Europa in der Klemme
Die EU als „swing state“: Europa ist in die geopolitische Auseinandersetzung zwischen den USA und China geraten. Beide Großmächte wollen Brüssel auf ihre Seite ziehen. Aber Schaukelpolitik ist eine gewagte Option.
Die wirtschaftlichen Machtverhältnisse ändern sich. Das Zentrum des Welthandels wandert Richtung Asien. China ist Motor dieser Entwicklung, der einprozentige Anteil Chinas am Welthandel im Jahr 1980 ist mittlerweile auf über 12 Prozent gestiegen. Die Volksrepublik ist zum wirtschaftlichen Gravitationszentrum geworden – ein handelspolitisches Reich der Mitte. Für über 100 Länder der Welt ist es der wichtigste Handelspartner. Tendenz steigend.
Denn mit der „Belt and Road Initiative“ (auch als „Neue Seidenstraße“ bekannt) wächst der wirtschaftliche Einfluss weiter. Die chinesische Investitionsoffensive ist eine geowirtschaftliche Vernetzungsstrategie. Sie bringt mehr als 60 Prozent der Weltbevölkerung und knapp ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts zusammen. Der Wirtschaftsraum könnte knapp 40 Prozent des gesamten Welthandels umfassen. Damit führen buchstäblich alle Wege nach Peking.
China hat die internationale Handelsordnung durchdrungen und steigt gleichzeitig in der Wertschöpfungskette auf, um der „middle income trap“ zu entgehen. Dafür investiert das Land Unsummen in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie. Das bedeutet das Ende der Arbeitsteilung zwischen Amerika und China. Die Volksrepublik will nicht mehr die Werkbank der Welt sein. Sie gewinnt an wirtschaftlichem Terrain und verdrängt dabei die Handelsmacht USA. Bis 2020 dürfte sie auch zum wichtigsten Handelspartner der EU aufgestiegen sein. Es ist kein Zufall, dass Nordamerika der einzige Kontinent ist, der keine Beachtung in der Seidenstraßeninitiative findet. Peking handelt nach der Devise des chinesischen Militärstrategen Sunzi: „Vermeide die Hauptmacht, dringe in die offenen Räume.“
Ohne Trump hätte es keine strategische Neuausrichtung gegenüber China gegeben
Hier verläuft die Front des amerikanisch-chinesischen Konflikts. Es geht um technologische und wirtschaftliche Hegemonie und damit um zukünftigen Wohlstand, Macht und Einfluss. Der Handelskonflikt ist daher kein kurzfristiges Scharmützel, er ist eine Antwort auf die Verschiebung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Man mag Präsident Trump für vieles kritisieren, aber ohne ihn hätte es keine strategische Neuausrichtung gegenüber China gegeben.
Jahrelang dachte der Westen übermütig, er könne mit der Strategie „Wandel durch Handel“ die Volksrepublik beeinflussen und politisch liberalisieren. Doch weit gefehlt. Die Freiheit hat in China nicht zu‑, sondern abgenommen. Der steigende Wohlstand legitimiert das System. Nicht der Westen hat „Wandel durch Handel“ betrieben, sondern Peking. Die wirtschaftliche Verflechtung hat eine wirtschaftliche Abhängigkeit geschaffen. Das beeinträchtigt den Raum politischen Handelns.
Es gibt zahlreiche europäische Staaten, die sich in der Hoffnung auf Handels- und Investitionsvorteile den chinesischen Interessen beugen. So haben Griechenland, Ungarn und Tschechien kritische EU-Schlussfolgerungen und ‑Erklärungen zu China verwässert oder ganz blockiert. Gegen den Willen der EU nimmt eine ganze Reihe von Mitgliedsstaaten an der Belt and Road Initiative teil. Auf meine Frage, warum Berlin die dubiose chinesische Inhaftierung der Kanadier Michael Kovrig und Michael Spavor – als Reaktion auf die Festnahme der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou in Kanada – nicht kritisiere, antwortete ein Mitglied des Auswärtigen Amtes, dass dies die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands gefährde.
Die Chinesen bieten Zuckerbrot, die Amerikaner Peitsche
Europa befindet sich mitten im Spannungsfeld der geowirtschaftlichen Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Beide Großmächte wollen die EU auf ihre Seite ziehen und das mit unterschiedlichen Mitteln. Die Chinesen bieten Zuckerbrot, die Amerikaner Peitsche. China erwähnt immer wieder, dass Europa viel gewinnen könne, wenn es sich stärker ans Reich der Mitte binde. Im Vorfeld des EU-China-Gipfels unterzeichnete die Volksrepublik Investitionsdeals mit Frankreich und Italien.
