„Die EU sollte aufhören, das Regime Vučić als Hort der Stabi­lität zu sehen“

Foto: Imago Images

Am 17. Dezember finden in Serbien vorge­zo­gene Neuwahlen statt. Der Ausgang der Wahlen ist auch für die Sicher­heits­lage auf dem Balkan entschei­dend. Die Regierung lanciert gezielt Fehl­in­for­ma­tionen über die angeb­liche Unter­drü­ckung der serbi­schen Minder­heit im Norden des Kosovo. Kosovo warnt vor einem Krieg auf dem Balkan nach dem „Krim-Modell“ und fordert die EU zu einer klaren Posi­tio­nie­rung auf.

Am 24. September 2023 lockten 30 serbische Para­mi­li­tärs im Norden des Kosovo Poli­zisten in einen Hinter­halt und töteten einen von ihnen. Auch drei der Angreifer kamen ums Leben. Nach dem Überfall wurde ein Lager mit Kriegs­waffen und Droh­nen­auf­nahmen von mili­tä­ri­schen Übungen gefunden, die wenige Tage vor dem Angriff auf zwei Mili­tär­ge­länden in Serbien statt­ge­funden hatten. Auch der kosovo-serbische Politiker und Geschäfts­mann Milan Radoičić, einer der mäch­tigsten Anführer der serbi­schen Minder­heit im Kosovo und Vertrauter des serbi­schen Präsi­denten Alek­sandar Vučić, hatte ein Privat­grund­stück für mili­tä­ri­sche Übungen zur Verfügung gestellt und zudem Waffen­de­pots angelegt. Radoičić steht u.a. wegen Korrup­tion auf Sank­ti­ons­listen der USA und Groß­bri­tan­niens. Er bekannte zunächst, Draht­zieher des Überfalls vom 24. September zu sein, und trat als stell­ver­tre­tender Vorsit­zender der von Belgrad gesteu­erten Serbi­schen Liste zurück. In Serbien wurde er aber nur vorüber­ge­hend festgenommen.

Umstrit­tene Verein­ba­rung zur Norma­li­sie­rung der Beziehungen

Der Angriff ist nur der jüngste Vorfall im ange­spannten Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo. Die EU hatte deshalb im Februar und März 2023 mit dem serbi­schen Präsi­denten Vučić und dem koso­va­ri­schen Premier­mi­nister Kurti eine Verein­ba­rung zwischen beiden Ländern verhan­delt, die eine Norma­li­sie­rung der Bezie­hungen vorsieht und als Bedingung für einen möglichen EU-Beitritt beider Staaten gilt. 

Serbien soll darin die De-facto-Unab­hän­gig­keit des Kosovo aner­kennen, inklusive der Möglich­keit für Kosovo, inter­na­tio­nalen Orga­ni­sa­tionen beizu­treten. Das Kosovo soll seiner­seits einen serbi­schen Gemein­de­ver­bund zur autonomen Selbst­ver­wal­tung im Norden des Kosovo zulassen. 

Die koso­va­ri­sche Regierung jedoch befürchtet, Serbien könnte den Gemein­de­ver­bund als Instru­ment benutzen, um das Land dauerhaft zu desta­bi­li­sieren und die Souve­rä­nität des Kosovo weiterhin in Frage zu stellen. Sie fordert die Aner­ken­nung der Staat­lich­keit des Kosovo durch Serbien, bevor sie der Gründung des serbi­schen Gemein­de­ver­bands zustimmen will.

Vučić verwei­gerte letztlich die Unter­zeich­nung der Verein­ba­rung. Weder kann er den Serben, die die Unab­hän­gig­keit Kosovos ablehnen, einen schnellen EU-Beitritt im Tausch für das Abkommen verspre­chen, noch ist ihm an den Reformen gelegen, welche die EU auf dem Beitrittsweg von ihm verlangt, weil sie sein Macht­system aus Patronage, Korrup­tion und stark beschnit­tener Medi­en­frei­heit einschränken würden.

