Histo­ri­sches Gedenken auf dem Weg der Versöhnung

By Edward N. Jackson (US Army Signal Corps) (U.S. Signal Corps photo) [Public domain], via Wikimedia Commons

100 Jahre Unab­hän­gig­keit Polens – eine gedenk­po­li­ti­sche Heraus­for­de­rung.

Die Geschichte sollte ein Tor in die Zukunft sein. Was wollen wir als Symbole für die Zukunft wählen…?
Jan Józef Lipski
(Zwei Vater­länder – zwei Patrio­tismen) – 1981 

Im November 2018 wird Polen – wie manch anderer Staat in Europa – den 100. Jahrestag seiner Unab­hän­gig­keit begehen. Im Gefolge des Ersten Welt­krieges errang Polen erstmals nach der 3. Teilung im Jahr 1795 wieder seine Staat­lich­keit zurück. Die kaiser­li­chen Teilungs­mächte Russland, das Habs­burger und das Deutsche Reich zerfielen, hatten verloren oder waren – wie das russische Reich – mitten im Bürger­krieg. Während des Welt­krieges hatten Polen jeweils in den Armeen dieser Teilungs­mächte gekämpft – gegen­ein­ander. Nun aber wurde Polen von den Sieger­mächten in Paris als neuer Natio­nal­staat anerkannt, wenn auch anfangs noch ohne Verfas­sung und klare Grenzen. Grund­le­gende Fragen waren zwischen den beiden führenden Persön­lich­keiten und den von ihnen geführten poli­ti­schen Kräften lange umstritten gewesen und blieben es lange. Roman Dmowski, Führer der natio­na­lis­ti­schen Rechten, der „Natio­nal­de­mo­kraten“ hatte sich gegen die Deutschen gestellt und war eher dem zaris­ti­schen Russland zugeneigt. Józef Pilsudski dagegen war Führer der Sozia­lis­ti­schen Partei gewesen, hatte seit 1910 para­mi­li­tä­ri­sche Orga­ni­sa­tionen aufgebaut, die den bewaff­neten Kampf gegen Russland vorbe­rei­teten und im Weltkrieg an der Seite der Habs­burger kämpften. Während Dmowski seit 1917 mit dem „Polni­schen Natio­nal­ko­mitee“ in Paris gegenüber den Alli­ierten die polnische Sache vertrat, kämpfte Pilsudski nach der Staats­grün­dung gegen die Nachbarn in verschie­denen krie­ge­ri­schen Konflikten um die polni­schen Grenzen – und schuf Tatsachen. So kamen Lemberg und Ostga­li­zien unter polnische Kontrolle, ebenso das Wilnaer Gebiet und schließ­lich blieb auch nach dem Konflikt mit der Tsche­cho­slo­wakei ein Teil des Teschener Gebiets bei Polen (der andere wurde dann 1938 besetzt, als die Tsche­cho­slo­wakei durch das Münchener Abkommen unter Druck gekommen war). Die wich­tigsten und schwie­rigsten Kämpfe aber wurden mit der Roten Armee ausge­tragen, die Polen in eine Sowjet­re­pu­blik verwan­deln wollte. In der Schlacht bei Warschau 1920 gelang es Pilsudski in heikler mili­tä­ri­scher Lage über­ra­schend, im „Wunder an der Weichsel“ die Rote Armee zu schlagen und die Bolsche­wiki damit weit nach Osten abzudrängen.

Mit dem „Frieden von Riga“ 1921 waren die Grenzen Polens dann im Wesent­li­chen abge­steckt. Die sieg­rei­chen Alli­ierten hatten die Grenzen Polens zu Deutsch­land bestimmt und Polen im soge­nannten Korridor einen Zugang zur Ostsee geschaffen. Zum Osten hin aber waren die Grenzen nicht wie im Westen in Paris von den Alli­ierten, sondern durch eigene mili­tä­ri­sche Kraft fest­ge­legt worden, was Józef Pilsudski zum mäch­tigsten Führer werden ließ und seinen Ruf als Staats­gründer bis heute ausmacht. Für den Westen aber hatte sich Polen als erfolg­rei­ches Bollwerk gegen die Bolsche­wiki und den Kommu­nismus erwiesen.

Polen war nun ein euro­päi­scher Natio­nal­staat und als parla­men­ta­ri­sche Demo­kratie gegründet. Doch waren von den 27 Mill. Einwoh­nern nur 19 Mill. Polen, die anderen waren Ukrainer, Bela­russen, Deutsche, Litauer und Tschechen – dazu kamen etwa 3 Mill. Juden. Während letztere dem polni­schen Staat gegenüber in hohem Maße loyal waren, kann man dies von den anderen Minder­heiten nicht behaupten, da sie sich den jewei­ligen Nachbarn, ihren „Mutter­län­dern“ besonders verbunden fühlten. Das erschwerte die innen­po­li­ti­sche und gesell­schaft­liche Situation des jungen Staates, zumal die poli­ti­sche Stimmung in den benach­barten Staaten wie Deutsch­land auch nicht gerade stabil war. Die Nach­kriegs­ord­nung war hier schwer umstritten, der Versailler Vertrag wurde weithin abgelehnt und das „Heimholen verlo­rener Volks­gruppen und Gebiete“ gehörte zur poli­ti­schen Ziel­stel­lung wichtiger gesell­schaft­li­cher Gruppen und Parteien.

