Welcome back, Amerika!
Trump ist abgewählt. Biden wird Präsident. Ein integrer Demokrat, ein ausgleichender Charakter, ein Transatlantiker im Weißen Haus: das ist in vieler Hinsicht eine glückliche Wendung, nicht nur für Amerika. Die zahlreichen Nachrufe auf die USA waren verfrüht. Oft hatten sie Sie einen merkwürdig triumphierenden Unterton – als könnten manche gar nicht abwarten, Amerika abzuschreiben. Der Witz am Antiamerikanismus ist ja, dass auch alle, die die Vereinigten Staaten nicht leiden können, auf Amerika fixiert sind.
Trump ist abgewählt. Biden wird Präsident. Ein integrer Demokrat, ein ausgleichender Charakter, ein Transatlantiker im Weißen Haus: das ist in vieler Hinsicht eine glückliche Wendung, nicht nur für Amerika. Die zahlreichen Nachrufe auf die USA waren verfrüht. Oft hatten sie Sie einen merkwürdig triumphierenden Unterton – als könnten manche gar nicht abwarten, Amerika abzuschreiben. Der Witz am Antiamerikanismus ist ja, dass auch alle, die die Vereinigten Staaten nicht leiden können, auf Amerika fixiert sind.
Nicht von ungefähr: Die USA haben wie kein anderes Land über die letzten 100 Jahre die Moderne definiert. Wer aus Europa nach Amerika schaute, sah unsere Zukunft vor sich – die großen Städte, die Konsumgesellschaft, das Tempo, eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft, Hollywood, Jazz und Woodstock, Feminismus und Christopher Street Day, Microsoft, Facebook, Twitter & Co. Der kulturelle Dünkel gegenüber Amerika ist oft nur die Kehrseite für den alteuropäischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem auftrumpfenden Abkömmling.
Keine Frage, die USA stehen vor einem Berg von Problemen: eine politisch und kulturell extrem polarisierte Gesellschaft, eine vielfach heruntergekommene Infrastruktur, ein gigantisches Handelsbilanzdefizit, eine übergroße soziale Ungleichheit und ein politisches System, das von den Gründerzeiten Ende des 18. Jahrhunderts geprägt ist.
Und dennoch: Diese Wahl war ein Triumph der Demokratie, vielleicht der wichtigste seit der friedlichen Revolution von 1989/90. Eine am Ende gar nicht so knappe Mehrheit hat es geschafft, einen autoritären Populisten an der Wahlurne zu besiegen. Es ist Trump nicht gelungen, die demokratischen Checks & Balances außer Kraft zu setzen. Die politischen Institutionen sind intakt. Während der Noch-Präsident im Weißen Haus tobte, machten Hunderttausende von Wahlhelfern ruhig ihre Arbeit und sorgten dafür, dass jede Stimme gezählt wird, egal für wen ihr Herz schlug. Die Intensität des Wahlkampfs und die außergewöhnliche Wahlbeteiligung zeugen von der amerikanischen Leidenschaft für die öffentlichen Angelegenheiten. Sie wurzelt in der lebendigen Demokratie vor Ort, in den Städten und Kommunen.
Wir sind uns näher als viele glauben
Es wäre eine krasse Selbsttäuschung zu glauben, dass die Probleme der USA nicht auch Probleme Europas wären. Das gilt für den Rassismus in Teilen der Gesellschaft wie für den schwindenden sozialen Zusammenhalt, für den Rückzug in identitäre Gemeinschaften wie für die Staatsverschuldung. Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern der digitalen Moderne, prosperierenden Großstädten und abgehängten ländlichen Regionen, akademischen Mittelschichten und Arbeitern, religiösen und säkularen Milieus ist keine Besonderheit der USA. Wir müssen diese Probleme gemeinsam angehen, statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen.
Das gilt auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Das transatlantische Bündnis ist mitnichten überholt, ganz im Gegenteil: Wir brauchen die Allianz der Demokratien umso dringender gegenüber dem Auftrumpfen der autoritären Mächte, allen voran China. Europa muss stärker und handlungsfähiger werden, nach innen wie nach außen. Aber nicht, um uns von Amerika abzuwenden, sondern um als Partner auf Augenhöhe zu agieren. Die Rolle Europas bemisst sich nicht an unserer hochfliegenden Selbsteinschätzung, sondern an unseren realen Fähigkeiten mitsamt der Bereitschaft, Verantwortung für uns selbst und andere wahrzunehmen.
Mit der Wahl Bidens wird nicht alles gut, aber wir können jetzt wieder konstruktiver zusammenarbeiten. Dazu gehört auch, nicht jede amerikanische Forderung an unsere Adresse reflexhaft zurückzuweisen – von einer fairen Lastenverteilung innerhalb der NATO bis zur Korrektur asymmetrischer Handelsbarrieren.
Hoffen wir, dass die vielen „Amerikaskeptiker“ nicht die Oberhand behalten, die jetzt gar nicht genug Essig in die Freude über Bidens Wahlsieg gießen können. Ja, Biden kann angesichts der politischen Kräfteverhältnisse in Washington (und im Land) nicht durchregieren. Das ist auch gut so. Er muss Brücken bauen, statt die innere Spaltung noch zu vertiefen. Aber er ist keine lahme Ente, die nichts Substantielles verändern kann. Zu seinen ersten Statements nach dem Überqueren der Ziellinie gehörte die Ankündigung, die USA wieder in das Pariser Klimaabkommen zurückzuführen. Biden und sein Team werden Amerika und seine internationale Rolle zum Guten verändern. Wir wären Narren, die Gelegenheit nicht zu ergreifen, den Westen als liberale Wertegemeinschaft neu zu beleben.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.