Ist Trumps Kritik am deutschen Exportüberschuss gerechtfertigt?
Mit China führt Donald Trump einen Handelskrieg. Aber auch Deutschland ist wegen seines Exportüberschusses ins Visier des US-Präsidenten geraten. Zwar übersieht Trump, dass das amerikanische Leistungsbilanzdefizit in erster Linie auf den Güterverbrauch der US-Wirtschaft zurückzuführen ist. Aber Deutschland sollte seine Binnennachfrage stärken, um den eigenen Überschuss zu verringern.
Weltweite Leistungsbilanzungleichgewichte – Was sagen die Zahlen?
Ein zentraler Indikator zur Messung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist die Leistungsbilanz. Sie erfasst die wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten eines Landes mit dem Rest der Welt: den grenzüberschreitenden Handel mit Waren und Dienstleistungen (also Exporte und Importe) sowie Einkommenszahlungen und Transferleistungen zwischen Ländern. Empirisch machen die Handelsaktivitäten den mit Abstand größten Teil der Leistungsbilanz aus, sodass Veränderungen der Exporte und Importe entscheidend für die Entwicklung des Leistungsbilanzsaldos sind.
Der Internationale Währungsfonds (IMF) geht in seinem aktuellen „World Economic Outlook“ davon aus, dass das amerikanische Leistungsbilanzdefizit in diesem Jahr einen Wert von rund 515 Milliarden US-Dollar erreichen wird. Das ist weltweit das mit Abstand größte Defizit und entspricht etwas mehr als 40 Prozent aller für 2018 erwarteten Leistungsbilanzdefizite. Für die nächsten Jahre prognostiziert der IMF einen weiteren Anstieg dieses Defizits auf über 800 Milliarden Dollar für 2022 und 2023.
Deutschland steht am anderen Ende der Rangliste mit dem weltweit größten Überschuss von fast 330 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Japan (knapp 185 Milliarden Dollar) und China (etwas weniger als 100 Milliarden Dollar).
Vorteile eines Leistungsbilanzüberschusses
Die Frage, ob ein Leistungsbilanzüberschuss bzw. der dafür verantwortliche Exportüberschuss positiv oder negativ zu bewerten ist, wird in der Wissenschaft und Politik intensiv diskutiert. Grundsätzlich ist ein Überschuss gesamtwirtschaftlich vorteilhafter als ein entsprechendes Defizit. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:
- Wenn ein Land nicht nur die Waren und Dienstleistungen herstellt, die es per Saldo selbst verbraucht, sondern auch noch die dem Exportüberschuss entsprechenden Produkte, sind die gesamtwirtschaftliche Produktion und das Beschäftigungsniveau höher. Beides wirkt sich auch positiv auf die staatlichen Finanzen aus.
- Wenn ein Land bei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten mit dem Ausland mehr Geld einnimmt als es ausgibt, können mit diesem Einnahmeüberschuss Vermögensgegenstände im Rest der Welt erworben werden. Aus diesen Vermögensbeteiligungen fließen Einkünfte in Form von Zinseinnahmen, Dividenden, Unternehmensgewinnen etc., die die Konsummöglichkeiten der heimischen Bevölkerung vergrößern
Bei einem Leistungsbilanzdefizit ergeben sich tendenziell die entgegengesetzten Effekte: Das Beschäftigungsniveau ist geringer, die Arbeitslosigkeit höher und das Land verschuldet sich im Rest der Welt. Gerade die negativen Arbeitsmarkteffekte sind ein zentrales Motiv für den Wunsch nach einer wirtschaftlichen Abschottung.
Wer hat Schuld am US-Leistungsbilanzdefizit?
Ein Leistungsbilanzdefizit ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Importe des Landes größer sind als die Exporte. Das Land verbraucht folglich mehr Güter, als es selbst herstellt. Die zusätzlich benötigten Produkte werden aus dem Ausland bezogen. So betrachtet, ist die hohe gesamtgesellschaftliche Güternachfrage für Konsum- und Investitionszwecke die entscheidende Ursache für das US-Leistungsbilanzdefizit: Die gesamte Volkswirtschaft lebt über ihre Verhältnisse und benötigt einen Importüberschuss, um die hohe Nachfrage zu befriedigen.
Für die Lehrbuch-Ökonomie sind diese Ungleichgewichte jedoch nur ein temporäres Phänomen, weil es – theoretisch – genügend Mechanismen gibt, die automatisch für einen Ausgleich von Exporten und Importen sorgen. Ein Exportüberschuss wird entweder durch eine Aufwertung der Währung des Überschusslandes abgebaut oder durch Preisanstiege. Die Preisanstiege resultieren aus der hohen Nachfrage nach den Gütern des Überschusslandes. Bei einem Leistungsbilanzdefizit führt die Verschuldung im Ausland früher oder später zu einer Verschlechterung der Bonität. Sie bewirkt einen Zinsanstieg, der die Kreditaufnahme im Ausland erschwert und so das Leistungsbilanzdefizit abbaut. Flankiert wird der Ausgleich der Leistungsbilanz durch eine Abwertung der Währung des Landes, das dieses Defizit aufweist.