Das Ende des Ersten Welt­krieges führte nicht nur zum Wieder­erstehen Polens, sondern zur Gründung einer ganzen Reihe neuer Natio­nal­staaten. Die von den euro­päi­schen Fürs­ten­ge­schlech­tern geführten Reiche brachen zusammen, dazu das Osma­ni­sche Reich – und aus ihrer Verfü­gungs­masse entstanden mehr als zehn neue Natio­nal­staaten, die meisten von ihnen als parla­men­ta­ri­sche Demo­kra­tien. Europa erhielt ein neues Gesicht und musste sich neu (er)finden.

Im Jahr 1917 waren die USA in den Weltkrieg einge­treten und Präsident Wilson hatte Demo­kratie und Selbst­be­stim­mung für Europa als Kriegs­ziele benannt. Mit der soge­nannten Okto­ber­re­vo­lu­tion in Russland und der Macht­über­nahme der Bolsche­wiki war die erste tota­li­täre Diktatur des Kommu­nismus errichtet worden – mit dem Willen, sich auf ganz Europa auszu­breiten. Europa steht nunmehr seit einhun­dert Jahren vor diesen Alter­na­tiven: Demo­kratie oder tota­li­täre Diktatur. Letztere zeigte sich als Kommu­nismus, wenig später auf der anderen Seite des poli­ti­schen Spektrums in Italien als Faschismus, dann in Deutsch­land als Natio­nal­so­zia­lismus. In den meisten euro­päi­schen Ländern gab es gesell­schaft­liche Gruppen, die sich diesen verbunden fühlten. Die kommu­nis­ti­schen Parteien den Bolsche­wiki, doch war ein radikaler und oft anti­se­mi­ti­scher Natio­na­lismus, der sich gegen Minder­heiten und alles Fremde wandte, ebenfalls weit verbreitet.

In Paris waren die sieg­rei­chen West­mächte seit dem Kriegs­ende dabei, ihre Ordnungs­vor­stel­lungen unter­ein­ander auszu­han­deln und in den verschie­denen „Pariser Vorort­ver­trägen“ umzu­setzen. Polen hatte unter ihnen einen guten Stand – es gab vonseiten der Alli­ierten schon länger die Zusage, Polen wieder­erstehen zu lassen und ihm Zugang zur Ostsee zu verschaffen. Die früheren Teilungs­mächte saßen nicht mit am Tisch, die Hohen­zol­lern und die Habs­burger hatten den Krieg verloren und abgedankt, ebenso wie der Zar kurz zuvor. Russland hatte zwar zu den Alli­ierten gehört, wurde aber nun von den Bolsche­wiki regiert und deshalb nicht nach Paris einge­laden. Polen wurde gewis­ser­maßen zum Cordon Sanitaire gegenüber dem kommu­nis­ti­schen Russland, wofür es spätes­tens nach der sieg­rei­chen Schlacht vor Warschau geschätzt wurde. Selbst da, wo man die Bevöl­ke­rung abstimmen ließ wie im Falle Ober­schle­siens, folgte man entgegen der eigenen Erklärung nicht dem Ergebnis der Abstim­mung, sondern dem polni­schen Interesse an dieser wichtigen Indus­trie­re­gion. Solche Entschei­dungen wurden von vielen in ganz Europa nicht unbedingt als gerecht empfunden, galten aber faktisch. Polen und Rumänien, aber auch die Tsche­cho­slo­wakei konnten sich als Gewinner verstehen. Deutsch­land verlor dagegen nicht nur Elsass-Loth­ringen und die Polen zuge­spro­chenen Gebiete sowie die Kolonien, was wohl weit­ge­hende Akzeptanz gefunden hätte, ihm wurde auch die volle Kriegs­schuld ange­lastet, was als unzu­tref­fend angesehen wurde und zu viel Verbit­te­rung führte. Noch schwerer traf es den unga­ri­schen Staat. Er verlor etwa zwei Drittel seines Terri­to­riums und mehr als 70% seiner Bevöl­ke­rung, schrumpfte also auf ein Drittel des unga­ri­schen Teils der Doppel­mon­ar­chie. Die Nach­bar­länder bekamen auch solche Terri­to­rien zuge­spro­chen, in denen Ungarn die Mehrheit bildeten.

Insbe­son­dere Präsident Wilson sah es als seine Berufung an, dass in den Nach­kriegs­staaten Europas und bei den neuen Staats­grün­dungen Demo­kra­tien entstehen. Er war eine wichtige, ja, die treibende Kraft, die zu Kriegs­ende für das Abdanken der alten Monar­chien eintrat. In den neu geschaf­fenen Natio­nal­staaten über­nahmen – meist nach heftigen inneren Kämpfen – neue demo­kra­ti­sche Kräfte die Regie­rungs­ge­walt, zumeist solche, die vielfach schon gegen die mili­tanten monar­chi­schen Mächte für den Frieden einge­treten waren, wie in Deutsch­land die Sozi­al­de­mo­kraten. Es wurde zu einer großen Belastung für die künftige Entwick­lung, dass auch diese, nach Wahlen von Demo­kraten geführten Regie­rungen von den sieg­rei­chen Alli­ierten nicht nach Paris zu den Frie­dens­ver­hand­lungen einge­laden wurden. Man legte auch ihnen alter­na­tiv­lose Frie­dens­ver­träge vor, als wären sie die Verant­wort­li­chen für Krieg und Krieg­füh­rung gewesen.

