Ablenkungsmanöver: Österreichs Regierung übt sich in sinnfreier Sprache
ÖVP und FPÖ verkaufen ihre Politik mit Phrasen, Klischees und sinnlosen Sätzen. Sprachkritik wird zur Bürgerpflicht.
Einmal mehr müssen wir darüber sprechen, wie in Österreich eine neue Normalität kreiert werden soll. Eine neue Art zu sprechen ist im Begriff, das Land zu verändern.
An der Spitze der Bewegung steht, seiner Führungsposition angemessen, der Bundeskanzler. Sebastian Kurz hat nicht nur dafür gesorgt, dass die regierungsseitig rigoros durchexerzierte Message Control ein etabliertes Schlagwort im österreichischen Politikdiskurs geworden ist: Die Regierung versucht, Nachrichtenflüsse in einem bislang unbekannten Ausmaß zu steuern und zu kontrollieren
Durch schlechte Sprache will uns die Regierung verwirren, ablenken und womöglich hinters Licht führen
Nein, Herr Kurz hat mit seiner, nun: eigenwilligen Art der Fragenbeantwortung auch erreicht, dass der Hashtag „#AnswerLikeKurz“ sich großer Beliebtheit erfreut. Dabei geht es um eine streng inhaltbefreite Art, auf Fragen zu reagieren. Ein (ausgedachtes) Beispiel:
Frage: „Herr Kurz, was verstehen Sie unter ‚liberale Moderne‘?“
Antwort: „Ich bin sehr dankbar, dass Sie mir diese Frage stellen. Die liberale Moderne ist mir auch persönlich ein wichtiges Anliegen. Liberalität und Moderne gibt es schon lange in Österreich. Ich habe immer betont, dass sie wichtig sind für unsere Heimat. Das gilt auch für die Zukunft. Deshalb ist es wichtig, die Balkanroute zu schließen und die Zuwanderung in unser Sozialsystem zu stoppen. Wie all das geschehen kann, muss evaluiert werden. Jedenfalls ist es legitim und verständlich, dass Sie diese Frage aufwerfen.“
Sinnlose Sätze
Der inhaltlich limitierte und stilistisch befremdliche Neusprech beschränkt sich nicht auf die Regierungsspitze, sondern lässt sich bis in die Fachministerien verfolgen. Für eine Mischung aus Amüsement und Fassungslosigkeit sorgte die mit Spannung erwartete erste Budgetrede des neuen Finanzministers Hartwig Löger. Der Herausgeber des Wiener Falter, Armin Thurnher, brachte die Sache mit der Überschrift Es lögert im System auf den Punkt.
Denn Lögers Rede glich einem sprachlichen Totalschaden. Der Minister sprach von „Grundprinzipien, die wir auch in Zukunft in der Verantwortung haben“, ließ Sätze vom Stapel wie „Entlastung kommt in die Wirkung“ und „Es werden Begriffe geschürt, die Verängstigung bei den Menschen geben“ und äußerte sich über „ein ganz wichtiges Momentum, das wir mit dieser Regierung einen Aufbruch erleben“.
Alles Ablenkung?
Natürlich darf man bei seiner ersten Budgetrede nervös sein, und natürlich haben auch mächtige Männer mal schlechte Tage. Aber Lögers linguistische Irrfahrt rief nicht nur Erstaunen und die Frage hervor, wie dieser Mann vorher ein erfolgreicher Manager sein konnte – sondern auch Entsetzen ob des größeren Zusammenhangs. Der scheint zu lauten: Die Regierung will nicht nur ihre Botschaften kontrollieren und vorgeben, wer wie wann worüber redet – Nein, sie will uns mit schlechter Sprache verwirren, ablenken und womöglich hinters Licht führen.
Klischees verdecken inhaltliche Mängel
Womit wir bei einem weiteren Beispiel des regierungsamtlichen Neusprechs sind: der Nachhaltigkeitspolitik. Die zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger hat letzte Woche gemeinsam mit dem „freiheitlichen“ Infrastrukturminister Nobert Hofer „Mission 2030“ der Öffentlichkeit vorgestellt: die österreichische Klima- und Energiestrategie. Diese Strategie hat bei Fachleuten für Reaktionen zwischen Ernüchterung und Fassungslosigkeit gesorgt: Sie enthält weder konkrete Reduktionspfade noch konkrete budgetäre Planungen. Die inhaltlichen Mängel werden ergänzt – sollte man besser sagen: abgesichert? – durch eine Kanonade an inhaltsleeren Pressegesprächen und Interviews, die nicht selten an Loriots legendäre Bundestagsrede gemahnen. Die systematische und dreiste Nicht-Beantwortung journalistischer Fragen wird garniert mit Füllworten, deren camouflierender Charakter offen zu Tage liegt. Dass das keine Methode hat, kann niemand glauben. Es ist offensichtlich: Wir sollen für dumm verkauft werden.
Natürlich kann – und soll – man über Kurzens Antwortstil, Stögers rhetorisches Desaster und Köstingers Nachhaltigkeitssprech lachen. Das aber reicht nicht. Wegen der hochproblematischen Inhalte, die der herrschende Neusprech verdeckt, ist Sprachkritik in diesen Tagen Bürgerpflicht.
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