Österreich wählt – Es ist alles sehr kompliziert
Am 29. September finden in Österreich die Nationalratswahlen statt. Die Rechtspopulisten be finden sich ähnlich wie in Frankreich und auch in den Niederlanden im Aufwind – die Situation ist damit in Österreich zwar vergleichbar, aber doch länderspezifisch und verschieden. LibMod Autor Fred Luks fragt nach den Ursachen für das Erstarken des österreichischen Rechtspopulismus und fühlt unseren Nachbarn politisch den Puls.
„5 gute Jahre“, „Dein Herz sagt ja“, „Euer Wille geschehe“ – man kann nicht sagen, dass die FPÖ bei der Wahl ihrer Plakatsprüche ungeschickt ist. Die „Freiheitlichen“ wissen, wie man die österreichische Seele anspricht, und sie sind sehr erfolgreich damit. FPÖ-Chef Herbert Kickl geriert sich bereits als „Volkskanzler“, der das Land aufräumen und Schluss machen wird mit Einwanderung, Multikulti und Klimaschutz. Hetze und Hybris kommen gut an: Die Rechtspopulisten haben nicht nur die Europawahlen gewonnen, sondern führen in den Umfragen für die Nationalratswahlen am 29. September.
Entsprechend drehen sich viele Diskussionen um mögliche Koalitionen nach der Wahl. Es ist alles sehr kompliziert. Eine „Brandmauer“ gibt es in Österreich nicht – wie denn auch, wenn die Rechten bis zur „Ibiza-Affäre“ an der Regierung beteiligt waren? In vielen Diskussionen waren ausnahmslos alle Gesprächspartner überzeugt, dass die konservative Volkspartei (ÖVP) wieder mit der FPÖ eine Koalition bilden würde, wenn sie damit nur an der Macht bleiben kann. Der Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer schließt zwar ein Bündnis mit Herbert Kickl aus – aber das würde im Fall des Falles nur bedeuten, dass einer der beiden gehen müsste.
(Un‑)Mögliche Koalitionen
Sollten Rechtspopulisten und Konservative keine Mehrheit zustande bringen, deutet einiges auf ein Bündnis zwischen ÖVP, Sozialdemokraten und den liberalen NEOS hin. Eine „große Koalition“ – ein Klassiker in Österreich – gilt aufgrund des geringen Stimmenanteils als praktisch ausgeschlossen. Ob und wie eine liberale Partei eine neue Regierung prägen könnte, ist völlig offen. Klar ist, dass Bundesminister einer solchen Partei eine echte Innovation in der österreichischen Politik wären.
Die SPÖ an der Regierung wäre wenig innovativ, aber immerhin haben die Sozis nach einigem Hick-Hack einen neuen Spitzenmann, der bisher Bürgermeister war und nun Bundeskanzler werden will: Andreas Babler fiel anfangs dadurch positiv auf, dass er im Gegensatz zu vielen Politikern der Alpenrepublik ganze Sätze fehlerfrei sprechen konnte und klare Positionen formulierte. Mittlerweile hat sein Ansehen gelitten: Einerseits muss er mit Störfeuern aus den eigenen Reihen fertig werden, andererseits hat er wirtschaftspolitische Ideen formuliert, die aus den frühen 1970er Jahren zu stammen scheinen und nicht nur bei strammen Neoliberalen die Tränen fließen lassen.
Und die Grünen? Sie werben zwar halbwegs originell mit „Wähl‘, als gäb’s ein Morgen“ – aber dass es für die Grünen ein Morgen als Regierungspartei gibt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Weil sie der ÖVP in der aktuellen Regierungskoalition zu viel haben durchgehen lassen und keine roten Linien der Zusammenarbeit kannten, sind sie für manche Leute schlicht unwählbar geworden. Was ihnen gewiss hilft: Die Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz durch die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gegen den ausdrücklichen Willen des Koalitionspartners. Österreich war bei der Schlussabstimmung das Zünglein an der Waage – insofern hat Gewessler das Gesetz erst ermöglicht. Entsprechend gilt die Sache nicht wenigen Menschen als die ökologische Heldinnentat auf die Grün-Wählende so lange warten mussten.
