Die System­kon­kurrenz mit China erfordert eine Allianz der Demokratien

Proteste in Hong Kong im Juni 2019. Foto: John YE/shutterstock.com

Die chine­sische Außen- und Wirtschafts­po­litik folgt dem alten Muster „teile und herrsche“. Um die liberale Weltordnung zu vertei­digen, sollten sich die demokra­ti­schen Staaten zu einer globalen Allianz zusammenschließen.

Wäre die Volks­re­publik China keine global vernetzte Großmacht, müsste man sie mittler­weile wahrscheinlich als Paria-Staat bezeichnen. In Xinjiang stecken mehr als eine Million musli­mische Uighuren in „Umerzie­hungs­lagern“. Die Kanadier Michael Spavor und Michael Kovrig schmoren willkürlich als Geiseln in irgend­einem Kerker; Pekings Antwort auf die Festnahme der Huawei-Finanz­chefin Meng Wanzhou in Vancouver. Chine­sische Desin­for­ma­ti­ons­kam­pagnen haben in der Corona-Krise einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Drohge­bärden im südchi­ne­si­schen Meer nehmen nicht ab. Und den Hong Kongern wird jetzt das letzte dünne Lüftchen an Freiheit abgeschnitten.

Mit dem neuen Sicher­heits­gesetz begräbt Peking den einma­ligen Status dieser Weltstadt und bricht inter­na­tionale Verein­ba­rungen. „Ein Land, zwei Systeme“ ist Geschichte – in diesem Land zählt nur das System der kommu­nis­ti­schen Herrschafts­partei. Hong Kong ist nun völlig einver­leibt. Das ist unser chine­si­scher „Rheinland-Moment“, schreibt die New York Times in Anlehnung an der Rhein­land­be­setzung 1936.

Verfolgung, Repression und Gewalt – das Reich der Mitte zeigt derzeit ein hässliches Gesicht. Unter Xi hat China eine Abkehr von Deng Xiaopings Prinzip der strate­gi­schen Beschei­denheit und Geduld (tao guang yang hui) vollzogen. Statt­dessen wird nun in der globalen Arena eine neue aggressive Rambo-Haltung prakti­ziert, die von chine­si­schen Staats­medien stolz als „Wolf Warrior“ Diplo­matie bezeichnet wird. Peking hat es damit geschafft, sich in kürzester Zeit in etlichen Konflikten mit zahlreichen Ländern zu verzetteln. Mit Amerika steckt die Volks­re­publik im Handels- und Techno­lo­gie­kon­flikt, mit Indien hat sie sich auf einen tödlichen Grenz­kon­flikt einge­lassen, mit Japan und weiteren südost­asia­ti­schen Staaten befindet sie sich im Terri­to­ri­al­streit und mit Großbri­tannien ist sie im Clinch wegen Hong Kong.

Die roten Mandarine dulden keine Kritik. In den letzten zehn Jahren hat Peking etliche Sanktionen und Kampagnen lanciert: gegen Norwegen aufgrund des Nobel­preises für Liu Xiaobo (2010), gegen Japan aufgrund des Senkaku/​Diaoyu Insel­streits (2012), gegen die Mongolei wegen eines Besuchs des Dalai Lamas (2014), gegen die Philip­pinen  aufgrund des Konflikts im südchi­ne­si­schen Meer (2014), gegen Südkorea (2016), Kanada (2019), Schweden (2020) und gegen Australien aufgrund austra­li­scher Forde­rungen nach einer unabhän­gigen Unter­su­chung des Corona­virus-Ausbruchs (2020). Hinzu kommen zahlreiche Drohungen gegen Länder wie Deutschland, sollte man Huawei vom Ausbau des 5G-Netzwerks ausschließen.

Respekt bekommt, wer Respekt verdient

Das bemer­kens­werte an der ganzen Sache: all diese Konflikte werden größten­teils bilateral ausge­tragen. Das ist nicht ohne Grund, spielt diese Lage Chinas Hegemo­ni­al­stra­tegen schließlich in die Hände. Ein eins-zu-eins Direkt­kon­flikt mit China trauen sich letzt­endlich nur wenige Staaten zu. Selbst der deutsche Außen­mi­nister behauptet – in meiner Meinung fälsch­li­cher­weise – dass Deutschland zu klein sei, um sich den Chinesen entge­gen­zu­stellen. Wer so über sich selbst redet braucht sich nicht wundern, wenn andere ihn entspre­chend behandeln oder bald, wie Australien, als „Kaugummi unter der Schuh­sohle“ bezeichnen.

