China macht dicht

Grafik: Shut­ter­stock, AlexLMX

Als bevöl­ke­rungs­reichstes Land der Erde ist China einer der rigo­ro­sesten Befür­worter einer Zero-Covid-Politik. Doch auch rund zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie ändert die Volks­re­pu­blik ihren Corona-Kurs nicht. Im Gegenteil: Sie schottet sich immer stärker ab. 

An diesem Interview war alles erstaunlich.

Vor wenigen Tagen gab der Forscher Guan Yi einem Hong­konger Fern­seh­sender ein Interview. Guan ist Virologe, er unter­richtet an der Univer­sity of Hong Kong. Zudem ist er der Öffent­lich­keit wegen seiner Forschung über die Infek­ti­ons­krank­heit SARS bekannt. 2005 nannte ihn das US-Magazin „Time“ einen „Global Health Hero“.

Der Null-Toleranz-Ansatz der chine­si­schen Führung gegenüber Covid-19 werde nicht erfolg­reich sein, sagte Guan in dem Fern­seh­in­ter­view. Denn das Coro­na­virus habe sich voll­ständig an den Menschen angepasst und könne nicht mehr elimi­niert werden.

Das Interview war, man kann es nicht anders sagen, für chine­si­sche Verhält­nisse eine Sensation. Denn dass ein namhafter Virologe im Fernsehen den Corona-Kurs seines Landes kriti­siert, mag in Europa und den USA normal sein. Aber in China ist es das nicht. Guan brach ein Tabu.

Aber nicht nur der Inhalt des Inter­views war erstaun­lich. Auch dass das Interview ausge­rechnet auf Phoenix Tele­vi­sion, einem peking­freund­li­chen Fern­seh­sender lief, war bemerkenswert.

Nicht zuletzt ließ auch noch der Zeitpunkt aufhor­chen: Denn diese Woche tagte in Peking das sechste Plenum des Zentral­ko­mi­tees der Kommu­nis­ti­schen Partei (KPCh). Das Polit-Treffen gilt als weiterer Meilen­stein für den Macht­ausbau von Staats- und Partei­chef Xi Jinping. Höhepunkt des Plenums war die Verab­schie­dung einer Reso­lu­tion, die Xi als zentrale Figur für den Aufstieg Chinas würdigt. Norma­ler­weise herrscht um Polit-Treffen dieser Art Toten­stille. Die Frage ist also: Gibt es in China eine Gruppe von einfluss­rei­chen Kritikern, die den Corona-Kurs ihres Landes falsch finden – und dafür sogar das Risiko auf sich nehmen, mundtot gemacht zu werden?

China ist als bevöl­ke­rungs­reichstes Land der Erde der größte Befür­worter einer Zero-Covid-Politik. Aktuell plagen die poli­ti­sche Führung wieder mehrere lokale Ausbrüche. Aber Zentral- und Provinz­re­gie­rungen reagieren, wie sie es seit Ausbruch der Pandemie tun: rigoros und ohne jegliche Diffe­ren­zie­rung. Die Stadt Heihe in der nord­ost­chi­ne­si­schen Provinz Heilongjiang startete am Montag das, was im chine­si­schen Behör­den­jargon „Volks­krieg“ genannt wird: ein martia­li­sches Ausmerzen des Virus. Was das zu bedeuten hat, mussten Anfang November die Besucher des Frei­zeit­parks Disney­land in Shanghai erleben. Nachdem eine Person, die den Park besucht hatte, positiv getestet worden war, wurden mehr als 30000 Besucher in dem Park einge­schlossen, um dort einen Massen­test zu absolvieren.

Damit hat sich der Corona-Kurs der chine­si­schen Führung seit rund zwei Jahren nicht geändert. Mehr noch: Wo sich andere Länder, darunter Zero-Covid-Befür­worter wie Austra­lien, langsam wieder öffnen, schottet sich China immer weiter vom Rest der Welt ab.

