Die Systemkonkurrenz mit China erfordert eine Allianz der Demokratien
Die chinesische Außen- und Wirtschaftspolitik folgt dem alten Muster „teile und herrsche“. Um die liberale Weltordnung zu verteidigen, sollten sich die demokratischen Staaten zu einer globalen Allianz zusammenschließen.
Wäre die Volksrepublik China keine global vernetzte Großmacht, müsste man sie mittlerweile wahrscheinlich als Paria-Staat bezeichnen. In Xinjiang stecken mehr als eine Million muslimische Uighuren in „Umerziehungslagern“. Die Kanadier Michael Spavor und Michael Kovrig schmoren willkürlich als Geiseln in irgendeinem Kerker; Pekings Antwort auf die Festnahme der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou in Vancouver. Chinesische Desinformationskampagnen haben in der Corona-Krise einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Drohgebärden im südchinesischen Meer nehmen nicht ab. Und den Hong Kongern wird jetzt das letzte dünne Lüftchen an Freiheit abgeschnitten.
Mit dem neuen Sicherheitsgesetz begräbt Peking den einmaligen Status dieser Weltstadt und bricht internationale Vereinbarungen. „Ein Land, zwei Systeme“ ist Geschichte – in diesem Land zählt nur das System der kommunistischen Herrschaftspartei. Hong Kong ist nun völlig einverleibt. Das ist unser chinesischer „Rheinland-Moment“, schreibt die New York Times in Anlehnung an der Rheinlandbesetzung 1936.
Verfolgung, Repression und Gewalt – das Reich der Mitte zeigt derzeit ein hässliches Gesicht. Unter Xi hat China eine Abkehr von Deng Xiaopings Prinzip der strategischen Bescheidenheit und Geduld (tao guang yang hui) vollzogen. Stattdessen wird nun in der globalen Arena eine neue aggressive Rambo-Haltung praktiziert, die von chinesischen Staatsmedien stolz als „Wolf Warrior“ Diplomatie bezeichnet wird. Peking hat es damit geschafft, sich in kürzester Zeit in etlichen Konflikten mit zahlreichen Ländern zu verzetteln. Mit Amerika steckt die Volksrepublik im Handels- und Technologiekonflikt, mit Indien hat sie sich auf einen tödlichen Grenzkonflikt eingelassen, mit Japan und weiteren südostasiatischen Staaten befindet sie sich im Territorialstreit und mit Großbritannien ist sie im Clinch wegen Hong Kong.
Die roten Mandarine dulden keine Kritik. In den letzten zehn Jahren hat Peking etliche Sanktionen und Kampagnen lanciert: gegen Norwegen aufgrund des Nobelpreises für Liu Xiaobo (2010), gegen Japan aufgrund des Senkaku/Diaoyu Inselstreits (2012), gegen die Mongolei wegen eines Besuchs des Dalai Lamas (2014), gegen die Philippinen aufgrund des Konflikts im südchinesischen Meer (2014), gegen Südkorea (2016), Kanada (2019), Schweden (2020) und gegen Australien aufgrund australischer Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung des Coronavirus-Ausbruchs (2020). Hinzu kommen zahlreiche Drohungen gegen Länder wie Deutschland, sollte man Huawei vom Ausbau des 5G-Netzwerks ausschließen.
Respekt bekommt, wer Respekt verdient
Das bemerkenswerte an der ganzen Sache: all diese Konflikte werden größtenteils bilateral ausgetragen. Das ist nicht ohne Grund, spielt diese Lage Chinas Hegemonialstrategen schließlich in die Hände. Ein eins-zu-eins Direktkonflikt mit China trauen sich letztendlich nur wenige Staaten zu. Selbst der deutsche Außenminister behauptet – in meiner Meinung fälschlicherweise – dass Deutschland zu klein sei, um sich den Chinesen entgegenzustellen. Wer so über sich selbst redet braucht sich nicht wundern, wenn andere ihn entsprechend behandeln oder bald, wie Australien, als „Kaugummi unter der Schuhsohle“ bezeichnen.