Respekt bekommt, wer Respekt verdient. Wer sich nicht traut, Paroli zu bieten oder Kritik nur verklau­su­liert in diplo­ma­tisch homöo­pa­thi­schen Dosen liefert, wird als schwach wahrge­nommen. Das lädt Peking ein, sich noch aggres­siver zu verhalten. Aber es ist nicht in Stein gemeißelt, dass Konflikte bilateral behandelt werden müssen. Wir müssen das Spielfeld vergrößern, Gegenwehr pluri­la­teral organi­sieren, nicht bilateral zu Gunsten Pekings.

Es ist an der Zeit, die Gedan­ken­spiele des verstor­benen John McCain an eine „Liga der Demokratie“ wieder aufer­stehen zu lassen. Solch ein Bündnis von Demokraten hätte Schlag­kraft. Es würde Länder wie Kanada und Schweden nicht alleine lassen, wenn sie im Konflikt mit China stehen. Wenn Peking meint den Zollknüppel gegen Norwegen zu schwingen, weil der Nobel­preis an Liu Xiaobo verliehen wurde, könnte solch ein Bündnis gemeinsam Konter­maß­nahmen verleihen.

Zugegeben, solch eine Liga der Demokratie ist vielleicht idealis­tisch, stellen sich doch zahlreiche realpo­li­tische Fragen: welche Kriterien der Zugehö­rigkeit bräuchte es? Sollten nur hardcore liberale Demokratien dabei sein, oder auch imper­fekte Demokratien, die auf kriti­schen Abwegen sind (gerade um sie an der Stange zu halten)? Was passiert, wenn einer der Mitglieds­länder beim Umgang mit Peking aus der Reihe tanzt? Welche insti­tu­tio­na­li­sierte Form sollte solch eine Allianz haben?

Fragen über Fragen. Dennoch, die Zeit ist reif dafür. Es gibt ein politi­sches Momentum für solch einen strate­gi­schen Zug.

Erst vor kurzem haben Parla­men­tarier weltweit eine „inter-parla­men­ta­rische Allianz zu China“ (IPAC) gegründet. Von ameri­ka­ni­schen Republi­kanern und deutschen Grünen über liberalen Japanern und sozial­de­mo­kra­ti­schen Schweizern bis zu tsche­chi­schen Piraten, sind alle dabei.

Großbri­tannien hat mittler­weile eine „D‑10 Gruppe“ vorge­schlagen. Die zehn führenden Demokratien – die G‑7 Mitglieder inklusive Südkorea, Indien und Australien – sollen sich beim Thema 5G und der Sicherheit von kriti­schen Liefer­ketten eng abstimmen. Schließlich ist es klüger, wenn die zehn Demokratien sich gemeinsam gegen Huawei beim 5G-Netzausbau stellen, als einzeln.

Außen­mi­nister Maas hat zusammen mit seinem franzö­si­schen Pendant eine „Allianz für den Multi­la­te­ra­lismus“ ins Leben gerufen, welche aller­dings nicht die Verei­nigten Staaten als Mitglied zählt. Auch diese Initiative könnte in eine ähnliche Richtung wie die „Liga für Demokratie“ weiter­ent­wi­ckelt werden. Bisher hat diese Allianz aber keine Zähne. Dieses Netzwerk von Staaten soll „für den Erhalt und die Weiter­ent­wicklung der regel­ba­sierten Ordnung eintreten“: Warum also gibt es von der Allianz kein Wort zum chine­si­schen Regel­bruch bezüglich Hong Kong?

„Von zehn Seiten umzingelt“

All diese Initia­tiven zeigen: es gibt Dynamik für eine Liga der Demokratie. Solch ein Forum könnte auch als „Caucus“ innerhalb der UN organi­siert werden, wo man gemeinsam politische Initia­tiven verab­redet. Oder es könnte auch letzt­endlich in eine Art „Freihan­delszone der Demokratien“ münden – das verknüpfen von Handels­vor­teilen mit dem Grad der Offenheit einer Gesellschaft.

China führt derzeit zahlreiche Einzel­kon­flikte. Das schafft eine reiche Auswahl an Verbün­deten. Politische Entschei­dungs­träger im Westen müssen sich überlegen, wie der Umgang mit China aus stärkerer Position, pluri­la­teral, organi­siert werden kann. Für das Momentum können wir der KP China danken – ihr Verhalten kann den Westen wieder zusam­men­schweißen, der NATO eine neue Bestimmung geben und der trans­at­lan­ti­schen Entfremdung ein Ende bereiten. Damit, warnte Kevin Rudd kürzlich, wäre das Reich der Mitte, nach dem berühmten klassi­schen pipa Musik­stück, „von zehn Seiten umzingelt“ (十面埋伏).

 

 

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