Letzter Kampf um den Erhalt der Zivilgesellschaft in Georgien

In Georgien verschärft sich die Repression: Auf den Versuch, ein russisch inspiriertes Agentengesetz einzuführen, folgten gezielte Angriffe auf die Zivilgesellschaft, Protestierende und unabhängige Medien. Der zivilgesellschaftliche Raum wird zunehmend eingeschränkt – durch Überwachung, gesetzliche Verschärfungen und die gezielte Verfolgung kritischer Stimmen. Um diesen entscheidenden Kampf für Demokratie zu bestehen, braucht die georgische Zivilgesellschaft jetzt klare und tatkräftige Unterstützung aus Europa. Ivane Chkhikvadze von der Civil Society Foundation analysiert diese Eskalation und formuliert konkrete Erwartungen an die EU.
Zusammenfassung
Seit geraumer Zeit beobachtet die demokratische Welt in Echtzeit, wie die Regierungspartei Georgian Dream (GD) die Zivilgesellschaft und die Opposition im Land unterdrückt und kritische Stimmen zum Schweigen bringt. GD hat diesen Prozess im Jahr 2023 beschleunigt, indem sie versuchte, ein russisch inspiriertes Gesetz über „ausländische Agenten“ zu verabschieden. Parallel dazu startete sie großangelegte Angriffe (sowohl verbal als auch physisch) auf zivilgesellschaftliche Aktivist:innen in Georgien. Zwar scheiterte Georgian Dream beim ersten Versuch, dieses Gesetz zu verabschieden, doch das hielt sie nicht davon ab, weiter an einem autoritären System zu bauen. GD ist es gelungen, den zivilgesellschaftlichen Raum in Georgien in Rekordzeit dramatisch zu verkleinern. Während sich die Zivilgesellschaft in ihrem letzten Kampf gegen das autoritäre Regime befindet, verkennt die Europäische Union weiterhin, dass Georgian Dream bereits den Point of no Return überschritten hat und verschwendet Zeit und Energie damit, zu versuchen, das Verhalten von GD zu ändern. Im Dezember 2023 verzichtete die EU darauf, Konsequenzen zu ziehen – und verlieh Georgien den Kandidatenstatus, obwohl GD zentrale Bedingungen, die als Voraussetzung für diesen Status hätten erfüllt werden müssen, nicht eingehalten hatte. Mit dieser Entscheidung verlor die EU ein weiteres und vermutlich letztes Druckmittel gegenüber GD. Außerdem widersprach sie damit ihrer eigenen Logik: Noch 2022 hatte sie Georgien den Kandidatenstatus wegen demokratischer Rückschritte verweigert – und entschied sich dann im Herbst 2023 für die Verleihung, obwohl sich die Lage weiter verschlechtert hatte. Die georgische Zivilgesellschaft ist sich bewusst, dass die Zukunft ihres Landes auf dem Spiel steht und dass dies ihr Kampf ist. Aber um diesen Kampf zu führen, braucht sie maßgeschneiderte und praktische Unterstützung aus Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten.
Die Realität vor Ort
Mit jedem Tag wird der bereits verwüstete Raum, in dem zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) arbeiten können, kleiner und gefährlicher. Seit seiner Unabhängigkeit verfügte Georgien über eine lebendige Zivilgesellschaft, sie ist ein zentrales Element zur Kontrolle staatlicher Macht (insbesondere in Ländern mit schwachen Institutionen und gestörten Gewaltenteilungsmechanismen). Im Jahr 2022 waren in Georgien 31.339 nicht-unternehmerische (nicht-kommerzielle) juristische Personen (NNLEs) registriert, von denen jedoch nur 4.051 vom georgischen Statistikamt als „aktiv“ anerkannt wurden. Eine der größten Herausforderungen für CSOs war ihre finanzielle Absicherung. Internationale Geldgeber wie USAID, die EU und einzelne EU-Mitgliedstaaten waren lange die wichtigste Einkommensquelle der zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Am 28. November 2024 kündigte Irakli Kobakhidze an, dass Georgien den EU-Beitrittsprozess einstellen werde, was der GD die Möglichkeit eröffnete, Gesetze zu verabschieden, die den Autoritarismus im Land stärken. Die GD nahm ihre Kritiker:innen ins Visier und verfolgte dabei drei Hauptziele: den Spielraum für Straßenproteste einzuschränken, den Ruf der Vertreter der Zivilgesellschaft zu schädigen, indem ihnen der Status ausländischer Agenten zugeschrieben wurde, und die Oppositionsparteien, insbesondere die United National Movement, zu schwächen, indem sie ihnen Verrat vorwarf. Die Entscheidungen der neuen US-Regierung sind Wasser auf die Mühlen der GD. Wie bereits erwähnt, ist die georgische Zivilgesellschaft weitgehend von ausländischen Geldgebern abhängig, und die plötzlichen Entscheidungen, die Arbeit von USAID und dem National Endowment for Democracy (NED) auszusetzen, haben die georgischen zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesem entscheidenden Moment, in dem das Land mit voller Geschwindigkeit auf den Autoritarismus zusteuert, in eine kritische Lage gebracht. Bisher sind die Versprechen der Europäischen Union, die eingefrorenen 120 Millionen Euro, die ursprünglich für die georgischen Behörden bestimmt waren, zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen umzuleiten, nur leere Worte geblieben. Die Zeit der Worte ist jedoch vorbei. Die georgische Zivilgesellschaft braucht jetzt Taten statt Worte. Die Zeit drängt: CSOs müssen sich entweder an die von der georgischen Regierung erlassenen Gesetze halten und sich als ausländische Agenten bezeichnen oder ihre Existenz aufs Spiel setzen. Wenn die georgische Zivilgesellschaft den Kampf, den sie führt, verliert, hat die EU einen weiteren autoritären Staat in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.