Nicht nur von Deutsch­land muss wohl gesagt werden, dass dieses Verhalten der Sieger­mächte auch seinen Teil dazu beigetragen hat, die junge Demo­kratie zu schwächen. Die Parteien, welche in Deutsch­land die Weimarer Republik trugen, standen in den Jahren nach dem Krieg von beiden Seiten stark unter Druck. Einer­seits wurden sie von natio­na­lis­ti­schen und reak­tio­nären Kräften bekämpft, die nach der Nieder­lage im Weltkrieg nach Revanche riefen und die Verluste rück­gängig machen wollten. Die Feinde der Demo­kratie kamen ande­rer­seits von links, von der zu Kriegs­ende neu gegrün­deten Kommu­nis­ti­schen Partei, welche die parla­men­ta­ri­sche Demo­kratie über­winden wollte und eine Revo­lu­tion nach dem Muster der Bolsche­wiki anstrebte – aus der Ferne auch von diesen unter­stützt. Doch nicht nur diese – im Laufe der Jahre erstar­kenden – Extreme standen der Demo­kratie feindlich gegenüber. Ein hoher Anteil der Bevöl­ke­rung machte nicht etwa die mili­ta­ris­ti­schen Kräfte um Hinden­burg und Luden­dorff für die Misere der Nach­kriegs­zeit verant­wort­lich, sondern die neuen demo­kra­ti­schen Kräfte, welche nun an der Spitze der Weimarer Republik standen. Natürlich waren es sehr verschie­dene Faktoren, die den Aufstieg Hitlers und seiner Partei begüns­tigten, nicht zuletzt die Welt­wirt­schafts­krise und ihre harten sozialen Folgen. Aber: ob es Hitler im Laufe der Jahre auch ohne die demü­ti­genden Rege­lungen des Versailler Vertrages gelungen wäre, solche Zustim­mung unter den Deutschen aller gesell­schaft­li­chen Schichten zu finden, wie es ihm schließ­lich gelang, sei dahingestellt.

Es kann hier nicht die Aufgabe sein, die poli­ti­schen Entwick­lungen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im Einzelnen nach­zu­zeichnen. Am Schluss dieses Artikels komme ich gleich­wohl noch einmal auf die Heraus­for­de­rung zurück, welche mit dem Gedenken an das Ende des Ersten Welt­krieges nicht nur für Polen, sondern für Europa (und darüber hinaus) verbunden ist.

Auf zwei Dimen­sionen aber möchte ich hier doch aufmerksam machen:

  1. In West­eu­ropa, insbe­son­dere in Frank­reich und Groß­bri­tan­nien, ist die Erin­ne­rung an den Ersten Weltkrieg sehr viel stärker in der Öffent­lich­keit verankert, als dies in Deutsch­land der Fall ist. Diese ist jedoch jeweils sehr national geprägt und hat diesen Krieg als Weltkrieg nicht wirklich im Blick. Der Krieg östlich Deutsch­lands, der eben kein Stel­lungs­krieg war, sondern sich im Hin und Her des Kriegs­glücks über einen weiten Raum erstreckte und nicht weniger Opfer forderte als im Westen, ist nicht wirklich im öffent­li­chen Bewusst­sein verankert. Während im Westen (außer Irland) mit dem Waffen­still­stand am 11. November 1918 der Krieg auch faktisch zu Ende war, war dies im Osten mitnichten der Fall. Hier ging die Gewalt­orgie in zwischen­staat­li­chen Konflikten, aber mehr noch in Bürger­kriegen und Revo­lu­tionen weiter und kostete in den darauf­fol­genden fünf Jahren noch Millionen Tote. Gleich­zeitig ist die Erin­ne­rung an die Toten des Welt­kriegs ebenso wie vielfach auch an die der Bürger­kriege im Osten Europas auch in diesen Ländern selbst weit­ge­hend verlo­ren­ge­gangen. In kommu­nis­ti­scher Geschichts­deu­tung galt der Erste Weltkrieg als impe­ria­lis­ti­scher Krieg, der den Boden bereitet hat für die Okto­ber­re­vo­lu­tion. In Polen hat dieser Krieg gewis­ser­maßen ein positives Image, er gilt als die Ermög­li­chung der Wieder­ge­burt als Staat. Die in den drei feind­li­chen Armeen kämp­fenden und gefal­lenen Polen fanden keinen Eingang in ein öffent­li­ches Gedenken. Einzig da, wo die Kämpfe als Abwehr gegen die Bolsche­wiki und als Kampf für die eigene Unab­hän­gig­keit angesehen werden konnten – wie bei der Schlacht an der Weichsel oder für die Ukraine bei den Kämpfen um Kiew, wird heute, nach 1990, eine neues natio­nales Gedenken etabliert.
  2. Nicht nur Deutsch­land wurde 1918 mit der Weimarer Republik zu einer parla­men­ta­ri­schen Demo­kratie, auch Polen und die meisten anderen neu gegrün­deten Staaten begannen ihre Unab­hän­gig­keit als Demo­kra­tien. Doch währten diese nicht lange. Die Tsche­cho­slo­wakei war schließ­lich (neben Finnland im Norden) in den 30er Jahren im Zentrum Europas zu einer demo­kra­ti­schen Insel geworden. Wie andere wurde auch Polen zu einem semi-autoritär geführten Staat. Diese Entwick­lung im euro­päi­schen Vergleich genauer zu betrachten und nach den Ursachen und tieferen Zusam­men­hängen zu fragen, erscheint mir wichtig und lehrreich. Dies gilt in beson­derem Maße ange­sichts des Akzep­tanz­ver­lustes der Demo­kratie, wie wir es heute in Europa wieder erleben, sowohl in älteren wie auch jüngeren Demokratien.

