Nicht so verzagt, Herrschaften! – Eine Agenda der ökologischen Modernisierung für Jamaika
Im Klimaschutz könnte Jamaika eine inhaltliche Klammer finden. Es geht nicht nur um Umweltschutz sondern auch darum, den Anschluss an die technologische Innovation zu behalten, Wirtschaft und ländliche Räume zu stärken. Allerdings müssten dafür die Verhandler den Wahlkampfmodus hinter sich lassen.
CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen stehen vor einer Quadratur des Kreises. Trotz aller inhaltlichen und kulturellen Gegensätze müssen sie ein tragfähiges Regierungsprogramm zimmern. Der vordergründig bequeme Ausweg wäre eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners. Doch dabei droht, dass das Profil der Regierungspartner zur Unkenntlichkeit verschwimmt und die großen Probleme auf die lange Bank geschoben werden.
Eine Jamaika-Koalition wird nur dann Schwung gewinnen, wenn sich die Beteiligten nicht ihrer Stärken berauben, sondern diese zur Geltung bringen können. Differenz als Strategie lautet die Devise. Das erfordert nicht weniger als den Mut für eine neue politische Kultur. Die Parteien müssten sich gegenseitige Freiräume zur Profilschärfung zulassen, ohne dabei freilich die Schmerzgrenze der anderen zu reißen. Eine Gratwanderung, die ein hohes Maß an Pragmatismus und Konsensfähigkeit, manchmal auch Zurückhaltung voraussetzt.
Jamaika birgt Sprengkraft und Chance zugleich
Die Fliehkräfte einer solchen Aufstellung sind enorm. Denn Freiräume zuzulassen heißt nicht weniger als dem eigenen Anhang auch Zumutungen zuzutrauen. Gelingt dies, wird Jamaika eine neue Dynamik in unterschiedlichen Richtungen erzeugen, wie es in einer klassischen Lagerkoalition undenkbar wäre. Darin liegt Sprengkraft und Chance zugleich. Wird diese Spannung konstruktiv und nach vorne gerichtet genutzt, können aus früheren politischen Gegnern künftige Regierungspartner werden. Was aber wäre die inhaltliche Klammer, die dieses Zweckbündnis zusammenhält?
Flüchtlingspolitik, Eurokrise, sozialer Zusammenhalt – die neue Koalition muss viele Herausforderungen anpacken. Doch bei keinem anderen Thema steht die Politik unter solchen Zeitdruck wie beim Klimaschutz. Der Meeresspiegel steigt, die Gletscher schmelzen, todbringende Dürren, Fluten und Stürme nehmen an Häufigkeit und Intensität zu. Wir steuern mit Höchsttempo auf die Klimakrise zu.
Es gibt aber einen weiteren Grund, der die ökologische Frage von allen anderen Politikfeldern unterscheidet. Alle vier Parteien haben ihre Konzepte für die Regierungsarbeit ausgearbeitet. Aber nur eine von ihnen ist mit dem Auftrag der ökologischen Transformation in die Regierung gewählt geworden. Ohne einen Fahrplan für den Kohleausstieg können die Grünen, das wissen auch die anderen, nicht nach Hause kommen.
Für die anderen Parteien ist dies vordergründig ein Dilemma. Die umweltpolitischen Erfolge einer Regierung werden meist den Grünen zugeschrieben – in manchen Fällen sogar dann, wenn sie gar nicht mitregieren, wie Angela Merkel nach ihrer atompolitische Pirouette nach Fukushima erlebt hat. Kein Wunder, haben doch die Grünen als einzige Partei umfassende Konzepte zur ökologischen Transformation ausgearbeitet und setzen diese schon seit Jahren in Regierungsbeteiligungen in den Ländern um. Damit haben sich die Grünen Kompetenzzuschreibungen in der Umwelt- und Energiepolitik von parteiübergreifend 50 bis 60 Prozent erarbeitet.
Union und FDP sind in den letzten Jahren den Nachweis schuldig geblieben, die besseren Klimakonzepte zu haben. Zwar bekennen sie sich zum Pariser Klimavertrag und dessen Ziel, die globale Erwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen. Doch im Zweifelsfall stellen sie den Klimaschutz den kurzfristigen Interessen der Industrie hinten an. Sie treten allenfalls als Korrektiv zur Umwelt- und Klimapolitik der Grünen auf. Damit tun sie sich keinen Gefallen. Auch ein Großteil ihrer Wählerinnen und Wähler wollen eine intakte Umwelt, saubere Luft und besseren Klimaschutz. Union und FDP sollten den Anspruch haben, diese Erwartungen zu erfüllen, in dem sie die ökologische Modernisierung auch als ihren Regierungsauftrag akzeptieren. In den wichtigsten Themenfeldern sind Ansätze erkennbar, an denen sie glaubhaft anknüpfen können.
Vier Säulen für eine ökologische Modernisierung
Für die Jamaika-Koalition drängt sich eine Agenda einer ökologischen Modernisierung auf, die auf vier Säulen steht:
- Erstens, eine ökologische Abgabenreform, die das komplizierte Gestrüpp aus Steuern, Abgaben und Umlagen vereinfacht. Die Abschaffung der Stromsteuer und Senkung der überhöhten Netzentgelte würde den Spielraum öffnen, einen CO2-Mindestpreis festzulegen. Die üppigen Ausnahmen für die Industrie bei der Erneuerbaren-Energien-Umlage könnten auf ein realistisches Maß gestutzt und künftig über den Bundeshaushalt finanziert werden. Umweltschädliche Subventionen wie etwa beim Dieselkraftstoff und dem Dienstwagenprivileg gehören abgeschafft. LKW- und Verkehrsmaut würden ökologisiert.
