Ralf Fücks im Interview: „Ökologie und Freiheit, Klima­schutz und Markt­wirt­schaft vereinen“

Foto: Shutter­stock, asharkyu

Für den „Tages­spiegel Background Energie und Klima“ sprach Fücks mit Jakob Schlandt über Konflikt­linien und Kompro­miss­mög­lich­keiten angesichts der laufenden Ampel-Sondie­rungs­ge­spräche. Eine Art Autosug­gestion des Aufbruchs könne dabei helfen, Gegen­sätze zu überwinden. Wir dokumen­tieren den Beitrag.

Herr Fücks, Sie haben lange Jahre die grüne Heinrich-Böll-Stiftung geleitet und danach das Zentrum Liberale Moderne mit ihrer Frau Marie­luise Beck gegründet – wie kaum ein anderer gelten sie als liberaler Grüner. Was jahrelang als recht abwegig galt – dass Liberale und Grüne in einem Bündnis zusam­men­kommen – ist nun das wahrschein­lichste Resultat der kommenden Wochen und Monate.

Ein wenig enttäuscht bin ich schon vom grünen Wahler­gebnis, da war noch mehr drin. Aber grüngelb ist in der Tat eine vielver­spre­chende Achse für die neue Koalition. Auch wenn die Ampel noch nicht in trockenen Tüchern ist – ein ökolo­gisch-sozial­li­be­rales Bündnis begreife ich als große Chance für dieses Land. Zentrale Idee – das ist auch ein Anliegen des Zentrums Liberale Moderne – sollte sein, dass Ökologie und Freiheit, Klima­schutz und Markt­wirt­schaft zusam­men­gehen. Wenn das gelingt, kann es einen Schub geben für die kommenden Jahre. Dann kann etwas gelingen, das über Deutschland hinaus als Zukunfts­modell taugt. Es wäre ein großes Glück, denn selbst­ver­ständlich ist das keinesfalls.

Trump war kein Betriebsunfall. 

Was meinen Sie damit?

Die liberale Demokratie ist nicht garan­tiert. Auf der einen Seite haben wir die antili­be­ralen Bewegungen in den Demokratien westlicher Prägung. Trump war kein Betriebs­unfall. Gleich­zeitig gibt es seit Corona­krise eine starke Tendenz zu mehr Staat. Die Sehnsucht nach dem schüt­zenden, vorsor­genden, aber eben auch vorschrei­benden Staat ist gewachsen. Auch in der Klima­po­litik ist nicht ausge­macht, wohin die Reise geht. Mehr staat­licher Dirigismus und Verbote, eine Art ökolo­gische Planwirt­schaft? Oder finden wir einen freiheit­lichen Weg, der Klima­neu­tra­lität in der gebotenen Geschwin­digkeit erreicht und gleich­zeitig Freiheits­räume lässt für Unter­nehmen und die Bürge­rinnen und Bürger? Wir haben uns bisher auf Ziele und einzelne Instru­mente konzen­triert und die große Frage des Ordnungs­rahmens für die ökolo­gische Trans­for­mation vernachlässigt.

Top-Down-Steuerung wird nicht zum Erfolg führen 

Die schwarz-rote Klima­po­litik der vergan­genen Jahre war geprägt von detail­lierten Zielen für einzelne Sektoren, Förder­pro­gramme, ein bis in kleinste Details verhan­delter Kohle­aus­stieg, der nun aller­dings schon wieder zur Dispo­sition stehen dürfte.

Genau. Ein Nachteil detail­lierter Einzel­re­ge­lungen ist, dass sie mit hohem Aufwand und Zeitverlust ständig angepasst werden müssen. Ein staat­liche Top-Down-Steuerung folgt einem ingenieur­haften Verständnis des Umbaus einer komplexen Indus­trie­ge­sell­schaft, das in sich logisch scheint, aber kaum zum Erfolg führen wird. Klima­neu­tra­lität erfordert nichts weniger als eine grüne indus­trielle Revolution. Dafür muss man eine markt­wirt­schaft­liche Dynamik von Innova­tionen und Inves­ti­tionen freisetzen.

War die bisherige Kiima­po­litik also für die Tonne? Das scheint ein wenig harsch. Auch unter den Regie­rungen Merkel I bis IV sind die Emissionen deutlich gesunken.

