Ein Extremist als Staatsanwalt? Der Fall Thomas Seitz
Der Fall des Staatsanwalts und AfD-Abgeordneten Thomas Seitz ist ein exemplarisches Beispiel, wann die Agitation am extrem rechten Rand einem Beamten den Job kosten kann. Was ist noch Meinungsfreiheit? Und wann verstoßen Richter, Polizisten oder Lehrer gegen das Gebot zu Mäßigung, Verfassungstreue und Neutralität? Das Urteil des Richterdienstgerichts lässt keine Zweifel an der Wehrhaftigkeit der Demokratie. Der Beitrag erschien zunächst im Sammelband „Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“.
Acht Wochen dauerte die Prüfung, die Bundesinnenminister Horst Seehofer Anfang 2019 durchführen ließ. Die Frage, um die es ging, war heikel: Wie radikal dürfen Beamte sein? Oder anders herum: Wann zieht ihr politisches Engagement im Staatsdienst Konsequenzen nach sich? Er wolle dies ganz generell klären, betonte der CSU-Politiker und sprach von Links- und Rechtsradikalen. Doch allen war klar: Es geht um die AfD. Der Staat erhöht den Druck auf die radikal rechte Partei. Und ganz nebenbei macht Seehofer der politischen Konkurrenz damit das Leben ein bisschen schwerer.
Kurz zuvor hatte der Verfassungsschutz die AfD als Gesamtpartei zum sogenannten Prüffall erklärt, den „Flügel“, wie sich die weit rechte Strömung um Björn Höcke selber nennt, und die Nachwuchsorganisation Junge Alternative sogar zu Verdachtsfällen. Die Lage ist kompliziert – und in dieser Form neu. Denn die AfD ist längst keine Splitterpartei mehr, sie ist inzwischen im Bundestag und allen Landesparlamenten vertreten; auch sieht der Verfassungsschutz zwar „gewichtige Hinweise“ auf extremistische Bestrebungen bei Teilen der Partei, hat aber weder diese noch die Gesamtpartei als rechtsextrem und verfassungsfeindlich eingestuft. Wie also umgehen mit Beamten, die dort aktiv sind? Diese Frage war der Hintergrund von Seehofers Prüfauftrag.
Beamte in der AfD
Um wie viele Menschen es dabei geht, ist nicht bekannt, die AfD selbst hat keine Zahlen. Doch parteiintern geht man davon aus, dass der Anteil der Beamten unter den 35 000 AfD-Mitgliedern durchaus hoch ist. Eine Recherche der Zeitungen der Funke-Mediengruppe1 ergab, dass allein unter den 281 Abgeordneten der AfD, die im Bundestag und in den Landesparlamenten sitzen, derzeit mindestens 46 Beamte sind, das macht 16 Prozent. Auch wenn man das vielleicht nicht auf die Parteimitglieder hochrechnen kann, so ist es zumindest ein Anhaltspunkt. Unter den Abgeordneten sind Polizisten und Soldaten, Richter und Lehrer, einige bereits in Pension.
Auch manche der bekanntesten AfD-Rechtsaußen sind Beamte. „Flügel“-Anführer Höcke ist Lehrer. In seinem Thüringer Landesverband treten bei der Landtagswahl im Oktober 2019 gleich vier Polizisten auf den vorderen Listenplätzen an. In Sachsen war der „Flügel“-Obmann, Jens Maier, bis zu seiner Wahl in den Bundestag 2017 als Richter am Landgericht Dresden tätig. In Mecklenburg-Vorpommern führt ein Polizist die AfD-Landtagsfraktion an. Und da gibt es Thomas Seitz aus Baden-Württemberg – dem der Staat schon vor Seehofers Prüfung die rote Karte gezeigt hat.
Seitz, Jahrgang 1967, wird zum völkisch-nationalistischen Flügel der AfD gerechnet, sein Name taucht im AfD-Bericht des Verfassungsschutzes viermal auf. Seitz ist Bundestagsabgeordneter – und hat zuvor in Freiburg als Staatsanwalt im Bereich Verkehrsrecht gearbeitet. Seit seinem Einzug in den Bundestag ruht das Beamtenverhältnis. Doch damit könnte es vorbei sein. Denn das Landesjustizministerium in Baden-Württemberg will Seitz aus dem Beamtenverhältnis entfernen. Das zuständige Gericht in Karlsruhe hat dem bereits zugestimmt. Rechtskräftig ist das Urteil aber noch nicht, Seitz geht dagegen vor.
Einen vergleichbaren Fall gab es bislang nicht, der AfD-Mann hat angekündigt, sich durch alle Instanzen zu klagen. Er könnte in einigen Jahren also vor dem Bundesverfassungsgericht und auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen. Grund genug, den Fall Seitz näher zu betrachten.
Seitz im Bundestag: Schweigeminute im Fall Susanna
Seitz ist ein Mann, der gern provoziert. Bekannt ist vor allem einer seiner Auftritte im Bundestag, bei dem der sonst so wortgewaltige Mann sich recht ruhig gab. An einem Freitag im Juni 2018 wird im Bundestag die Geschäftsordnung diskutiert, als Seitz ans Redepult tritt. Statt zu argumentieren, schweigt der AfD-Politiker – zum „Gedenken an die in Wiesbaden tot aufgefundene Susanna“, wie er zuvor verkündet hat. Es ist ein Fall, den die AfD zu dieser Zeit vielerorts instrumentalisiert. Ein Geflüchteter wird damals verdächtigt, die 14-Jährige getötet zu haben – inzwischen wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) erteilt Seitz später eine Rüge für seine Schweigeminute, weil er diese ohne Zustimmung des Parlamentspräsidiums abgehalten hat. Für Seitz funktioniert die Provokation: Medien berichten, allein auf dem YouTube-Kanal der AfD-Bundestagsfraktion wird das Video mehr als 150 000 Mal aufgerufen.2
Auch schon vor seiner Zeit im Bundestag hat Seitz provoziert. Er hat Geflüchtete „Invasoren“ und „Migrassoren“ genannt, den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama bezeichnete er als „Quotenneger“, den hiesigen Justizapparat als „Gesinnungsjustiz“. Eines seiner Postings zeigt einen Koran, der in einer Toilette liegt.
