USA – Konser­vative Restau­ration oder demokra­tische Renaissance?

Foto: Michael Brachsten /​ Imago Images

In den USA hat sich die Linke neu formiert und damit Bewegung in den politi­schen Diskurs der Demokraten gebracht. Gleich­zeitig aber agitieren Republi­kaner umso obses­siver gegen alles Linke, so Lukas Herms­meier im Interview.

Das Interview führte Alexander Görlach für LibMod.

In Ihrem Buch “Uprising” beschreiben Sie die Entstehung einer neuen ameri­ka­ni­schen Linken, die die richtigen Themen anspricht und gut organi­siert ist. Wer aber jetzt seinen Blick auf die USA richtet, der sieht ein Land in einer konser­va­tiven Restau­ration. Was ist denn nun richtig?

Beides ist richtig. Das macht die zurück­lie­gende Dekade in den USA so außer­ge­wöhnlich und in gewisser Weise auch schwer zu greifen. Bemer­kenswert ist, dass man in dieser Zeit eine Ermäch­tigung der Rechten beobachten konnte, die sich unter anderem in der Präsi­dent­schaft Donald Trumps, der Radika­li­sierung der Republi­kaner, in faschis­toiden Bewegungen wie der „Alt Right“ und „QAnon“ und auch in der Dominierung des Supreme Courts ausdrückt. Und gleich­zeitig hat sich auf der anderen Seite des politi­schen Spektrums enorm viel geöffnet. Wir erleben eine Rehabi­li­tierung des Sozia­lismus, mit Black Lives Matter eine neue anti-rassis­tische Kraft, dazu eine wachsende Klima-Bewegung, queer-feminis­tische Impulse und zahlreiche visionäre Arbeits­kämpfe, zum Beispiel bei Amazon und Starbucks. Mich inter­es­siert vor allem diese Renais­sance der US-Linken: Wie sie sich organi­sieren, für welche Utopien sie einstehen, woran sie noch scheitern. Wenn man dann der Frage nachgeht, wie es dazu kommen konnte, dass sich sowohl die Rechte als auch die Linke radika­li­siert haben, landet man meines Erachtens nach schnell beim Versagen der politi­schen Mitte.

Ich teile ihre Faszi­nation für diese neuen Bewegungen in den USA. Sie beschreiben in ihrem Buch auch, wo diese Initia­tiven punktu­ellen Erfolg haben und Politik beein­flussen können. Gleich­zeitig stellt sich mir die Frage, ob diese neuen Impulse auch Wurzeln schlagen können in der Demokra­ti­schen Partei, die die natür­liche, politische Heimat für diese Bewegungen ist. Die Führungs­riege der Demokraten ist sehr alt, an dieser Stelle sind ja sogar die Republi­kaner demokra­ti­scher aufge­stellt, weil sie Leitungs­funk­tionen in Kongress und Partei zeitlich begrenzen. Alexandria Ocasio-Cortez ist eine der wenigen, jungen und bekannten Gesichter der Partei, die Amazon und Co. die Stirn bieten. Ist sie die Ausnahme oder eine neue Regel?

Zunächst mal würde ich bezweifeln, dass die Demokra­tische Partei die „natür­liche Heimat“ dieser Bewegungen ist. Die vergan­genen Jahrzehnte zeigen eher das Gegenteil, leider, da wurden linke Kräfte von der Partei­spitze oftmals bekämpft, bezie­hungs­weise ignoriert, jeden­falls nicht mit Offenheit begleitet und unter­stützt. Bernie Sanders – der ja Ausdruck einer Bewegung war – hatte es in den Vorwahlen 2016 und 2020 auch deshalb so schwer, weil sich das gesamte Estab­lishment der Demokraten gegen ihn positio­nierte. Gerade weil die Demokraten unter dem Strich so statisch sind, haben sich viele linke Bewegungen und Organi­sa­tionen im Antago­nismus zur Politik dieser Partei entwi­ckelt. Occupy wäre da ein bekanntes Beispiel.

