„Existenz­krise der Demokratie“ – Lehren aus Weimar

Guido van Nispen /​ Flickr

Präsident Trump randa­liert gegen die liberale Ordnung; radikale Populisten übernehmen den europäi­schen Schlüs­sel­staat Italien. Wie können wir die liberale Demokratie gegen ihre Bedrohung von innen und außen vertei­digen? Ein neuer Suhrkampband gibt Hinweise. Er trägt verschüttete Ideen mutiger Weimarer Demokraten zusammen. Man soll ihn lesen, dringend. 

Ein Gespenst geht um in Europa – aber nicht, wie Karl Marx in der Mitte des 19. Jahrhun­derts meinte, das des Kommu­nismus, sondern das des – verharm­losend „Rechts­po­pu­lismus“ genannten – Rechts­ra­di­ka­lismus. In Ungarn und Polen ist er bereits an der Macht, vergleichbare Tendenzen findet man in den USA und jetzt auch in Italien. Was kann es heißen, unter diesen Umständen für eine „liberale Moderne“ einzu­treten? Und vor allem: was bedeutet eigentlich „liberal“? Und sogar, wenn dieser Begriff geklärt wäre – was bedeutet es, ihn politisch zu insti­tu­tio­na­li­sieren? Sind „Libera­lismus“ und „Demokratie“ überhaupt deckungsgleich?

Mutatis mutandis – von Globa­li­sierung und Ökologie wusste man damals nichts – wurden in der Weimarer Republik Fragen verhandelt, die uns auch heute umtreiben. 

Diese Fragen sind weder neu noch beschäf­tigten sie erst die vormals linken Intel­lek­tu­ellen des Kalten Krieges – allen voran Hannah Arendt – sondern bereits Frauen und Männer der schließlich geschei­terten Weimarer Republik. Die Republik von Weimar, deren Scheitern weder vorher­sehbar noch gar notwendig war, befand sich gleichwohl seit ihrer Gründung in einer Art Dauer­krise, einer Krise, der jedoch politische Philo­sophie und Theorie erheb­liche Einsichten verdanken.

Spannungs­ver­hältnis von Libera­lismus und Demokratie

Dem Berliner Polito­logen Jens Hacke ist es mit seiner neu erschie­nenen Studie „Existenz­krise der Demokratie“ gelungen, diese oftmals abgele­genen, komplexen sowie zu Unrecht verges­senen Debatten wieder sichtbar zu machen: mutatis mutandis – von Globa­li­sierung und Ökologie wusste man damals nichts – wurden damals Fragen verhandelt, die uns auch heute umtreiben. Allen voran die nach dem spannungs­ge­la­denen Verhältnis von „Libera­lismus“, also der recht­lichen Insti­tu­tio­na­li­sierung von indivi­du­eller Autonomie und „Eigentum“ hier, sowie von „Demokratie“ als jener Herrschaftsform, die den Willen einer Mehrheit verkörpert dort. Spätestens seit den skepti­schen Beobach­tungen etwa Edmund Burkes zur franzö­si­schen Revolution ist zudem streitig, ob die reprä­sen­tative parla­men­ta­rische Demokratie beides, „Libera­lismus“ und „Demokratie“ überhaupt zum Schnitt bringen kann. 

Portrait von Micha Brumlik

Micha Brumlik ist Publizist und emeri­tierter Professor für Erzie­hungs­wis­sen­schaften an der Goethe-Univer­sität Frankfurt

Das Problem des Parlamentarismus

Es war der die jungen USA 1826 berei­sende franzö­sische Aristokrat Alexis de Tocque­ville (1805–1859), der schon früh vor einer durch die Demokratie ermög­lichten „Tyrannei der Mehrheit“ warnte, während umgekehrt überzeugte Demokraten nicht ohne guten Grund in dem, was als „Libera­lismus“ galt, kaum anderes als ein System sozial ungerechter Besitz­stands­wahrung sahen. Zudem argwöhnten radikale, an Rousseau orien­tierte Demokraten, dass die reprä­sen­tative, parla­men­ta­rische Demokratie letzten Endes den Willen des Volkes verfälsche. Von jenen, die damals, in der Weimarer Zeit mit- und gegen­ein­ander disku­tierten, ist in breiten Kreisen allen­falls der natio­nal­so­zia­lis­tische Staats­rechts­lehrer Carl Schmitt bekannt, die Namen und Arbeiten von Hermann Heller, Hans Kelsen, Gertrud Bäumer sowie – last but not least – Moritz Julius Bonn sind jenseits eines Fachpu­blikums weitgehend unbekannt. So war es der, lange Zeit seines angeb­lichen Relati­vismus wegen übergangene Staats­rechts­lehrer Hans Kelsen (1818–1973), der 1926 schrieb: „Man kann heute wohl kaum über Demokratie sprechen, ohne das Problem des Parla­men­ta­rismus zu berühren. Denn die moderne Demokratie ist eine parla­men­ta­rische und der Parla­men­ta­rismus scheint mir, wenigstens nach den bishe­rigen Erfah­rungen, die einzig mögliche Form zu sein, in der Demokratie innerhalb der sozialen Welt von heute reali­sierbar ist.“

