Öffentlich-rechtliche Sender: Was aus liberaler Sicht für eine Reform spricht
Am 4. März stimmen die Schweizer über die Zukunft – oder das abrupte Ende – des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab. Die Debatte über eine Reform der Rundfunkordnung schwelt auch bei uns: Zählen wir ARD und ZDF zu den öffentlichen Gütern, die von allen Bürgerinnen und Bürgern finanziert werden sollen, oder handelt es sich um ein überständiges Monopol? Sind die großen Rundfunkhäuser mit ihrem Rundum-Glücklich-Angebot noch zeitgemäß oder sollte Qualitätsjournalismus auf anderem Wege finanziert werden? Ein Diskussionsbeitrag von Karen Horn.
Einst kam die „Tagesschau“ in jedes Wohnzimmer hereingeflimmert. Diese Zeiten sind vorbei. Das Internet hat das Mediennutzungsverhalten der Menschen radikal geändert, die Informationskanäle sind auseinandergelaufen. Junge Leute sehen kaum noch fern, hören nur selten Radio, lesen eher keine Zeitung und halten sich, wenn überhaupt, im Internet auf dem Laufenden. Vor allem sie sind nicht damit einverstanden, dass sie für öffentlich-rechtliche Medienangebote, die sie nicht nutzen, einen Zwangsbeitrag entrichten müssen. In Deutschland ist eine Gebührenpflicht für alle Nutzer elektronischer Medien seit 2013 in Kraft; man wollte seinerzeit den „Schwarzsehern“ das Handwerk legen. Die Schweiz wird 2019 nachziehen – es sei denn, es kommt vorher zum großen Knall. Denn am Sonntag, dem 4. März, sind die dortigen Wähler aufgerufen, darüber abzustimmen, ob sie dem Bund das Recht entziehen wollen, Empfangsgebühren einziehen zu lassen und Radio- oder Fernsehstationen zu subventionieren („No-Billag-Initiative“; die Billag ist das Unternehmen, das sich bisher um den Beitragseinzug kümmert, ähnlich der einstigen deutschen GEZ). Damit wäre die im Jahr 1931 gegründete, in der Rechtsform eines Vereins organisierte Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) mit ihren vier landessprachlichen Unternehmenseinheiten über Nacht am Ende. Ihr würde „der Stecker gezogen“, wie ihre Gegner sagen – ohne jeden Übergang, ohne Ersatz, ohne „Plan B“. Einen derart brüsken und vollständigen Sendeschluss für die Öffentlich-Rechtlichen kann man selbst dann nicht wollen, wenn einem grundsätzlich an einer liberalen Rundfunkordnung liegt, in der Schweiz wie in Deutschland.
Das Problem, das sich aus freiheitlicher Perspektive mit dem Öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbindet, hat vor allem die folgenden drei Komponenten:
(1) Der Zwangsbeitrag läuft nicht nur dem Freiwilligkeitsprinzip zuwider, sondern auch dem Äquivalenzprinzip, nach dem man nur für das zahlt, was man tatsächlich in Anspruch nimmt. Der Zwangsbeitrag ist darüber hinaus ein Anachronismus in einer Zeit, in der es mit smarter Technologie leichter möglich sein sollte denn je, Gebühren individuell nutzungsabhängig zu erheben. Das übliche Gegenargument hierzu greift auf den finanzwissenschaftlichen Begriff des öffentlichen Gutes zurück. Damit lässt sich rechtfertigen, die Bürger auch dann zur Finanzierung heranzuziehen, wenn sie das betreffende Gut selber gar nicht nutzen, sofern der einzelne immerhin auf Umwegen von dessen Bereitstellung profitiert. Wer also nicht fernsieht oder Radio hört, aber der Meinung ist, dass sein Nachbar bei den Öffentlich-Rechtlichen etwas Sinnvolles lernen kann, mag die Gebühr in Ordnung finden – vorausgesetzt, dass er sie sich leisten kann. Nichts davon ist eine Selbstverständlichkeit. In Deutschland sind die Gebühren mit durchschnittlich 216 Euro im Jahr niedriger als in der Schweiz, wo von 2019 an „ein Franken am Tag“, also 365 Franken im Jahr (umgerechnet 318 Euro) zu entrichten sein werden. Der Zwangsbeitrag schafft hier wie dort eine Frustration, an die sich im gegenwärtigen politischen Klima allzu leicht eine allgemeine Medienschelte („Systempresse“) anhängen lässt.