Aber zu Ihrer Frage: Die angespro­chene Alexandria Ocasio-Cortez ist immer noch die Ausnahme, sie ist eine von nur sehr wenigen wirklich linken Abgeord­neten im Kongress. Umso erstaun­licher ist es aber, was diese kleine Gruppe, zu der auch Ilhan Omar und Cori Bush gehören, in den vergan­genen Jahren erwirken konnte. Dass die Demokraten an manchen Punkten eben doch ihr Programm progres­siver gestalten, zum Beispiel in der Klima­po­litik, liegt unter anderem am wachsenden Einfluss der linken Fraktion. Wichtig ist es, in diesem Zusam­menhang zu verstehen, dass die einzelnen Politi­ke­rinnen und Politiker eben nicht allein agieren, sondern außer­par­la­men­ta­rische Organi­sa­tionen und Bewegungen hinter sich haben. Der Druck der Masse ist der entschei­dende Faktor.

Haben diese außer­par­la­men­ta­ri­schen Organi­sa­tionen und Bewegungen auch ihren Anteil am Erfolg der “climate and spending bill” von Präsident Biden? Kommen­ta­toren überschlagen sich geradezu vor Lob und preisen das Klima- und Sozial­paket als Befrei­ungs­schlag für den Präsi­denten, der ja in den Umfragen so unbeliebt ist wie kein anderer zu diesem Zeitpunkt in der ersten Amtszeit.

Auch hier muss man den Erfolg der Demokraten im größeren Kontext betrachten. Im Vergleich zu den ursprüng­lichen Klima­zielen, die Biden im Wahlkampf formu­lierte, und vor allem im Vergleich zu dem, was wirklich notwendig wäre, um die diversen klima- und umwelt­be­zo­genen Krisen zu bewäl­tigen, ist das jetzt präsen­tierte Paket nämlich äußerst bescheiden. Und trotzdem: Es ist ein Fortschritt. Endlich wird in erneu­erbare Energien inves­tiert, endlich wird Katastro­phen­prä­vention angegangen. Und dieser Fortschritt, so kompro­miss­be­haftet er auch ist, wäre kaum möglich, wenn Gruppen wie Sunrise Movement und die gesamte Klima-Bewegung nicht gewal­tigen Druck gemacht hätten. Der ganze Diskurs hat sich in den vergan­genen Jahren sehr spürbar verändert.

Könnten Sie das korrekter fassen?

Die Ansprüche an die Politik sind gewachsen, mit dem Green New Deal wird eine gesamt­heit­liche, umfas­sende Klima-Vision disku­tiert, punktuell sogar umgesetzt. Die Impulse dafür kamen in erster Linie von außer­par­la­men­ta­ri­schen Kräften. Ich halte es allein schon aus diesem Grund für wichtig, eigentlich für unabdingbar, dass wir Journa­lis­tinnen und Journa­listen uns mit solchen sozialen Bewegungen intensiv ausein­an­der­setzen. Denn oft wird das, was heute von der Politik als zu radikal diskre­di­tiert wird, übermorgen von ihr umgesetzt. Zu Biden: Der ist nun wahrlich kein Klima-Vorkämpfer, das darf man nicht verklären. Aber im Sinne der Demokratie wäre es von Vorteil, wenn viele Wähle­rinnen und Wähler das neue Maßnah­men­paket als das wahrnehmen, was es ist, ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung – und bei den kommenden Midterms für die Demokraten und nicht die Republi­kaner stimmen. Denn es steht auch fest: Von den Republi­kanern ist beim Klima­schutz noch viel weniger zu erwarten.

