Harris oder Trump – mit Sicher­heit unsicher für China

Foto: Imago

Im November wird in den USA gewählt. Chinas Führung beob­achtet die Vorgänge genau. Welche Bedeutung eine zukünf­tige Präsi­dentin Harris bezie­hungs­weise eine erneute Präsi­dent­schaft Trumps für die Bezie­hungen zu China haben würde und wie Allianzen auf Pekings Handeln und auf die Zukunft Taiwans einwirken, darüber hat Alexander Görlach mit den China-Experten Jie Gao und Lobsang Tsering gespro­chen. Beide forschen aktuell am Center for China Analysis (CCA) des Asia Society Policy Institute (ASPI).

Jie Gao ist wissen­schaft­liche Mitar­bei­terin für Außen­po­litik und nationale Sicher­heit am Center for China Analysis (CCA) des Asia Society Policy Institute (ASPI). Vor ihrer Tätigkeit am CCA absol­vierte Jie Praktika bei US-ameri­ka­ni­schen und chine­si­schen Think Tanks, darunter die Brookings Insti­tu­tion und das Center for Strategic and Inter­na­tional Studies. Sie hat einen MA in Sicher­heits­stu­dien von der Walsh School of Foreign Affairs der George­town Univer­sity und einen BA in Poli­tik­wis­sen­schaften vom Bryn Mawr College. Ihre Schriften wurden in The Diplomat und George­town Security Studies Review veröffentlicht.

Lobsang Tsering ist leitender Forschungs­mit­ar­beiter für chine­si­sche Politik am Center for China Analysis (CCA) des Asia Society Policy Institute. Bevor er zum CCA kam, arbeitete er 20 Jahre lang als Poli­tik­ex­perte am US-Gene­ral­kon­sulat in Chengdu (2003–2020) und an der US-Botschaft in Peking (2020–2023). Er hat einen Doktor­titel in Welt­ge­schichte von der Sichuan Univer­sity of China, wo er die Politik der Groß­mächte im Indo-Pazifik-Raum studierte.

Ange­sichts der bevor­ste­henden US-Präsi­dent­schafts­wahlen: Wer wäre Ihrer Meinung nach Pekings bevor­zugter Kandidat für das Weiße Haus, Lobsang Tsering und Jie Gao?

Lobsang Tsering: Peking äußert seine Präfe­renzen oder Kommen­tare nicht offen, aber die Führung der Kommu­nis­ti­schen Partei Chinas arbeitet lieber mit Personen zusammen, die bereit sind, sich auf lange „dialek­ti­sche“ Diskus­sionen einzu­lassen, als mit solchen, die schnelle und aggres­sive Deals anstreben. Daher ist es wahr­schein­lich, dass sie Harris bevor­zugen würden.

Jie Gao: Chine­si­sche Strategen halten Harris größ­ten­teils für bere­chen­barer als Trump, da von Harris eine Außen­po­litik erwartet wird, die mit der Biden-Regierung über­ein­stimmt, während die vorherige Trump-Regierung als volatiler wahr­ge­nommen wurde.

Wie haben die KP und chine­si­sche Experten auf Kamala Harris‘ Kandi­datur reagiert?

Lobsang Tsering: Viele in Peking haben relativ ruhig reagiert. Es gibt geringe Erwar­tungen in Bezug auf eine positive Zusam­men­ar­beit, die Partei beob­achtet Harris‘ Ansatz hinsicht­lich eines Wett­be­werbs und einer Konfron­ta­tion mit China genau.

In den letzten Wochen scheinen die Verei­nigten Staaten und die Volks­re­pu­blik bestrebt zu sein, neu entdeckte, wenn auch kleine Schritte in der Zusam­men­ar­beit hervor­zu­heben: Der direkte mili­tä­ri­sche Dialog wurde wieder aufge­nommen und China hat chemische Kompo­nenten für das Medi­ka­ment Fentanyl, das in großen Teilen der Verei­nigten Staaten wütet, auf den Index gesetzt. Ist das ein greif­barer Erfolg oder nur eine Art Augenwischerei?

