USA – Konservative Restauration oder demokratische Renaissance?
In den USA hat sich die Linke neu formiert und damit Bewegung in den politischen Diskurs der Demokraten gebracht. Gleichzeitig aber agitieren Republikaner umso obsessiver gegen alles Linke, so Lukas Hermsmeier im Interview.
Das Interview führte Alexander Görlach für LibMod.
In Ihrem Buch “Uprising” beschreiben Sie die Entstehung einer neuen amerikanischen Linken, die die richtigen Themen anspricht und gut organisiert ist. Wer aber jetzt seinen Blick auf die USA richtet, der sieht ein Land in einer konservativen Restauration. Was ist denn nun richtig?
Beides ist richtig. Das macht die zurückliegende Dekade in den USA so außergewöhnlich und in gewisser Weise auch schwer zu greifen. Bemerkenswert ist, dass man in dieser Zeit eine Ermächtigung der Rechten beobachten konnte, die sich unter anderem in der Präsidentschaft Donald Trumps, der Radikalisierung der Republikaner, in faschistoiden Bewegungen wie der „Alt Right“ und „QAnon“ und auch in der Dominierung des Supreme Courts ausdrückt. Und gleichzeitig hat sich auf der anderen Seite des politischen Spektrums enorm viel geöffnet. Wir erleben eine Rehabilitierung des Sozialismus, mit Black Lives Matter eine neue anti-rassistische Kraft, dazu eine wachsende Klima-Bewegung, queer-feministische Impulse und zahlreiche visionäre Arbeitskämpfe, zum Beispiel bei Amazon und Starbucks. Mich interessiert vor allem diese Renaissance der US-Linken: Wie sie sich organisieren, für welche Utopien sie einstehen, woran sie noch scheitern. Wenn man dann der Frage nachgeht, wie es dazu kommen konnte, dass sich sowohl die Rechte als auch die Linke radikalisiert haben, landet man meines Erachtens nach schnell beim Versagen der politischen Mitte.
Ich teile ihre Faszination für diese neuen Bewegungen in den USA. Sie beschreiben in ihrem Buch auch, wo diese Initiativen punktuellen Erfolg haben und Politik beeinflussen können. Gleichzeitig stellt sich mir die Frage, ob diese neuen Impulse auch Wurzeln schlagen können in der Demokratischen Partei, die die natürliche, politische Heimat für diese Bewegungen ist. Die Führungsriege der Demokraten ist sehr alt, an dieser Stelle sind ja sogar die Republikaner demokratischer aufgestellt, weil sie Leitungsfunktionen in Kongress und Partei zeitlich begrenzen. Alexandria Ocasio-Cortez ist eine der wenigen, jungen und bekannten Gesichter der Partei, die Amazon und Co. die Stirn bieten. Ist sie die Ausnahme oder eine neue Regel?
Zunächst mal würde ich bezweifeln, dass die Demokratische Partei die „natürliche Heimat“ dieser Bewegungen ist. Die vergangenen Jahrzehnte zeigen eher das Gegenteil, leider, da wurden linke Kräfte von der Parteispitze oftmals bekämpft, beziehungsweise ignoriert, jedenfalls nicht mit Offenheit begleitet und unterstützt. Bernie Sanders – der ja Ausdruck einer Bewegung war – hatte es in den Vorwahlen 2016 und 2020 auch deshalb so schwer, weil sich das gesamte Establishment der Demokraten gegen ihn positionierte. Gerade weil die Demokraten unter dem Strich so statisch sind, haben sich viele linke Bewegungen und Organisationen im Antagonismus zur Politik dieser Partei entwickelt. Occupy wäre da ein bekanntes Beispiel.
Aber zu Ihrer Frage: Die angesprochene Alexandria Ocasio-Cortez ist immer noch die Ausnahme, sie ist eine von nur sehr wenigen wirklich linken Abgeordneten im Kongress. Umso erstaunlicher ist es aber, was diese kleine Gruppe, zu der auch Ilhan Omar und Cori Bush gehören, in den vergangenen Jahren erwirken konnte. Dass die Demokraten an manchen Punkten eben doch ihr Programm progressiver gestalten, zum Beispiel in der Klimapolitik, liegt unter anderem am wachsenden Einfluss der linken Fraktion. Wichtig ist es, in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass die einzelnen Politikerinnen und Politiker eben nicht allein agieren, sondern außerparlamentarische Organisationen und Bewegungen hinter sich haben. Der Druck der Masse ist der entscheidende Faktor.
Haben diese außerparlamentarischen Organisationen und Bewegungen auch ihren Anteil am Erfolg der “climate and spending bill” von Präsident Biden? Kommentatoren überschlagen sich geradezu vor Lob und preisen das Klima- und Sozialpaket als Befreiungsschlag für den Präsidenten, der ja in den Umfragen so unbeliebt ist wie kein anderer zu diesem Zeitpunkt in der ersten Amtszeit.
