Corona in Georgien: Ein Land trotzt dem Virus
Georgien, ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen, bewährt sich in der Coronakrise. Khatia Kikalishvili erklärt, wie es beherzten Politikern und Virologen gelang, die feiernde, tanzende und singende Gesellschaft auf die Quarantäne einzuschwören und so dem Virus zu trotzen.
Das bekannte georgische Sprichwort: „Der Gast ist von Gott geschickt“ auf dem bis heute die berühmt-berüchtigte georgische Gastfreundschaft beruht, hat es in Zeiten des Coronavirus schwer, seine identitätsstiftende Kraft zu entfalten. Wer hätte das gedacht? Selbst Kriege konnten dem Sprichwort nichts anhaben. Jetzt aber hat es Georgien mit einem unerwünschten Gast zu tun, der unsichtbar und ungefragt zuhause eindringt. Jedes Land wählt eine Strategie mit der Viruskrise umzugehen. Wie geht das kleine EU-Assoziierungsland Georgien mit der Pandemie um?
Die ersten Corona-Fälle wurden in Georgien am 26. Februar 2020 registriert. Der georgische Staat legte ein gutes Krisenmanagement in raschem Tempo vor. Immerhin sprechen wir von einem Transformationsland mit eingeschränkten Ressourcen. Schon früh wurde das Hauptaugenmerk auf präventive Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus gelegt. Flüge aus dem Ausland wurden sorgfältig kontrolliert, indem zunächst alle Passagiere aus den Krisengebieten nicht nur ärztlich untersucht (Screening, Testabnahme), sondern auch Ihre Daten abgeglichen wurden, um im Falle einer Infektion die Spur der vorausgegangenen sozialen Kontakte nicht zu verlieren. Kurz darauf mussten sich alle Einreisenden in eine zweiwöchige Quarantäne begeben und die Landesgrenzen wurden geschlossen. Die Schulen und Kindergärten wurden zu einem Zeitpunkt geschlossen, als in Georgien lediglich drei bestätigte Coronafälle gemeldet waren. In rascher Abfolge wurden die öffentlichen Verkehrsmittel eingeschränkt, sowie Restaurants, Bars, Hotels und Geschäfte geschlossen. Dem Shutdown folgte der Lockdown. Am 21. März 2020 wurde in Georgien zunächst bis zum 21. April 2020 der Ausnahmezustand aufgerufen. Den offiziellen Zahlen vom 01. April 2020 zufolge zählt Georgien 115 Viruserkrankte, davon sind 23 Personen wieder genesen. In angeordneter Quarantäne befinden sich 4995 und stationär 278 Personen. Bisher gab es keine Tote zu beklagen. Aber auch Georgien steht erst am Anfang der Pandemie.
Neue Autoritäten: die Wissenschaft
Dieses auch im internationalen Vergleich durchdachte und zügige Präventionsmanagement ist von drei Fachleuten am Reißbrett entworfen worden, die in Georgien mittlerweile einen ähnlichen Status erfahren, wie die führenden Virologen in Deutschland. Es sind der Leiter des Nationalen Zentrums für Krankheitskontrolle, Amiran Gamkrelidze, sein Stellvertreter Paata Imnadze und der Direktor des Zentrums für Infektionspathologie, AIDS und klinische Immunologie, Tengiz Tsertsvadze. Allesamt als Wissenschaftskommunikatoren inzwischen durch Funk und Fernsehen in Georgien bekannte und vertraute Gesichter.
Die Wissenschaftler haben es geschafft, die so gern feiernde, tanzende und singende georgische Gesellschaft davon zu überzeugen zuhause zu bleiben. Kontaktverbot und soziale Vereinzelung steht im Grunde im groben Widerspruch zu jeder georgischen Tradition, in der sogar auf Friedhöfen „mit den Verstorbenen“ getrunken wird. Bislang ist die Rechnung aufgegangen. Die Eindämmungsstrategie wirkt und wird angenommen. Viele Georgier haben im Hinterkopf wohl auch das Wissen um die Zustände in Norditalien vor Auge. Es ist ihnen bewusst, dass die georgischen Krankenhäuser nicht im Ansatz in der Lage wären, einen massiven Ausbruch der Krankheit zu bewältigen.