Tatsächlich aber haben die USA seit Jahrzehnten Leistungsbilanzdefizite im dreistelligen Milliardenbereich. Ein entscheidender Grund hierfür ist die Bedeutung des US-Dollars für die Weltwirtschaft: Der Dollar ist momentan die einzige Weltwährung.
Die Bedeutung des Dollars für das amerikanische Leistungsbilanzdefizit
Der Umstand, über die Leitwährung der Weltwirtschaft zu verfügen, ermöglicht es der amerikanischen Volkswirtschaft, sich mehr oder weniger unbegrenzt im Rest der Welt in der eigenen Währung zu verschulden: Die meisten internationalen Rohstoffkäufe werden in Dollar bezahlt. Viele Länder mit schwachen Währungen akzeptieren den Dollar als inoffizielle Parallelwährung. Und internationale Investoren sehen in der US-Währung einen sicheren Hafen für ihre Ersparnisse. Dies hat zwei zentrale Konsequenzen:
- Die USA können nahezu beliebige Mengen an Dollar auf den internationalen Devisenmärkten anbieten, ohne zu befürchten, dass ihnen diese nicht mehr abgenommen werden. Selbst eine starke Ausweitung des Dollarangebots führt daher nur zu einem geringen Wertverlust des Dollars. Folglich unterbleibt die für einen Abbau des eigenen Leistungsbilanzdefizits erforderliche Abwertung.
- Internationale Anleger und Banken haben ein hohes Interesse an amerikanischen Wertpapieren. So können sie ihr Geld im sicheren Hafen des Dollars anlegen und auch noch Zinsen kassieren. Für die amerikanischen Unternehmen und den US-Staat bedeutet dies: Sie können ohne große Probleme Anleihen ausgeben und sich so Geld im Rest der Welt leihen. Diese Kreditaufnahmemöglichkeit im Ausland setzt den Bonitäts- und Zinsmechanismus, der ein Leistungsbilanzdefizit abbaut, außer Kraft
Wenn also die zentralen Mechanismen zum Abbau eines Leistungsbilanzdefizits nicht wirken, lässt sich dieses Defizit nur durch eine Verringerung der kreditfinanzierten Güternachfrage der US-Verbraucher und Unternehmen abbauen. Ohne die Einschränkung der – gemessen an der eigenen Wirtschaftsleistung – zu hohen Binnennachfrage bleibt das amerikanische Leistungsbilanzdefizit dauerhaft bestehen. Bildlich gesprochen: Der Ball liegt in der amerikanischen Spielhälfte und nicht in der deutschen.
Auch Deutschland ist in der Pflicht
Auch wenn der größte Anpassungsdruck somit auf Seiten der amerikanischen Volkswirtschaft liegt, sollte Deutschland nicht untätig bleiben. Es gibt meiner Ansicht nach zwei zentrale Gründe, die dafür sprechen, dass Maßnahmen zum Abbau der Exportüberschüsse im Interesse Deutschlands liegen:
- Die hohen und seit Jahren steigenden deutschen Exportüberschüsse können die Länder mit entsprechenden Defiziten dazu bewegen, protektionistische Maßnahmen zu ergreifen, um sich so vor den skizzierten negativen Effekten eines solchen Defizits zu schützen. Dies würde die Produktion und Beschäftigung der exportabhängigen deutschen Volkswirtschaft beeinträchtigen – mit allen negativen sozialen Folgen.
- Während ein Leistungsbilanzdefizit auf einen übermäßigen Güterverbrauch der einheimischen Verbraucher und Unternehmen zurückzuführen ist, hat ein Land mit einem Leistungsbilanz- bzw. Exportüberschuss eine zu geringe heimische Güternachfrage. In Deutschland ist dieser Umstand auch auf die geringen privaten und öffentlichen Investitionen zurückzuführen. Die Volkswirtschaft lebt gegenwärtig von der Substanz, was langfristig nicht nachhaltig ist. Deutschland kann daher „kein Interesse an einem langfristigen sehr hohen Leistungsbilanzüberschuss haben, der zwangsläufig auf Kosten des inländischen Realkapitalstocks geht“, schreibt Klaus Borger in einem Bericht der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Wirtschaftspolitische Handlungsoptionen für Deutschland
Die Verringerung der deutschen Exportüberschüsse sollte durch eine Steigerung der Binnennachfrage und damit der Importe erfolgen. Maßnahmen zur Einschränkung der Exporte sind hingegen nicht angebracht. Sie würden nicht nur in Deutschland die Produktion und Beschäftigung reduzieren, sondern auch in den Ländern, aus denen deutsche Exportunternehmen ihre Vorleistungen beziehen.
Ein Ansatzpunkt zur Steigerung der Güternachfrage sind höhere Investitionen, zum Beispiel in Form von mehr Bildungsausgaben, dem Ausbau der digitalen Infrastruktur, dem Umbau der gesamten Volkswirtschaft in Richtung einer ressourcenschonenderen Produktion und dem sozialen Wohnungsbau. Damit würde Deutschland die realwirtschaftliche Basis der Produktion langfristig stärken und über eine stärkere Binnennachfrage gleichzeitig den Exportüberschuss verringern. Ob dies Donald Trump von seinem protektionistischen Kurs abbringt, ist fraglich – aber es wäre immerhin ein Signal, das den Handelskonflikt mit den USA entschärfen könnte.
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