Rechts­extre­mismus und Krise tradi­tio­neller Männlichkeit

Gage Skidmore [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)] via Flickr

Die auto­ri­täre Revolte ist auch eine Reaktion auf den Wandel tradi­tio­neller Geschlech­ter­rollen. Ihren harten Kern bilden verun­si­cherte, wütende weiße Männer. Der Popu­lis­mus­for­scher Cas Mudde warnt, dass die männliche Iden­ti­täts­krise ein erheb­li­ches Gewalt­po­ten­tial birgt.

Einmal ange­nommen, es wäre die männliche Iden­ti­täts­krise und nicht eine rassis­ti­sche Ideologie der Grund, warum sich Menschen rechts­extremen Gruppen anschließen? Das zumindest behauptet der US-ameri­ka­ni­sche Soziologe Michael Kimmel in seinem neuesten Buch Healing from Hate: How Young Men Get Into – and Out of – Violent Extremism. Das Buch geht der Frage nach, warum sich junge Männer in Deutsch­land, Schweden und den USA rechts­extremen Gruppen anschließen (und warum manche von ihnen diese Gruppen wieder verlassen).

Die zentrale These mag ein wenig forsch formu­liert sein. Das Buch ist aber bemer­kens­wert gut geschrieben und genau recher­chiert. Kimmels, der seit geraumer Zeit zum Thema Männer und Männ­lich­keit forscht, hat sein Buch mit einer Vielzahl von Zitaten aus Inter­views mit „Ausstei­gern“ gespickt.

Offen­sicht­lich werden rechts­extreme Gruppen und Demons­tra­tionen von Männern geprägt, ange­fangen bei der tödlichen Unite the Right-Demons­tra­tion in Virginia im letzten Jahr bis  hin zum pathe­ti­schen Unite the Right 2-Marsch Ende August. Doch Kimmel gehört zu den wenigen, die das auch in den Mittel­punkt ihrer Forschung stellen.

Ausgehend von Inter­views mit ehema­ligen Akti­visten kommt Kimmel zu dem Schluss, dass rechts­extreme Gruppen Männ­lich­keit auf drei verschie­dene, aber mitein­ander verbun­dene Arten einsetzen. Zum einen wird Männ­lich­keit dazu genutzt, die persön­liche Situation zu beschreiben oder erklären, beispiels­weise nach dem Motto: Du bist Single oder arbeitslos, weil „Andere“ dir die Freundin ausge­spannt oder den Job wegge­nommen haben.

Zweitens wird Männ­lich­keit einge­setzt, um „die Anderen“ zu proble­ma­ti­sieren: Die sind keine richtigen Männer, weil sie zu feminin seien. Als Drittes und Letztes wird Masku­li­nität genutzt, um Mitglieder zu werben: Du kannst deine Männ­lich­keit wieder­ge­winnen – und damit deine Freundin und deinen Job –, wenn du gegen die „Anderen“ kämpfst.

Während Kimmels Schluss­fol­ge­rungen auf Inter­views mit Ange­hö­rigen eines spezi­fi­schen Teil­spek­trums des rechts­extremen Univer­sums basieren – meist waren das kleine Neona­zi­gruppen, die eher an Stra­ßen­gangs, denn an poli­ti­sche Parteien erinnern –, ist die Bedeutung von Männ­lich­keit auch in anderen rechts­extremen Gruppen zu beob­achten. Die US-ameri­ka­ni­sche Histo­ri­kerin Kathleen Belew argu­men­tiert in ihrem Buch Bring the War Home: The White Power Movement and Para­mi­li­tary America, dass die Ursprünge der modernen White Power-Bewegung und insbe­son­dere ihrer para­mi­li­tä­ri­schen Ausprä­gung im Trauma des Viet­nam­krieges zu suchen sind.