Besonders verhee­rende Folgen für ganz Europa hatte das Scheitern der Demo­kratie in Deutsch­land und die Macht­über­nahme durch Adolf Hitler. Die Ideologie des Natio­nal­so­zia­lismus war eben nicht nur ein über­stei­gerter Natio­na­lismus, sondern bestimmt durch einen aggres­siven Rassismus, Anti­se­mi­tismus und die grund­le­gende Bestrei­tung aller durch Chris­tentum, römisches Recht und Aufklä­rung geprägten euro­päi­schen Werte. Der vom natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land entfes­selte Zweite Weltkrieg wurde als „barba­ri­scher Zivi­li­sa­ti­ons­bruch“ (Ernst Nolte) zur euro­päi­schen Kata­strophe des 20. Jahr­hun­derts. Er begann nach dem Hitler-Stalin-Pakt mit dem deutschen Überfall auf Polen, getragen von dem Plan, im Osten Lebens­raum für Deutsche zu schaffen, große Teile der dortigen Bevöl­ke­rung und insbe­son­dere deren Eliten auszu­rotten und die Über­le­benden zu versklaven. Schon kurz nach seiner Macht­über­nahme 1933 hatte Hitler der Führung der Reichs­wehr, die ab 1935 in Wehrmacht umbenannt wurde, seine Zukunfts­pläne vorge­tragen: „Eroberung neuen Lebens­raumes im Osten und dessen rück­sichts­lose Germa­ni­sie­rung“. Polen wurde das erste Opfer eines gnaden­losen Vernich­tungs­krieges, durch Krieg und brutale Besatzung verlor es 15 % seiner Bevöl­ke­rung und wurde zudem Schau­platz der indus­tri­ellen Vernich­tung der euro­päi­schen Juden in Auschwitz, Treblinka und Majdanek.

Stalin und Hitler hatten sich 1939 durch ihren Pakt Zeit verschafft zur Verfol­gung ihrer jewei­ligen Inter­essen. Die Rote Armee rückte am 17. September 1939 von Osten her in Polen ein. Polen verschwand damit wieder durch die Teilung seiner mächtigen Nachbarn im Westen und Osten von der Landkarte. Fast 40 000 polnische Soldaten wurden in sowje­ti­sche Lager depor­tiert, mehr als 22 000 Offiziere wurden dann umge­bracht, 4400 von ihnen in Katyn bei Smolensk, das zum Symbol für diesen zynischen Massen­mord wurde.

Die polnische Regierung ging zunächst nach Paris, dann nach London ins Exil, im Land selbst kämpften Polen in der „Heimat­armee“ (Armia Krajova) für die Befreiung ihres Landes. Dieser Kampf kulmi­nierte im Warschauer Aufstand im August 1944. Da Stalin nicht wollte, dass Polen sich selbst befreite, ließ er die Rote Armee, die schon am Ostufer der Weichsel stand, ausharren, bis die Deutschen den Aufstand nieder­ge­worfen und Warschau dem Erdboden gleich­ge­macht hatten.

Nach dem Bruch des Paktes durch Hitler und dem Überfall auf die Sowjet­union hatte Stalin die polni­schen Soldaten und Offiziere aus den Lagern entlassen. Die befreiten polni­schen Kriegs­ge­fan­genen wurden in die nach General Anders benannte Armee rekru­tiert. Als man sich mit Stalin nicht einigen konnte, zog diese über Persien und Palästina nach Westen und schloss sich der Briti­schen Armee an. In der Schlacht von Monte Casino spielten die polni­schen Kämpfer dann eine wichtige Rolle bei der Eroberung des Klos­ter­berges, was für die polnische Erin­ne­rungs­kultur bis heute eine zentrale Bedeutung hat. Bei der Landung der west­li­chen Alli­ierten in der Normandie im Juni 1944 waren Polen die viert­größten Trup­pen­steller. Polen kämpften aber auch an der Seite der Roten Armee als polnische Divi­sionen und im Unter­grund (Armia Ludowa). So waren polnische Soldaten auch an der Befreiung des KZ Sach­sen­hausen beteiligt. Noch Anfang der 90er Jahre erzählte mir der Schrift­steller Andrzej Szczy­pi­orski, dass er als junger Mann und Häftling dort von polni­schen Soldaten befreit wurde.

Deshalb muss fest­ge­halten werden, was in Deutsch­land oft nicht bewusst ist: Polen gehörte als Teil der (verschie­denen!) alli­ierten Streit­kräfte faktisch mit zu den Nationen, die Deutsch­land vom Natio­nal­so­zia­lismus befreiten. Genau dies aber anzu­er­kennen wollte Stalin verhin­dern. Polen geriet nach dem Krieg und der deutschen Teilung gemeinsam mit dem östlichen Teil Deutsch­lands, der Sowje­ti­schen Besat­zungs­zone und späteren DDR, in den sowje­tisch domi­nierten Herr­schafts­be­reich Europas – und wurde zur Volksrepublik.

Das Terri­to­rium Polens aber wurde nach Westen verschoben. Stalin wollte den im Hitler-Stalin-Pakt erwor­benen Gebiets­ge­winn nicht verlieren, Polen wurde dafür mit den deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße entschä­digt. Die Folge waren viel­fäl­tige Vertrei­bungen von Millionen von Menschen, zum einen die der großen Mehrheit der Deutschen aus den verlo­renen deutschen Gebieten, aber auch der Polen aus den nun sowje­ti­schen in Belarus und der Ukraine.