Lobsang Tsering: Beide Seiten müssen etwas unter­nehmen, um ihre Bezie­hungen aufrecht­zu­er­halten. Beide von Ihnen genannten Bereiche sind die einzigen, in denen beide Seiten derzeit überhaupt bereit sind, zusam­men­zu­ar­beiten. Und auch wenn diese Maßnahmen konkret sind, ist es dennoch ungewiss, ob sie überhaupt erfolg­reich sein werden.

Jie Gao: Im gegen­wär­tigen, umstrit­tenen poli­ti­schen Umfeld stellt selbst die Aufrecht­erhal­tung der bila­te­ralen Kommu­ni­ka­tion einen bedeu­tenden Fort­schritt in den Bezie­hungen zwischen den USA und China dar. Mili­tär­dia­loge sind nützlich, um Fehl­ein­schät­zungen auszu­räumen und vorzu­beugen, aber die chine­si­sche Führung betrachtet ein allgemein stabiles und weniger konfron­ta­tives Verhältnis zu den USA norma­ler­weise als notwen­dige Voraus­set­zung für eine Zusam­men­ar­beit in bestimmten Bereichen.

Unab­hängig davon, wer die Wahl gewinnt: Innerhalb der nächsten vier­jäh­rigen Amtszeit einer US-Präsi­dentin oder eines Präsi­denten wird das wichtige Jahr 2027 kommen. Einer Analyse des US-Militärs zufolge wird China bis dahin bereit sein, das demo­kra­ti­sche Nach­bar­land Taiwan anzu­greifen und zu erobern. Ist die Volks­be­frei­ungs­armee tatsäch­lich bereit, die Insel­de­mo­kratie einzunehmen?

Lobsang Tsering: Die PLA (People’s Libe­ra­tion Army, chine­si­sche Streit­kräfte, Anm. d. Autors) ist wahr­schein­lich mili­tä­risch bereit, aber es ist ungewiss, ob Peking politisch und wirt­schaft­lich vorbe­reitet sein wird. China hat noch andere Möglich­keiten, Taiwan zu beein­flussen – ohne dafür die Kriegs-Option ziehen zu müssen.

Jie Gao: Ich stimme mit Lobsang überein. Trotz der zuneh­menden Aggres­si­vität der PLA bei Akti­vi­täten rund um Taiwan prio­ri­siert Peking weiterhin nicht-mili­tä­ri­sche Maßnahmen zur „Wieder­ver­ei­ni­gung“ der Insel. Der angeb­liche Zeitplan für diese “Wieder­ver­ei­ni­gung” ist weniger eine konkrete Entschei­dung von Xi Jinping als vielmehr ein Ausdruck der wach­senden Besorgnis in Washington.

Es gibt mehrere Szenarien, wie Peking versuchen könnte, Taiwan in die Knie zu zwingen – beispiels­weise mithilfe einer direkten Invasion und mit Maßnahmen wie etwa einer Seeblo­ckade. Wie müssten die Verei­nigten Staaten auf diese verschie­denen Szenarien reagieren?

Lobsang Tsering: Die USA arbeiten bereits mit Taiwan zusammen, um sich auf diese möglichen Szenarien vorzu­be­reiten. Es bleibt jedoch ungewiss, ob die USA und Taiwan solche Szenarien verhin­dern können, insbe­son­dere wenn es eine Trump-Regierung gibt.

Jie Gao: Um möglichen chine­si­schen Aktionen gegen Taiwan zu begegnen, müssen die USA mili­tä­ri­sche Abschre­ckung mit glaub­wür­digen Zusi­che­rungen ausba­lan­cieren. Die Stärkung der Selbst­ver­tei­di­gungs­fä­hig­keiten Taiwans bei gleich­zei­tiger Verstär­kung der US-Mili­tär­prä­senz im Indo-Pazifik ist uner­läss­lich, um eine Invasion oder Blockade abzu­schre­cken. Gleich­zeitig müssen die USA China glaub­wür­dige Zusi­che­rungen bieten und einsei­tige Ände­rungen des Status quo von beiden Seiten ablehnen sowie sicher­stellen, dass Peking die US-Aktionen nicht als Vorstoß Taiwans in Richtung Unab­hän­gig­keit inter­pre­tiert. Darüber hinaus können Friends­ho­ring-Liefer­ketten dazu beitragen, die Abhän­gig­keit von China zu verrin­gern, während eine offene Kommu­ni­ka­tion mit Peking dazu beiträgt, die Eska­la­tion zu bewäl­tigen und die Stabi­lität in der Taiwan­straße aufrecht­zu­er­halten. Weitere Infor­ma­tionen dazu finden Sie übrigens auf unserer Website Taiwan Policy Database.