Zum einen betrifft das den Tourismus und den Austausch von Menschen: China hat eines der strengsten Grenz­kon­troll- und Quaran­tä­ne­sys­teme der Welt einge­richtet. Ausländer und chine­si­sche Staats­bürger, die in das Land einreisen, müssen für mindes­tens zwei Wochen (meist mehr) in strengste Quaran­täne. Zusätz­liche Kontrollen gelten, wenn man nach Peking einreisen will, wo die poli­ti­sche Führung residiert.

Dieses System hat einer­seits dazu geführt, dass es für Ausländer unmöglich ist, China zu besuchen, ohne mehrere Monate zu bleiben. Und es hat ande­rer­seits dazu geführt, dass die meisten Chinesen in ihrem eigenen Land feststecken.

Ändern wird sich das in naher Zukunft nicht. Erst diese Woche sagte der Virologe und Regie­rungs­be­rater Zhong Nanshan in einem Fern­seh­in­ter­view, dass sich China erst frühes­tens Ende 2022 für inter­na­tio­nale Einreisen öffnen werde. Heißt im Klartext: In den kommenden 14 Monaten bleibt das Land abgeschottet.

Aber auch die poli­ti­sche Führung des Landes zieht sich von der inter­na­tio­nalen Bühne zurück. Der chine­si­sche Staats­chef Xi hat sein Land seit rund 21 Monaten nicht mehr verlassen. Zuletzt reiste er weder zum G20-Gipfel nach Rom noch zur Klima­kon­fe­renz nach Glasgow – obwohl China der weltweit größte Emittent von Treib­haus­gasen ist. Auch den US-Präsi­denten Joe Biden hat er noch nicht getroffen. Der US-Polit-Experte Noah Barkin sprach jüngst in der „New York Times“ von einer „Bunker-Menta­lität“, die sich in China breitmache.

Nicht zuletzt macht das Land auch wirt­schaft­lich dicht. Der Leiter der American Chamber of Commerce in Shanghai warnte jüngst in der „Financial Times“ vor einer Abwan­de­rung west­li­cher Führungs­kräfte aus der zweit­größten Volks­wirt­schaft der Welt. Der Grund: Für inter­na­tio­nale Unter­nehmen ist es derzeit so gut wie unmöglich, ihre Mitar­beiter und deren Familien im Rahmen des bestehenden Grenz­kon­troll- und Quaran­tä­ne­sys­tems nach China zu kriegen.

Die Ironie: Der chine­si­schen Führung könnte diese Entwick­lung sogar in die Karten spielen. Denn einer der Eckpfeiler des aktuellen Fünf­jah­res­plans ist die Politik der „zwei Kreis­läufe“. Mit diesem Konzept will Peking den Binnen­konsum stärken und das Land weniger abhängig vom Waren­aus­tausch mit den USA machen. Weniger Ange­wie­sen­heit auf inter­na­tio­nalen Handel ist also ein wirt­schafts­po­li­ti­sches Ziel, das die poli­ti­sche Führung in Peking auch ganz unab­hängig von der Pandemie verfolgt.

Chinas Rückzug nach Innen stellt die inter­na­tio­nale Politik vor große Probleme. Denn es fehlen Gele­gen­heiten zum Austausch auf höchster poli­ti­scher Ebene.

Aber Chinas Abschot­tung stellt Peking auch vor ein Glaub­wür­dig­keits­pro­blem: Die Volks­re­pu­blik betont bei jeder Gele­gen­heit, dass sie ein Land ist, das es in Sachen poli­ti­sche Führung mit den USA aufnehmen kann. Chinas Abwe­sen­heit auf der inter­na­tio­nalen Bühne straft diese Behaup­tung Lügen.

Die USA schickten sowohl zum G20-Gipfel in Rom als auch zur Klima­kon­fe­renz in Glasgow nicht irgend­einen Emissär, sondern ihren höchsten Amts­träger: Präsi­denten Joe Biden.

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