Den Kapita­lismus demokratisieren

Freilich war auch damit noch nicht jene Frage gestellt, die den „Libera­lismus“ bis heute angreifbar macht: nämlich, ob eine echte Gleich­be­rech­tigung aller Bürger möglich ist, sofern das bisher effek­tivste Wirtschafts­system, der stets krisen­an­fällige Kapita­lismus, system­not­wendig soziale Ungleichheit hervor­rufen muss und – nicht nur in der Republik von Weimar – breite Massen antili­be­ralen Parolen zustimmen ließ. Es war der heute zu Unrecht vergessene Wirtschafts­wis­sen­schaftler Moritz Julius Bonn (1873–1965), nach eigenem Bekenntnis ein Liberaler, der ebenfalls 1926 in seinem Buch „Das Schicksal des deutschen Kapita­lismus“ überzeugend feststellte: „Die Masse hat den Wahlzettel, die Klasse die Besitz­titel. [...] Da der Weg der Entrechtung der Masse nicht gangbar ist und da es ein Zurück von der Demokratie nicht gibt, muss der Kapita­lismus demokra­ti­siert werden.“

Ob endlich jenes Wirtschafts­modell, das nach der Niederlage des Natio­nal­so­zia­lismus in der Bundes­re­publik Deutschland umgesetzt wurde, die sogenannte „Soziale Markt­wirt­schaft“, dem entsprach, ob also der „Ordoli­be­ra­lismus“ von Ökonomen wie Alexander Rüstow, Walter Eucken oder Wilhelm Röpke tatsächlich zu einer „Demokra­ti­sierung“ des Kapita­lismus führte, ist nach wie vor streitig. Auf jeden Fall stellten italie­ni­scher Faschismus und der sowje­tische Kommu­nismus jener Zwischen­kriegs­jahre mit ihren Modellen einer vom Volks­willen ermäch­tigten Führer­per­sön­lichkeit hier, und einer den bürger­lichen Staat bekämp­fenden revolu­tio­nären Partei dort massive Heraus­for­de­rungen für die parla­men­ta­rische Demokratie und einen recht verstan­denen, jeden­falls nicht nur besitz­bür­ger­lichen Libera­lismus dar.

Krise provo­ziert Antworten

Aus heutiger Sicht fällt im Rückblick auf die Republik von Weimar die konsti­tutive Schwäche der liberalen Parteien, der links­li­be­ralen DDP und der natio­nal­li­be­ralen DVP auf, sowie das völlige Fehlen dessen, was heute als „Zivil­ge­sell­schaft“ gilt. „In dieser krisen­ge­schüt­telten Lage“, so Jens Hacke in „Existenz­krise der Demokratie“, „war es ein nahezu aussichts­loses Unter­fangen, die liberale Demokratie aus sich heraus zu recht­fer­tigen und theore­tisch zu begründen“.

Und dennoch, das macht Hackes Studie auch für die Analyse unserer Gegenwart so bedeutsam, war es schon damals so, dass die Heraus­for­derung der Krise neue Antworten provo­zierte. Wer also heute, angesichts von Globa­li­sierung, Digita­li­sierung, von Finanz­markt­krisen, ökolo­gi­schen Gefähr­dungen sowie einer ungeahnten Migra­ti­ons­pro­ble­matik nach Strategien für die Stärkung und Verbreitung der liberalen Demokratie sucht, ist bestens beraten, sich mit Hackes Studie zu befassen.

Freilich: Wer das ernsthaft tun will, muss Zeit und Aufmerk­samkeit mitbringen, denn: die als Habili­ta­ti­ons­schrift einge­reichte Studie widmet sich ihrem Thema und all seinen Verzwei­gungen penibel und mit Details, die jedoch für den syste­ma­ti­schen Zusam­menhang unver­zichtbar sind. Auf jeden Fall ermög­licht die Kenntnis dieser bald einhundert Jahre alten Debatten einen frischen Blick auf unsere Gegenwart und regt entschieden zum Überdenken eigener Überzeu­gungen an.

Jens Hacke, Existenz­krise der Demokratie. Zur politi­schen Theorie des Libera­lismus in der Zwischen­kriegszeit, Suhrkamp: Berlin 2018, 455 Seiten , €26

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