Der große Riss: Was ist die Zukunft der trans­at­lan­ti­schen Partnerschaft?

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In unserem ersten Trans­at­lan­ti­schen Online Dialog, der von Botschafter John Herbst zusammen mit Ralf Fücks veran­staltet wurde, führten wir dank Marie Mendras, Daniel Fried, Michael Gahler und Robin Wagner eine ergiebige und konstruktive Diskussion über die Zukunft der trans­at­lan­ti­schen Partnerschaft.

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Die bespro­chenen Themen betrafen nicht nur den aktuellen Stand der Bezie­hungen zwischen den USA und Europa, mit beson­derem Schwer­punkt auf der Ukraine, sondern auch die Frage danach, welche Schritte Europa jetzt unter­nehmen muss, um die Zukunft der Ukraine und seine eigene Sicherheit und Stabi­lität angesichts einer unbere­chen­baren Führung und ungewisser Partner in den Verei­nigten Staaten zu gewährleisten.

„Mögli­cher­weise werden zukünftige Histo­riker sagen, dass Donald Trump unfrei­willig zum Geburts­helfer der Europäi­schen Vertei­di­gungs­union wurde.“ – Ralf Fücks

In seiner einlei­tenden Erklärung wies Ralf Fücks darauf hin, dass wir uns in Zeiten befänden, in denen die inter­na­tionale Weltordnung, wie wir sie kannten, vor unseren Augen zerbrö­ckelt. Es sei der Beginn einer neuen Ära und ein Moment der Wahrheit für Europa, der zeigen werde, ob es in der Lage sei, seine Sicherheit und Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Mit einem Hauch von Optimismus schlug Fücks vor: „Vielleicht werden zukünftige Histo­riker sagen, dass Donald Trump unfrei­willig Geburts­helfer der Europäi­schen Vertei­di­gungs­union wurde.“

„Es besteht die Möglichkeit eines positiven Ergeb­nisses.“ – Daniel Fried

Daniel Fried, ehema­liger US-Botschafter in Polen und Fellow beim Atlantic Council, wies darauf hin, dass das Gespräch zwischen der US-Delegation und der Ukraine in Riad dazu geführt hatte, dass die USA ihren Stopp der Militär­hilfe und des Geheim­dienst­aus­tauschs wieder aufhoben. Der Ball liege nun im Feld Russlands. Putin stehe jetzt unter Druck, Trump habe Russland bereits mit Sanktionen gedroht, falls es den Waffen­still­stand ablehne. Fried selbst war leicht optimis­tisch, dass sich die Situation zum Besseren wenden und Trumps Plan sogar den Inter­essen der Ukraine und Europas dienen könnte: „Die Franzosen und Briten haben sich gemeldet und angeboten, eine Sicher­heits­mission in der Ukraine zu leiten. Sie bestehen zu Recht auf ameri­ka­ni­scher Unter­stützung. Vertei­di­gungs­mi­nister Hegseth hat angekündigt, dass die USA auf keinen Fall Soldaten in der Ukraine statio­nieren würden. Aber er hat die Möglichkeit einer ameri­ka­ni­schen Unter­stützung und Rücken­de­ckung, einschließlich militä­ri­scher Unter­stützung für eine europäische Truppen in der Ukraine, weder erwähnt noch ausge­schlossen. Es besteht also die Möglichkeit eines annehm­baren Ergebnisses.“

„Ich bin zuver­sichtlich, dass eine neue Koalition in Deutschland eine neue Haltung einnehmen wird, sodass bis Ostern eine neue Regierung eine [stärkere] Position der balti­schen und nordi­schen Staaten einnehmen wird.“ – Michael Gahler

Michael Gahler, Mitglied des Europäi­schen Parla­ments (CDU), stimmte zu, dass die Russen aufgrund des Waffen­still­stands­vor­schlags nun unter Druck stünden. Er betonte die Rolle Deutsch­lands in einem neuen und starken Europa, das im Entstehen begriffen sei: „Ich bin zuver­sichtlich, dass eine neue Koalition in Deutschland eine neue Haltung einnehmen wird, sodass bis Ostern eine neue Regierung eine [stärkere] Position der balti­schen und nordi­schen Staaten einnehmen wird.“

Deutschland, fügte er hinzu, werde der EU in dieser Hinsicht echtes Gewicht verleihen und sich damit im Einklang mit dem briti­schen Premier­mi­nister Starmer sowie mit dem franzö­si­schen Präsi­denten Macron befinden. Was sich derzeit entwickle, habe gute Chancen, eine starke Position zur Unter­stützung der Ukraine zu bilden, sagte er.