Trump sieht Europa – nicht zu Unrecht – als Wackelkandidat in einer größeren Auseinandersetzung des Westens mit China und fordert Gefolgschaft. Es ist kein Wunder, dass er am Tag des EU-China-Gipfels Zölle im Volumen von elf Milliarden Dollar auf EU-Produkte ankündigte. Und das auf französische, italienische und europäische Waren: Käse, Wein und Airbus bzw. Verkehrsflugzeuge. Darüber hinaus hängt weiterhin das Damoklesschwert amerikanischer Strafzölle über Europas Autoindustrie.
Die Chinesen locken, die Amerikaner vergelten. Europa steckt zwischen chinesischem Geldbeutel und amerikanischem Zollknüppel in der Klemme. Der ehemalige US-Finanzminister Hank Paulson warnte vor einem „ökonomischen Eisernen Vorhang“ zwischen den USA und China. Die Frage ist: Auf welcher Seite des Vorhangs wird sich Europa befinden? Beide Märkte sind für Europa entscheidend.
Die EU: ein Schaf im Wolfspelz?
Es ist ein politischer Drahtseilakt. Europa möchte niemanden brüskieren, aber zieht in zahlreichen Szenarien den Kürzeren. Ein eskalierender Handelskonflikt zwischen den USA und China würde Europas Industrie hart treffen. Ein Handelsdeal ebenso. Ökonomen der Großbank Barclays gehen davon aus, dass eine handelspolitische Vereinbarung zwischen den USA und China die EU knapp 50 Milliarden Euro kosten dürfte. Wenn die Elefanten kämpfen, leidet das Gras.
Die EU versucht den Amerikanern weiszumachen, die Ära der europäischen Naivität gegenüber China sei vorbei. Und in der Tat, die EU hat ein starkes Papier zu China veröffentlicht. China wird dort als „systemischer Rivale“ bezeichnet. Das ist ein Fortschritt, auch wenn es erstmal nur die Realität wahrnimmt. Auch im Vorfeld des EU-China-Gipfels hat die EU versucht, rhetorische Stärke zu vermitteln und gesagt, sie sei bereit, den Gipfel ohne eine Abschlusserklärung zu beenden, sollte China der EU nicht entgegenkommen. Auch die endgültige Abschlusserklärung wird gelobt. Peking hat versprochen, den chinesischen Markt weiter zu öffnen, erzwungene Technologietransfers sollen abgeschafft und der faire Wettbewerb gewährleistet werden. Aber wer weiß, ob die Gerichte, die auf dieser Speisekarte stehen, jemals aus der Küche kommen. The proof of the pudding is in the tasting.
Peking sagt schon lange, dass es keinen erzwungenen Technologietransfer gibt. Die ausländischen Unternehmen gäben freiwillig ihre Technologien preis (damit sie auf dem chinesischen Markt Fuß fassen können). Auch die regelmäßig verkündete Marktöffnung Chinas sollte man mit Skepsis betrachten. „Was wie eine Öffnung aussieht, ist ein kluger Schachzug. Damit lockt Peking die amerikanischen und europäischen Hersteller tiefer in seinen Markt und macht sie nur noch abhängiger“, so Frank Sieren in seinem jüngsten Buch „Zukunft? China!: Wie die neue Supermacht unser Leben, unsere Politik, unsere Wirtschaft verändert“.
Die Europäer müssen sich fragen, wie lange sie China weiter gewähren lassen wollen und zu welchen Mitteln sie greifen werden, wenn sich nichts ändert. Wenn Europa sich nicht traut, mit Maßnahmen auf die chinesische Hinhaltetaktik zu antworten, ist es nichts weiter als ein Schaf im Wolfspelz. Die EU hat den Ton gegenüber den Chinesen verschärft – nun müssen Überlegungen folgen, mit welchen Mitteln man dem Ton Nachdruck verleihen kann, falls nötig.
Dabei sollte sich die EU nicht einschüchtern lassen. Wirtschaftliche Verflechtung ist keine Einbahnstraße. Ohne den Westen hätte China niemals hohe Wachstumsraten erzielt. Gleichzeitig muss die EU nach Alternativen Ausschau halten und ihre Handelsbeziehungen diversifizieren. Auch die Bundesregierung braucht eine Außenwirtschaftsstrategie. Gerade im Nachbarkontinent Afrika schlummert ein massives Wachstumspotenzial. Und letztendlich sind die Verflechtungen mit den USA immer noch intensiver als die mit China. Eine handelspolitische Schaukelpolitik zwischen USA und China ist im Zeitalter der Auseinandersetzung der Systeme eine gewagte Option.
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