Keine Moder­ni­sierung in Sicht:
Das fossile Imperium Russland

Mit dem Beginn des Krieges am 24.02.2022 schloss sich das Fenster für eine ökolo­gische und ökono­mische Moder­ni­sierung Russlands. Doch das fossile Geschäfts­modell des Landes ist in einer schweren Krise. Ein Gastbeitrag von Lukas Daubner und Aysel Aliyeva für die WirtschaftsWoche.

Der verstorbene Senator John McCain witzelte einmal, Russland sei nicht mehr als eine als Land verkleidete Tankstelle. Wie wir zeigen, befindet sich Russlands fossiles Geschäfts­modell in einer schweren Krise. Um bei der Metapher zu bleiben: In einigen Jahren wird Russlands „Kauft-Gas-billig-Schild“ rostig im Wind quiet­schen und der verarmte Tankwärter auf die spärlich kommende Kundschaft warten.

Der Beginn des russi­schen Krieges gegen die Ukraine am 24. Februar hat ein kleines Zeitfenster für eine grüne und sozial-ökono­mische Moder­ni­sierung in Russland geschlossen.

Positive Entwick­lungen nach 2019

Russland war und ist ein fossiles Imperium. Das Geschäfts­modell des viert größten Klimagas-Emittenten ist stark von der Förderung und dem Export von Öl, Gas und Kohle abhängig. Ab 2019 – bis Putin beschloss, die Ukraine anzugreifen – gab es jedoch einige positive Entwick­lungen in Bezug auf Umwelt- und Klima­po­litik in Russland. Diese Entwick­lungen haben zarte Hoffnungen auf eine Verän­derung des fossilen Geschäfts­mo­dells im In- sowie Ausland genährt. So hat die export­ori­en­tierte Industrie erkannt, dass Europa es mit dem Erreichen seiner Klima­ziele ernst meint.

Vor allem die Diskussion um einen CO2-Grenz­aus­gleichs­me­cha­nismus (CBAM) hat Teile der russi­schen Wirtschaft in Bewegung gesetzt. In der Folge wurden CO2-Standards verab­schiedet und die Effizi­enz­stan­dards erhöht. Außerdem wurden kleine und mittlere Unter­nehmen mit Programmen zur Erzeugung von mehr Solar- und Windenergie unter­stützt. Finanz­in­stitute setzten ESG-Standards auf die Tages­ordnung und kohlen­stoffarme Pilot­pro­jekte wurden initiiert – zum Beispiel auf der ostrus­si­schen Insel Sachalin.

Lokale Proteste als Motor für mehr Klimaschutz

Ein weiterer Motor für mehr Ökologie und Klima­schutz waren die im ganzen Land aktiven Gruppen von Umwelt- und Klima­ak­ti­vis­tinnen und ‑aktivisten, die gegen offene Müllde­ponien, Luft- und Wasser­ver­schmutzung oder illegalen Holzein­schlag protes­tierten. Solange diese Proteste auf lokaler Ebene blieben, wurden sie von den staat­lichen Behörden geduldet und hatten manchmal auch Erfolg. Verschiedene Meinungs­um­fragen zeigten, dass angesichts der wütenden Waldbrände und der höheren Tempe­ra­turen die Themen Umwelt­pro­bleme und Klima­wandel in der russi­schen Bevöl­kerung zunehmend an Bedeutung gewannen.

2019 ratifi­zierte die russische Regierung zudem das Pariser Klima­ab­kommen und ist dem Abkommen auch nach der Aufkün­digung der Mitglied­schaft der USA durch Donald Trump treu geblieben. Russland hält weiterhin am Ziel fest, bis 2060 klima­neutral zu sein.

„In einer Kriegs­wirt­schaft ist kein Platz für ökolo­gische Ideen“

Die genannten Entwick­lungen und die damit verbun­denen Hoffnungen sind jedoch mit Kriegs­beginn zerstört worden.