„Die Europäer sind zurück!“ – Marie Mendras

Marie Mendras, Expertin für russische und postso­wje­tische Studien und Profes­sorin an der Sciences Po University, wies auf die neue Stärke hin, die Europa in den letzten Wochen aufgebaut hat. Der Kreml, so sagte sie, könne nicht verstehen, was in Europa vor sich gehe, weil er nicht verstehe, wie die NATO und die EU funktio­nieren. Dank der Arbeit der europäi­schen Länder und der Führung von Emmanuel Macron und Keir Starmer, gefolgt von vielen anderen europäi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs, dem kanadi­schen Staatschef, seien die Europäer nun zurück, sagte sie. Sie fügte hinzu, dass es äußerst wichtig sei, dass Deutschland wieder im Mittel­punkt stehe. Sie sagte, die Bindungen zwischen Europa seien stärker als die zwischen Trump und Putin. „Für Putin ist die Situation nicht mehr so gut wie noch vor zwei Wochen. Für Trump ist die Situation auch nicht mehr so gut wie noch vor zwei Wochen. Die Europäer sind zurück! Und sie sind sehr stark. Das Trump-Putin-Duo ist eine sehr taktische, fragile Zweckgemeinschaft.“

„Kein weiteres Minsk!“ – Marie Mendras

Sie bezog sich auf Präsident Macron, der einen Waffen­still­stand nur zusammen mit einem starken Friedens­ab­kommen gefordert hatte, bei dem alle Fragen bereits auf dem Tisch liegen: vom Gefan­ge­nen­aus­tausch bis hin zu Repara­tionen nach dem Krieg. „Kein weiteres Minsk!“ müsse das Motto für die aktuellen und zukünf­tigen Treffen sein.

Es wurde klarge­stellt, dass es ohne die Ukrainer keine Bezie­hungen zwischen Moskau und Washington geben würde. Trump wolle Druck auf uns und auf die Ukrainer ausüben. Jetzt müsse er Putin unter Druck setzen. „Putin fühlt sich in die Enge getrieben. Seine Optionen haben sich verringert. Aber er kann diese Beziehung zum ameri­ka­ni­schen Präsi­denten heute nicht zerstören“, sagte sie.

Die aktuelle Frage für Europa sei, ob es europäische Truppen vor Ort geben werde, um einen Waffen­still­stand zu garan­tieren, sagte sie. Eine Frage, die eine schwierige Antwort erfordert.

„In diesen Tagen verhandeln wir in Deutschland über die größte Inves­tition in das Militär, die wir je getätigt haben. Wir müssen als Europäer und als Deutsche einen Schritt nach vorne machen.“ – Robin Wagener

Robin Wagener, Mitglied des Deutschen Bundestags (Bündnis 90/​Die Grünen), befasste sich mit den aktuellen Verhand­lungen in Deutschland.

„In diesen Tagen verhandeln wir in Deutschland über die größte Inves­tition in das Militär, die wir je getätigt haben. Wir müssen uns beeilen. Wir müssen uns als Europäer stärker einbringen, und das bedeutet, dass wir uns als Deutsche stärker in dieses Bündnis für europäische Stabi­lität und Frieden einbringen müssen. Und wir sollten sehr darauf achten, dass wir dies im Geiste eines starken europäi­schen Pfeilers innerhalb einer trans­at­lan­ti­schen Partner­schaft tun, die nach wie vor besteht.“ Der derzeitige atlan­tische Pfeiler sei unbere­chenbar und unzuver­lässig. Man müsse auf der Grundlage arbeiten, sich auf das Schlimmste vorzu­be­reiten und auf das Beste zu hoffen. Die Europäer seien jetzt in einer besseren Position, sagte er, aber es sei dringend notwendig, dass die Europäer erwachsen würden und die europäische Sicherheit selbst in die Hand nähmen, während sie auf Verän­de­rungen in den Verei­nigten Staaten und vielleicht auf ein größeres Interesse der USA an der trans­at­lan­ti­schen Partner­schaft in der Zukunft hofften. Vielleicht könnten dann neue Bündnisse geschlossen werden, die auf der Grundlage einer gleich­be­rech­tigten Partner­schaft funktio­nieren würden.

Im Moment seien die USA jedoch weder an einer stabilen Friedens- und Sicher­heits­ordnung in Europa noch an der Unter­stützung demokra­ti­scher Staaten inter­es­siert, sondern handeln eher auf trans­ak­tio­naler Basis.

„Europa muss in der Lage sein, zu handeln, wenn die Ameri­kaner abwesend sind. Dies bedeutet nicht das Ende des trans­at­lan­ti­schen Bündnisses.“ – Daniel Fried

Botschafter Daniel Fried dachte über die möglichen Reaktionen des Kremls auf den Waffen­still­stands­vor­schlag nach, die mehrere poten­zielle Fallen für die Europäer enthielten. Er analy­sierte die Trump-Regierung als aus mehreren verschie­denen, tief gespal­tenen Gruppen bestehend:

  • Die Neo-Reaganiten, die immer noch an die freie Welt glauben;
  • Die Asia-Firsters, die glauben, dass sich die USA fast ausschließlich auf Asien und insbe­sondere auf China konzen­trieren sollten, anstatt Europa zu unterstützen;
  • die Jalta-Gruppe oder die George-Orwell-Gruppe, die sich für eine Aufteilung der Welt in drei große Inter­es­sens­zonen einsetzt.