Die gerade gegrün­dete DDR erkannte 1950 im Görlitzer Vertrag die neue polnische West­grenze an. Als Satel­li­ten­staaten der Sowjet­union waren die Volks­re­pu­blik Polen und die DDR plötzlich formelle Bruder­staaten. In der DDR regierten deutsche Kommu­nisten, die im Wider­stand gegen Hitler gewesen waren. So weigerte sich die DDR-Führung, irgend­eine Verant­wor­tung für die Verbre­chen des Natio­nal­so­zia­lismus zu über­nehmen, man verstand sich ja als anti­fa­schis­ti­scher Staat. Das Verhältnis zwischen beiden sozia­lis­ti­schen Staaten wurde schlicht auf Freund­schafts­status umge­schaltet. Eine gesell­schaft­liche Aufar­bei­tung des Natio­nal­so­zia­lismus gab es in der DDR nicht. Nur in den Kirchen fand eine solche kritische Ausein­an­der­set­zung mit der eigenen Geschichte statt, viel später auch innerhalb der Oppo­si­tion in der DDR.

Im Westen Deutsch­lands brauchte es lange, bis die Öffent­lich­keit sich offen mit der eigenen Schuld und Verant­wor­tung befasste. Als die Evan­ge­li­schen Kirchen sich im Oktober 1945 im soge­nannten „Stutt­garter Schuld­be­kenntnis“ zu Schuld und Versagen bekannten, wurde ihnen von vielen Seiten Vater­lands­verrat vorge­worfen. Die Nürn­berger Prozesse, in welchen die Alli­ierten wichtige NS-Verbre­cher vor Gericht stellten und verur­teilten, wurden von der Mehrheit der Deutschen als Sieger­justiz verun­glimpft. Die Regierung Adenauer entließ viele der verur­teilten Nazis aus den Gefäng­nissen und die meisten fanden sogar wieder zurück in deutsche Verwal­tungen und Behörden. Es war ein weiter Weg, von mutigen Einzelnen und kleinen Minder­heiten in der Gesell­schaft voran­ge­trieben, bis eine gesell­schaft­liche Aufar­bei­tung der deutschen Verbre­chen und der eigenen Schuld begann. Knapp zwei Jahr­zehnte brauchte es, bis gegen viel Wider­stand in der Bundes­re­pu­blik der erste Ausch­witz­pro­zess stattfand.

Von großer Bedeutung war dann die soge­nannte Ostdenk­schrift der Evan­ge­li­schen Kirchen im Oktober 1965, welche für eine Aner­ken­nung der Oder-Neiße-Grenze warb. Ihr wurde vonseiten der Bundes­re­gie­rung wie der Vertrie­be­nen­ver­bände mit Stürmen der Entrüs­tung begegnet. Auch durch diese Denk­schrift ermutigt, veröf­fent­lichten wenige Wochen später die polni­schen Bischöfe einen Brief an ihre deutschen Amts­kol­legen, mit dem sie diese zur 1000-Jahrfeier der Kirche nach Polen einluden. Dieser Brief gipfelte in dem Satz: „Wir vergeben und bitten um Vergebung!“ Auch diese Geste führte zu heftigen Anfein­dungen der polni­schen Regierung und manchem Unver­ständnis in der Gesell­schaft. Beide Initia­tiven aber wurden zum Ausgangs­punkt eines Versöh­nungs­pro­zesses zwischen Polen und Deutsch­land, der seines­glei­chen sucht. Wichtig war an ihnen, dass sie öffent­liche Prozesse in Gang setzen, aber nicht von den Regie­rungen getragen waren. So gelang es, dass nicht zuerst die kommu­nis­ti­sche Regierung Polens im Focus stand, sondern die polnische Gesell­schaft – die Menschen, die unend­liche, von Deutschen begangene Grauen zu verar­beiten hatten.

Die 1969 gewählte sozi­al­li­be­rale Bundes­re­gie­rung Willy Brandts wollte „mehr Demo­kratie wagen“ und die Bezie­hungen zu den östlichen Nachbarn neu gestalten. „Wandel durch Annä­he­rung“ war die neue Formel der Ostpo­litik, zu der auch der Vertrag mit Polen vom Dezember 1970 gehörte. Am Tag der Unter­zeich­nung dieses Vertrages kniete Willy Brandt vor dem Ghetto-Denkmal in Warschau. Mit diesem Kniefall erreichte der vorher gesell­schaft­lich begonnene Versöh­nungs­pro­zess auch das Regie­rungs­han­deln. Im Laufe der Jahre verbes­serten sich die staat­li­chen Bezie­hungen, sie verloren ihre trau­ma­ti­schen Span­nungen und begannen sich – nicht zuletzt wirt­schaft­lich – zu norma­li­sieren. Durch Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung konnten viele Deutsche aus Polen in die Bundes­re­pu­blik kommen.

Als 1980 die Gewerk­schaft „Soli­dar­nosc“ gegründet und anerkannt wurde, war nicht nur die kleine Oppo­si­tion in der DDR begeis­tert. Eine Welle der Sympathie ging durch beide deutschen Gesell­schaften. Die SED reagierte daraufhin mit dem Schließen der Grenzen für DDR-Bürger. Der Bazillus der Soli­dar­nosc sollte nicht in die DDR über­springen. In der Bundes­re­pu­blik begann eine breite Soli­da­ri­sie­rung, die mit dem Kriegs­recht in Polen noch zunahm. Millionen von Päckchen und Paketen aus Deutsch­land erreichten die Menschen in Polen – und ihre Herzen. So begann sich auch in der polni­schen Gesell­schaft allmäh­lich das Bild von Deutsch­land zu ändern. Die Bundes­re­pu­blik wurde nach dem Kriegs­recht Zufluchts­land für viele, die der Verfol­gung entgehen – oder schlichtweg im Exil in Freiheit leben wollten.