(2) Der Wettbewerbsvorteil, der den Öffentlich-Rechtlichen durch die Zwangsgebühr zuteilwird, hemmt das private Medienangebot. Sie müssen weniger als ihre privaten Konkurrenten auf die Kosten achten und graben ihnen Marktanteile ab. Da sich im Medienbetrieb mittlerweile die Sparten kaum mehr trennen lassen, machen sie dabei nicht nur dem privaten, kommerziellen Funk und Fernsehen das Leben schwer, sondern – mit dem Angebot von Texten und Werbung im Internet – auch noch den ohnehin bedrängten Printmedien und allen anderen, die Inhalte online zur Verfügung stellen. Das übliche Gegenargument hierzu verweist auf den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, die mediale Grundversorgung zu sichern. Doch von einer sonst drohenden Unterversorgung kann derzeit beileibe nicht die Rede sein. Die Vielfalt der Inhalte auf den Hunderten von verschiedenen Kanälen ist riesig. Zudem geht das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen über die Grundversorgung weit hinaus.
(3) Wenn man eine Qualitätssicherung durch die öffentliche Hand betreiben will, bedeutet das noch nicht zwangsläufig, dass die Produktion des Angebots in der Hand öffentlich-rechtlicher Anstalten liegen muss. Was die Öffentlich-Rechtlichen produzieren und ausstrahlen, ist nach aller Erfahrung nicht ausnahmslos hochwertig, und was die Privaten anbieten, nicht immer Schund. Statt selber auf dem Medienmarkt mitzumischen, könnte der Staat vielmehr Produktionen nach bestimmten Kriterien fördern, unter Wahrung der Subsidiarität; private Anbieter könnten sich in Ausschreibungen um Sendeformate bewerben, die von einer unabhängigen Kommission festlegt wären. Das übliche Gegenargument hierzu bringt die Größenvorteile bzw. den Fixkostenblock ins Spiel, der in der Herstellung von Fernsehspielen, Reportagen und ähnlichem herrscht. Stimmt – aber wo der Markt so groß ist wie in Deutschland mit seinen gut 80 Millionen Einwohnern, zuzüglich des deutschsprachigen Auslands, sollte es für effizient wirtschaftende Medienunternehmen trotzdem möglich sein, mit einem Bezahlmodell und Werbeeinnahmen die Hürde der hohen „First copy costs“ zu nehmen.
Für eine liberale Reform der Rundfunkordnung spricht mithin einiges. Es ist allerdings ganz und gar keine schlaue Idee, gleich Tabula rasa zu machen, wie sich das die Heißsporne aus dem libertären und rechtspopulistischen Milieu vorstellen, die in der Schweiz die No-Billag-Initiative auf den Weg gebracht haben. Ein großer Knall ist nie gut, er hinterlässt immer einen Krater. Ein schrittweises Vorgehen, das Zeit zur Anpassung lässt und Korrekturen erlaubt, ist immer dann klüger, wenn man wie hier damit rechnen muss, dass die Veränderung in der Gesellschaft Spuren hinterlässt. Wenn man die Öffentlich-Rechtlichen zwar abspeckt, aber am Leben lässt, ist zu erwarten, dass sie als erfahrene Medienhäuser auch ohne ihren verzerrenden Wettbewerbsvorteil wichtige, wenngleich schlankere Anbieter auf dem Markt bleiben. Als permanente Widersacher sind sie sinnvoll im Wettbewerb, um dagegenzuhalten, wenn sich private Medienoligopole zu bilden drohen. Und auch als mögliche Orientierungsmarke im öffentlichen Diskurs sind sie nicht so schnell entbehrlich.
Was den speziellen Fall der Schweiz angeht, würde die Annahme der Initiative am 4. März mit großer Sicherheit bedeuten, dass mit der SRG auch die Produktion landesspezifischer Inhalte – Berichte aus dem Parlament in Bern, Talkshows mit Schweizer Politikern, Reportagen aus den Alpentälern – einginge und in Zukunft ganz unterbliebe. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass Private hier in die Bresche springen könnten und wollten: Der Markt ist viel zu klein. Die Deutschschweiz als die größte Sprachregion zählt gerade einmal gut 5 Millionen Einwohner, die französischsprachige Schweiz rund 2 Millionen, das Tessin ganze 350.000, ganz zu schweigen von den 34.000 Rätoromanen – da rechnet sich kaum etwas. Das würde zwar noch nicht bedeuten, dass die Schweizer gar keine Möglichkeit mehr hätten, sich über ihr Land zu informieren; schließlich gibt es die Printmedien und das Internet. Aber der Wettbewerb um das öffentliche Informationsangebot wäre um ein ganzes Medium ärmer.
Eine moderate Zwischenlösung könnte unter diesen Bedingungen so aussehen, dass sich die Bürger – wenn sie das wollen – zwar weiter ein öffentliches Rundfunkhaus leisten, der Bund aber Auftrag und Institution strafft sowie den Privaten mittels Förderausschreibungen mehr Raum gibt. Das Ärgernis der Zwangsbeiträge gälte es in jedem Fall abzustellen; stattdessen wäre eine Kombination aus nutzungsabhängigen Gebühren und einer Förderung aus allgemeinen Steuermitteln sinnvoll. Das alles entscheidende Kriterium bei solchen Reformschritten ist, ob fairer Wettbewerb entsteht – ohne Privilegien und ohne Zwang, mit realen Chancen für die Privaten und ihre Kreativität.
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