Ein Extremist als Staats­anwalt? Der Fall Thomas Seitz

Wehrhafte Demokratie: AfD-MdB im Bundestag Thomas Seitz verliert Beamtenstatus weil er im Wahlkampf für Alternative für Deutschland Verfassungstreue bricht.
© Robin Krahl, CC-by-sa 4.0. Quelle: Wikimedia Commons.

Der Fall des Staats­an­walts und AfD-Abgeord­neten Thomas Seitz ist ein exempla­ri­sches Beispiel, wann die Agitation am extrem rechten Rand einem Beamten den Job kosten kann. Was ist noch Meinungs­freiheit? Und wann verstoßen Richter, Polizisten oder Lehrer gegen das Gebot zu Mäßigung, Verfas­sungs­treue und Neutra­lität?  Das Urteil des Richter­dienst­ge­richts lässt keine Zweifel an der Wehrhaf­tigkeit der Demokratie. Der Beitrag erschien zunächst im Sam­mel­band „Extreme Sicher­heit – Rechts­ra­di­kale in Polizei, Ver­fas­sungs­schutz, Bun­des­wehr und Justiz“.

Acht Wochen dauerte die Prüfung, die Bundes­in­nen­mi­nister Horst Seehofer Anfang 2019 durch­führen ließ. Die Frage, um die es ging, war heikel: Wie radikal dürfen Beamte sein? Oder anders herum: Wann zieht ihr politi­sches Engagement im Staats­dienst Konse­quenzen nach sich? Er wolle dies ganz generell klären, betonte der CSU-Politiker und sprach von Links- und Rechts­ra­di­kalen. Doch allen war klar: Es geht um die AfD. Der Staat erhöht den Druck auf die radikal rechte Partei. Und ganz nebenbei macht Seehofer der politi­schen Konkurrenz damit das Leben ein bisschen schwerer. 

Portrait von Sabine am Orde

Sabine am Orde arbeitet als innen­po­li­tische Korre­spon­dentin für die taz

Kurz zuvor hatte der Verfas­sungs­schutz die AfD als Gesamt­partei zum sogenannten Prüffall erklärt, den „Flügel“, wie sich die weit rechte Strömung um Björn Höcke selber nennt, und die Nachwuchs­or­ga­ni­sation Junge Alter­native sogar zu Verdachts­fällen. Die Lage ist kompli­ziert – und in dieser Form neu. Denn die AfD ist längst keine Split­ter­partei mehr, sie ist inzwi­schen im Bundestag und allen Landes­par­la­menten vertreten; auch sieht der Verfas­sungs­schutz zwar „gewichtige Hinweise“ auf extre­mis­tische Bestre­bungen bei Teilen der Partei, hat aber weder diese noch die Gesamt­partei als rechts­extrem und verfas­sungs­feindlich einge­stuft. Wie also umgehen mit Beamten, die dort aktiv sind? Diese Frage war der Hinter­grund von Seehofers Prüfauftrag.

Beamte in der AfD

Um wie viele Menschen es dabei geht, ist nicht bekannt, die AfD selbst hat keine Zahlen. Doch partei­intern geht man davon aus, dass der Anteil der Beamten unter den 35 000 AfD-Mitgliedern durchaus hoch ist. Eine Recherche der Zeitungen der Funke-Medien­gruppe1 ergab, dass allein unter den 281 Abgeord­neten der AfD, die im Bundestag und in den Landes­par­la­menten sitzen, derzeit mindestens 46 Beamte sind, das macht 16 Prozent. Auch wenn man das vielleicht nicht auf die Partei­mit­glieder hochrechnen kann, so ist es zumindest ein Anhalts­punkt. Unter den Abgeord­neten sind Polizisten und Soldaten, Richter und Lehrer, einige bereits in Pension.

Auch manche der bekann­testen AfD-Rechts­außen sind Beamte. „Flügel“-Anführer Höcke ist Lehrer. In seinem Thüringer Landes­verband treten bei der Landtagswahl im Oktober 2019 gleich vier Polizisten auf den vorderen Listen­plätzen an. In Sachsen war der „Flügel“-Obmann, Jens Maier, bis zu seiner Wahl in den Bundestag 2017 als Richter am Landge­richt Dresden tätig. In Mecklenburg-Vorpommern führt ein Polizist die AfD-Landtags­fraktion an. Und da gibt es Thomas Seitz aus Baden-Württemberg – dem der Staat schon vor Seehofers Prüfung die rote Karte gezeigt hat.