Um den unmit­tel­baren wirtschaft­lichen Niedergang abzufedern, der die Folge des Krieges und insbe­sondere der westlichen Sanktionen ist, werden viele Umwelt­ge­setze oder Förder­pro­gramme für mehr Effizienz oder erneu­erbare Energien ausge­setzt. In einer Kriegs­wirt­schaft ist kein Platz für neue Geschäfts­mo­delle und ökolo­gische Ideen. Das Interesse an Umwelt- und Klimathemen in den russi­schen Medien seit Februar dieses Jahres lässt deutlich nach, wie auch aktuelle Daten zeigen.

Weniger Geld für Ökologie – mehr für die Öl- und Gasindustrie

In Reaktion auf die ökono­mische Krise war eine der ersten Handlungen des Finanz­mi­nis­te­riums einen Großteil der für die ökolo­gische Trans­for­mation vorge­se­henen staat­lichen Subven­tionen zur Unter­stützung der Öl- und Gasin­dustrie umzulenken. Darüber hinaus schlug das Finanz­mi­nis­terium im Juli vor, im Jahr 2023 mehr als 500 Milli­arden Rubel (etwa 8,2 Milli­arden Euro) an Haushalts­aus­gaben aus allen staat­lichen Programmen und Nicht-Programm­be­reichen zu streichen. Nach offizi­ellen Angaben wurde das Programm „Umwelt­schutz“ etwa um 9 Prozent gekürzt. Weitere Kürzungen sind zu erwarten.

Die zwei Reali­täten der russi­schen Umwelt- und Klimapolitik

Jetzt wird etwas sichtbar, worauf Experten schon seit vielen Jahren hinweisen: Die zwei Reali­täten der russi­schen Umwelt- und Klima­po­litik. Auf der einen Seite wurden inter­na­tionale Zusagen gemacht, Gesetze verab­schiedet und Programme aufgelegt. Auf der anderen Seite werden sie von vielen nicht ernst genommen. Eine Studie des renom­mierten Levada-Instituts aus dem Jahr 2021 zeigt, dass viele russische Entschei­dungs­trä­ge­rinnen und – träger die Tragweite des weltweit in Gang gesetzten Wandels nicht erkennen. Der Tenor vieler war, dass Europas Green Deal scheitern wird und Europa in ein paar Jahren wieder um billiges Gas betteln wird. Darüber hinaus zeigt die Levada-Studie, dass viele Russen die globale Erwärmung als ein auslän­di­sches, bezie­hungs­weise unrus­si­sches Konzept wahrnehmen, das dazu benutzt würde, russische Inter­essen und russi­schen Wohlstand zu untergraben.

Keine Moder­ni­sierung der Wirtschaft in Sicht

Dieje­nigen Russen, die verstanden haben, in welche Richtung sich große Teile der Welt langsam bewegen, mussten den Wandel von einem sehr niedrigen Niveau aus beginnen: Erneu­erbare Energien machen beispiels­weise weniger als ein Prozent der Strom­pro­duktion aus. Wie wir zeigen, ist eine Moder­ni­sierung der Wirtschaft auch weiterhin nicht in Sicht.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sieht sich Russland mit histo­risch einma­ligen knapp 13.000 Sanktionen konfron­tiert, die von den führenden Wirtschafts­re­gionen der Welt wie der EU, den USA, dem Verei­nigten König­reich und Japan verhängt wurden. In der Zwischenzeit haben sich über 1.000 auslän­dische Unter­nehmen und Inves­toren vom russi­schen Markt zurück­ge­zogen oder ihre Aktivi­täten stark eingeschränkt.

Zwar sind, in Folge des russi­schen Gasex­port­stopps in den Westen, die Weltmarkt­preise für Öl und Gas in die Höhe geschossen und ließen die russi­schen Einnahmen entspre­chend steigen. Dennoch sagen Experten einen starken Rückgang der russi­schen Einnahmen aus dem Export fossiler Brenn­stoffe voraus, nicht nur durch den Verlust wichtiger europäi­scher Märkte, sondern auch durch die Umlenkung der Liefer­ketten auf den relativ gesehen weniger lukra­tiven südost­asia­ti­schen Markt. Zudem wird es Jahre dauern, neue Pipelines in den Osten zu bauen.

