Eine Partei stellt sich tot
Seit ihrem Wahlsieg trifft in der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) nur noch Einer die Entscheidungen – Sebastian Kurz. Der Jungstar hat seine Partei vor dem Untergang bewahrt. Doch die zahlt für ihre Rettung einen hohen Preis.
Sebastian Kurz’ Wahlsieg im Oktober 2017 hat viele Beobachter in Europa verblüfft. Seine „Liste Sebastian Kurz – neue Österreichische Volkspartei“ mit neuem türkisem Anstrich statt des traditionell schwarzen erzielte 31,5 Prozent der Stimmen – 369 650 mehr als beim letzten Wahlgang 2013. Koalitionsverhandlungen mit der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen „Freiheitlichen Partei Österreichs“ von Heinz-Christian Strache führten Kurz mit nur 31 Jahren an den Schreibtisch des österreichischen Bundeskanzlers.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble urteilte, Kurz habe Elemente Macron’schem Schwungs in die österreichische Politik eingeführt. Doch Oberflächlichkeiten führen ihn in die Irre. Kurz’ Charisma überblendet in Wahrheit eine Politik der Enge.
Mit der Ankündigung, die 1945 gegründete ÖVP aus der Umklammerung der Interessengruppen zu befreien, vom Bauernbund bis zur Wirtschaftsvereinigung, hatte er Parteichef Reinhard Mitterlehner gezielt aus dem Amt gemobbt. Der wollte an der Großen Koalition mit der SPÖ festhalten. Kurz und sein Netzwerk arbeiteten spätestens seit Anfang 2016 an der Machtübernahme in der Partei und an einer Koalition mit der FPÖ.
Unterwerfungsaufforderung an die Partei
Kurz hatte einen Wahlkampf geführt, wie ihn Österreich bis dahin nicht gekannt hat. Seine Wahl zum Parteivorsitzenden im Juli 2017 war eine fernsehgerechte Inszenierung, wie man sie von US-amerikanischen Wahlparteitagen kennt. Von den neun Landesparteivorsitzenden ließ er sich weitgehende Vollmachten erteilen, was die Gestaltung des Wahlprogramms, die Aufstellung der Wahllisten und die Koalitionsbildung angeht. Weil die ÖVP sich in einer verzweifelten Lage befand, folgten selbst Parteigranden dieser Unterwerfungsaufforderung. Sebastian Kurz galt als einzige Hoffnung der Partei. Sein Geheimnis: Kommunikation nach Regeln des Marketings.
Als Vorsitzender der Jungen Volkspartei Wiens war Kurz – gerade mal volljährig – mit einem „Geilomobil“ durch den Landtagswahlkampf 2010 gekurvt. Aufsehen und Aufmerksamkeit waren ihm gewiss, auch wenn die ÖVP bei der Wahl schlecht abschnitt. Kurz aber gewann mit Listenplatz 3 ein Mandat. Schon ein Jahr später zog der Jura-Student als Integrationsstaatssekretär in die Regierung der Großen Koalition ein, und nur zwei Jahre später avancierte er zum Außen- und Integrationsminister. In den 16 Jahren seiner Parteikarriere hat Kurz eine Gruppe junger Anhänger um sich geschart, die mit ihm durch Dick und Dünn geht. Sie ist sein Rückhalt beim Umbau der ÖVP in eine vertikal geführte und medial schlagkräftige Formation.
Ein Regiment der Phrasen
Mittlerweile hat der twitternde Bundeskanzler @sebastiankurz 308 000 Follower und gefällt auf Facebook 745 103 Menschen. Eine eigene Kurz-Website, die sich im Impressum allerdings als Seite der „Österreichischen Volkspartei“ entpuppt, ist ebenso auf den Neukanzler zugeschnitten, wie der Alltag im politischen Wien: Seit Beginn der Wahlkampfphase begleiteten Kurz permanent zwei Kameras, die ihn in bestes Licht rückten. Die Äußerungen des Kanzlers sind meistens unpräzise und phrasenhaft, zu seinen beliebtesten Leerformelen gehören „Aufbruch“, „Bewegung“ und „Teamgeist“. Auf Twitter hat sich inzwischen der parodistische Hashtag #answerlikekurz etabliert. Konkret ist der Kanzler nur in seiner Hauptbotschaft: „Stopp dem Migrantenstrom nach Europa: Kontrolle der Außengrenze!“
Die Auftritte seiner Kabinettsmitglieder überwacht Kurz geradezu manisch. Wer öffentlich in Erscheinung treten will, muss vorher im Kanzleramt um Erlaubnis fragen. Österreichs Medien sprechen vom „Kabinett der Kontrollierten“, von einem „Regime der Angst“.
Popstar Kurz
Es scheint, dass Kurz die alte ÖVP durch die Bewegung „Liste Kurz – Neue ÖVP“ ersetzt hat. In Wahrheit machte er sich die Erkenntnisse aus amerikanischen Wahlkämpfen, vor allem denen Obamas und Trumps, die wie Popstars auftraten, zu eigen. Von Macrons Bewegung „En Marche“, dem Idealtypen der neuen digitalen Bewegungspartei, unterscheidet sich die „Liste Kurz“ in zwei Aspekten: Ersten findet Kurz keine inhaltliche Agenda, die eine eindeutige Richtung seiner Bewegung anzeigt, alles konzentriert sich auf das Thema Flüchtlinge. Zweitens finden sich in seinem Kabinett weder Politiker mit Regierungserfahrung noch herausragende Experten, Kompetenz strahlt seine Regierung nicht aus. Getragen wird Kurz allein durch eine digital erzeugte und letztlich diffuse Popularität.
Daran ändern auch die Sozialreformen der ÖVP/FPÖ-Regierung nichts. In diesen Tagen peitscht Kurz ein Arbeitszeitgesetz durchs Parlament, das die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf freiwilliger Basis auf 60 Stunden anhebt. Die Sozialpartnerschaft hat er aufgekündigt, indem er Gewerkschaften und Sozialverbände nicht einmal konsultierte. Auch Anhörungen im Parlament fielen weg. Zwar drückt auch Macron bei der Umsetzung der französischen Sozialreformen aufs Tempo und provoziert Konfrontationen mit den Beharrungskräften der französischen Gesellschaft – doch anders als Macron fehlt Kurz das Narrativ: Die österreichischen Reformen dienen nicht dem Ziel, die Gesellschaft mit Globalisierung und Weltoffenheit auszusöhnen. Anders als En Marche betreibt die ÖVP Klientelpolitik: Es ist kein Geheimnis, dass Kurz für seinen Wahlkampf hohe Summen aus Industrie und Wirtschaft erhielt und sich jetzt erkenntlich zeigt.
Wenn Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der Süddeutschen Zeitung dennoch urteilt, Kurz habe Elemente Macron’schem Schwungs in die österreichische Politik eingeführt, leiten ihn Oberflächlichkeiten in die Irre: Kurz’ Charisma und seine geniale Medienarbeit überblenden eine Politik der Enge, die sich gegen Migration abschottet – ähnlich der Orbanschen Maxime – und im Inneren eine altbackene Klientelpolitik verfolgt.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.