Präsident Biden betonte, dass die USA Taiwan unter­stützen werde, sollte sich Xi Jinping für eine Invasion der Insel entscheiden. Peking war wütend und behaup­tete, Washington versuche, seine Ein-China-Politik aufzu­kün­digen. Meines Wissens unter­stützen die USA im Rahmen ihrer Taiwan-China-Doktrin jeden fried­li­chen Versuch auf Augenhöhe und in Part­ner­schaft und würden nur eingreifen, wenn Peking Gewalt anwendet, um die demo­kra­ti­sche Insel mit der Volks­re­pu­blik „wieder­zu­ver­ei­nigen“. Ist dieses Verständnis richtig?

Lobsang Tsering: Es ist möglich, dass die USA eingreifen würden, wenn Peking Gewalt anwendet, um Taiwan „wieder­zu­ver­ei­nigen“, aber es ist ungewiss, ob die USA eine fried­liche Wieder­ver­ei­ni­gung unterstützen.

Jie Gao: Ihr Verständnis ist weit­ge­hend richtig. Die USA verfolgen im Rahmen ihrer Ein-China-Politik eine Politik der „stra­te­gi­schen Zwei­deu­tig­keit“, in der sie Taiwans Unab­hän­gig­keit nicht unter­stützen, sich aber gegen jeglichen Gewalt­ein­satz Pekings zur Lösung von Problemen zwischen beiden Seiten der Taiwan­straße ausspre­chen. Die USA unter­stützen einen fried­li­chen Dialog und Reso­lu­tionen, die Taiwans demo­kra­ti­sche Regie­rungs­füh­rung respektieren.

Ein rele­vanter histo­ri­scher Bezugs­punkt sind die frühen 2010er Jahre, als sich die Bezie­hungen zwischen beiden Seiten der Taiwan­straße unter dem taiwa­ne­si­schen Präsi­denten Ma Ying-jeou verbes­serten, der eine stärkere wirt­schaft­liche und kultu­relle Zusam­men­ar­beit mit Peking propa­gierte. Während dieser Zeit förderten die USA den Dialog und die Zusam­men­ar­beit zwischen Taipeh und Peking und signa­li­sierten ihre Unter­stüt­zung für fried­liche Inter­ak­tionen ohne Eingreifen, solange keine Gewalt ange­wendet würde. Washing­tons Reaktion damals war eine Bekräf­ti­gung seiner konse­quenten Politik – es unter­stützte fried­liche Entwick­lungen, stellte aber sicher, dass es nur eingreifen würde, wenn China zu Zwang oder mili­tä­ri­scher Aggres­sion greifen würde.

Der Außen­aus­schuss des briti­schen Parla­ments erklärte letztes Jahr, dass Taiwan tatsäch­lich alle Merkmale einer Eigen­staat­lich­keit besitzt. Würde es zu einer vorzei­tigen Eska­la­tion führen, wenn westliche Nationen näher an Taiwan heran­rü­cken würden?

Lobsang Tsering: Ich denke schon, aber ich bin nicht sicher, ob die west­li­chen Nationen in der Tat auch näher an Taiwan heran­rü­cken werden.

