„Existenzkrise der Demokratie“ – Lehren aus Weimar
Präsident Trump randaliert gegen die liberale Ordnung; radikale Populisten übernehmen den europäischen Schlüsselstaat Italien. Wie können wir die liberale Demokratie gegen ihre Bedrohung von innen und außen verteidigen? Ein neuer Suhrkampband gibt Hinweise. Er trägt verschüttete Ideen mutiger Weimarer Demokraten zusammen. Man soll ihn lesen, dringend.
Ein Gespenst geht um in Europa – aber nicht, wie Karl Marx in der Mitte des 19. Jahrhunderts meinte, das des Kommunismus, sondern das des – verharmlosend „Rechtspopulismus“ genannten – Rechtsradikalismus. In Ungarn und Polen ist er bereits an der Macht, vergleichbare Tendenzen findet man in den USA und jetzt auch in Italien. Was kann es heißen, unter diesen Umständen für eine „liberale Moderne“ einzutreten? Und vor allem: was bedeutet eigentlich „liberal“? Und sogar, wenn dieser Begriff geklärt wäre – was bedeutet es, ihn politisch zu institutionalisieren? Sind „Liberalismus“ und „Demokratie“ überhaupt deckungsgleich?
Mutatis mutandis – von Globalisierung und Ökologie wusste man damals nichts – wurden in der Weimarer Republik Fragen verhandelt, die uns auch heute umtreiben.
Diese Fragen sind weder neu noch beschäftigten sie erst die vormals linken Intellektuellen des Kalten Krieges – allen voran Hannah Arendt – sondern bereits Frauen und Männer der schließlich gescheiterten Weimarer Republik. Die Republik von Weimar, deren Scheitern weder vorhersehbar noch gar notwendig war, befand sich gleichwohl seit ihrer Gründung in einer Art Dauerkrise, einer Krise, der jedoch politische Philosophie und Theorie erhebliche Einsichten verdanken.
Spannungsverhältnis von Liberalismus und Demokratie
Dem Berliner Politologen Jens Hacke ist es mit seiner neu erschienenen Studie „Existenzkrise der Demokratie“ gelungen, diese oftmals abgelegenen, komplexen sowie zu Unrecht vergessenen Debatten wieder sichtbar zu machen: mutatis mutandis – von Globalisierung und Ökologie wusste man damals nichts – wurden damals Fragen verhandelt, die uns auch heute umtreiben. Allen voran die nach dem spannungsgeladenen Verhältnis von „Liberalismus“, also der rechtlichen Institutionalisierung von individueller Autonomie und „Eigentum“ hier, sowie von „Demokratie“ als jener Herrschaftsform, die den Willen einer Mehrheit verkörpert dort. Spätestens seit den skeptischen Beobachtungen etwa Edmund Burkes zur französischen Revolution ist zudem streitig, ob die repräsentative parlamentarische Demokratie beides, „Liberalismus“ und „Demokratie“ überhaupt zum Schnitt bringen kann.