Belew doku­men­tiert die Bedeutung der Viet­nam­ve­te­ranen in der White Power-Bewegung am Beispiel von Louis R. Beam Jr., der das Konzept des „führer­losen Wider­standes“ in rechts­extremen Kreisen populär gemacht und Terro­risten (von Robert Jay Matthews bis Timothy McVeigh) inspi­riert hat. Sie verweist darauf, wie die schwie­rige Wieder­ein­glie­de­rung der Veteranen deren „Remas­ku­li­ni­sie­rung“ befeuerte und zur Para­mi­li­ta­ri­sie­rung der White-Power-Bewegung beitrug. Mit anderen Worten: Veteranen, die sich hobby­mäßig als „Wochen­end­kämpfer“ betätigen, haben sich rechts­extremen Milizen ange­schlossen, um ihr männ­li­ches Selbst­wert­ge­fühl wieder­zu­ge­winnen. Sie sehen sich als Beschützer Amerikas vor vermeint­li­chen Bedro­hungen. Bevor­zugtes Feindbild sind nicht­weiße „Barbaren“, vor denen es Frauen und Kinder zu schützen gilt. 

Portrait von Cas Mudde

Cas Mudde ist Poli­tik­wis­sen­schaftler. Seine Schwer­punkte sind Extre­mismus und Popu­lismus. Er lehrt an der Univer­sity of Georgia

Es ist schwierig, Einsichten aus kleineren, akti­vis­ti­scheren und extre­meren Gruppen auf breitere Wähler­schichten zu über­tragen. Immerhin ist klar, dass Gender und insbe­son­dere Masku­li­nität bei der Propa­ganda und der Attrak­ti­vität von rechts­ra­di­kalen Parteien und Poli­ti­kern eine Rolle spielen. Michael Kimmels früheres Buch Angry White Men, das erstmals 2013 erschien, hob die Bedeutung von Masku­li­nität für Amerikas breiter gefasste rechte Subkultur hervor, also die „Trump-Basis vor Trump“.

Genau wie rechts­extremen Gruppen ist auch vielen rechts­ra­di­kalen Parteien ein stark gender-domi­nierter Diskurs eigen. Sie appel­lieren an fragile Männ­lich­keit, die durch vermänn­lichte Femi­nis­tinnen, verweib­lichte Liberale und männliche „Andere“ bedroht wird. Da Frauen vorwie­gend als Opfer darge­stellt werden – Verge­wal­ti­gung weißer Frauen durch nicht­weiße Männer ist ein uraltes Lieb­lings­bild der extremen Rechten – erscheinen Männer dazu aufge­rufen, ihre „Nation“ oder ihre „Rasse“ zu beschützen.

Damit gewinnen diese Männer nicht nur ihre Männ­lich­keit gegenüber anderen Männern wieder  (Farbigen, Immi­granten, Moslems), sondern vor allem gegenüber ihren Frauen. Die vermeint­lich natür­li­chen Gender­rollen werden wieder­her­ge­stellt. Im Wunsch nach Wieder­her­stel­lung der „natür­li­chen“ Geschlecht­er­ord­nung ist auch einer der Gründe zu sehen, warum Viktor Orbáns Regierung in Ungarn Institute für Gender­stu­dien abwickeln will.

Dieses toxische Verständnis von Männ­lich­keit wird offen­sicht­lich durch das Aufbre­chen der alther­ge­brachten Gender­rollen genährt, was Inter­net­phä­no­mene wie die soge­nannten incels („unfrei­willig Enthalt­same“)  hervor­ge­bracht hat. Ob nun direkt mit der extremen Rechten verbunden oder nicht: Bedrohte männliche Identität birgt ein Gewalt­po­ten­tial, das mindes­tens genauso groß ist wie das bedrohter weißer Identität. Man beachte nur, wie viele Terro­risten (rechts­extreme oder andere) auch eine Vergan­gen­heit mit häus­li­cher Gewalt haben.

Es ist an der Zeit, dass wir in unseren Diskus­sionen über extreme Rechte und rechte Politik das Thema Männ­lich­keit ernster nehmen. Die Zustim­mung für Donald Trump bei (höher gebil­deten) weißen Frauen ist rück­läufig. Kern seiner Anhän­ger­schaft ist der überaus große Anteil weißer Männer (nicht nur unter Arbeitern), die einen Präsi­denten unter­stützen, der sich damit brüstet, dass er Frauen an die „pussy“ fasst. Viel­leicht ist es ja eher so, dass viele Männer Trump nicht trotz seiner Attacken gegen Frauen unter­stützen, sondern wegen solcher Ausfälle.

Der Beitrag erschien ursprüng­lich im briti­schen Guardian

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