Es bleibe abzuwarten, welche dieser Gruppen sich durch­setzen werde. Er fügte jedoch hinzu: „Die Bemühungen Europas, sich zu behaupten, könnten ein glück­liches Ende der aktuellen, von Unruhen geprägten Phase bedeuten: Dies könnte der Fall sein, wenn die Europäer verstehen, dass Europa strate­gische Fähig­keiten und strate­gische Autonomie benötigt. Dies würde bedeuten, dass Europa in der Lage wäre zu handeln, wenn die Ameri­kaner aus welchen Gründen auch immer abwesend sind. Dies würde nicht das Ende des trans­at­lan­ti­schen Bündnisses bedeuten.“

„Trump liebt es mehr als alles andere zu gewinnen“, sagte Fried. “Wenn er davon überzeugt werden kann, dass er Putin zurück­drängen kann, um ein gutes Abkommen über die Ukraine zu erzielen, und ein Abkommen mit den Europäern zu schließen, damit diese tatsächlich aufstehen und mehr zu ihrer eigenen Vertei­digung beitragen, dann kann er sagen und behaupten, dass er das trans­at­lan­tische Bündnis und die NATO gerettet hat.“

Michael Gahler fügte hinzu, dass strate­gische Autonomie den Aufbau einer indus­tri­ellen Basis bedeutet, um bei der Produktion der benötigten Güter autark zu werden. „Wenn sich der Staub gelegt hat und das Chaos abgeklungen ist, wenn die Politik in den USA auf dem Boden der Realität angekommen ist, und das ist hoffentlich bald der Fall, dann sollte man sich darüber im Klaren sein, dass wir immer bereit sind, als Partner zur Seite zu stehen. Wir wollen, dass diese Partner­schaft fortbe­steht“, so Gahler.

„Der aktuelle Waffen­still­stands­vor­schlag ist haupt­sächlich von den Ukrainern zusammen mit den Europäern ausge­ar­beitet worden, aber sie haben Trump kluger­weise die Höflichkeit erwiesen, ihn als seinen eigenen Plan zu präsen­tieren.“ – Marie Mendras

Ralf Fücks wies darauf hin, dass die Europäer sich einigen und eine gemeinsame Position zu den Mindest­zielen für den Ausgang des Krieges finden müssten: „Was wollen wir erreichen? Worüber sind wir bereit, mit Russland zu verhandeln?“

Marie Mendras betonte das Talent von Wladimir Selenskyj, während des Dramas im Weißen Haus seine eigene Würde zu bewahren. Seine Popula­rität sei nach dem Desaster im Oval Office in die Höhe geschossen und habe als Motivation für alle Treffen und Entschei­dungen gedient, die danach in Europa statt­fanden, sagte sie. Europa müsse auf Selen­skyjs Fähigkeit aufbauen, um sicher­zu­stellen, dass Trump sein Gesicht wahren könne.

Der aktuelle Waffen­still­stands­vor­schlag sei haupt­sächlich von den Ukrainern mit den Europäern ausge­ar­beitet worden, aber sie hätten Trump kluger­weise die Höflichkeit erwiesen, ihn als seinen eigenen Plan zu präsen­tieren. Es sei nun ein Test des Willens. Es gab Donald Trump sowohl eine Trophäe als auch die erneute Unter­stützung des US-Militärs und der Geheim­dienste, die die russische Armee und den Kreml in eine Position der Schwäche gebracht hatte.

Robin Wagner fügte hinzu, dass Russland sich derzeit in einer schlechten Lage befinde und nicht immer überschätzt werden sollte. Das Land habe sowohl wirtschaft­liche Probleme als auch Probleme mit der inneren Stabilität.

„Wahlen würden die Ukraine zerreißen und sollten erst abgehalten werden, wenn ein sicherer Frieden herge­stellt ist.“ – Robin Wagner

Der letzte Diskus­si­ons­punkt war die Idee, Wahlen in der Ukraine abzuhalten. Eine Idee, wie Marie Mendras betonte, die ursprünglich aus Russland kam und von Trump auf den Tisch gebracht wurde. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass Wahlen die Ukraine ausein­an­der­reißen würden und erst dann abgehalten werden sollten, wenn ein sicherer Frieden herge­stellt ist. Botschafter John Herbst wies außerdem darauf hin, dass weder die Zivil­ge­sell­schaft noch die Opposition Wahlen wollten, die inmitten eines andau­ernden Krieges unmöglich abgehalten werden könnten.

Die lebhafte, sachkundige Diskussion, die die verschie­denen Perspek­tiven der aktuellen Lage in den Bezie­hungen zwischen den USA und Europa und insbe­sondere der Ukraine beleuchtete. Fortsetzung folgt!

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