Auch hier muss man den Erfolg der Demokraten im größeren Kontext betrachten. Im Vergleich zu den ursprünglichen Klimazielen, die Biden im Wahlkampf formulierte, und vor allem im Vergleich zu dem, was wirklich notwendig wäre, um die diversen klima- und umweltbezogenen Krisen zu bewältigen, ist das jetzt präsentierte Paket nämlich äußerst bescheiden. Und trotzdem: Es ist ein Fortschritt. Endlich wird in erneuerbare Energien investiert, endlich wird Katastrophenprävention angegangen. Und dieser Fortschritt, so kompromissbehaftet er auch ist, wäre kaum möglich, wenn Gruppen wie Sunrise Movement und die gesamte Klima-Bewegung nicht gewaltigen Druck gemacht hätten. Der ganze Diskurs hat sich in den vergangenen Jahren sehr spürbar verändert.
Könnten Sie das korrekter fassen?
Die Ansprüche an die Politik sind gewachsen, mit dem Green New Deal wird eine gesamtheitliche, umfassende Klima-Vision diskutiert, punktuell sogar umgesetzt. Die Impulse dafür kamen in erster Linie von außerparlamentarischen Kräften. Ich halte es allein schon aus diesem Grund für wichtig, eigentlich für unabdingbar, dass wir Journalistinnen und Journalisten uns mit solchen sozialen Bewegungen intensiv auseinandersetzen. Denn oft wird das, was heute von der Politik als zu radikal diskreditiert wird, übermorgen von ihr umgesetzt. Zu Biden: Der ist nun wahrlich kein Klima-Vorkämpfer, das darf man nicht verklären. Aber im Sinne der Demokratie wäre es von Vorteil, wenn viele Wählerinnen und Wähler das neue Maßnahmenpaket als das wahrnehmen, was es ist, ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung – und bei den kommenden Midterms für die Demokraten und nicht die Republikaner stimmen. Denn es steht auch fest: Von den Republikanern ist beim Klimaschutz noch viel weniger zu erwarten.
Erlauben wir uns einen Blick auf die Republikaner: Mehr als zwei Drittel ihrer Wähler glauben, dass Donald Trump, nicht Joe Biden die letzte Wahl gewonnen hat. Trump verhilft seinen Jüngern nun zu wichtigen Posten in den Bundesstaaten, in der Hoffnung, nach der kommenden Wahl von diesen Leuten als Wahlsieger bestätigt zu werden, auch wenn er die Wahl nicht gewonnen hat. Machen die Republikaner sich insgesamt dafür bereit, Amerika in eine Einparteien-Autokratie zu verwandeln?
Die Aktivistin und Autorin Astra Taylor hat ihr letztes Buch „Democracy May Not Exist, but We’ll Miss It When It’s Gone“ genannt – an diesen präzise-ambivalenten Titel muss ich oft denken, wenn ich das verfolge, was die Republikaner machen. Nach außen hin operieren sie ja weiterhin halbwegs im demokratischen Rahmen, nehmen an Wahlen teil und so weiter. Gleichzeitig bekämpfen sie aber innerhalb des Systems immer direkter die Demokratie, höhlen sie aus, wo es ihnen möglich ist, etwa durch “Voter Suppression“ oder “Gerrymandering“ und andere Methoden. In einigen Südstaaten läuft es darauf hinaus, dass die Demokraten quasi gar nicht mehr gewinnen können. Die faschistoiden Kräfte der Republikaner werden zudem auch in ihrer anti-demokratischen Rhetorik unverhohlener. Prominente Figuren der Partei verbreiten die „Big Lie“, wie die Verschwörung genannt wird, wonach Trump 2020 die Wahl gestohlen worden sei. Um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Die Abgeordnete Mary Miller aus Illinois sprach nach der Entscheidung des Supreme Court, das Abtreibungsrecht zu kippen, von einem „historischen Sieg für das weiße Leben“. Bei der Wahlveranstaltung, bei der Miller diesen Satz sagte, stand sie übrigens neben Donald Trump auf der Bühne. Sie gehört also zu den vielen Republikanern, die ausdrücklich die Nähe des Ex-Präsidenten suchen, sein Programm und seine Sprache übernehmen. Man merkt: Trump hat die Republikaner weiter im Griff. Allein schon dadurch, dass sich alle Politiker dieser Partei, ob sie nun konservativ oder rechtsextrem sind, irgendwie zu ihm verhalten müssen. Für oder gegen Trump ist die Gretchenfrage.
