China – der neue Player im Great Game um Afghanistan

Foto: Ministry of Foreign Affairs, the People’s Republic of China

Schon im Juli hat Peking eine Delegation der Taliban hofiert – und der Terror­gruppe damit so viel Anerkennung wie noch nie zuvor verschafft. Auch nach dem Fall Kabuls umarmt die Volks­re­publik die Taliban. Peking und die Islamisten haben einen gemein­samen Gegner: die USA. Aber haben sie auch ein gemein­sames Ziel?

China ist stolz darauf, in der Außen­po­litik rein pragma­tische Maßstäbe anzulegen. Vor diesem Hinter­grund war nichts anderes als Zustimmung zur Taliban-Herrschaft zu erwarten, als eine Sprecherin des chine­si­schen Außen­mi­nis­te­riums am Montag vor die Presse trat. Aller­dings gingen die Worte der Sprecherin über Pragma­tismus hinaus. In den Ohren der Afghanen müssen sie wie blanker Zynismus gedröhnt haben.

Appeasement aus Peking

„Wir respek­tieren den Willen und die Wahl des afgha­ni­schen Volkes“ sagte Außen­amts­spre­cherin Hua Chunying auf einer Presse­kon­ferenz. Damit meinte sie die Macht­er­greifung der Taliban. Ungefähr zur gleichen Zeit drangen Bilder aus Afgha­nistan, die zeigten, wie Menschen verzweifelt versuchten, sich am Flughafen in Kabul in Flugzeuge zu quetschen – nur um noch in letzter Sekunde der Herrschaft der islamis­ti­schen Terror­gruppe zu entkommen. Wenn diese Bilder eins zeigten, dann war es: Der Wille und die Wahl des afgha­ni­schen Volkes ist es, vor den Taliban zu fliehen. Aber das kümmerte die Außen­amts­spre­cherin nicht. Wichtiger schien es ihr zu sein, ein Zeichen des Appease­ments nach Kabul zu schicken.

Der Vormarsch der Taliban und der Fall Kabuls haben unter der politi­schen Führung Chinas für viel Schaden­freude gesorgt. Seit Tagen sind die von der Kommu­nis­ti­schen Partei (KPCh) kontrol­lierten Medien voll von Artikeln, die im Brustton der Überzeugung das Ende der US-Vorherr­schaft ausrufen und Washington als überheblich, ignorant und unzuver­lässig darstellen. Denn die US-Fehlein­schätzung in Afgha­nistan scheint genau das zu bestä­tigen, was die politische Führung in Peking am liebsten hört und gebets­müh­len­artig wiederholt: dass das Ende der USA als Ordnungs­macht besiegelt und der Aufstieg Chinas zur neuen Super­macht nur eine Frage der Zeit ist. Insgeheim dürfte Peking auch darauf hoffen, dass US-Alliierte wie Taiwan den überhas­teten Abzug der Ameri­kaner aus Afgha­nistan als Ausweis mangelnder Verläss­lichkeit verbuchen. Das würde Pekings Position im Konflikt mit den USA nachhaltig stärken.

Taliban als Profi­teure der Neuen Seidenstraße?

Als hätte Peking geahnt, dass die Taliban an die Macht zurück­kehren werden, lud der chine­sische Außen­mi­nister Wang Yi bereits im Juli eine Delegation der Taliban in die nordost­chi­ne­sische Stadt Tianjin. Was beide Seiten eint: Die abgrund­tiefe Abneigung gegen die USA. Laut dem chine­si­schen Außen­mi­nis­terium brand­markte Wang den Abzug der US-Truppen gegenüber dem Taliban-Anführer Mullah Abdul Ghani Baradarals als Zeichen des „Schei­terns der US-Politik“. Den Taliban attes­tierte er, eine „wichtige militä­rische und politische Kraft“ zu sein. Mehr politische Anerkennung hatte es für die Taliban noch nie gegeben.

Peking nähert sich den Taliban an, um sich neue Möglich­keiten zur wirtschaft­lichen Zusam­men­arbeit zu sichern. Das Nachbarland Afgha­nistan ist ein wichtiges Binde­glied zu den Ländern Zentral­asiens. Eine Zusam­men­arbeit mit den Taliban könnte der Volks­re­publik Infra­struk­tur­auf­träge und Inves­ti­ti­ons­mög­lich­keiten bescheren – und dem Projekt der „Belt and Road Initiative“ (BRI), auch oft Chinas „neue Seiden­straße“ genannt, neue Impulse geben. Das Propa­gan­da­medium „Global Times“ titelte schon am Sonntag, noch bevor die Taliban Kabul einnahmen: „China könnte sich am Wieder­aufbau nach dem Krieg in Afgha­nistan beteiligen“.

Konzen­tra­ti­ons­lager für Uiguren direkt an der Afgha­ni­schen Grenze

Aber trotz der Möglich­keiten, die Peking in Kabul sieht, wäre es wohl falsch anzunehmen, dass China auf eine Macht­über­nahme der Taliban gehofft hat. Das Verhältnis zwischen der Volks­re­publik und den Islamisten ist alles andere als spannungsfrei. Peking unter­drückt den Islam im eigenen Land und sperrt musli­mische Minder­heiten wie die Uiguren in Umerzie­hungs­lager. Auch wenn sich beide Seiten im Juli beschnup­perten: das Misstrauen sitzt tief. Wahrscheinlich ist, dass es Peking lieber gewesen wäre, wenn die Taliban in Folge eines politi­schen Deals und mit beschränkter Macht in die Regierung gekommen wären.

Denn die Volks­re­publik ist besorgt, dass in Afgha­nistan eine Brutstätte islamis­ti­schen Terrors entstehen könnte. China und Afgha­nistan sind durch eine 76 Kilometer lange Grenze verbunden. Auf chine­si­scher Seite grenzt die Region Xinjiang an Afgha­nistan, die Provinz, in der Peking musli­mische Minder­heiten wie die Uiguren in Umerzie­hungs­lager sperrt – offiziell unter dem Vorwand der Terro­ris­mus­be­kämpfung. China ist besorgt, dass der Islamismus aus Afgha­nistan über die Grenze nach China schwappen könnte. Nach chine­si­schen Medien­be­richten ist der Grenz­übergang in den vergan­genen Wochen aufge­rüstet worden.

Zudem spürt Peking, dass der Abzug der US-Truppen ein Sicher­heits­vakuum in der Region hinter­lassen hat: In den vergan­genen vier Monaten kam es in Chinas Nachbarland Pakistan zu vier blutigen Angriffen auf Chinesen. Der pakista­nische Arm der Taliban rekla­mierte einen der Angriffe für sich. Aber Experten gehen davon aus, dass die Taliban auch hinter den anderen Angriffen stecken.

Will heißen: Um die Sicherheit seiner Bürger im strate­gisch wichtigen Nachbarland Pakistan zu gewähr­leisten, kann Peking wohl gar nicht anders, als mit den Taliban zusammenzuarbeiten.

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