Trump in Brüssel: Wie ein Tweet die NATO zerstören könnte

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Aus mili­tä­ri­scher Sicht stand die NATO selten besser da. Politisch gleicht sie einem Scher­ben­haufen. Denn wenn nach dem Gipfel in Brüssel die Staats­chefs im Flieger sitzen, wird der Angst­schweiß ihnen von der Stirn perlen: Welchen irren Satz hämmert Donald Trump wieder in sein Telefon?

Die mili­tä­ri­sche Aufgabe der NATO ist klar. Sie muss Russlands Aggres­sion in Osteuropa Einhalt gebieten. Mili­tä­risch gesehen sind die Tripwire-Einheiten der NATO in den balti­schen Staaten und Polen nicht groß. Sie umfassen nur wenige Tausend Soldaten, ohne Unter­stüt­zung aus der Luft oder von See. Aber sie werden von 25 natio­nalen Streit­kräften gestellt. Die Botschaft an den Kreml ist unzwei­deutig: Eine aktive Einmi­schung in seine ehema­ligen Kolonien würde bedeuten, dass Russland Soldaten einiger der reichsten und mäch­tigsten Länder töten müsste.

Sollte aber ein über­ra­schender Einmarsch Russlands in die balti­schen Staaten erfolgen, wird der ameri­ka­ni­sche Ober­be­fehls­haber dann, wenn man ihn früh­mor­gens im Weißen Haus weckt, wirklich den Kampf­ein­satz ameri­ka­ni­scher Truppen befehlen? 

Die Verei­nigten Staaten haben hier eine zentrale Rolle gespielt, dank des Pentagons unter Führung des leiden­schaft­lich nord­at­lan­tisch ausge­rich­teten Vertei­di­gungs­mi­nis­ters Jim Mattis, und dank des US-Kongresses, der mehr als großzügig Geld für die euro­päi­sche Vertei­di­gung ausge­schüttet hat. Ein gewisser Dank gilt auch Wladimir Putin, dessen Angriff auf die Ukraine 2014 dem Westen die Augen öffnete.

Antwort auf russi­sches Gebaren

Zwar sind ameri­ka­ni­sche reguläre Streit­kräfte in der Region nicht permanent statio­niert, doch sind sie durch eine rotie­rende Entsen­dung von Einheiten aus Stand­orten in den USA und West­eu­ropa ständig vor Ort. Einige der schweren Waffen­sys­teme, die die Obama-Regierung unklu­ger­weise 2013 aus Europa abgezogen hatte, wurden letztes Jahr wieder zurück­ver­legt. Die 2011 aufge­löste 2. US-Flotte wird derzeit neuge­bildet, wodurch die Konzen­tra­tion der US-Marine auf den zuvor vernach­läs­sigten Nord­at­lantik wieder­her­ge­stellt wird.

Aufge­schreckt durch das aggres­sive russische Macht­ge­baren erhöhen Finnland und Schweden, beides keine Mitglieder der NATO, ihre Mili­tär­aus­gaben, heben ihre Einsatz­be­reit­schaft und knüpfen so enge Bezie­hungen zu den USA wie noch nie. Schweden verzeich­nete jüngst seine höchsten Vertei­di­gungs­aus­gaben seit 1975 und verteilte an alle Haushalte des Landes ein markant formu­liertes Zivil­schutz­merk­blatt. Finnland hielt im Mai ein Manöver mit realis­ti­schen Szenarien ab, an dem auch US-ameri­ka­ni­sche Panzer beteiligt waren. 

Portrait von Edward Lucas

Edward Lucas ist Jour­na­list und Sicherheitsexperte.

In allen Staaten, die als erste von einem russi­schen Vorstoß betroffen wären, haben ameri­ka­ni­sche Spezi­al­ein­heiten im Geheimen ihren Kollegen geholfen, hinter den Linien beein­dru­ckende Kapa­zi­täten zu schaffen, mit denen jede russische Inter­ven­tion gestört und unter­bro­chen werden kann. Das schafft eine zusätz­liche Ebene der Abschreckung.

Wer ist gefähr­li­cher – Trump oder Putin?

Der Schwer­punkt liegt nun darauf, die Verstär­kung zügiger zu gestalten. Truppen und Ausrüs­tung über den Atlantik und nach Osteuropa zu bringen, dauert Monate. Die Mili­tär­lo­gistik hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges ziemlich verschlissen. Auf dem Brüsseler Gipfel wird diese lang­wei­lige, wenn­gleich wichtige Aufgabe formell Deutsch­land über­tragen werden.

Gleich­wohl ist die Stimmung in der west­li­chen Allianz bemer­kens­wert ange­spannt, wobei die Nerven nicht wegen Putins Gebaren blank liegen, sondern wegen des Gebarens von Donald Trump.

Die Zutaten für ein ausge­wach­senes Debakel liegen auf dem Tisch: Auf dem Wahl­kampf­pfad hatte Trump die NATO noch als obsolet abgetan. Wieder­holt beschwerte er sich, dass sie zu teuer sei. Beim ersten Besuch von Angela Merkel im Weißen Haus wurde die deutsche Bundes­kanz­lerin vom ameri­ka­ni­schen Präsi­denten sogar mit einer amateur­haft zusam­men­ge­stellten Rechnung für den ameri­ka­ni­schen mili­tä­ri­schen Schutz konfron­tiert. Die soge­nannten Alli­ierten sind in seinen Augen nicht nur Schma­rotzer. Sie sind Gegner, die die USA abzocken.

