Anne Apple­baums „Die Achse der Autokraten“: Ein Augen­öffner – auch hinsichtlich westlicher Komplizenschaft

Foto: Imago

Es war eine Nachricht, die für Entsetzen sorgte: Nordkoreas Gewalt­herr­scher Kim verkauft nicht nur Waffen an Putins Russland, sondern sendet auch Truppen für dessen Angriffs­krieg in die Ukraine. Drama­ti­scher hätte eine Beglau­bigung von Anne Apple­baums aktuellem Buch „Die Achse der Autokraten“ nicht ausfallen können, wie der Schrift­steller Marko Martin für uns analysiert.

Dabei präsen­tiert die diesjährige Trägerin des Friedens­preises des Deutschen Buchhandels ohnehin weit mehr als lediglich warnende Thesen, sondern rekur­riert – wie in all ihren Bücher zuvor – auf hard facts. Diese mögen zuvor zwar bereits mehr oder minder bekannt gewesen sein, hatten offenbar aber nie die Aufmerk­samkeit einer breiteren Öffent­lichkeit im Westen erreicht. Es ist deshalb das große Verdienst dieses Buchs, in einem gut lesbaren und trans­pa­renten Kompendium zusam­men­ge­tragen zu haben, wie seit Jahren autokra­tische Systeme mitein­ander koope­rieren, um sich gegen­seitig zu stützen und auswärtige Demokratien zu schwächen, jedoch auch im Inneren Regime­kri­tiker mundtot zu machen. Der faktische Kriegs­ein­tritt Nordkoreas ist dabei lediglich die Spitze eines Eisberges, der bei Anne Applebaum freilich nicht im Unsicht­baren verbleibt.

Autokraten in Front­stellung gegen den Westen vereint

Um was geht es? Um eine gemeinsame Ideologie nur insofern als dass der schii­tische Gottes­staat Iran und das pseudo-linke Venezuela, das rohstoff­reiche, aber herun­ter­ge­wirt­schaftete Simbabwe und der russische Klepto­kraten- Staat in Front­stellung gegen den freiheit­lichen Westen vereint sind – was indessen nicht bedeutet, dass es nicht auch innerhalb der westlichen Gesell­schaften genug mächtige Inter­es­sen­gruppen gibt, die zu Komplizen werden. Nicht zufällig tragen die ersten beiden Kapitel die Titel „In Gier vereint“ und „Das Krebs­ge­schwür der Klepto­kratie“. Es beginnt bei der Nachzeichnung von Wladimir Putins Karrie­re­an­fängen in der Peters­burger Stadt­ver­waltung und der organi­sierten Verun­treuung von Geldern, die eigentlich für den Kauf von Lebens­mitteln vorge­sehen waren – bereits damals hatten bundes­deutsche und Liech­ten­steiner Unter­nehmen, Anwalts­büros und Banken mitge­mischt: „Die Koope­ration des Westens war von Anfang bis Ende dieser Geschichte entscheidend.“

Oligarchen-Netzwerk als Herzstück der Autokratie

Wobei – auch darauf weist Anne Applebaum hin – „das Ende“ noch nicht einmal mit dem krachend geschei­terten, verhäng­nis­vollen Nord Stream-Projekt gekommen ist, sondern gleichsam immer weiter hinaus­ge­schoben wird – etwa im (vermutlich gut vergü­teten) Unwillen der Londoner City, tatsächlich an die Immobilien russi­scher Regime-Protegés heran­zu­gehen oder in der US-ameri­ka­ni­schen Laxheit gegenüber der Stroh­männer-Praxis beim Massen-Aufkauf maroder Unter­nehmen zum Zweck der Geldwäsche. Banken in der Schweiz und Andorra haben derweilen keine Skrupel, verun­treutes Geld aus venezo­la­ni­schen Staats­be­trieben anzunehmen, das auf Geheiß des Maduro-Regimes gewaschen werden soll. Applebaum arbeitet präzis heraus, dass es sich hier nicht etwa um „Teilaspekte“ handelt, sondern um „das Herzstück der Autokratie“: Nur durch liquiden Geldfluss, inklusive „Schmier­mittel“ für späterhin erpressbare auswärtige Komplizen kann die Macht­basis der Autori­tären wirklich gesichert bleiben.

Hinzu kommt die Schüt­zen­hilfe unter­ein­ander: Subven­tio­nierte russische Getrei­de­ex­porte gehen nach Venezuela, China liefert dem Maduro- ebenso wie dem simbab­wi­schen Regime ausge­feilte Überwa­chungs­technik, während Venezuela – wenn auch gegen­wärtig in gerin­gerem Umfang – subven­tio­niertes Erdöl nach Kuba verschickt und dafür kubanische Geheim­dienst­ex­pertise erhält und vom Iran Hilfe beim Aufbau einer Drohnen­fabrik bekommt. Und, wie in den letzten Tagen bekannt geworden, das chine­sische Regime unzählige Kampf­drohnen an Russland verkauft, wo sie gegen die Ukraine einge­setzt werden.

Putins Troll­fa­briken

In der Nachzeichnung dieser Struk­turen entgeht die Autorin der nahelie­genden Gefahr, in der Fülle des Materials zu versinken; mit der gleichen analy­ti­schen Stringenz analy­siert sie alsdann das „Infokrieger“-Netzwerk der Autokraten. Hatte Jewgeni Prigoschins Peters­burger Troll­fabrik bereits 2016 manipu­lativ in den ameri­ka­ni­schen Wahlkampf einge­griffen, um mittels Facebook- und Twitter­konten Bevöl­ke­rungs­gruppen gegen­ein­ander aufzu­hetzen, ist nunmehr der gesamte Westen zum Zielgebiet geworden, um Zwietracht zu säen, Extre­misten jeglicher Couleur zu unter­stützen und mittels geradezu general­stabs­mäßig geplanter Gerüchte-Verbreitung das Vertrauen in demokra­tische Struk­turen nachhaltig zu erschüttern.