Die Harvard-Historikerin Jill Lepore hat in ihrem Buch “The Case for the Nation” ausgeführt, dass es seit jeher zwei Amerikas gegeben habe. Das eine, das in Europa beliebtere und durch Personen wie Barack Obama oder Bill Clinton verkörperte, weltoffene, kosmopolitische Amerika. Das andere ist jenes eines Donald Trump oder George W. Bush, die ja beide in Europa äußerst unbeliebt waren: Bei ihnen sind die USA ein weißes Land für weiße Siedler, eine christliche Nation, die sich vom Rest der Welt in „splendid isolation“ absondert. Spiegelt sich dieser Gegensatz im Aufbau des politischen Systems der Vereinigten Staaten, hemmt er gar das richtige und gute Funktionieren der US-amerikanischen Demokratie?
Ich kann mit der Erzählung gutes Amerika gegen böses Amerika eher wenig anfangen. Da steckt zu viel Sunday-School-Moralismus drin. Erst recht nicht, wenn Leute wie Obama oder Clinton das gute Amerika verkörpern sollen, zwei Präsidenten, die Mitverantwortung dafür tragen, dass das Land in so desolatem Zustand ist. Schaut man sich beispielsweise deren Immigrationspolitik im Detail an, muss man feststellen, dass es gar keine großen Unterschiede zu den Republikanern gibt. Ein tödliches Grenzregime beherrschen beide Parteien – die einen verbalisieren es jedoch expliziter als die anderen. Dazu kommt: Wenn man bei der starren Idee vom guten (blauen) Amerika und bösen (roten) Amerika bleibt, ignoriert man auch die extremen Klassengegensätze, die die USA in den vergangenen Jahrhunderten geprägt haben. Ich halte es deshalb für wesentlich wichtiger, zu schauen, wer die Politik seit Gründung der Nation dominiert hat, nämlich weiße und reiche Menschen, und welche Bevölkerungsgruppen seit jeher außen vor waren und unterdrückt wurden. In der Unabhängigkeitserklärung der USA, einem der Vorzeigedokumente der Aufklärung, werden Native Americans als „unbarmherzige Wilde“ bezeichnet. Schwarze Menschen waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts Eigentum. Frauen dürfen erst seit rund 100 Jahren wählen. Was ich sagen will: Die USA waren schon immer ein Land der sehr bedingten Demokratie. Dieser Mangel bestätigt sich auch mit Blick auf die Institutionen. Wie gerecht im Sinne der demokratischen Repräsentation ist es beispielsweise, dass der Bundesstaat Kalifornien, wo 40 Millionen Menschen leben, genauso viele Senatorinnen und Senatoren stellt wie Wyoming, obwohl dort nur eine halbe Million leben? Wie demokratisch ist es, dass die Richterinnen und Richter des Supreme Courts vom jeweiligen Präsidenten nominiert werden und damit auch politisch gefärbt sind, und dass diese neun Leute dann über so eine ungeheure Macht verfügen? Es sind nicht zuletzt solche Strukturen, die es der Rechten relativ einfach machen.
Haben die Rechten in den vergangenen Jahren denn ihre Strategie verändert?
Verändert haben sich unter anderem die Prioritäten des Patriotismus – und dadurch auch die Feindbilder. Nach dem 11. September war für die meisten Rechten klar, dass der Feind von außen kommt, aus diesem Grund wurde die Wichtigkeit des Militärs so sehr betont. Mit den anschließenden Einsätzen in Afghanistan und im Irak sollte die Stärke der USA demonstriert werden, ein Projekt, das gnadenlos gescheitert ist und Hunderttausenden Menschen das Leben gekostet hat. Die USA haben im 21. Jahrhundert also spürbar an hegemonialer Macht eingebüßt und darauf mussten die Rechten irgendwie reagieren. Hört man Republikanern heute zu, geht es primär um die Stärke innerhalb des Landes. Deshalb spielt die Polizei eine zunehmend große Rolle. Der Journalist Daniel Denvir brachte es neulich auf den Punkt, als er in seinem Podcast sagte: „Aus Support the Troops wurde Back the Blue“. Unter anderem durch diese Verschiebung erklärt sich auch, warum Republikaner seit ein paar Jahren so obsessiv gegen alles, was irgendwie links ist, agitieren. Mal warnt Trump vor einer „sozialistischen Übernahme“, dann heißt es, „die Antifa“ und Black Lives Matter zersetzten das Land. Der Feind muss von innen kommen, da bietet sich die Linke an. Die hat sich zwar, wie ich in meinem Buch ausführe, auf sehr beeindruckende Weise in den USA neu formiert. Der Widerstand ist kreativ, radikal und an bestimmten Orten und in bestimmten Bereichen auch erfolgreich. Von wirklicher Macht ist die Linke allerdings weit entfernt.
Lukas Hermsmeier, geboren 1988 in Berlin, lebt seit 2014 in New York und arbeitet dort als Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für Zeit Online, den Tagesspiegel und die taz über amerikanische Politik und Kultur. Für die New York Times und The Nation kommentiert er außerdem deutsche Politik. Im Februar 2022 erschien sein Buch „Uprising – Amerikas neue Linke“ im Klett-Cotta-Verlag.
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