Seitz, Jahrgang 1967, wird zum völkisch-natio­na­lis­ti­schen Flügel der AfD gerechnet, sein Name taucht im AfD-Bericht des Verfas­sungs­schutzes viermal auf. Seitz ist Bundes­tags­ab­ge­ord­neter – und hat zuvor in Freiburg als Staats­anwalt im Bereich Verkehrs­recht gearbeitet. Seit seinem Einzug in den Bundestag ruht das Beamten­ver­hältnis. Doch damit könnte es vorbei sein. Denn das Landes­jus­tiz­mi­nis­terium in Baden-Württemberg will Seitz aus dem Beamten­ver­hältnis entfernen. Das zuständige Gericht in Karlsruhe hat dem bereits zugestimmt. Rechts­kräftig ist das Urteil aber noch nicht, Seitz geht dagegen vor.

Einen vergleich­baren Fall gab es bislang nicht, der AfD-Mann hat angekündigt, sich durch alle Instanzen zu klagen. Er könnte in einigen Jahren also vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt und auch vor dem Europäi­schen Gerichtshof für Menschen­rechte landen. Grund genug, den Fall Seitz näher zu betrachten.

Seitz im Bundestag: Schwei­ge­minute im Fall Susanna

Seitz ist ein Mann, der gern provo­ziert. Bekannt ist vor allem einer seiner Auftritte im Bundestag, bei dem der sonst so wortge­waltige Mann sich recht ruhig gab. An einem Freitag im Juni 2018 wird im Bundestag die Geschäfts­ordnung disku­tiert, als Seitz ans Redepult tritt. Statt zu argumen­tieren, schweigt der AfD-Politiker – zum „Gedenken an die in Wiesbaden tot aufge­fundene Susanna“, wie er zuvor verkündet hat. Es ist ein Fall, den die AfD zu dieser Zeit vielerorts instru­men­ta­li­siert. Ein Geflüch­teter wird damals verdächtigt, die 14-Jährige getötet zu haben – inzwi­schen wurde er zu lebens­langer Haft verur­teilt. Bundes­tags­prä­sident Wolfgang Schäuble (CDU) erteilt Seitz später eine Rüge für seine Schwei­ge­minute, weil er diese ohne Zustimmung des Parla­ments­prä­si­diums abgehalten hat. Für Seitz funktio­niert die Provo­kation: Medien berichten, allein auf dem YouTube-Kanal der AfD-Bundes­tags­fraktion wird das Video mehr als 150 000 Mal aufgerufen.2

Auch schon vor seiner Zeit im Bundestag hat Seitz provo­ziert. Er hat Geflüchtete „Invasoren“ und „Migras­soren“ genannt, den ehema­ligen US-Präsi­denten Barack Obama bezeichnete er als „Quoten­neger“, den hiesigen Justiz­ap­parat als „Gesin­nungs­justiz“. Eines seiner Postings zeigt einen Koran, der in einer Toilette liegt.

Im März 2016 wandten sich 22 Straf­ver­tei­diger aus Seitz‘ Bezirk an den leitenden Oberstaats­anwalt und äußerten Bedenken, vier Monate später leitete dieser ein Diszi­pli­nar­ver­fahren gegen Seitz ein. Das legte er im September dem baden-württem­ber­gi­schen Justiz­mi­nis­terium vor, weil er seine Diszi­pli­nar­be­fugnis für nicht ausrei­chend hielt. Anfang 2017 erhob das Minis­terium Diszi­pli­nar­klage gegen den Staats­anwalt mit dem Ziel, ihn aus dem Beamten­ver­hältnis zu entfernen. Seitz dagegen forderte, die Diszi­pli­nar­klage abzuweisen.

Fallen seine Äußerungen, wie Seitz argumen­tiert, noch unter die in Artikel 5 des Grund­ge­setzes verbriefte Meinungs­freiheit? Oder hat der Freiburger Staats­anwalt damit gegen das Gebot zu Mäßigung, Verfas­sungs­treue und Neutra­lität verstoßen, das im Beamten­sta­tus­gesetz festge­schrieben ist? In dieses juris­tische Spannungsfeld fällt der Fall Seitz.