Mit dem Runden Tisch in Polen, der ersten (halb-)freien Wahl im Juni 1989 und schließ­lich mit dem ersten nicht­kom­mu­nis­ti­schen Minis­ter­prä­si­denten Tadeusz Mazowiecki begann eine Revo­lu­tion in Mittel­eu­ropa, mit der innerhalb weniger Monate in Polen, Ungarn, der DDR und der Tsche­cho­slo­wakei Freiheit und Demo­kratie den Sieg errangen und das kommu­nis­ti­sche Regime gestürzt wurde. Im Zuge der Fried­li­chen Revo­lu­tion in der DDR fiel am 9. November 1989 die Mauer. Dieses Ereignis wurde zum welt­weiten Symbol für den gemein­samen Sieg und mit ihm schließ­lich das Ende des Kalten Krieges.

Für Deutsch­land endete dieser Sieg der Freiheit in der deutschen Einheit. Dass wir Deutschen 45 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in welchem wir so viel Schrecken über ganz Europa und eben insbe­son­dere auch nach Polen gebracht haben, dass wir nach Jahr­zehnten der Teilung im Kalten Krieg nun wieder vereint und zugleich in Freund­schaft verbunden mit allen Nachbarn sein konnten – das war die Glücks­stunde der Deutschen im 20. Jahr­hun­dert. Die Aussöh­nung mit den östlichen Nachbarn voll­endete, was im Westen mit der deutsch-fran­zö­si­schen Annä­he­rung und der Gründung der Euro­päi­schen Gemein­schaft begonnen wurde.

Wichtig war auf dem Weg zur Einheit die nun endgül­tige völker­recht­liche Aner­ken­nung der polni­schen West­grenze an Oder und Neiße. Diese eröffnete dann gemeinsam mit dem Nach­bar­schafts­ver­trag eine bis heute währende Erfolgs­ge­schichte. Das geeinte Deutsch­land wurde für Polen und die anderen neuen Demo­kra­tien zum Anwalt ihrer Inte­gra­tion in die Nato und die Euro­päi­sche Union. Polen wurde nun zu einem aner­kannten Partner und aktiven Mitge­stalter euro­päi­scher Politik. Mit Donald Tusk ist ein Pole Präsident des Euro­päi­schen Rates und hat damit eines der wich­tigsten in Europa zu verge­benden Ämter inne.

Auch die Fragen der Belas­tungen durch die Vergan­gen­heit des letzten, für das deutsch-polnische Verhältnis so schwie­rigen Jahr­hun­derts, schienen immer mehr in den Hinter­grund zu treten. Zwei besondere Muse­ums­pro­jekte sollten das doku­men­tieren: das polnische Museum des Zweiten Welt­kriegs in Danzig und das Museum der Stiftung „Flucht – Vertrei­bung – Versöh­nung“ in Berlin.

Die Konzep­tion des Danziger Museums hatte den Anspruch, den Zweiten Weltkrieg in seinen viel­fäl­tigen Facetten tatsäch­lich als Weltkrieg darzu­stellen und verschie­denen Perspek­tiven Raum zu geben. Deshalb wurden nicht nur polnische, sondern Histo­riker aus anderen Ländern an der Arbeit beteiligt. Im Frühjahr 2017 wurde es eröffnet – doch steht es nun seitens der PIS-Regierung in der Kritik, den polni­schen Heroismus nicht genügend zu betonen. Die Planung der Regierung sieht vor, es mit dem in Gründung befind­li­chen Museum der Western­platte zusam­men­zu­legen. Welches Narrativ hier künftig erzählt werden soll, scheint offen.

Das Museum zur Stiftung „Flucht-Vertrei­bung-Versöh­nung“ war in Deutsch­land selbst lange umstritten. Immer wieder hat es von sich reden gemacht, weil der Versuch gemacht wurde oder teilweise gelang, dass die Perspek­tive des Bundes der Vertrie­benen (BdV) die prägende sein sollte. Dem stellte sich die wissen­schaft­liche Bera­ter­gruppe entgegen. Ob diese Turbu­lenzen der Vergan­gen­heit angehören, ist offen. Sollte es gelingen, die Entschei­dungs­pro­zesse trans­pa­rent zu gestalten, weiterhin die inter­na­tio­nale Histo­ri­ker­zunft zu betei­ligen und die poli­ti­schen Einflüsse des BdV zurück­zu­drängen, könnte es zu einem beispiel­haften Ergebnis kommen.

So belegen die beiden Muse­ums­pro­jekte einer­seits die Bedeutung der Geschichte für das Selbst­ver­ständnis beider Nationen, das insbe­son­dere in Polen noch viel gesell­schaft­li­chen Konflikt­stoff bietet, wie auch für das bila­te­rale Verhältnis zwischen Deutsch­land und Polen. Hier ist Offenheit und Sensi­bi­lität notwendig, um aus der immer noch vorhan­denen Fragi­lität nicht Konflikte werden zu lassen. Gerade deshalb aber ist es wichtig, Räume des Dialogs und der Diskus­sion zu schaffen, in denen die verschie­denen Perspek­tiven und konflikt­rei­chen Fragen zur Sprache gebracht werden können.