Ein erheb­licher Teil der Erfolge geht auf den europäi­schen Emissi­ons­handel zurück – beileibe keine deutsche Erfindung. Es gab bisher nur wenige syste­mische Innova­tionen in der deutschen Umwelt­po­litik, zum Beispiel das Kreis­lauf­wirt­schafts­gesetz. Auch das EEG fällt in diese Kategorie. Es hat die Lernkurve für Solar- und Windenergie finan­ziert und einen Markt für erneu­erbare Energien geschaffen, der enorme Kosten­sen­kungen auf der Angebots­seite hervor­ge­bracht hat. Inzwi­schen ist die Strei­chung der EEG-Umlage überfällig, um die Strom­preise zu senken. Zentrales Instrument für die Dekar­bo­ni­sierung ist der Emissionshandel.

Emissi­ons­handel als Lösung, die Grünen als treibende Kraft

Mit Verlaub, jetzt klingen Sie fast schon wie Christian Lindner pur, ganz ohne grüne Beimischung.

Geschenkt. Ein ambitio­nierter Emissi­ons­handel ist kein klima­po­li­ti­sches Larifari, sondern setzt einen verbind­lichen Deckel auf die CO2-Emissionen, der sukzessive abgesenkt wird. Das ist markt­wirt­schaft­liche Ordnungs­po­litik. Und ja, ich halte die Einführung eines sektor­über­grei­fenden CO2-Marktes für einen sehr wirksamen Hebel. Er erfasst das gesamte Angebot und die gesamte Nachfrage und setzt einen Wettbewerb um die besten Lösungen in Gang. Rund 80 Prozent der Inves­ti­tionen kommen von Unter­nehmen. Das bedeutet im Umkehr­schluss: Ohne Mobili­sierung privaten Kapitals geht es nicht. Staat­liche Inves­ti­tionen spielen eine flankie­rende Rolle. Sie müssen die nötige Infra­struktur bereit­stellen, Forschung und Entwicklung fördern und die Mehrkosten bei der Umstellung auf klima­neu­trale Produk­ti­ons­pro­zesse abpuffern. Ein konkretes Beispiel ist die rasche Entwicklung einer Wasserstoffökonomie.

Dafür sind die Grünen zuständig?

Die Grünen sind die treibende Kraft der ökolo­gi­schen Trans­for­mation. Aber Olaf Scholz und die SPD fordern einen Klima­fonds für öffent­liche Inves­ti­tionen, neue Strom­lei­tungen und Unter­stützung für Pionier­in­ves­tionen der Industrie.

Na, dann läuft es ja bei Rot-Grün-Gelb fast von allein, wenn man Ihnen Glauben schenkt.

Keine Sorge – in den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen müssen noch eine Menge Diffe­renzen überbrückt werden.  Die staat­lichen Finan­zie­rungs­be­darfe sind vermutlich das größte Problem. Weitrei­chende Steuer­sen­kungen, die Rückkehr zur „schwarzen Null“ im Bundes­haushalt und eine deutliche Ausweitung öffent­licher Inves­ti­tionen in Infra­struktur, Bildung und Klima­schutz, das passt hinten und vorne nicht zusammen. Da wird es knirschen. Aussichtslos ist das freilich nicht. Eine Dynami­sierung der Schul­den­bremse – etwa durch das Heraus­nehmen von Zukunfts­in­ves­ti­tionen – könnte einen tragbaren Kompromiss darstellen. Dafür muss man der FDP entge­gen­kommen, etwa durch verbes­serte Abschrei­bungen für Forschungs­aus­gaben und Klima-Inves­ti­tionen von Unternehmen.

Ökobonus als Ausgleich

Was ist mit den direkten Belas­tungen für die Bevöl­kerung? Die FDP will zwar einen umfas­senden Emissi­ons­handel, spricht sich aber gleich­zeitig zumindest in Teilen für einen Sprit­preis­deckel aus. Ein Widerspruch?

Ja, sicher. Man kann nicht sagen, der CO2-Preis ist das zentrale Instrument, aber wenn er anfängt zu wirken, will man das verhindern. Die richtige Konse­quenz ist doch eine andere: Wenn wir steigende Preise für Gas und Sprit bekommen, müssen wir finan­zielle Kompen­sa­tionen für einkom­mens­schwache Haushalte sicher­stellen, etwa in Form eines pauschalen „Ökobonus“. Das hat auch eine positive soziale Verteilungswirkung.