Der Stand­punkt des America first gründet auf wirt­schaft­li­chem und geopo­li­ti­schem Analpha­be­tentum. Handels­de­fi­zite sind nicht per se schlecht (grob gesagt, drucken die USA Dollars und Schuld­scheine und tauschen diese gegen auslän­di­sche Waren und Dienst­leis­tungen – was ist dagegen einzuwenden?).

Wie Trump den Anti­ame­ri­ka­nismus schürt

Zölle einzu­führen wird den USA nicht weiter­helfen. Seine Verbün­dete herum­zu­kom­man­dieren auch nicht. Ameri­ka­ni­sche Größe und eine ameri­ka­nisch geführte Welt ruhen auf der Stärkung von Bünd­nissen und nicht darauf, sie um der Schlag­zeilen Willen in Stücke zu reißen. Es stimmt: Die euro­päi­schen Staaten sind bei den Vertei­di­gungs­aus­gaben knauserig gewesen. Doch steigen deren Ausgaben inzwi­schen, in manchen Fällen sogar recht zügig. Es trifft zu, dass die USA mehr für Vertei­di­gung ausgeben als der Rest der NATO zusam­men­ge­nommen, doch fließen viele dieser Gelder in das Enga­ge­ment im Pazifik, in Asien und anderswo: außerhalb der NATO.

Die Vorge­hens­weise des Herrn Trump schürt den Anti­ame­ri­ka­nismus in Europa. Öffent­lich für das nord­at­lan­ti­sche Bündnis einzu­treten, ist schwerer geworden. In Deutsch­land betrachten 53 Prozent der Bevöl­ke­rung Russland als verläss­li­chen Partner. 43 Prozent zählen China zu dieser Kategorie. Und nur 14 Prozent trauen noch den USA. Selbst dort, wo die Trump-Regierung das Richtige tut, indem sie etwa die Ukraine unter­stützt oder versucht, die russische Gaspipe­line zu verhin­dern (die Einfluss expor­tiert, nicht fossile Rohstoffe), ist die die Reaktion argwöhnisch.

Noch ein Autokraten-Deal?

Beflügelt von dem, was Trump fälsch­li­cher­weise als ein erfolg­rei­ches Gipfel­treffen mit Kim Jong-Un betrachtet, möchte der Präsident das gleiche Spiel mit Putin spielen, wahr­schein­lich bei einem Treffen später in diesem Jahr. Die Bünd­nis­partner zittern ange­sichts der Über­le­gung, welche Zuge­ständ­nisse Trump bei einem Vier­au­gen­ge­spräch mit dem stäh­lernen Ex-Spion machen könnte, den er so verehrt. Wird er die lebens­wich­tigen Mili­tär­ma­növer in Nord­eu­ropa und dem Baltikum genauso stoppen, wie er unbe­küm­mert ein Ende der „Kriegs­spiele“ in Südkorea versprach? Das könnte das Aus für das Manöver Trident Juncture 18 bedeuten, an dem sich im Herbst 40.000 Soldaten aus über dreißig Ländern betei­ligen sollen. Ohne Manöver stocken die Kapa­zi­täten und verküm­mert die Abschreckung.

Der wich­tigste Aktiv­posten, über den das Bündnis verfügt, ist das Verspre­chen und die Verpflich­tung zur kollek­tiven Vertei­di­gung durch Artikel 5 des Nord­at­lan­tik­paktes, die Beistands­ga­rantie. Ein Angriff auf einen der Bünd­nis­partner bedeutet für den Angreifer das Risiko einer Antwort durch sämtliche Mitgliedsstaaten.

Sollte aber ein über­ra­schender Einmarsch Russlands in die balti­schen Staaten erfolgen, wird der ameri­ka­ni­sche Ober­be­fehls­haber dann, wenn man ihn früh­mor­gens im Weißen Haus weckt, wirklich den Kampf­ein­satz ameri­ka­ni­scher Truppen befehlen? Oder wird er zum Telefon greifen und mit Putin einen Deal aushan­deln? Oder mit den Schultern zucken und sich wieder schlafen legen? Wir wissen es nicht.

Trumps Tweet – ein Szenario

Selbst ohne eine solche Krise könnte die NATO allein durch die Launen­haf­tig­keit des Präsi­denten ins Verderben getrieben werden, indem dem Kreml signa­li­siert wird, dass Amerika nicht mehr für seine Freunde kämpfen würde. Sollte sich Trump in Brüssel respektlos behandelt fühlen, könnte er einen Tweet dieser Art raushauen:

„Just walked out of last Summit for weak, failing Nato. Time is up on our so-called Allies, haters & losers. You want US to defend you when you pay Nothing and screw us on Trade? NO WAY!!! Our Country is now OUT of Europe & its problems. Get used to it!!“

Artikel 5 ist 146 Wörter lang. Um ihn – und sieben Jahr­zehnte euro­päi­scher Sicher­heit – zunichte zu machen, bedarf es nur 280 Zeichen.

 

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