Belgrads Propa­ganda und Russlands Interessen

Immer wieder behauptet der serbische Präsident Vučić, die serbische Minder­heit im Kosovo werde syste­ma­tisch unter­drückt und verfolgt. Nach einem Treffen mit dem russi­schen Botschafter in Belgrad im September 2023 ließ er verlauten, er habe diesen über die „brutalen ethni­schen Säube­rungen“ infor­miert, die das „Regime“ in Priština mit Hilfe der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft orga­ni­siere. Vor der UN-Voll­ver­samm­lung sprach er von einer „Terror­kam­pagne“ des „extre­mis­ti­schen Regimes“ in Priština gegen die Serben im Kosovo. Bei den Vorwürfen handelt es sich jedoch um Propa­ganda. Die halb­jähr­li­chen Berichte der UN-Mission im Kosovo (UNMIK) listen minutiös alle Verstöße gegen die Rechte serbi­scher Einwohner des Kosovo auf. Grund zur Klage haben demnach die Kosovo-Serben durchaus immer wieder. Von syste­ma­ti­scher Verfol­gung kann aber keine Rede sein. Die angeb­li­chen „ethni­schen Säube­rungen“ sind frei erfunden.

Doch die Rede davon, zumal dem russi­schen Botschafter vorge­tragen, lässt aufhor­chen, hat doch Russland seine mili­tä­ri­schen Inter­ven­tionen in Nach­bar­staaten immer wieder mit der Behaup­tung der Verfol­gung von Russen oder gar eines „Genozids“ an der russisch­spra­chigen Bevöl­ke­rung zu legi­ti­mieren versucht – zuletzt die mili­tä­ri­schen Angriffe auf die Ukraine.

Kosovo warnt vor einem neuen Krieg auf dem Balkan

Nach dem serbi­schen Überfall auf koso­va­ri­sche Poli­zisten ließ Serbien sein Militär an der Grenze zu Kosovo aufmar­schieren. Die koso­va­ri­sche Außen­mi­nis­terin Donika Gërvalla-Schwarz warnte vor einem neuen Krieg auf dem Balkan, sollte die inter­na­tio­nale Gemein­schaft das Vorgehen Serbiens tole­rieren. Sie forderte, die EU solle die Kandi­datur Serbiens auf EU-Mitglied­schaft einfrieren und Geld­zah­lungen an Serbien stoppen. 

Will Serbien ein „Krim-Modell“ verwirklichen?

Die Präsi­dentin des Kosovo Vjosa Osmani erklärte, Serbien erhebe weiterhin terri­to­riale Ansprüche an das Kosovo und versuche, ein „Krim-Modell“ zu verwirk­li­chen – anstelle der ukrai­ni­schen Krim steht hier das mehr­heit­lich von Serben bewohnte Nord­ko­sovo. Bereits Ende 2022 hatte das serbische Militär schon einmal seine Präsenz an der koso­va­ri­schen Grenze verstärkt. Vučić ließ die Truppen wieder abziehen, aber er hält den Konflikt am Köcheln.

Vučić balan­ciert zwischen West und Ost 

Warum tut er das? Weil er daraus Nutzen ziehen kann. Er spielt die nationale Karte, um die Serben hinter sich zu versam­meln. Er balan­ciert zwischen Ost und West, zwischen Russland auf der einen und EU und USA auf der anderen Seite, um sich alle Optionen offen zu halten. Die von ihm beför­derte außen- und innen­po­li­ti­sche Unsi­cher­heit ist das Biotop, in dem sich gut Geschäfte machen lassen. Serbien ist hoch korrupt. Trans­pa­rency Inter­na­tional sieht das Land zusammen mit acht weiteren Staaten auf seinem Kurrup­ti­ons­ba­ro­meter an 101. Stelle von insgesamt 180 Staaten, wobei Serbien in den letzten Jahren immer stärker abrutschte.

Unter­drü­ckung der Opposition

Inter­es­san­ter­weise ist ein Teil der Oppo­si­tion im serbi­schen Parlament für eine Aner­ken­nung des Kosovo. So jeden­falls äußerten sich in einem Hinter­grund­ge­spräch Vertreter der Partei Freiheit und Gerech­tig­keit, der Demo­kra­ti­schen Partei und der Grünen im September in Belgrad. Dafür werden sie von der Regierung und den staats­nahen Medien als Verräter verun­glimpft. Ihre Kinder bringen die Oppo­si­ti­ons­po­li­tiker in privaten Kinder­gärten und Schulen unter aus Angst, in öffent­li­chen Einrich­tungen könnte ihnen etwas zustoßen.

Nicht anders geht es der außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­tion. Die Zivil­ge­sell­schaft ist einem erheb­li­chen Druck ausge­setzt. Die Akti­visten erhalten Drohungen, werden drang­sa­liert und zudem mit über­bor­denden Finanz­kon­trollen und zahl­rei­chen Gerichts­pro­zessen überzogen, was erheb­liche Ressourcen bindet. Nicht jede NGO kann dem standhalten.