Jie Gao: Ja, engere Bezie­hungen zwischen west­li­chen Nationen und Taiwan könnten zu einer Eska­la­tion führen, wie man im Fall Litauens sehen kann. Im Jahr 2021 erlaubte Litauen Taiwan, eine Reprä­sen­tanz zu errichten, was erheb­liche wirt­schaft­liche Vergel­tungs­maß­nahmen seitens Pekings auslöste: China setzte wirt­schaft­li­chen Druck, diplo­ma­ti­sche Herab­stu­fungen und Handels­stö­rungen ein, um Litauen unter Druck zu setzen. Dieser Fall zeigt, dass ein engeres west­li­ches Enga­ge­ment mit Taiwan zwar nicht zu einem unmit­tel­baren mili­tä­ri­schen Konflikt führen muss, aber erheb­liche wirt­schaft­liche und poli­ti­sche Vergel­tungs­maß­nahmen seitens Chinas provo­zieren kann; das wiederum erhöht die Span­nungen und erschwert die inter­na­tio­nalen Beziehungen.

Alle großen Akteure in der weiteren Region – Indien, die Phil­ip­pinen, Vietnam, Südkorea, Japan und Austra­lien – sind in den letzten Jahren näher an die USA heran­ge­rückt, obwohl sie eine Bedrohung durch ein aggres­siver auftre­tendes Peking wahr­nehmen. Die Allianzen der USA in dieser Region scheinen zu „Mini­la­te­ralen“ geworden zu sein, d. h. sie versam­meln sich in kleineren Foren, statt zu einem voll­wer­tigen multi­la­te­ralen Bündnis wie der NATO. Ist dies die neue Strategie der US-Außen- und Sicher­heits­po­litik – in dieser Region der Welt präsent zu sein, ohne der einzige große Akteur zu sein, von dem alle Länder abhängig sind?

Lobsang Tsering: Die USA würden wahr­schein­lich gerne eine asia­ti­sche NATO gründen, aber viele dieser Länder sind derzeit nicht daran inter­es­siert. Daher sind die „Mini­la­te­ralen“ die einzigen Optionen, die für die USA zur Verfügung stehen.

Jie Gao: Washing­tons Strategie im Indo-Pazifik-Raum scheint sich auf maßge­schnei­derte Mini­la­te­rale zu konzen­trieren, die sich auf spezi­fi­sche Ziele mit verschie­denen Partnern konzen­trieren, statt auf einen breiten multi­la­te­ralen Ansatz wie die NATO. So treiben die USA beispiels­weise eine Chip-Allianz mit Südkorea und Japan voran, um kritische Liefer­ketten zu sichern, während ihre Bezie­hungen zu Vietnam die wirt­schaft­liche Zusam­men­ar­beit betonen. Im Gegensatz dazu sind die Bezie­hungen der USA zu den Phil­ip­pinen und Austra­lien eher sicher­heits­ori­en­tiert und konzen­trieren sich darauf, Chinas regio­naler Durch­set­zungs­kraft entgegenzuwirken.

Würde ein Präsident Trump diese mini­la­te­ralen Erfolge der Biden-Regierung zunichte machen oder – nachdem sich der Staub des Wahl­kampfs gelegt hat – darauf aufbauen?

Lobsang Tsering: Ich sehe keinen Grund für die Trump-Regierung, diese „Mini­la­te­ralen“ aufzu­kün­digen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie ernst­hafte Schritte unter­nehmen wird, um auf ihnen aufzu­bauen, es sei denn, diese Länder werden das proaktiv selbst forcieren.

Jie Gao: Eine Trump-Admi­nis­tra­tion würde die Mini­la­te­ralen-Erfolge der Biden-Regierung wahr­schein­lich anhand ihres stra­te­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Werts für die US-Inter­essen bewerten. Obwohl Trump in der Vergan­gen­heit eine Vorliebe für bila­te­rale Abkommen gezeigt hat, insbe­son­dere wenn die wirt­schaft­li­chen Vorteile klar sind, ist es möglich, dass er auf bestehenden Rahmen­be­din­gungen aufbaut, wenn diese seinen Prio­ri­täten entspre­chen. So könnte er beispiels­weise die Stärkung von Sicher­heits­al­li­anzen wie denen mit den Phil­ip­pinen und Austra­lien für Waffen­ver­käufe und die Neuver­hand­lung von Wirt­schafts­ab­kommen zu güns­ti­geren Bedin­gungen für die ameri­ka­ni­schen Inter­essen befürworten.

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