Auch Afrika ist inzwi­schen in den Fokus gerückt, wo in den „sozialen Medien“ russi­scher Prove­nienz auf Franzö­sisch und Englisch effektiv Stimmung gegen den Westen gemacht wird, während sich Medien aus China vermeintlich zurück­hal­tender geben und quasi „neutral“ ihre Version vom Segen der neuen Multi­po­la­rität verbreiten. Dieses „wording“, so Applebaum, kommt nicht von ungefähr: Die neue Super­macht geriert sich als ein moderater „Player“ unter vielen und macht gleich­zeitig deutlich, dass sie am nunmehr längeren Hebel sitzt und Rekurse auf univer­selle Menschen­rechte lediglich lästige Fußangeln sind, die der geschwächte Westen in tücki­scher Absicht gelegt hat.

Infokrieger-Netzwerk der Autokraten

Um was es geht: Terri­torien und Begriffe zu dominieren. Dazu beschallt ein beim arabisch­spra­chigen Publikum beliebtes Portal namens „Yala News“ in russi­schem Auftrag den Nahen Osten, um hier Sputnik und RT Arabic zu unter­stützen: Der Vernich­tungs­feldzug gegen die Ukraine wird in Kommen­taren und profes­sionell gemachten Videos umgelogen zum „antiko­lo­nialen Kampf“, unter­stützt durch falsche Fakten­check-Seiten. Ähnliche „Infor­ma­ti­ons­wä­sche­ope­ra­tionen“ auch in Latein­amerika, wo überdies mit Iran Hispan TV ein Sender agiert, der den Holocaust leugnet und das Corona-Virus als Produkt einer „zionis­ti­schen Verschwörung“ darstellt. Eine pausenlose Pro-Hamas-Propa­ganda erfüllt darüber hinaus den Zweck, aufmerk­sam­keits-ökono­misch von den russi­schen Verbrechen in der Ukraine abzulenken. Gleich­zeitig werden auf all diesen Kanälen – und zwar weltweit – unabhängige (Medien-) Aktivisten und Menschen­rechtler auf infamste Weise diffa­miert und als „Agenten des Westens“ dargestellt.

Und jener Westen? Anne Applebaum erinnert daran, dass nach dem geschei­terten Projekt „Wandel durch Handel“, das zwar einige Firmen reich machte, die westlichen Demokratien jedoch in fatale Abhän­gig­keiten hinein­ma­nö­vrierte, über viele Jahre lang noch eine weitere Illusion wirkungs­mächtig blieb: Neben wirtschaft­licher Wirtschafts­kraft würde auch das Internet die Dikta­turen löchriger machen und demokra­tische Werte quasi von selbst in autoritäre Systeme diffun­dieren lassen. Die sträf­liche Naivität und Arroganz und Selbst­ge­wissheit, die aus solchem Köhler­glauben sprach – in diesem Buch wird sie ein ums andere Mal fakten­reich widerlegt.

Es braucht eine Allianz der Demokratien

Der Epilog „Demokratien, vereinigt euch“ belässt es angesichts dieser quasi konzer­tierten autori­tären Offensive jedoch keineswegs beim Barmen und Hände­ringen, sondern wartet mit konkreten Vorschlägen auf. So gelte es die grenz­über­schrei­tende Klepto­kratie als eine der wichtigsten Einkunfts­quellen dieser Regimes durch das konse­quente Stopfen von Schlupf­lö­chern und recht­lichen Grauzonen zu erschweren. Hier sei vor allem die demokra­tische Öffent­lichkeit gefragt, um ihre gewählten Vertreter zu entschieden mehr Elan zu zwingen. Die von Anne Applebaum gefor­derte Reform medialer Platt­formen wird freilich – darauf weist sie ebenfalls hin – inzwi­schen auch innerhalb der Verei­nigten Staaten wüst bekämpft: von einer Trump‘schen Ultra­rechten und im Namen angeb­licher „Meinungs­freiheit“.

In Fragen kluger Entkop­pelung etwa vom chine­si­schen Markt könnte es jedoch Fortschritte geben, sofern diese nicht in der Sackgasse eines natio­na­lis­ti­schen Protek­tio­nismus landen. Ohnehin müssten auch vermehrt Ökonomen, Wirtschafts­wis­sen­schaftler, Daten-Experten und Psycho­logen in ein demokra­tisch-inter­na­tio­na­lis­ti­sches Wider­stands­konzept einge­bunden werden – dabei nicht zu vernach­läs­sigen die ebenfalls weltweit agierende Diaspora der Regime­kri­tiker im Exil. Vor allem aber gilt es immer wieder einer Tatsache ins Auge zu sehen, furchtlos und ohne Ausweichen: „Eine Welt, in der Autokratien koope­rieren, um sich an der Macht zu halten, für ihr System zu werben und Demokratien zu schaden, ist keine ferne Dystopie. Es ist die Welt in der wir heute leben.“

Anne Applebaum: Die Achse der Autokraten. Aus dem Engli­schen von Jürgen Neubauer. Siedler Verlag, München 2024, 206 S., geb., Euro 26,-

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