Das Problem des Parlamentarismus
Es war der die jungen USA 1826 bereisende französische Aristokrat Alexis de Tocqueville (1805–1859), der schon früh vor einer durch die Demokratie ermöglichten „Tyrannei der Mehrheit“ warnte, während umgekehrt überzeugte Demokraten nicht ohne guten Grund in dem, was als „Liberalismus“ galt, kaum anderes als ein System sozial ungerechter Besitzstandswahrung sahen. Zudem argwöhnten radikale, an Rousseau orientierte Demokraten, dass die repräsentative, parlamentarische Demokratie letzten Endes den Willen des Volkes verfälsche. Von jenen, die damals, in der Weimarer Zeit mit- und gegeneinander diskutierten, ist in breiten Kreisen allenfalls der nationalsozialistische Staatsrechtslehrer Carl Schmitt bekannt, die Namen und Arbeiten von Hermann Heller, Hans Kelsen, Gertrud Bäumer sowie – last but not least – Moritz Julius Bonn sind jenseits eines Fachpublikums weitgehend unbekannt. So war es der, lange Zeit seines angeblichen Relativismus wegen übergangene Staatsrechtslehrer Hans Kelsen (1818–1973), der 1926 schrieb: „Man kann heute wohl kaum über Demokratie sprechen, ohne das Problem des Parlamentarismus zu berühren. Denn die moderne Demokratie ist eine parlamentarische und der Parlamentarismus scheint mir, wenigstens nach den bisherigen Erfahrungen, die einzig mögliche Form zu sein, in der Demokratie innerhalb der sozialen Welt von heute realisierbar ist.“
Den Kapitalismus demokratisieren
Freilich war auch damit noch nicht jene Frage gestellt, die den „Liberalismus“ bis heute angreifbar macht: nämlich, ob eine echte Gleichberechtigung aller Bürger möglich ist, sofern das bisher effektivste Wirtschaftssystem, der stets krisenanfällige Kapitalismus, systemnotwendig soziale Ungleichheit hervorrufen muss und – nicht nur in der Republik von Weimar – breite Massen antiliberalen Parolen zustimmen ließ. Es war der heute zu Unrecht vergessene Wirtschaftswissenschaftler Moritz Julius Bonn (1873–1965), nach eigenem Bekenntnis ein Liberaler, der ebenfalls 1926 in seinem Buch „Das Schicksal des deutschen Kapitalismus“ überzeugend feststellte: „Die Masse hat den Wahlzettel, die Klasse die Besitztitel. [...] Da der Weg der Entrechtung der Masse nicht gangbar ist und da es ein Zurück von der Demokratie nicht gibt, muss der Kapitalismus demokratisiert werden.“
Ob endlich jenes Wirtschaftsmodell, das nach der Niederlage des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt wurde, die sogenannte „Soziale Marktwirtschaft“, dem entsprach, ob also der „Ordoliberalismus“ von Ökonomen wie Alexander Rüstow, Walter Eucken oder Wilhelm Röpke tatsächlich zu einer „Demokratisierung“ des Kapitalismus führte, ist nach wie vor streitig. Auf jeden Fall stellten italienischer Faschismus und der sowjetische Kommunismus jener Zwischenkriegsjahre mit ihren Modellen einer vom Volkswillen ermächtigten Führerpersönlichkeit hier, und einer den bürgerlichen Staat bekämpfenden revolutionären Partei dort massive Herausforderungen für die parlamentarische Demokratie und einen recht verstandenen, jedenfalls nicht nur besitzbürgerlichen Liberalismus dar.
Krise provoziert Antworten
Aus heutiger Sicht fällt im Rückblick auf die Republik von Weimar die konstitutive Schwäche der liberalen Parteien, der linksliberalen DDP und der nationalliberalen DVP auf, sowie das völlige Fehlen dessen, was heute als „Zivilgesellschaft“ gilt. „In dieser krisengeschüttelten Lage“, so Jens Hacke in „Existenzkrise der Demokratie“, „war es ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, die liberale Demokratie aus sich heraus zu rechtfertigen und theoretisch zu begründen“.
Und dennoch, das macht Hackes Studie auch für die Analyse unserer Gegenwart so bedeutsam, war es schon damals so, dass die Herausforderung der Krise neue Antworten provozierte. Wer also heute, angesichts von Globalisierung, Digitalisierung, von Finanzmarktkrisen, ökologischen Gefährdungen sowie einer ungeahnten Migrationsproblematik nach Strategien für die Stärkung und Verbreitung der liberalen Demokratie sucht, ist bestens beraten, sich mit Hackes Studie zu befassen.
Freilich: Wer das ernsthaft tun will, muss Zeit und Aufmerksamkeit mitbringen, denn: die als Habilitationsschrift eingereichte Studie widmet sich ihrem Thema und all seinen Verzweigungen penibel und mit Details, die jedoch für den systematischen Zusammenhang unverzichtbar sind. Auf jeden Fall ermöglicht die Kenntnis dieser bald einhundert Jahre alten Debatten einen frischen Blick auf unsere Gegenwart und regt entschieden zum Überdenken eigener Überzeugungen an.
Jens Hacke, Existenzkrise der Demokratie. Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit, Suhrkamp: Berlin 2018, 455 Seiten , €26
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