Respekt bekommt, wer Respekt verdient. Wer sich nicht traut, Paroli zu bieten oder Kritik nur verklausuliert in diplomatisch homöopathischen Dosen liefert, wird als schwach wahrgenommen. Das lädt Peking ein, sich noch aggressiver zu verhalten. Aber es ist nicht in Stein gemeißelt, dass Konflikte bilateral behandelt werden müssen. Wir müssen das Spielfeld vergrößern, Gegenwehr plurilateral organisieren, nicht bilateral zu Gunsten Pekings.
Es ist an der Zeit, die Gedankenspiele des verstorbenen John McCain an eine „Liga der Demokratie“ wieder auferstehen zu lassen. Solch ein Bündnis von Demokraten hätte Schlagkraft. Es würde Länder wie Kanada und Schweden nicht alleine lassen, wenn sie im Konflikt mit China stehen. Wenn Peking meint den Zollknüppel gegen Norwegen zu schwingen, weil der Nobelpreis an Liu Xiaobo verliehen wurde, könnte solch ein Bündnis gemeinsam Kontermaßnahmen verleihen.
Zugegeben, solch eine Liga der Demokratie ist vielleicht idealistisch, stellen sich doch zahlreiche realpolitische Fragen: welche Kriterien der Zugehörigkeit bräuchte es? Sollten nur hardcore liberale Demokratien dabei sein, oder auch imperfekte Demokratien, die auf kritischen Abwegen sind (gerade um sie an der Stange zu halten)? Was passiert, wenn einer der Mitgliedsländer beim Umgang mit Peking aus der Reihe tanzt? Welche institutionalisierte Form sollte solch eine Allianz haben?
Fragen über Fragen. Dennoch, die Zeit ist reif dafür. Es gibt ein politisches Momentum für solch einen strategischen Zug.
Erst vor kurzem haben Parlamentarier weltweit eine „inter-parlamentarische Allianz zu China“ (IPAC) gegründet. Von amerikanischen Republikanern und deutschen Grünen über liberalen Japanern und sozialdemokratischen Schweizern bis zu tschechischen Piraten, sind alle dabei.
Großbritannien hat mittlerweile eine „D‑10 Gruppe“ vorgeschlagen. Die zehn führenden Demokratien – die G‑7 Mitglieder inklusive Südkorea, Indien und Australien – sollen sich beim Thema 5G und der Sicherheit von kritischen Lieferketten eng abstimmen. Schließlich ist es klüger, wenn die zehn Demokratien sich gemeinsam gegen Huawei beim 5G-Netzausbau stellen, als einzeln.
Außenminister Maas hat zusammen mit seinem französischen Pendant eine „Allianz für den Multilateralismus“ ins Leben gerufen, welche allerdings nicht die Vereinigten Staaten als Mitglied zählt. Auch diese Initiative könnte in eine ähnliche Richtung wie die „Liga für Demokratie“ weiterentwickelt werden. Bisher hat diese Allianz aber keine Zähne. Dieses Netzwerk von Staaten soll „für den Erhalt und die Weiterentwicklung der regelbasierten Ordnung eintreten“: Warum also gibt es von der Allianz kein Wort zum chinesischen Regelbruch bezüglich Hong Kong?
„Von zehn Seiten umzingelt“
All diese Initiativen zeigen: es gibt Dynamik für eine Liga der Demokratie. Solch ein Forum könnte auch als „Caucus“ innerhalb der UN organisiert werden, wo man gemeinsam politische Initiativen verabredet. Oder es könnte auch letztendlich in eine Art „Freihandelszone der Demokratien“ münden – das verknüpfen von Handelsvorteilen mit dem Grad der Offenheit einer Gesellschaft.
China führt derzeit zahlreiche Einzelkonflikte. Das schafft eine reiche Auswahl an Verbündeten. Politische Entscheidungsträger im Westen müssen sich überlegen, wie der Umgang mit China aus stärkerer Position, plurilateral, organisiert werden kann. Für das Momentum können wir der KP China danken – ihr Verhalten kann den Westen wieder zusammenschweißen, der NATO eine neue Bestimmung geben und der transatlantischen Entfremdung ein Ende bereiten. Damit, warnte Kevin Rudd kürzlich, wäre das Reich der Mitte, nach dem berühmten klassischen pipa Musikstück, „von zehn Seiten umzingelt“ (十面埋伏).
Der Text gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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