Beharrungsvermögen der georgisch-orthodoxen Kirche als Risikofaktor
Die wissenschaftlichen Autoritäten werden von den alten Autoritäten durchaus kritisch beäugt. Trotz der Warnungen der Virologen und anderer Fachleute beharrt die georgisch-orthodoxe Kirche auf der Durchführung der Eucharistie mitsamt der händischen Verabreichung des Abendmahls an alle Gläubigen. Auf der Synodalversammlung am 20. März 2020 wurde einstimmig beschlossen, die Kirchen für die Gläubigen weiterhin offen zu halten, Gottesdienste durchzuführen und die Anordnung der georgischen Regierung über den Ausnahmenzustand bzw. das Verbot der Versammlung über 10 Personen zu ignorieren. Bislang hat sich der georgische Staat mit Kritik an der Vorgehensweise der Würdenträger zurückgehalten. Der Konflikt der Kirche mit den staatlichen Instanzen kündigt sich allerdings an. Der Leiter des Nationalen Zentrums für Krankheitskontrolle warnte ausdrücklich noch einmal davor, die zunächst vergleichsweise ermutigenden Fallzahlen als Entwarnung zu nehmen.
Wirtschaftliche Herausforderungen
Auch Georgien steht eine Rezession bevor. Ein weltweiter ökonomischer Abschwung träfe wirtschaftlich schwache Länder besonders hart. Georgien lebt zudem von der Tourismusbranche, die in den letzten Jahren einen Boom erlebt hat. Ausbleibende Touristenströme wären fatal. Die Inflation und mögliche Preiserhöhungen auf Produkte werden sich absehbar negativ auf den Konsum und mögliche Direktinvestitionen auswirken. Besonders schwer haben es die Beschäftigten in dem informellen Sektor (befristete Jobs, Selbstständige, Dienstleister). Durch eine globale Handelskrise würden weltweit die Volkswirtschaften schwächeln und die Zahl der Auslandsüberweisungen wird abnehmen – ein besonders schwerer Schlag für Georgien, denn das Land ist stark auf diese Ressourcen angewiesen (im Jahr 2019 machten Überweisung aus dem Ausland 9,8% des BIP aus). Als Nothilfe hat die Regierung eine Reihe von Regelungen für die Entlastung der Wirtschaft veranlasst (u.a. Fristverlängerung der Kreditzinsen für Beschäftigte usw.), aber diese Maßnahmen werden bei weitem nicht ausreichen.
Wie geht es weiter?
Vieles hängt davon ab, ob die Maßnahmen weiterhin Wirkung zeigen und ob die bisher erfolgreich gestaltete Eindämmungsphase weiterhin von der Mehrheit der georgischen Bevölkerung als gemeinsames Projekt gesehen wird. Der Übergang in die Phase einer massiven Virusverbreitung wäre für Georgien, einem Land mit 3.7 Mio. Einwohnern mit 2000 Intensivbetten und gerade mal 600 Beatmungsgeräten, fatal. Auch wohnen ältere Menschen – ähnlich wie in Italien – in der Familie. Die Institution Altersheim, wie es sie in Deutschland gibt, stößt auf Unverständnis. Der Premierminister von Georgien, Giorgi Gakharia, hat am 30. März 2020 eine allgemeine „faktische Quarantäne“ angekündigt, die in ganz Georgien gelten wird. Die allgemeine Quarantäne sieht ein absolutes Verbot der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel vor. Ferner wurde im Rahmen des Ausnahmezustandes eine Ausgangssperre von 21:00 bis 06:00 Uhr verhängt. „Unser einziges Instrument sind schnelle, durchdachte und gewagte Entscheidungen“, so der Regierungschef. Außerdem betonte er, dass auch die Bürgerinnen und Bürger aus den okkupierten Gebieten vollen Anspruch auf ärztliche Behandlung durch den georgischen Staat haben werden. Derzeit wird in Kooperation mit Österreich an einer App gearbeitet, die Menschen vor infizierten Personen warnen würde.
Neben der Binnensolidarität gibt es auch die Solidarität des vom Virus stark heimgesuchten Europas. Die EU hat angekündigt, einen Hilfsfonds in Höhe 140 Millionen Euro für den dringenden Bedarf der östlichen Partnerschafsländer zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus wird die Kommission auch den Einsatz der bestehenden Instrumente im Wert von bis zu 700 Millionen Euro neu ausrichten, um die sozioökonomischen Auswirkungen der Coronavirus-Krise zu mildern. Ein wichtiges Zeichen – auch gegenüber der Außenpolitik von Russland und China.
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