AfD-Abgeord­neter Seitz bricht Verfassungstreue

Das Urteil des Richter­dienst­ge­richts ist eindeutig: Es hat im August 2018 entschieden, dass Seitz seinen Beamten­status verliert.3 In seiner schrift­lichen Urteils­be­gründung, die 25 Seiten umfasst, führt das Gericht aus, dass Seitz „in vielfacher Hinsicht schwer­wiegend gegen die elemen­taren beamten­recht­lichen Pflichten verstoßen und seine Dienst­pflichten verletzt“ habe. Drei Gründe führt das Gericht dafür an: Seitz habe erstens gegen die Pflicht zur Verfas­sungs­treue verstoßen, indem er zum Beispiel die Bürger zum „Wider­stand“ aufge­rufen, den Staat als „Unter­drü­ckungs­in­strument“ bezeichnet und die Justiz als „Gesin­nungs­justiz“ beschimpft habe. Zweitens habe Seitz gegen das beamten­recht­liche Gebot der Mäßigung verstoßen. Der dritte Vorwurf stützt sich auf zwei Fotos, die Seitz in Wahlkämpfen benutzt hat. Wegen der über den Arm gelegten Robe, der weißen Krawatte und einer Geset­zes­sammlung sei er als Angehö­riger der Straf­justiz zu erkennen gewesen. Damit habe er Amt und politi­schen Meinungs­kampf vermengt.

Die Eindeu­tigkeit des Falls dürfte auch an diesen Fotos liegen. Zu seiner dienst­lichen Tätigkeit – er bearbeitete Verkehrs­de­likte – waren Seitz keine Vorwürfe gemacht worden. Tritt das Urteil in Kraft, kann Seitz nicht mehr als Staats­anwalt arbeiten und verliert seine Ansprüche auf Beamtenpension.

Das Urteil liegt auf einer Linie mit dem Prüfergebnis des Bundes­in­nen­mi­nis­te­riums: Die reine Mitglied­schaft einer Beamtin oder eines Beamten in einer Partei oder Organi­sation, die von den Verfas­sungs­schutz­be­hörden als Prüffall oder Verdachtsfall behandelt wird, deren Verfas­sungs­feind­lichkeit aber nicht festge­stellt wurde, sei beamten­rechtlich ohne Relevanz, heißt es darin. Entscheidend sei vielmehr das „konkrete Verhalten“: wenn zu einer Mitglied­schaft also Aktivi­täten hinzu­kämen, die den Verdacht recht­fer­tigten, dass der Beamte ein Dienst­ver­gehen begangen habe. Bereits einzelne Verhal­tens­weisen, die mit der gesetz­lichen Treue­pflicht unver­einbar seien, könnten dabei diszi­pli­na­rische Maßnahmen nach sich ziehen. Wie bei Seitz also. „Die beamten- und diszi­pli­nar­recht­lichen Vorkeh­rungen gegen eine extre­mis­tische Aushöhlung des öffent­lichen Dienstes durch nicht verfas­sungs­treue Beamte funktio­nieren“, das ist eine Schluss­fol­gerung der Prüfung im Bundes­in­nen­mi­nis­terium. Das heißt also: Eine Verschärfung der Geset­zeslage – etwa in Richtung des ehema­ligen Radika­len­er­lasses – ist derzeit nicht geplant.

Das heißt aber auch: Sollten die AfD – oder Teile von ihr – als verfas­sungs­feindlich einge­stuft werden, kann es schnell eng werden für die Beamten und Beamtinnen in der AfD.

Anmer­kungen

1 T. Martus, C. Unger, M. Sanches und F. Schauka, Wie der Staat mit AfD-Beamten in den eigenen Reihen umgeht, in: Berliner Morgenpost, 12.2.2019, abgerufen am 22.4.2019 www.morgenpost.de/politik/article216420149/AfD-Bjoern-Hoeckes-Aeusserungen-koennten-fuer-Beamte-der-Partei-Folgen-haben.html

2 Vgl. Schwei­ge­minute für Susanna auf Youtube, abgerufen am 20.4.2019 www.youtube.com/watch?v=Y2XprqZwPlg

3 Landge­richt Karlsruhe, Dienst­ge­richt für Richter, Urteil vom 13.8.2018, Geschäfts­nummer RDG 1/​17

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