu­hegen und die Schlep­per­kri­mi­na­lität zu bekämpfen, die das univer­selle Flücht­lings­regime aushöhlt. Ebenso wären neue Anstren­gungen für bessere Resett­lement-Programme der Vereinten Nationen erfor­derlich. Aller­dings ist schwer vorstellbar, dass sich die Regierung Trump auf derlei Initia­tiven einlassen wird. Deshalb muss Europa hier selbst aktiv werden – so gut es geht.

So fallen also Handels- wie Flücht­lings­po­litik in die Kategorie der schwie­rigen, gegen­wärtig kaum lösbaren Fälle trans­at­lan­ti­scher Politik, in denen besten­falls kleine Fortschritte denkbar sind, nicht aber große Initiativen.

9. Sicher­heits­po­litik – Fortschritte auch mit Präsident Trump anstreben

Anders verhält es sich in der Sicher­heits­po­litik. Ohne die USA gibt es bis auf weiteres keine Sicherheit für und in Deutschland. Das gilt für die Terri­torial- und Bündnis­ver­tei­digung im Rahmen der NATO; das gilt für die nukleare Abschre­ckung; es gilt für die Bekämpfung der Cyber­kri­mi­na­lität und der Geldwäsche und schließlich für den Schutz vor Terro­rismus und damit für die Zusam­men­arbeit der Geheim­dienste. Weder einzelne europäische Staaten noch Deutschland alleine, auch nicht die Europäische Union, können die notwen­digen Ressourcen bereit­stellen, um Sicherheit auf dem Kontinent zu garan­tieren. Die bestehende Zusam­men­arbeit wäre eher noch zu verstärken. An der NATO festzu­halten, ist zugleich eine Möglichkeit, die USA in multi­la­terale Sicher­heits­po­litik einzu­binden und Allein­gänge zu erschweren. Das gilt auch für die Frage der „nuklearen Teilhabe“, also der Betei­ligung des nicht atomar bewaff­neten Deutsch­lands an der nuklearen Abschre­ckung der Verei­nigten Staaten. Hier steht in der kommenden Legis­la­tur­pe­riode die Entscheidung darüber an, ob Deutschland einge­bunden bleiben kann – und will.

Bündnis­ver­tei­digung ist die preis­wer­teste Form der Vertei­digung. Deutschland sollte deshalb den Ruf nach fairer Lasten­ver­teilung innerhalb des Bündnisses ernst nehmen. Wider ihre eigenen Kernin­ter­essen hat die Bundes­re­publik hier nicht genug getan. Deutschland muss noch einen weiten Weg gehen, bis es die Verpflich­tungen umsetzt, die es gegenüber der NATO einge­gangen ist. Und das bedeutet: Deutschland hat zugesagt, seine Vertei­di­gungs­aus­gaben zwei Prozent des Brutto­in­lands­pro­duktes anzunähern. Deutschland sollte Wort halten. Es stellt die Dinge auf den Kopf, wenn diese Verpflichtung in der deutschen Debatte als Bedrohung des europäi­schen Gleich­ge­wichts darge­stellt wird. Es sind gerade unsere europäi­schen Nachbarn und Verbün­deten, die sich verstärkte Beiträge der Bundes­re­publik im Rahmen der NATO und der europäi­schen Vertei­di­gungs­po­litik wünschen.

Noch besser wäre es, die Bundes­re­publik würde ein weiteres Prozent des Brutto­in­lands­produkt aufwenden und damit auch mehr für Entwick­lungs­zu­sam­men­arbeit, inter­na­tionale Polizei­ein­sätze, Uno-Missionen, Konflikt­prä­ven­tionen und Diplo­matie ausgeben. In diesem vernetzten Ansatz würden auch die nicht-militä­ri­schen Methoden der Sicher­heits­po­litik aufgewertet.

So kann die europäische Vertei­di­gungs­fä­higkeit innerhalb der trans­at­lan­ti­schen Allianz substan­ziell gestärkt werden. Die Bundes­re­publik tut etwas, was in ihrem eigenen Kernin­teresse liegt. Zudem stabi­li­siert sie das trans­at­lan­tische Verhältnis. Sie geht auf die Trump-Adminis­tration zu und baut gleich­zeitig belastbare Funda­mente für die Zeit nach Donald Trump. Die Erfolgs­chancen dieser Strategie sind gut: Aller NATO-kriti­schen Rhetorik zum Trotz hat die Regierung Trump die von ihren Vorgängern gegebenen Zusagen in der NATO konse­quent eingehalten.

Die sicher­heits­po­li­tische Zusam­men­arbeit mit der Regierung Trump sollte für uns zentral sein und auch die Sicher­heits­ga­rantien für die mittel­ost­eu­ro­päi­schen NATO-Mitglieder und die Unter­stützung einer unabhän­gigen Ukraine ebenso einschließen wie die Stabi­li­sierung der europäi­schen Gegen­küste in Nordafrika.

Angesichts der Ausein­an­der­setzung um die nordko­rea­nische Atomrüstung und das weitere Vorgehen gegenüber dem Iran, sollte eine Spaltung zwischen USA und Europa unbedingt vermieden werden. Wir sollten alles tun, um die USA in ein gemein­sames Vorgehen einzubinden.