Erlauben wir uns einen Blick auf die Republi­kaner: Mehr als zwei Drittel ihrer Wähler glauben, dass Donald Trump, nicht Joe Biden die letzte Wahl gewonnen hat. Trump verhilft seinen Jüngern nun zu wichtigen Posten in den Bundes­staaten, in der Hoffnung, nach der kommenden Wahl von diesen Leuten als Wahlsieger bestätigt zu werden, auch wenn er die Wahl nicht gewonnen hat. Machen die Republi­kaner sich insgesamt dafür bereit, Amerika in eine Einpar­teien-Autokratie zu verwandeln?

Die Aktivistin und Autorin Astra Taylor hat ihr letztes Buch „Democracy May Not Exist, but We’ll Miss It When It’s Gone“ genannt – an diesen präzise-ambiva­lenten Titel muss ich oft denken, wenn ich das verfolge, was die Republi­kaner machen. Nach außen hin operieren sie ja weiterhin halbwegs im demokra­ti­schen Rahmen, nehmen an Wahlen teil und so weiter. Gleich­zeitig bekämpfen sie aber innerhalb des Systems immer direkter die Demokratie, höhlen sie aus, wo es ihnen möglich ist, etwa durch “Voter Suppression“ oder “Gerry­man­dering“ und andere Methoden. In einigen Südstaaten läuft es darauf hinaus, dass die Demokraten quasi gar nicht mehr gewinnen können. Die faschis­toiden Kräfte der Republi­kaner werden zudem auch in ihrer anti-demokra­ti­schen Rhetorik unver­hoh­lener. Promi­nente Figuren der Partei verbreiten die „Big Lie“, wie die Verschwörung genannt wird, wonach Trump 2020 die Wahl gestohlen worden sei. Um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Die Abgeordnete Mary Miller aus Illinois sprach nach der Entscheidung des Supreme Court, das Abtrei­bungs­recht zu kippen, von einem „histo­ri­schen Sieg für das weiße Leben“. Bei der Wahlver­an­staltung, bei der Miller diesen Satz sagte, stand sie übrigens neben Donald Trump auf der Bühne. Sie gehört also zu den vielen Republi­kanern, die ausdrücklich die Nähe des Ex-Präsi­denten suchen, sein Programm und seine Sprache übernehmen. Man merkt: Trump hat die Republi­kaner weiter im Griff. Allein schon dadurch, dass sich alle Politiker dieser Partei, ob sie nun konser­vativ oder rechts­extrem sind, irgendwie zu ihm verhalten müssen. Für oder gegen Trump ist die Gretchenfrage.

Die Harvard-Histo­ri­kerin Jill Lepore hat in ihrem Buch “The Case for the Nation” ausge­führt, dass es seit jeher zwei Amerikas gegeben habe. Das eine, das in Europa beliebtere und durch Personen wie Barack Obama oder Bill Clinton verkör­perte, weltoffene, kosmo­po­li­tische Amerika. Das andere ist jenes eines Donald Trump oder George W. Bush, die ja beide in Europa äußerst unbeliebt waren: Bei ihnen sind die USA ein weißes Land für weiße Siedler, eine christ­liche Nation, die sich vom Rest der Welt in „splendid isolation“ absondert. Spiegelt sich dieser Gegensatz im Aufbau des politi­schen Systems der Verei­nigten Staaten, hemmt er gar das richtige und gute Funktio­nieren der US-ameri­ka­ni­schen Demokratie?

