Warum Peking den Druck auf Taipeh erhöht

Foto: Shutterstock, Fasttailwind
Foto: Shutter­stock, Fasttailwind


Erst schickte China rund 150 Kampf­flug­zeuge in Richtung Taiwan. Dann forderte Präsident Xi Jinping lautstark die „Wieder­ver­ei­nigung“ mit dem Insel­staat. Will Peking Taipeh zum Abschuss eines chine­si­schen Kampf­flug­zeugs provo­zieren, um dann Taipeh zu beschul­digen, einen Krieg loszutreten?

China hat einen neuen Rekord aufge­stellt: Insgesamt 150 chine­sische Kampf­flug­zeuge, darunter atomwaf­fen­fähige Bomber des Typs H‑6, flogen in den ersten fünf Oktober­tagen durch Taiwans Luftraum­über­wa­chungszone (Air Defense Identi­fi­cation Zone, ADIZ) südwestlich der Insel. In den letzten eineinhalb Jahren sind chine­sische Kampf­flug­zeuge immer öfter in Taiwans ADIZ einge­drungen. Aber so viele Vorstöße wie in diesem Jahr gab es noch nie. 2021 sind es laut taiwa­ni­schem Vertei­di­gungs­mi­nis­terium bereits mehr als 600 gewesen. Im gesamten vergan­genen Jahr wurden nur 380 gezählt.

Die aktuelle Offensive begann am 1. Oktober, dem chine­si­schen Natio­nal­fei­ertag. Am 10. Oktober, dem taiwa­ni­schen Natio­nal­fei­ertag, entspann sich dann zudem ein indirektes Wortge­fecht zwischen den Präsi­denten der beiden Länder. Der chine­sische Präsident Xi Jinping sagte in einer Rede, dass die „histo­rische Aufgabe der vollstän­digen Verei­nigung des Mutter­landes“ verwirk­licht werden müsse. Die Unabhän­gigkeit Taiwans sei eine Gefahr für den Wieder­auf­stieg Chinas.

Auf der anderen Seite der Taiwan­straße sagte die taiwa­nische Präsi­dentin Tsai Ing-wen in einer Rede, dass Taiwan den Status quo beibe­halten wolle und alles tun werde um zu verhindern, dass er einseitig verändert werde. Taiwan, so Tsai, lehne den Weg, den China für das Land vorge­zeichnet habe, ab – weil er „weder eine freie und demokra­tische Lebens­weise für Taiwan noch Souve­rä­nität für unsere 23 Millionen Menschen bietet“.

Der Status Quo zwischen China und Taiwan sieht so aus: Die Volks­re­publik betrachtet den Insel­staat als Teil ihres Terri­to­riums. De facto ist Taiwan aber ein unabhän­giger, wenn auch inter­na­tional stark isolierter Staat. Aktuell unterhält Taipeh nur mit 15 Staaten diplo­ma­tische Bezie­hungen. Auch Deutschland erkennt Taiwan nicht diplo­ma­tisch an und pflegt mit der Insel­de­mo­kratie nur infor­melle Beziehungen.

Chine­si­sches Säbel­rasseln gegenüber Taiwan ist zu einem gewissen Grad Teil eines chine­si­schen Theaters, das die Taiwaner einschüchtern soll. Zu offenen Ausein­an­der­set­zungen kam es in den vergan­genen Jahrzehnten nur selten. Nach zwei militä­ri­schen Konflikten in den 50er-Jahren eskalierten die Spannungen zuletzt 1996. Damals, kurz vor der ersten freien Präsi­dent­schaftswahl in Taiwan, feuerte China Raketen in die Taiwan­straße. Die USA schickten daraufhin einen Flugzeug­träger in die Meerenge – womit die Krise zu Ende ging.

Doch seit ein, zwei Jahren erhöht China den Druck auf Taiwan massiv, in erster Linie durch das Eindringen von Kampf­flug­zeugen in die taiwa­nische ADIZ. Die Luftraum­über­wa­chungszone ist nicht mit Taiwans Luftraum gleich­zu­setzen. Die ADIZ ist eine von Taipeh einseitig ausge­rufene Zone, in der sich Flugzeuge gegenüber den Behörden identi­fi­zieren sollen. Chine­sische Kampf­flug­zeuge sind also nicht in den Luftraum Taiwans eingedrungen.

Triggert der „Taiwan Relations Act“ einen Krieg mit den USA?

Trotzdem sind die Flüge eine Provo­kation, die in Taipeh und Washington die Alarm­glocken läuten lassen. „Die derzeitige Situation ist wirklich die gefähr­lichste, die ich in meinen mehr als 40 Jahren im Militär erlebt habe“, sagte Taiwans Vertei­di­gungs­mi­nister Chiu Kuo-cheng in der vergan­genen Woche. Und aus dem Weißen Haus hieß es, dass das ameri­ka­nische Engagement für Taiwan felsenfest sei. Die USA sind durch den in den 70er-Jahren erlas­senen „Taiwan Relations Act“ dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Status Taiwans nur auf fried­lichem Weg verändert wird.

So bedrohlich Pekings Provo­ka­tionen sind: In ihnen steckt nicht zwingend eine Kriegs­ab­sicht. Viele Beobachter weisen darauf hin, dass eine offene militä­rische Ausein­an­der­setzung mit Taiwan für China mit unkal­ku­lier­baren Risiken verbunden ist, etwa einem militä­ri­schen, vielleicht sogar nuklearen Konflikt mit den USA. Sie deuten die Provo­ka­tionen eher als Teil einer Zermür­bungs­taktik, der den Taiwanern zeigen soll, dass der Staus Quo keine Option ist. Auch ist nicht auszu­schließen, dass Peking Taipeh mit dem Eindringen in die ADIZ zum Abschuss eines chine­si­schen Kampf­flug­zeugs provo­zieren will – um dann Taipeh zu beschul­digen, einen Krieg loszutreten.

Anderer­seits gibt es Beobachter, die glauben, dass der chine­sische Präsident Xi Jinping mit der Einnahme Taiwans sein politi­sches Vermächtnis vergolden will. Im kommenden Jahr wird Xi aller Voraus­sicht nach seine dritte Amtszeit antreten, die bis 2027 dauern wird. Folgt man dieser Logik, dann bleiben dem chine­si­schen Präsi­denten noch sechs Jahre, um die „vollstän­digen Verei­nigung des Mutter­landes“ zu erreichen.

Für Deutschland und Europa sind die Spannungen in der Taiwan­straße ein weiterer Konflikt­punkt in einem ohnehin hochgradig angespannten Verhältnis zu China. Immer mehr Beobachter raten Berlin, sich unterhalb der Schwelle diplo­ma­ti­scher Anerkennung stärker für Taiwan einzusetzen.

Es gibt aber auch Beobachter, die Berlin raten, sich auf den Worst Case einzu­stellen. „Wie verhalten wir uns, wenn es zu einer Krise in der Taiwan­straße kommt?“, fragte Mikko Huotari, Chef des Berliner Thinktanks Merics jüngst im Gespräch mit libmod. Das sei eines der Szenarien, auf die sich die neue Bundes­re­gierung vorbe­reiten müsse.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

[/​vc_​column_​text]

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.