10. Energie­si­cher­heits­po­litik – im deutschen Interesse Nord Stream 2 aufgeben

Noch in einem zweiten Politikfeld sollte die Bundes­re­gierung im eigenen Interesse ihre Positionen überprüfen, um Fortschritte möglich zu machen: der Energie­si­cher­heits­po­litik. Die Verei­nigten Staaten haben Nord Stream 2, die geplante Ostsee-Pipeline nach Russland, als geostra­te­gi­sches Projekt identi­fi­ziert. Sie haben Recht. Wichtiger noch: Dieses Pipeline-Projekt liegt nicht in einem gesamt­eu­ro­päi­schen Interesse. Nord Stream 2 wider­spricht einer Politik größerer Energie­un­ab­hän­gigkeit und unter­mi­niert die angestrebte europäische Energie-Union. In dieser Frage sollten wir eine gemeinsame Position mit unseren europäi­schen Nachbarn und den USA suchen.

11. Klima‑, Energie- und Digital­po­litik – Konflikte verant­wortlich verwalten

Wer das Lösbare mit Entschlos­senheit angeht und das Unlösbare einst­weilen beiseite lässt, muss sich am Ende jenen Politik­felder zuwenden, in denen es einst­weilen darum gehen muss, Konflikte verant­wor­tungsvoll zu verwalten. Es wird zwecklos sein, die US-Adminis­tration von der Bedeutung des Pariser Klima­ab­kommens überzeugen zu wollen. Zugleich führt es in die Irre, Präsident Trump in der inter­na­tio­nalen Klima- und Energie­po­litik isolieren zu wollen. Notwendige Kritik darf nicht in Recht­ha­berei umschlagen.

Statt­dessen sollte Deutschland mit Amerika konkrete Fortschritte im Klima­schutz suchen. Der Einsicht folgend, dass Präsident Trump nicht (ganz) Amerika ist, kann Berlin auf andere Partner zugehen, die an klima­po­li­ti­scher Koope­ration inter­es­siert sind. Eine ganze Reihe von Bundes­staaten (nicht nur Kalifornien) und große Städte sind längst auf dem Weg, ihre CO2-Emissionen zügig zu senken. Mit lokalen Partnern ist politische, wissen­schaft­liche und technische Koope­ration auch unabhängig von Washington möglich. An Klima-Alliierten, die etwas bewegen können, ist in den Verei­nigten Staaten kein Mangel, nicht in der Wirtschaft und schon gar nicht in der Zivil­ge­sell­schaft. Hier gilt es, in die Offensive zu gehen, Geld zu inves­tieren und Netzwerke zu bauen, die eine Trump-Regierung überdauern.

Auch auf dem Gebiet der Digital­po­litik zeichnet sich eine Konfron­tation ab – über regula­to­rische Fragen wie über Markt­an­teile. Auch hier gilt es, möglichst frühzeitig Konflikt­felder zu erkennen und unnötige Eskalation zu vermeiden. Jede gegen­seitige Abschottung der digitalen Märkte Europas und Amerikas würde auf beiden Seiten gravie­rende negative Konse­quenzen für Wachstum und Arbeits­märkte auslösen. Europäische Verbraucher und Daten­schutz­stan­dards werden sich global vor allem mit, aber kaum gegen die Verei­nigten Staaten durch­setzen lassen.

12. Schluss­punkt – mehr europäische Selbst­ver­ant­wortung im Bündnis

Wo immer möglich Fortschritte auch mit der Regierung Trump erzielen, Konflikte moderieren und nicht eskalieren lassen, das Spektrum trans­at­lan­ti­scher Koope­ra­ti­ons­partner über die gegen­wärtige Regierung hinaus erweitern – das ist der Kern einer Amerika-Strategie, die erlaubt, das trans­at­lan­tische Verhältnis mit und notfalls gegen diesen ameri­ka­ni­schen Präsi­denten zu bewahren und über ihn hinaus zu denken. Die USA haben immer wieder ihre beein­dru­ckende Fähigkeit zur Selbst­kor­rektur bewiesen. Sie bleiben Anker­macht für jene Staaten, die für Freiheit und Demokratie einstehen und eine offene Ordnung der Welt wünschen. Für diese Ziele wird Europa – und damit auch Deutschland – verstärkt eintreten müssen. Mehr europäische Selbst­ver­ant­wortung und Eigen­in­itiative sind unerlässlich. Aber es wäre ein histo­ri­scher Irrtum, „mehr Europa“ gegen die trans­at­lan­tische Allianz auszu­spielen. Die Außen­po­litik der neuen Bundes­re­gierung wird daran zu messen sein, wie klar sie diesen Kurs verfolgt.

Unter­zeichner

Deidre Berger, American Jewish Comittee
J.D. Bindenagel, Univer­sität Bonn
Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne
Stefan Heumann, Stiftung Neue Verantwortung
Patrick Keller, Konrad-Adenauer-Stiftung
Thomas Kleine-Brockhoff, German Marshall Fund of the United States
Anna Kuchen­becker, Aspen Institute Deutschland
Sergey Lagodinsky, Heinrich-Böll-Stiftung
Rüdiger Lentz, Aspen Institute Deutschland
Daniela Schwarzer, Deutsche Gesell­schaft für Auswärtige Politik e.V.
Jan Techau, American Academy in Berlin
Sylke Tempel, Deutsche Gesell­schaft für Auswärtige Politik e.V. †

Der Text gibt ausschließlich die persön­liche Meinung der Autoren wider und ist zuerst hier erschienen.
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