Ich kann mit der Erzählung gutes Amerika gegen böses Amerika eher wenig anfangen. Da steckt zu viel Sunday-School-Moralismus drin. Erst recht nicht, wenn Leute wie Obama oder Clinton das gute Amerika verkörpern sollen, zwei Präsi­denten, die Mitver­ant­wortung dafür tragen, dass das Land in so desolatem Zustand ist. Schaut man sich beispiels­weise deren Immigra­ti­ons­po­litik im Detail an, muss man feststellen, dass es gar keine großen Unter­schiede zu den Republi­kanern gibt. Ein tödliches Grenz­regime beherr­schen beide Parteien – die einen verba­li­sieren es jedoch expli­ziter als die anderen. Dazu kommt: Wenn man bei der starren Idee vom guten (blauen) Amerika und bösen (roten) Amerika bleibt, ignoriert man auch die extremen Klassen­ge­gen­sätze, die die USA in den vergan­genen Jahrhun­derten geprägt haben. Ich halte es deshalb für wesentlich wichtiger, zu schauen, wer die Politik seit Gründung der Nation dominiert hat, nämlich weiße und reiche Menschen, und welche Bevöl­ke­rungs­gruppen seit jeher außen vor waren und unter­drückt wurden. In der Unabhän­gig­keits­er­klärung der USA, einem der Vorzei­ge­do­ku­mente der Aufklärung, werden Native Americans als „unbarm­herzige Wilde“ bezeichnet. Schwarze Menschen waren bis Mitte des 19. Jahrhun­derts Eigentum. Frauen dürfen erst seit rund 100 Jahren wählen. Was ich sagen will: Die USA waren schon immer ein Land der sehr bedingten Demokratie. Dieser Mangel bestätigt sich auch mit Blick auf die Insti­tu­tionen. Wie gerecht im Sinne der demokra­ti­schen Reprä­sen­tation ist es beispiels­weise, dass der Bundes­staat Kalifornien, wo 40 Millionen Menschen leben, genauso viele Senato­rinnen und Senatoren stellt wie Wyoming, obwohl dort nur eine halbe Million leben? Wie demokra­tisch ist es, dass die Richte­rinnen und Richter des Supreme Courts vom jewei­ligen Präsi­denten nominiert werden und damit auch politisch gefärbt sind, und dass diese neun Leute dann über so eine ungeheure Macht verfügen? Es sind nicht zuletzt solche Struk­turen, die es der Rechten relativ einfach machen.

Haben die Rechten in den vergan­genen Jahren denn ihre Strategie verändert?

Verändert haben sich unter anderem die Priori­täten des Patrio­tismus – und dadurch auch die Feind­bilder. Nach dem 11. September war für die meisten Rechten klar, dass der Feind von außen kommt, aus diesem Grund wurde die Wichtigkeit des Militärs so sehr betont. Mit den anschlie­ßenden Einsätzen in Afgha­nistan und im Irak sollte die Stärke der USA demons­triert werden, ein Projekt, das gnadenlos gescheitert ist und Hundert­tau­senden Menschen das Leben gekostet hat. Die USA haben im 21. Jahrhundert also spürbar an hegemo­nialer Macht eingebüßt und darauf mussten die Rechten irgendwie reagieren. Hört man Republi­kanern heute zu, geht es primär um die Stärke innerhalb des Landes. Deshalb spielt die Polizei eine zunehmend große Rolle. Der Journalist Daniel Denvir brachte es neulich auf den Punkt, als er in seinem Podcast sagte: „Aus Support the Troops wurde Back the Blue“. Unter anderem durch diese Verschiebung erklärt sich auch, warum Republi­kaner seit ein paar Jahren so obsessiv gegen alles, was irgendwie links ist, agitieren. Mal warnt Trump vor einer „sozia­lis­ti­schen Übernahme“, dann heißt es, „die Antifa“ und Black Lives Matter zersetzten das Land. Der Feind muss von innen kommen, da bietet sich die Linke an. Die hat sich zwar, wie ich in meinem Buch ausführe, auf sehr beein­dru­ckende Weise in den USA neu formiert. Der Wider­stand ist kreativ, radikal und an bestimmten Orten und in bestimmten Bereichen auch erfolg­reich. Von wirklicher Macht ist die Linke aller­dings weit entfernt.


Lukas Herms­meier, geboren 1988 in Berlin, lebt seit 2014 in New York und arbeitet dort als Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für Zeit Online, den Tages­spiegel und die taz über ameri­ka­nische Politik und Kultur. Für die New York Times und The Nation kommen­tiert er außerdem deutsche Politik. Im Februar 2022 erschien sein Buch „Uprising – Amerikas neue Linke“ im Klett-Cotta-Verlag.

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