Die EU setzt ein falsches Signal

Dass Ursula von der Leyen Ende Oktober – also gut einen Monat nach dem Anschlag im Nord­ko­sovo und der Ankün­di­gung von Neuwahlen für den 17. Dezember – Präsident Vučić besuchte, ist Ausdruck eines zwei­fel­haften EU-Kurses. Die EU hofft, Vučić mit billigen Krediten und neuen Inves­ti­ti­ons­zu­sagen vom Abdriften in den Orbit des Kreml abzu­halten. Dass von der Leyen auch noch die Medi­en­ge­setz­ge­bung lobte, wo doch gerade die weit­ge­hende staat­liche Kontrolle der Medien die Demo­kratie in Serbien aushöhlt, wirft Fragen auf: Wie werden in Brüssel die Reali­täten auf dem West­balkan wahr­ge­nommen, und wie lange will man noch so tun, als sei Vučić ein vertrau­ens­wür­diger Gesprächs­partner und Garant von Demo­kratie, Sicher­heit und Fort­schritt in Serbien? Wie lange will sich die EU noch von der proeu­ro­päi­schen Rhetorik der serbi­schen Regierung beein­dru­cken lassen und damit ihrer­seits die serbische Bevöl­ke­rung hinters Licht führen, die schon kaum noch an einen Weg in die EU glaubt?

Vom Wahl­aus­gang in Serbien hängt auch die Sicher­heits­frage auf dem Balkan ab

Solange Vučić an der Macht ist, wird er seinen Schau­kel­kurs zwischen vorgeb­li­chen Zuge­ständ­nissen an die EU und Desta­bi­li­sie­rung nach innen (Bedrohung und Verfol­gung unab­hän­giger Medien und Orga­ni­sa­tionen) wie außen (Unruhe im Kosovo) fort­setzen. Das Geld der EU ist ihm will­kommen, aber politisch bringt er das Land nicht näher an die EU, was die Bevöl­ke­rung nach 20 Jahren Annä­he­rungs­pro­zess frus­triert zurück­lässt. Ob die Bürger Serbiens ihm die Verant­wor­tung dafür zurechnen, wird sich bei den Wahlen im Dezember zeigen. Auch die Beziehung zum Kosovo und damit eine wesent­liche Sicher­heits­frage auf dem West­balkan könnte vom Wahl­aus­gang abhängen. Aller­dings ist davon auszu­gehen, dass die meisten Serben weiterhin gegen eine Aner­ken­nung des Kosovo sind, während sie zugleich zu verstehen beginnen, dass das Kosovo nicht zurück­zu­holen ist.

„Die EU sollte aufhören, das Regime Vučić als Hort der Stabi­lität zu sehen“

Die EU sollte aufhören, das Regime Vučić als Hort der Stabi­lität anzusehen und erkennen, dass er die Demo­kratie Serbiens ausge­höhlt hat. Als Unru­he­stifter, der von der Unsi­cher­heit im Kosovo profi­tiert, kann er in Sicher­heits­be­langen kein verläss­li­cher Partner sein. Im Zuge des Beitritts­pro­zesses zur EU ist darauf zu achten, dass sehr konkrete und nach­prüf­bare Schritte zur Verbes­se­rung der Rechts­staat­lich­keit verein­bart werden. Die Zivil­ge­sell­schaft, die diesen Prozess unter­stützt und sich für Trans­pa­renz und Kontrolle des Regie­rungs­han­delns insbe­son­dere durch unab­hän­gige Medien einsetzt, sollte sehr viel stärker gehört, einbe­zogen und gefördert werden, Mittel sollten nur unter Einhal­tung rechts­staat­li­cher Standards ausge­zahlt und deren Verwen­dung konse­quent kontrol­liert werden.

„Achten Sie auf den Balkan“

Der ukrai­ni­sche Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte am 15. November: „Achten Sie auf den Balkan. Glauben Sie mir, wir haben Infor­ma­tionen: Russland verfolgt einen lang­fris­tigen Plan. Der Nahe Osten, und schließ­lich wird es der Balkan sein. Wenn die Länder der Welt jetzt nichts tun, wird es erneut eine solche Explosion geben.“ Russland arbeitet konse­quent an der Desta­bi­li­sie­rung Europas und verfügt über nicht zu unter­schät­zenden Einfluss auf dem West­balkan, insbe­son­dere durch serbische Politiker in Serbien, im Kosovo und in der Republika Srpska. Weitere Kriege in Europa sind nicht unmöglich – die EU sollte alles daran­setzen, diese zu verhindern.

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