Dies kann auch bilateral geschehen, ist aber möglichst multi­la­teral zu gestalten, denn die meisten histo­ri­schen Fragen betreffen nicht nur Deutsch­land und Polen. In Brüssel ist gerade im Frühjahr 2017 das „Haus der Euro­päi­schen Geschichte“ eröffnet worden. Der wissen­schaft­liche Beirat wurde von Włod­zi­mierz Borodziej geleitet, einem aner­kannten polni­schen Histo­riker. Es wird spannend sein, welche Diskurse sich aus der dort vorge­legten Konzep­tion ergeben.

Es ist gut, dass seit dem Beitritt der neuen Mitglied­staaten in der Euro­päi­schen Union das Euro­päi­sche Parlament ein offener Ort des Diskurses zu einer euro­päi­schen Erin­ne­rungs­kultur geworden ist. Es ist nicht zu erwarten, dass demnächst alle Europäer ein gemein­sames Bild unserer Geschichte teilen, doch es ist wichtig, die verschie­denen Perspek­tiven überhaupt erst einmal kennen­zu­lernen und mitein­ander ins Gespräch zu bringen.

Dies ist nun auch eine Heraus­for­de­rung an das Gedenken der 100-Jahres­tage in den Jahren 2018/​2019. Natürlich werden Polen und die anderen am Ende des Ersten Welt­krieges entstan­denen Natio­nal­staaten ihre Unab­hän­gig­keit und Staats­grün­dung feierlich begehen. Es wird jedoch darauf ankommen, dass im Zuge dieser Feier­lich­keiten nicht eine neue Welle des Natio­na­lismus durch Europa geht. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass auch die multi­la­te­ralen Themen, die mit diesem Jahrestag verbunden sind, nicht aus dem Blick geraten und durch die inter­na­tio­nale Staa­ten­ge­mein­schaft ange­mes­sene Aufmerk­sam­keit erfahren.

Hier seien einige Gesichts­punkte genannt, die mir in diesem Zusam­men­hang von Bedeutung zu sein scheinen:

+ Mit dem Kriegs­ein­tritt der USA und ihrer Begrün­dung in den 14 Punkten von Präsident Wilson standen die Heraus­for­de­rungen von Demo­kratie und Selbst­be­stim­mung auf der euro­päi­schen Tages­ord­nung, mit der „Okto­ber­re­vo­lu­tion“ von 1917 die Alter­na­tive von Demo­kratie und tota­li­tärem Kommu­nismus. Sie bestimmte das ganze vergan­gene Jahr­hun­dert. Die bleibende Aktua­lität dieser Fragen auch nach 1989 ist offensichtlich.

+ Mit dem Ende des 1. Welt­krieges bilden sich durch den Zerfall der monar­chi­schen Reiche (des Zaris­ti­schen Russland, des Osma­ni­schen, des Deutschen Reiches der Hohen­zol­lern und des Habs­bur­gi­schen Reiches) eine ganze Reihe von euro­päi­schen Staaten (neu), die meisten von ihnen als Demo­kra­tien. In Deutsch­land entsteht nicht zuletzt durch das entschlos­sene Handeln der Sozi­al­de­mo­kraten die erste deutsche Demo­kratie – die Weimarer Republik. 15 Jahre später ist von diesen Demo­kra­tien nicht mehr viel übrig, die meisten Staaten werden autoritär regiert. Gibt es Gründe für diese Entwick­lung, die auch heute noch eine Bedeutung haben?

+ Unmit­telbar nach dem Ende der Monarchie in Deutsch­land und dem Waffen­still­stand erklärt der Rat der Volks­be­auf­tragten in einem Aufruf an das deutsche Volk am 12. November 1918 das allge­meine und gleiche Frau­en­wahl­recht. Marie Juchacz erklärt als erste Frau in einem deutschen Parlament in der Weimarer Natio­nal­ver­samm­lung am 19. Februar 1919: “Ich möchte hier fest­stellen.., dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem alther­ge­brachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbst­ver­ständ­lich­keit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorent­halten worden ist.“ Während dies Recht vorher nur sehr verein­zelt galt (in Finnland, Norwegen und Dänemark), tritt es nun seinen Siegeszug in Europa an. Dass sich die Frage der Gleich­be­rech­ti­gung der Frauen nach 100 Jahren schon erledigt hätte, kann gleich­wohl kaum behauptet werden.

+ Obwohl es völlig falsch wäre, die USA allein als Ursache für das Entstehen der euro­päi­schen Demo­kra­tien 1918 anzusehen, wird ihr Einfluss nicht zu bestreiten sein. Dann jedoch setzt sich in den USA der Isola­tio­nismus durch und sie ziehen sich aus Europa wieder zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie gelernt, sie bleiben eine gestal­tende Macht in Europa. So werden die USA zum Garanten der Demo­kratie im Nach­kriegs­eu­ropa, sie unter­stützen auch die Bildung der Euro­päi­schen Gemein­schaften, die Inte­gra­tion der (zunächst west-) euro­päi­schen Staaten. Die trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen sind somit seit dem Ende des Ersten Welt­krieges ein Jahr­hun­dert­thema, dessen Aktua­lität mit der Wahl von Präsident Trump noch einmal vor aller Augen geführt wird.

