Rechtsextremismus und Krise traditioneller Männlichkeit
Die autoritäre Revolte ist auch eine Reaktion auf den Wandel traditioneller Geschlechterrollen. Ihren harten Kern bilden verunsicherte, wütende weiße Männer. Der Populismusforscher Cas Mudde warnt, dass die männliche Identitätskrise ein erhebliches Gewaltpotential birgt.
Einmal angenommen, es wäre die männliche Identitätskrise und nicht eine rassistische Ideologie der Grund, warum sich Menschen rechtsextremen Gruppen anschließen? Das zumindest behauptet der US-amerikanische Soziologe Michael Kimmel in seinem neuesten Buch Healing from Hate: How Young Men Get Into – and Out of – Violent Extremism. Das Buch geht der Frage nach, warum sich junge Männer in Deutschland, Schweden und den USA rechtsextremen Gruppen anschließen (und warum manche von ihnen diese Gruppen wieder verlassen).
Die zentrale These mag ein wenig forsch formuliert sein. Das Buch ist aber bemerkenswert gut geschrieben und genau recherchiert. Kimmels, der seit geraumer Zeit zum Thema Männer und Männlichkeit forscht, hat sein Buch mit einer Vielzahl von Zitaten aus Interviews mit „Aussteigern“ gespickt.
Offensichtlich werden rechtsextreme Gruppen und Demonstrationen von Männern geprägt, angefangen bei der tödlichen Unite the Right-Demonstration in Virginia im letzten Jahr bis hin zum pathetischen Unite the Right 2-Marsch Ende August. Doch Kimmel gehört zu den wenigen, die das auch in den Mittelpunkt ihrer Forschung stellen.
Ausgehend von Interviews mit ehemaligen Aktivisten kommt Kimmel zu dem Schluss, dass rechtsextreme Gruppen Männlichkeit auf drei verschiedene, aber miteinander verbundene Arten einsetzen. Zum einen wird Männlichkeit dazu genutzt, die persönliche Situation zu beschreiben oder erklären, beispielsweise nach dem Motto: Du bist Single oder arbeitslos, weil „Andere“ dir die Freundin ausgespannt oder den Job weggenommen haben.
Zweitens wird Männlichkeit eingesetzt, um „die Anderen“ zu problematisieren: Die sind keine richtigen Männer, weil sie zu feminin seien. Als Drittes und Letztes wird Maskulinität genutzt, um Mitglieder zu werben: Du kannst deine Männlichkeit wiedergewinnen – und damit deine Freundin und deinen Job –, wenn du gegen die „Anderen“ kämpfst.
Während Kimmels Schlussfolgerungen auf Interviews mit Angehörigen eines spezifischen Teilspektrums des rechtsextremen Universums basieren – meist waren das kleine Neonazigruppen, die eher an Straßengangs, denn an politische Parteien erinnern –, ist die Bedeutung von Männlichkeit auch in anderen rechtsextremen Gruppen zu beobachten. Die US-amerikanische Historikerin Kathleen Belew argumentiert in ihrem Buch Bring the War Home: The White Power Movement and Paramilitary America, dass die Ursprünge der modernen White Power-Bewegung und insbesondere ihrer paramilitärischen Ausprägung im Trauma des Vietnamkrieges zu suchen sind.
Belew dokumentiert die Bedeutung der Vietnamveteranen in der White Power-Bewegung am Beispiel von Louis R. Beam Jr., der das Konzept des „führerlosen Widerstandes“ in rechtsextremen Kreisen populär gemacht und Terroristen (von Robert Jay Matthews bis Timothy McVeigh) inspiriert hat. Sie verweist darauf, wie die schwierige Wiedereingliederung der Veteranen deren „Remaskulinisierung“ befeuerte und zur Paramilitarisierung der White-Power-Bewegung beitrug. Mit anderen Worten: Veteranen, die sich hobbymäßig als „Wochenendkämpfer“ betätigen, haben sich rechtsextremen Milizen angeschlossen, um ihr männliches Selbstwertgefühl wiederzugewinnen. Sie sehen sich als Beschützer Amerikas vor vermeintlichen Bedrohungen. Bevorzugtes Feindbild sind nichtweiße „Barbaren“, vor denen es Frauen und Kinder zu schützen gilt.
Es ist schwierig, Einsichten aus kleineren, aktivistischeren und extremeren Gruppen auf breitere Wählerschichten zu übertragen. Immerhin ist klar, dass Gender und insbesondere Maskulinität bei der Propaganda und der Attraktivität von rechtsradikalen Parteien und Politikern eine Rolle spielen. Michael Kimmels früheres Buch Angry White Men, das erstmals 2013 erschien, hob die Bedeutung von Maskulinität für Amerikas breiter gefasste rechte Subkultur hervor, also die „Trump-Basis vor Trump“.
Genau wie rechtsextremen Gruppen ist auch vielen rechtsradikalen Parteien ein stark gender-dominierter Diskurs eigen. Sie appellieren an fragile Männlichkeit, die durch vermännlichte Feministinnen, verweiblichte Liberale und männliche „Andere“ bedroht wird. Da Frauen vorwiegend als Opfer dargestellt werden – Vergewaltigung weißer Frauen durch nichtweiße Männer ist ein uraltes Lieblingsbild der extremen Rechten – erscheinen Männer dazu aufgerufen, ihre „Nation“ oder ihre „Rasse“ zu beschützen.
Damit gewinnen diese Männer nicht nur ihre Männlichkeit gegenüber anderen Männern wieder (Farbigen, Immigranten, Moslems), sondern vor allem gegenüber ihren Frauen. Die vermeintlich natürlichen Genderrollen werden wiederhergestellt. Im Wunsch nach Wiederherstellung der „natürlichen“ Geschlechterordnung ist auch einer der Gründe zu sehen, warum Viktor Orbáns Regierung in Ungarn Institute für Genderstudien abwickeln will.
Dieses toxische Verständnis von Männlichkeit wird offensichtlich durch das Aufbrechen der althergebrachten Genderrollen genährt, was Internetphänomene wie die sogenannten incels („unfreiwillig Enthaltsame“) hervorgebracht hat. Ob nun direkt mit der extremen Rechten verbunden oder nicht: Bedrohte männliche Identität birgt ein Gewaltpotential, das mindestens genauso groß ist wie das bedrohter weißer Identität. Man beachte nur, wie viele Terroristen (rechtsextreme oder andere) auch eine Vergangenheit mit häuslicher Gewalt haben.
Es ist an der Zeit, dass wir in unseren Diskussionen über extreme Rechte und rechte Politik das Thema Männlichkeit ernster nehmen. Die Zustimmung für Donald Trump bei (höher gebildeten) weißen Frauen ist rückläufig. Kern seiner Anhängerschaft ist der überaus große Anteil weißer Männer (nicht nur unter Arbeitern), die einen Präsidenten unterstützen, der sich damit brüstet, dass er Frauen an die „pussy“ fasst. Vielleicht ist es ja eher so, dass viele Männer Trump nicht trotz seiner Attacken gegen Frauen unterstützen, sondern wegen solcher Ausfälle.
Der Beitrag erschien ursprünglich im britischen Guardian
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