Litauens China­po­litik – Vorbild für Europa

Foto: Shutter­stock, Efired

David gegen Goliath: Kein europäi­scher Staat schlägt einen selbst­be­wuss­teren Ton gegenüber China an als Litauen. Vilnius zeigt: Eine andere China­po­litik ist möglich. Doch den meisten fehlt der politische Wille.

Die China­po­litik seiner Partei sei lange heran­ge­reift, sagt Mantas Adomenas. Als sie dann in die Regierung gewählt worden sei, habe Litauens Haltung gegenüber China im Grunde festge­standen. Sie habe nur noch mit Leben gefüllt werden müssen.

Mantas Adomenas ist eigentlich Altphi­lologe, ausge­bildet an den Univer­si­täten von Vilnius und Cambridge. Er hat über Platon und die vorso­kra­ti­schen Philo­sophen promo­viert und spricht ein feines, briti­sches Englisch. Doch die Tage, in denen Adomenas seinen Lebens­un­terhalt mit schön­geis­tigen Theorien bestritt, sind schon lange vorbei. Heute hat er es mit ganz prakti­schen Problemen zu tun. Seit dem vergan­genen Jahr ist das Mitglied der konser­va­tiven Partei Vater­landsbund Vizeau­ßen­mi­nister. Sein Alltag wird heute bestimmt vom Ärger mit autori­tären Regimen (Russland) und ruchlosen Dikta­toren (Lukaschenka).

Auch das Verhältnis zu China sorgt dieser Tage für Ärger. Die Bezie­hungen zwischen Litauen und der Volks­re­publik ähneln gegen­wärtig der alttes­ta­ment­lichen Ausein­an­der­setzung zwischen David und Goliath. Kein anderer europäi­scher Staat schlägt einen selbst­be­wuss­teren Ton gegenüber dem Milli­ar­den­reich an als das Drei-Millionen-Land. Litauen zeigt damit: Eine robustere China­po­litik ist möglich. Das liegt auch an Adomenas. Im Interview spricht er mit viel Stolz über die Außen­po­litik seines balti­schen Heimat­landes. Wer ihm zuhört, spürt schnell, wie wichtig ihm die Unabhän­gigkeit ist, die das Land erst 1990 von der Sowjet­union wiedererlangte.

Litauen spendet 20.000 Dosen Astra­zeneca an Taiwan

Im Mai erklärte das litauische Parlament die Unter­drü­ckung der musli­mi­schen Minderheit der Uiguren in China zum Genozid. Kurz darauf trat Litauen aus „17+1“ aus, einer von Peking initi­ierten Koope­ration zwischen China („1“) und mittel- und osteu­ro­päi­schen Ländern („17“). Peking behauptet, die Initiative bringe wirtschaft­liche Vorteile und sei nicht an politische Bedin­gungen geknüpft. Die Koope­ration spalte Europa, heißt es hingegen aus Vilnius.

Doch damit nicht genug. Im Juni spendete Litauen erst 20.000 Dosen Astra­zeneca an Taiwan. Im Juli wurde dann bekannt, dass Taiwan eine Nieder­lassung in Vilnius eröffnen wird – mit dem Namen „Taiwan“ im Titel. Was trivial klingt, ist ein diplo­ma­ti­scher Präze­denzfall. Die De-Facto-Botschaft Taiwans in Berlin heißt etwa „Taipeh Vertretung“. Peking schäumte. Die Volks­re­publik betrachtet den demokra­ti­schen Insel­staat als Teil ihres Territoriums.

All diese Entschei­dungen seien nicht aus dem Bauch heraus entstanden, sondern wohl überlegt gewesen, sagt Adomenas. Denn im litauisch-chine­si­schen Verhältnis habe es ein paar Vorge­schichten gegeben, die die Wahrnehmung Pekings in dem balti­schen Land drastisch verändert habe.

Etwa im Sommer 2019. Da protes­tierten in Hongkong Demons­tranten gegen die Zentral­re­gierung in Peking. In Vilnius veran­stal­teten Sympa­thi­santen daraufhin eine Demons­tration, um Unter­stützung für den Protest in der ehema­ligen briti­schen Kronko­lonie auszu­drücken. Doch der chine­sische Botschafter in Litauen trommelte Chinesen für eine Gegen­de­mons­tration zusammen. Die litauische Öffent­lichkeit war alarmiert.