- Zweitens müsste ein robuster Kohleausstieg zur tragenden Säule der Energiewende werden. Länder wie Italien, Großbritannien und die Niederlande gehen mit gutem Beispiel voran. Daneben muss der Strukturwandel in den Kohleregionen unterstützt werden. Auch die Grünen wollen keine Industriebrachen, sondern den Aufbau ökonomischer Alternativen. Darüber hinaus sollte die Regierung die Kopplung zwischen Strom, Verkehr und Wärmesektor vorantreiben. Sie ist die Antwort auf den wachsenden Anteil fluktuierender Energiequellen in der Stromproduktion und verbessert die Effizienz und Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems. Seit Wind- und Solarparks nur noch über Ausschreibungen gefördert werden, ist die Energiewende marktnah wie nie. Allerdings sollten die Bremsen beim Ausbau der erneuerbaren Energien gelockert werden. Das würde Raum für eine weitere Aktivierung der Bürgergesellschaft öffnen, die bei der Energiewende mit anpackt. Um diese Potenziale zu heben, müsste Bürgerstrom Vorrang erhalten und bürokratische Hürden abgebaut werden. Zusammen mit den technischen Innovationen, die sich durch die Digitalisierung bieten, könnte das neue Geschäftsmodelle ermöglichen, die unternehmerisches Handeln und genossenschaftliche Initiativen in Städten und ländlichen Regionen gleichermaßen stärken.
- Drittens bietet diese Koalition die Chance auf den Einstieg in eine echte Verkehrswende. Während Städte und Regierungen weltweit der Elektromobilität den roten Teppich ausrollen, droht Deutschland den Anschluss zu verpassen. Wollen die deutschen Hersteller ihre Autos auch künftig in Kalifornien, Delhi und Peking verkaufen, werden sie die Regeln dieser Märkte erfüllen müssen. Ob der Weg dahin über Quoten, schärfere Grenzwerte oder Verkaufsverbote führt, ist letzten Endes zweitrangig. Wichtig sind verlässliche Leitplanken der Politik, die die Weichen auf öffentlichen Verkehr und die Elektrifizierung von Auto, Rad, Bus und Bahnen umstellt.
- Und viertens darf die Koalition nicht den Fehler machen, wegen der Dringlichkeit des Klimaschutzes andere ökologische Probleme zu vernachlässigen. Für eine echte Agrarwende können Union und FDP zeigen, dass ihre pauschale Ablehnung nationaler Alleingänge nicht Stillstand, sondern europäischen Fortschritt bedeutet. Wenn sich die Bundesregierung in Brüssel für den Ökolandbau, gegen Ackergifte und für mehr Platz und weniger Antibiotika in den Ställen einsetzt, sinkt die Notwendigkeit für nationale Regeln. Nicht mehr Druck, sondern finanzielle Anreize für Umwelt- und Tierschutz und den Erhalt der Kulturlandschaften sollten deutsche Bauern von einer Jamaika-Koalition erwarten.
Lebhafte Debatten um den richtigen Klimaschutz würden auch der politischen Kultur nutzen
Bei der Umsetzung dieses Programms wird die Koalition häufig streiten. Das kann ein noch so wirkungsvolles Koalitionsmanagement, auf das diese Konstellation dringend angewiesen ist, nicht verbergen. Der kultivierte politische Streit wäre ein Kontrast zur Großen Koalition, die wegen schon früh feststehender Mehrheiten ernsthafte politische Debatten oft schon im Keim erstickte. Und es wäre nicht verkehrt, wenn lebhafte Auseinandersetzungen und leidenschaftliche Debatten ein Comeback im Deutschen Bundestag erlebten.
Letztlich ist es dem Klima egal, ob die Emissionen durch schärfere Grenzwerte, steuerliche Anreize oder verbindliche Quoten sinken. Wichtig ist, dass diese Koalition den Klimaschutz wirklich zur Priorität macht. Dafür sollten die ersten 100 Tage nach Regierungsantritt genutzt werden, ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf die Beine zu stellen, um das Klimaziel, bis 2020 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 auszustoßen, doch noch zu erreichen. Zweitens müssen die Grünen als die Partei mit der stärksten Kompetenz das federführende Ressort leiten. Und drittens sollte ein Sonderbeauftragter im Kanzleramt ernannt werden, der als rechte Hand der Bundeskanzlerin dafür sorgt, dass die mitbeteiligten Ministerien (Wirtschaft, Verkehr, Agrar, BMZ) ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Den Wahlkampfmodus beenden
Die aktuellen Sondierungen geben zugegebenermaßen wenig Anlass für Hoffnung. Einige der Verhandler stecken noch immer im Wahlkampfmodus. Ist aber der marktwirtschaftliche Sound für mehr Unternehmertum der FDP nicht nur ein Lippenbekenntnis, wird sie zusammen mit den Grünen auf eine grundlegende Reform der Abgaben auf Energie und Umwelt drängen und die Bürgerenergie stärken. Im Gegenzug können die Grünen stärker auf marktwirtschaftliche Ordnungspolitik statt auf detaillierte Vorschriften und Verbote setzen. Die Union kann ein umfassendes Klimaprogramm mittragen, weil ihr die Bewahrung der Schöpfung genauso am Herzen liegt wie die Stärkung der ländlichen Räume. Mit dieser Ausprägung würde Jamaika dem Anspruch gerecht werden, eine Politik auf Augenhöhe der Herausforderungen zu formulieren. Eine glaubwürdige Rollenverteilung, in der die Parteien ihre Stärken ausspielen, bietet die Aussicht auf eine gemeinsame Klammer, die ökologische Verantwortung, wirtschaftliche Vernunft und gesellschaftlicher Zusammenhalt verbindet.
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