Die ÖVP dagegen schäumte, sprach von Vertrauens- und Verfassungsbruch und konnte ihren Groll auf Gewessler kaum bändigen. Unter einem ÖVP-Kanzler kann sie sicher nicht noch einmal Ministerin werden – was angesichts der geringen Chance auf eine grüne Regierungsbeteiligung allerdings nicht sonderlich relevant scheint. Relevanter – auch für die Zukunft einer zeitgemäßen Gesellschaftspolitik in Österreich – ist das, worum es beim bösen Streit um die Renaturierung wirklich ging.
Klimaschutz: Ja, aber…
Nämlich nicht um Formalia und Personalia. Die Heftigkeit des Streits und die fast schon bizarre Aufregung der ÖVP zeigt, worum es hier tatsächlich ging: Um die gesellschaftliche Frage, ob „Normalität“ herrschen soll oder ein Bewusstsein davon Platz greift, dass diese Normalität selbst in Frage steht. Oder, zugespitzt: ob Reformnotwendigkeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse ernst genommen werden oder der „Hausverstand“ regieren soll. Dieser Begriff ist das österreichische Wort für den „gesunden Menschenverstand“. Auf den berufen sich vor allem diejenigen, die bremsen wollen, wenn es um Reformen geht.
Bei der Klimapolitik heißt das regelmäßig: weniger, langsamer, vorsichtiger – und zwar nicht im Sinne eines ökologischen Vorsorgeprinzips, sondern mit Blick auf die Interessen von Bauern, Autofahrerinnen und Menschen, die vegetarisches Essen für Teufelszeug halten. Wenn man genau hinschaut, ist damit „Normalität“ ein zentrales Thema dieser Wahl. „Normale Menschen“ – ja, so redet man wirklich – sind die Kernzielgruppe vor allem von ÖVP und FPÖ.
Normalität muss aber grundlegend verändert werden, sollen Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht nur nette Leitbilder sein, sondern Realität werden. Und auch die Verteidigung einer liberalen Moderne erfordert, dass liebgewonnen Gewohnheiten und eingespielte Normalitäten hinterfragt und transformiert werden. Mit Blick auf die Österreichischen Nationalratswahlen muss man leider feststellen: Für den Beginn auch nur kleiner transformatorischer Schritte gibt es keinerlei Anzeichen. Die Grünen sind zu schwach, die FPÖ hält den Klimawandel für eine Erfindung, den Sozialdemokraten ist das Soziale wichtiger, den NEOS das Geld und der ÖVP eben die verbissene Verteidigung dessen, was ihre Funktionärselite als „normal“ bezeichnet.
Würde und Hoffnung
Politiker, die den Ernst der Lage (Demokratie, Klima, Verteidigung) wirklich verstehen, gibt es kaum oder sind zumindest in diesem Wahlkampf nicht sichtbar. Sichtbar sind vor allem Kickls Hetze, Nehammers begrenzter intellektueller Horizont und die völlige Unfähigkeit des Grünen-Chefs und Spitzenkandidaten Kogler, das Wahlvolk halbwegs verständlich anzusprechen. Das alles klingt nach Polemik, ist aber leider eine empirisch ziemlich zutreffende Beschreibung des Standes der Dinge. Die Aussichten sind also bestenfalls trüb.
Der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Fred Sinowatz wird gerne mit dem Satz zitiert „Es ist alles sehr kompliziert.“ Wie so oft lohnt auch hier ein Blick auf den Kontext – und der ist eine Nationalratsrede Sinowatz‘ aus dem Jahre 1983: Er wisse schon, sagte er dort, „das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzugeben, dass es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann. Helfen wir mit, dass die simplen Denkmuster in der Politik überwunden werden können und dass wir die notwendigen Auseinandersetzungen für einen demokratischen Willensbildungsprozess ohne Herabwürdigung der Demokratie führen können.“
Das könnte kaum aktueller sein. Dass Perfektion und Pluralismus nicht zusammengehen, ist eine zentrale Erkenntnis für alle, die an Freiheit, Demokratie und Nachhaltigkeit interessiert sind. Leider spricht nichts dafür, dass sie einen Einfluss auf die bevorstehende Wahl hat. Aber wie heißt es nicht nur im Fußball so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
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