+ Nach den – für alle teil­neh­menden Nationen erschüt­ternden – Erfah­rungen des Ersten Welt­kriegs wird durch die Initia­tive der Ameri­kaner der Völker­bund gegründet. Er soll als inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tion das Völker­recht stärken und umsetzen helfen. Die Ameri­kaner werden schließ­lich nicht einmal Mitglied und er scheitert. Der Neuanfang mit den Vereinten Nationen 1945 bleibt bis heute eine inter­na­tio­nale Heraus­for­de­rung für die Verrecht­li­chung der inter­na­tio­nalen Bezie­hungen und die Friedenssicherung.

+ Die Pariser Vorort­ver­träge am Ende des Ersten Welt­krieges haben Europa auf eine Weise neu geordnet, die bis heute schwer­wie­gende Folgen hat – auch wenn das vielen nicht bewusst ist. Ob es Hitler ohne die Art, wie der Versailler Vertrag gestaltet wurde, gelungen wäre, in Deutsch­land die Zustim­mung und die Mehr­heiten zu erlangen, wie es dann geschah, sei dahin­ge­stellt. Dabei hatte Deutsch­land selbst die Richtung vorge­geben, als es im Vertrag von Brest-Litowsk dem nun bolsche­wis­ti­schen Russland Frie­dens­be­din­gungen diktiert hatte, die keinen Bestand haben konnten. So stellt sich allein aus diesen Erfah­rungen die Grund­frage „Wie schließt man Frieden – der wirklich trägt?“ Der Blick auf die weiteren Verträge von Trianon (1920) und Lausanne (1923) verstärkt die Heraus­for­de­rung. Im ersten wird das Terri­to­rium Ungarns so reduziert, dass das daraus entste­hende Trauma dort noch heute poli­ti­sche Wirkung entfaltet. Im anderen Fall wird die Zwangs­de­por­ta­tion von Griechen und Türken politisch legi­ti­miert – mit dem Ziel künftiger Stabi­lität. Gerade im deutsch-polni­schen Verhältnis ist die Frage der Vertrei­bungen im 20. Jahr­hun­dert ein wichtiges Thema. Bei allen Diffe­renzen im Rückblick bleibt die Gemein­sam­keit, dass für die Zukunft Vertrei­bungen und ethnische Säube­rungen zu verhin­dern sind.

+ Im Versailler Frie­dens­ver­trag wurde das „dauer­hafte Ruherecht“ von Kriegs­grä­bern inter­na­tional fest­ge­legt und der Praxis des Anlegens von Kriegs­grä­ber­stätten ein völker­recht­li­cher Rahmen gegeben. Über ein Jahr­hun­dert hin hat dies dazu geführt, dass in ganz Europa Kriegs­grä­ber­stätten aller krieg­füh­renden Nationen angelegt wurden. Es stellt sich die Frage, wie dieses Gedenken an die – solda­ti­schen wie zivilen – Kriegs­toten künftig in einem zusam­men­wach­senden Europa gestaltet werden kann. Frank­reich hat hier mit dem „Ring der Erin­ne­rung“ in Notre-Dame-de Lorette, ein Beispiel gegeben. An diesem Mahnmal wird an 580 000 Tote aller Nationen erinnert, die im Ersten Weltkrieg in dieser Region gefallen sind, unter ihnen 174 000 Deutsche. Ihre Namen werden nun aber nicht nach Nationen unter­teilt, sondern nach dem Alphabet. Dieses Beispiel macht Mut. Es braucht in der Zukunft ein Nach­denken und Gespräch darüber, wie ein solches gemein­sames Gedenken künftig auch über nationale Grenzen hinweg entwi­ckelt werden kann.

Ich hoffe sehr, dass es 2018 gelingen wird, ange­sichts des 100-Jahr-Gedenkens nicht nur auf die jeweils nationale Geschichte zu schauen, sondern den Blick auch gemeinsam auf das  20. Jahr­hun­dert zu richten und im Horizont gegen­wär­tiger Heraus­for­de­rungen Lehren daraus zu ziehen.

Zum Schluss möchte ich einen früheren Vorschlag wiederholen:

Polen und Deutsch­land sind in einer langen Geschichte mitein­ander verbunden, die hier nur kurz beschrieben werden konnte. In Berlin gibt es nun seit den 70er Jahren ein polni­sches Denkmal, das die beiden kommu­nis­ti­schen Länder, die Volks­re­pu­blik Polen und die DDR errichtet haben. Es steht erstaun­li­cher­weise unter dem Motto: „Für eure und für unsere Freiheit!“ Die Gestal­tung aber entspricht dem sozia­lis­ti­schen Zeitgeist – und der Inhalt ist verlogen. Sollten wir es nicht in einer gemein­samen, deutsch-polni­schen Initia­tive umge­stalten und dort den Beitrag darstellen, den Polen zur deutschen Frei­heits­ge­schichte geleistet hat? Der Bogen könnte hier vom Hambacher Fest 1830 über die polnische Betei­li­gung an der Befreiung vom Natio­nal­so­zia­lismus bis zu Soli­dar­nosc und dem gemein­samen Sieg von Freiheit und Demo­kratie 1989 sowie der heutigen Part­ner­schaft in der EU gespannt werden.

Die Opfer Polens sind zumindest der Fachwelt bekannt und anerkannt. Die in Deutsch­land wenig bekannte Rolle Polens als Akteur und Partner der Freiheit zur Botschaft dieses Denkmals zu machen, würde einer­seits die gemein­same Geschichte in den Blick nehmen – und gleich­zeitig die gemein­samen Heraus­for­de­rungen der Zukunft beschreiben. Es wäre ein versöhnter Blick auf eine Frei­heits­ge­schichte, die weitergeht.

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