Chine­si­scher Vanda­lismus in Litauen

Einige Monate später kam es dann zu einem regel­rechten Eklat. Eine Chinesin montierte ein Denkmal ab, dass auf dem Berg der Kreuze für die Demons­tranten von Hongkong errichtet worden war. Der Berg der Kreuze ist nicht nur ein katho­li­scher Wallfahrtsort, sondern auch ein Symbol des Wider­stands gegen die Sowjet­herr­schaft. Der Vorfall rief sogar den damaligen Außen­mi­nister, Linas Linke­vicius, auf den Plan. Auf Twitter sprach Linke­vicius von „Vanda­lismus“ – der nicht mehr toleriert werden könne und werde.

Hinzu seien dann, so beschreibt es Vizeau­ßen­mi­nister Adomenas im Gespräch, Überle­gungen grund­sätz­licher Art gekommen. Zum einen habe seine Regierung verstanden, dass Peking bereit sei, wirtschaft­liche Verflechtung als Druck­mittel einzu­setzen. Deswegen habe Vilnius beschlossen, die Abhän­gigkeit von China zu reduzieren und den Außen­handels zu diver­si­fi­zieren. Auch habe Litauen angefangen, Taiwan stärker in die inter­na­tionale Gemein­schaft zu integrieren. All das sei aus einer Mischung aus Überzeugung, Pragma­tismus und Selbst­er­hal­tungs­trieb entstanden: „Wir wehren uns gegen Pekings Verletzung von Recht und Demokratie, weil Litauen ein kleines Land ist, dessen Fortbe­stand auf dem Respekt vor Recht und Demokratie beruht“, sagt er.

Freiheit durch Entkoppelung

Der Preis für diese Politik halte sich bislang in Grenzen, sagt Adomenas. Peking habe das Land von ein paar Messen ausge­schlossen, mehr nicht. Tatsächlich gibt es für die Volks­re­publik gar nicht viel Angriffs­fläche: Chine­sische Inves­ti­tionen in dem balti­schen Land sind gering. Der Thinktank Central and Eastern European Center for Asian Studies schätzt den Gesamtwert aller mit China verbun­denen Projekte für das Jahr 2020 auf gerade einmal 82 Millionen Euro – nur rund 0,18 Prozent des litaui­schen Brutto­in­lands­pro­dukts. Aber Adomenas sieht die Volks­re­publik in einem grund­sätz­lichen Dilemma: Wenn sie Litauen abstraft, macht sie damit nur deutlich, dass chine­sische Initia­tiven wie das Format „17+1“ sehr wohl an politische Bedin­gungen geknüpft sind. Das hielt Peking gleichwohl nicht davon ab, heute als Reaktion auf Litauens Annäherung an Taiwan den chine­si­schen Botschafter abzuziehen.

Die Ironie, dass es gerade ein kleines Land der Europäi­schen Union (EU) ist, das es mit dem Schwer­ge­wicht China aufnimmt, beschäftigt inzwi­schen Experten zwischen Helsinki und Athen. Litauen drängt seit seinem Austritt aus „17+1“ auf das, was Vilnius „27+1“ nennt: eine gemeinsame China­po­litik aller 27 EU-Staaten. Aber diese Hoffnung wird wohl unerfüllt bleiben.

Denn zum einen stößt die litauische China­po­litik schon im Baltikum an Grenzen. Zwar werde das Vorgehen von Vilnius in Lettland und Estland mit viel Interesse verfolgt, sagt Una Berzina-Cerenkova, die das China Studies Centre an der Stradins-Univer­sität in Riga leitet. Aber Schule machen werde es nicht. Die Politik­wis­sen­schaft­lerin geht davon aus, dass auch Lettland und Estland ihr Engagement in der Initiative „17+1“ herun­ter­fahren werden. Aber eher auf die geräuschlose Art.

Europäische Führung erwünscht

Zum anderen gibt es EU-Staaten, etwa das wirtschaftlich schwer mit China verwobene Deutschland, die eine härtere Gangart gegenüber Peking katego­risch ablehnen. Was sich Vizeau­ßen­mi­nister Adomenas nach dem Abtritt von Angela Merkel im September von der neuen Bundes­re­gierung wünscht, ist: „europäische Führung“. Das ist eine diplo­ma­tisch nur schwach verhüllte Kritik an der China­po­litik der Bundes­kanz­lerin, die sich an den Inter­essen der deutschen Autoin­dustrie orientiert.

Denn was er damit meint?

Eine Führung, die nicht darauf aus ist, an der Spitze der Warte­schlange zu stehen“, sagt er: „Sondern eine, die ihre Wirtschafts­kraft einsetzt, um die funda­men­talen Werte Europas zu verteidigen.“

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