Die Grünen sind dagegen durch­gängig gut aufgestellt?

Da gibt es auch noch Klärungs­bedarf. Unter dem Druck des Klima­wandels und von Fridays for Future wollen vielen Grüne eine radikalere Klima­po­litik. Gebote und Verbote scheinen dann das Mittel der Wahl. Aber das ist trüge­risch. Wir können nicht einmal die Verbrennung von Kohle verbieten, bevor wir Alter­na­tiven der Energie­ver­sorgung haben. Auch die Radikalsten fordern nicht, Kohle­kraft­werke schon morgen still­zu­legen, obwohl es in der Logik der Klima­ka­ta­strophe richtig wäre.

Für das globale Klima ist es unerheblich, ob das letzte deutsche Kohle­kraftwerk 2030 oder 2034 die letzte Kilowatt­stunde erzeugt. Entscheidend ist, dass die Energie­wende auch ein wirtschaft­liches Erfolgs­modell wird. Nur dann bekommt sie den nötigen Rückhalt und ist auch global anschluss­fähig. Unsere Rolle im Kampf gegen den Klima­wandel liegt vor allem darin, Alter­na­tiven zu entwi­ckeln, die für bald 10 Milli­arden Menschen Wohlstand ohne Umwelt­zer­störung ermöglichen.

Notwendige Autosug­gestion

Tragen Charme und Energie des Neuan­fangs und schicke Selfies über diese Schwie­rig­keiten hinweg?

Bei aller Nüchternheit von Koali­ti­ons­ver­hand­lungen braucht es doch eine Art von Autosug­gestion: Das ist ein Neuanfang, das ist ein Aufbruch, wir bringen die Republik voran und wir gehen die Dinge gemeinsam an. Das müssen die Protago­nisten glauben und das muss das Publikum ihnen abnehmen. Dann kann daraus eine Dynamik entstehen, die es erleichtert, Gegen­sätze zu überbrücken.

Das klingt arg psychologisierend…

Aber es ist dennoch wahr. So ist Politik – zumindest in Teilen. Dazu kommt: Der Problem­druck wächst und wächst. Eine Regierung, die noch einmal vier Jahre vor sich hindödelt, ist der Öffent­lichkeit nicht mehr vermit­telbar. Wir alle wissen: Der Klima­wandel ist schon gefährlich nahe an einer kaum noch kontrol­lier­baren Eskalation. Wir hängen bei der Digita­li­sierung hinterher, und wir schieben die Probleme des demogra­phi­schen Wandels vor uns her. Zu glauben, dass die Bevöl­kerung weiteren Zeitverzug noch einmal treuherzig mitmacht, halte ich für eine gefähr­liche Illusion. Gefährlich für das Klima, aber auch für die Politi­ke­rinnen und Politiker, die sich ihr hingeben.

Auf was spielen sie an? Auch die Union hat doch um die Wichtigkeit des Themas verstanden. So groß ist der Unter­schied zur SPD in der Klima­po­litik nicht. Warum also nicht Jamaika?

Die Union hat sich zur Kennt­lichkeit entstellt, um es spitz zu formu­lieren. Sie ist program­ma­tisch ausge­brannt und weiß nicht mehr, wofür sie steht. Sie muss sich inhaltlich und personell neu aufstellen. Natürlich wäre es töricht, wenn FDP und Grüne ein Jamaika-Bündnis ausschließen würden, damit würden sie die SPD in den Verhand­lungen stärker machen als sie ist. Aber es würde einen Aufschrei geben, wenn man die Partei, die die Wahl verloren hat, nun doch wieder ins Kanzleramt bringt. Mit Armin Laschet kann ich mir das beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Das ist vorbei.

Und mit Söder?

Markus Söder ist extrem wandlungs­fähig und wäre auch in der Lage, sich an die Spitze einer Moder­ni­sie­rungs-Koalition zu setzen. Die Frage ist eher: Ist das gedeckt durch die Union, wie sie leibt und lebt? Seit der Bundes­tagswahl haben die Sympa­thien für eine Ampel deutlich zugelegt, der Rückhalt für ein Jamaika-Bündnis ist gesunken. Das ist ein deutliches Signal.

Das Gespräch führte Jakob Schlandt.

Das Gespräch finden Sie hier im Original beim Tages­spiegel.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.