Immense Auswir­kungen der Sanktionen

Was die techno­lo­gi­schen Entwick­lungen und die Logistik betrifft, sind die Auswir­kungen der westlichen Sanktionen immens. Diese treffen vor allem strate­gische Güter, von der Luft- und Raumfahrt über die Ölraf­fi­nerie bis hin zu Hightech-Ausrüstung und Kompo­nenten für Elektronik und Telekom­mu­ni­kation. Für Zukunfts­tech­no­logien, die insbe­sondere auch für den Klima­schutz wichtig sind, bedeutet dies, dass Russland weiter den Anschluss verlieren wird. Lada-Autos beispiels­weise werden bereits ohne Sicher­heits-Assis­tenz­systeme produ­ziert, weil Kompo­nenten fehlen. Von Elektro­ly­seuren für Wasser­stoff oder moderner Steue­rungs­technik gar nicht zu reden.

Zwar unter­nimmt der Kreml Ausweich­be­we­gungen. Beispiels­weise wurden, als Siemens den Export von Gastur­binen nach Russland einstellte, eine Handels­ko­ope­ration mit dem Iran angestrebt, um Öl und Gas gegen Stahl, Aluminium und Zink zu tauschen. Aber trotz alter­na­tiver Handelswege, kann nichts darüber hinweg­täu­schen, dass das westliche Kapital und vor allem auch das technische Wissen fehlt und kaum ersetzt werden kann.

Der allge­meine Niedergang ist kaum aufzuhalten

Es mehren sich demnach die Anzeichen, dass Russland eine wirtschaft­liche, soziale und ökolo­gische Moder­ni­sierung in abseh­barer Zeit nicht schaffen wird. Trotz der – für manche Beobachter überra­schenden – allge­meinen Wider­stands­fä­higkeit der russi­schen Wirtschaft und der Stabi­li­sie­rungs­maß­nahmen sowie der Unter­stützung für Bürge­rinnen und Bürger, ist der allge­meine Niedergang kaum aufzu­halten. Hinzu kommt, dass die russische Wirtschaft in den letzten 10 Jahren kaum gewachsen ist. Es gibt viele blumige Regie­rungs­pläne für zukünftige Geschäfts­felder. Ein anschau­liches Beispiel ist die Produktion von Wasser­stoff (insbe­sondere für den Export). Aller­dings bestehen weder Infra­struk­turen für die Produktion noch Fachwissen oder realis­tische Zeitpläne.

Russinnen und Russen verlassen das Land

Hinzu kommt, dass Russland bis Anfang des Jahres das Hauptziel für Arbeits­mi­gration aus Zentral­asien und dem Südkau­kasus war. Heute hat sich die Situation umgekehrt. Die partielle Mobili­sierung sowie die sich verschlech­ternde wirtschaft­liche Situation führt dazu, dass viele Russinnen und Russen das Land verlassen.

 

Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine eigene Zukunft

Deutlich wird, dass Putin nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine führt, sondern auch gegen die Zukunft Russlands. Ohne technische Expertise, Hightech-Kompo­nenten, auslän­di­sches Kapital, ausrei­chend Arbeits­kräfte oder politi­schen Willen, ist eine Moder­ni­sierung des fossilen Geschäfts­mo­dells nicht zu erwarten. Darüber hinaus wird die Zivil­ge­sell­schaft höchst­wahr­scheinlich nicht der Motor eines politi­schen Wandels sein. Die politische Unter­drü­ckung ist bereits groß. Viele Aktivis­tinnen und Aktivisten befinden sich im Exil. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine umfas­sende positive Vorstellung von einem alter­na­tiven Russland gibt. Bisher haben die opposi­tio­nellen Kräfte ein gemein­sames Verständnis von dem, was sie nicht wollen. Eine positive Vision eines Russlands, das kein fossiles Imperium ist, fehlt bis heute weitestgehend.

Auch die inter­na­tionale Gemein­schaft muss eine Antwort auf die Frage finden, wie sie mit Putins Russland, das sich kaum an Regeln und Abmachungen hält, umgehen will. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass Russland aus dem Pariser Klima­ab­kommen aussteigen wird. Gleich­zeitig wird Russland aber auch in abseh­barer Zeit keinen positiven Beitrag zur globalen klima­po­li­ti­schen Agenda leisten.

 

Dieser Artikel ist zuerst in der Wirtschafts­woche erschienen.

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