Im März 2016 wandten sich 22 Strafverteidiger aus Seitz‘ Bezirk an den leitenden Oberstaatsanwalt und äußerten Bedenken, vier Monate später leitete dieser ein Disziplinarverfahren gegen Seitz ein. Das legte er im September dem baden-württembergischen Justizministerium vor, weil er seine Disziplinarbefugnis für nicht ausreichend hielt. Anfang 2017 erhob das Ministerium Disziplinarklage gegen den Staatsanwalt mit dem Ziel, ihn aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Seitz dagegen forderte, die Disziplinarklage abzuweisen.
Fallen seine Äußerungen, wie Seitz argumentiert, noch unter die in Artikel 5 des Grundgesetzes verbriefte Meinungsfreiheit? Oder hat der Freiburger Staatsanwalt damit gegen das Gebot zu Mäßigung, Verfassungstreue und Neutralität verstoßen, das im Beamtenstatusgesetz festgeschrieben ist? In dieses juristische Spannungsfeld fällt der Fall Seitz.
AfD-Abgeordneter Seitz bricht Verfassungstreue
Das Urteil des Richterdienstgerichts ist eindeutig: Es hat im August 2018 entschieden, dass Seitz seinen Beamtenstatus verliert.3 In seiner schriftlichen Urteilsbegründung, die 25 Seiten umfasst, führt das Gericht aus, dass Seitz „in vielfacher Hinsicht schwerwiegend gegen die elementaren beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen und seine Dienstpflichten verletzt“ habe. Drei Gründe führt das Gericht dafür an: Seitz habe erstens gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, indem er zum Beispiel die Bürger zum „Widerstand“ aufgerufen, den Staat als „Unterdrückungsinstrument“ bezeichnet und die Justiz als „Gesinnungsjustiz“ beschimpft habe. Zweitens habe Seitz gegen das beamtenrechtliche Gebot der Mäßigung verstoßen. Der dritte Vorwurf stützt sich auf zwei Fotos, die Seitz in Wahlkämpfen benutzt hat. Wegen der über den Arm gelegten Robe, der weißen Krawatte und einer Gesetzessammlung sei er als Angehöriger der Strafjustiz zu erkennen gewesen. Damit habe er Amt und politischen Meinungskampf vermengt.
Die Eindeutigkeit des Falls dürfte auch an diesen Fotos liegen. Zu seiner dienstlichen Tätigkeit – er bearbeitete Verkehrsdelikte – waren Seitz keine Vorwürfe gemacht worden. Tritt das Urteil in Kraft, kann Seitz nicht mehr als Staatsanwalt arbeiten und verliert seine Ansprüche auf Beamtenpension.
Das Urteil liegt auf einer Linie mit dem Prüfergebnis des Bundesinnenministeriums: Die reine Mitgliedschaft einer Beamtin oder eines Beamten in einer Partei oder Organisation, die von den Verfassungsschutzbehörden als Prüffall oder Verdachtsfall behandelt wird, deren Verfassungsfeindlichkeit aber nicht festgestellt wurde, sei beamtenrechtlich ohne Relevanz, heißt es darin. Entscheidend sei vielmehr das „konkrete Verhalten“: wenn zu einer Mitgliedschaft also Aktivitäten hinzukämen, die den Verdacht rechtfertigten, dass der Beamte ein Dienstvergehen begangen habe. Bereits einzelne Verhaltensweisen, die mit der gesetzlichen Treuepflicht unvereinbar seien, könnten dabei disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen. Wie bei Seitz also. „Die beamten- und disziplinarrechtlichen Vorkehrungen gegen eine extremistische Aushöhlung des öffentlichen Dienstes durch nicht verfassungstreue Beamte funktionieren“, das ist eine Schlussfolgerung der Prüfung im Bundesinnenministerium. Das heißt also: Eine Verschärfung der Gesetzeslage – etwa in Richtung des ehemaligen Radikalenerlasses – ist derzeit nicht geplant.
Das heißt aber auch: Sollten die AfD – oder Teile von ihr – als verfassungsfeindlich eingestuft werden, kann es schnell eng werden für die Beamten und Beamtinnen in der AfD.
Anmerkungen
1 T. Martus, C. Unger, M. Sanches und F. Schauka, Wie der Staat mit AfD-Beamten in den eigenen Reihen umgeht, in: Berliner Morgenpost, 12.2.2019, abgerufen am 22.4.2019 www.morgenpost.de/politik/article216420149/AfD-Bjoern-Hoeckes-Aeusserungen-koennten-fuer-Beamte-der-Partei-Folgen-haben.html
2 Vgl. Schweigeminute für Susanna auf Youtube, abgerufen am 20.4.2019 www.youtube.com/watch?v=Y2XprqZwPlg
3 Landgericht Karlsruhe, Dienstgericht für Richter, Urteil vom 13.8.2018, Geschäftsnummer RDG 1/17
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