Entscheidender Kampf um die georgische Demokratie
Georgian Dream befindet sich in der Endphase ihres Vorhabens, die georgische Zivilgesellschaft vollständig zu zerschlagen. In einer Rede im April 2024 kündigte Bidzina Ivanishvili (Gründer und Ehrenvorsitzender von Georgian Dream, Anm. d. Red.), die Verurteilung der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM) an. Er erklärte, dass das Bündnis aus Zivilgesellschaft, Medien, Opposition und politischen Parteien bestraft werde. Er ist nun dabei, diesen Worten Taten folgen zu lassen. In den letzten Jahren haben die georgische Bevölkerung und die Zivilgesellschaft darum gekämpft, die europäische Zukunft des Landes zu bewahren. Das Ziel von GD besteht aber darin, den NGO-Sektor zunehmend zu verdrängen. Dafür wendet sie drei Hauptmethoden an.
Erstens änderte das GD-Parlament das Verwaltungsgesetzbuch und verschärfte damit die Strafen für Verstöße gegen die Vorschriften, Versammlungen oder Demonstrationen zu organisieren oder durchzuführen. Ziel ist es hierbei, Straßenproteste wirksam zu unterbinden. Wer bei einer Demonstration eine Straße blockiert, kann mit einer Geldstrafe von 5.000 GEL (ca. 1.650 EUR) belegt werden – das entspricht dem 2,5‑Fachen des durchschnittlichen Monatslohns in Georgien. Die Geldstrafe für das Aufhängen von Plakaten wurde von 50 auf 1.000 GEL (ca. 330 EUR) erhöht. Laut einer der angesehensten zivilgesellschaftlichen Organisationen Georgiens – der Georgian Young Lawyers Association (GYLA) – beliefen sich die Bußgelder, die von den Behörden zwischen dem 28. November 2024 und dem 18. März 2025 gegen Protestierende wegen Straßenblockaden verhängt wurden, auf insgesamt 2 Millionen GEL (ca. 670.000 EUR). Um die „Täter“ ausfindig zu machen, nutzt die GD-Polizei Überwachungskameras zweier chinesischer Firmen, Hikvision und Dahua Technology, die beide US-Sanktionen unterliegen. Zudem verwendet das Innenministerium ein Gesichtserkennungssystem eines Unternehmens mit Verbindungen zum russischen Geheimdienst. Überwachung ist Teil von GDs Herrschaftsstrategie, wie die Zahlen zeigen: 2020 importierte Georgien 7.178 Überwachungskameras. 2021 waren es 9.694, 2022 stieg die Zahl auf 16.423 und 2023 erneut auf 16.423. Im Jahr 2024 gab es mindestens 4.318 sogenannte „Smart Cameras“ in Georgien. Diese „Smart Cameras“ verfügen über eine Reihe fortschrittlicher Funktionen, darunter die Erkennung von Fahrzeugkennzeichen, das Erfassen von Verkehrsverstößen sowie die Analyse unterschiedlicher Bewegungsmuster.
Zweitens geht das Justizsystem unter Georgian Dream weiterhin gezielt gegen Personen vor, die während der Proteste aktiv waren. Dies reicht von schweren körperlichen Misshandlungen bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen. Zwischen November 2024 und Januar 2025 wurden 54 Personen, die im Zusammenhang der Proteste standen, durch die GD-Justiz inhaftiert. Mit dieser Taktik verfolgt die Partei das Ziel, durch Abschreckung weitere Proteste im Vorfeld zu unterbinden.
Drittens nutzt GD gesetzliche Regelungen nach dem Vorbild westlicher Staaten, um die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien anzugreifen. Das Parlament der Partei verabschiedete kürzlich eine eigens zusammengestellte, stark angelehnte Version des US-amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA) und übernahm darüber hinaus umfangreiche Elemente aus einem britischen Gesetz zu Medien und Desinformation. Mit der Übernahme von FARA verfolgt GD das Ziel, Kritiker:innen zum Schweigen zu bringen, indem sie argumentiert, man orientiere sich an westlichen Standards und bewährter Praxis. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die georgische Gesetzgebung dient dazu, zivilgesellschaftliche Organisationen in die Enge zu treiben und wird in einem politischen Umfeld eingesetzt, das sich grundlegend vom Kontext des ursprünglichen Gesetzes unterscheidet. FARA wurde vor 80 Jahren in den USA eingeführt, um der Einflussnahme durch die Sowjetunion und das NS-Regime entgegenzuwirken. Die georgische Regierung nutzt ihren nachgeahmten Gesetzestext hingegen dazu, den Einfluss der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zurückzudrängen, also jener Akteure, die zu den wichtigsten Unterstützern der georgischen Zivilgesellschaft zählen.
Mit den von Großbritannien inspirierten Mediengesetzen übertrug Georgian Dream zunächst einer quasi-unabhängigen Behörde – der Kommunikationskommission, die wie viele andere staatliche Institutionen im Sinne der Regierungspartei agiert – die Befugnis, Geldstrafen zu verhängen und später kritische Medien gezielt zum Schweigen zu bringen. Im Gegensatz zum Vereinigten Königreich ist es in Georgien sinnlos, rechtlich gegen solche Entscheidungen vorzugehen, da die Justiz bereits vollständig unter der Kontrolle von GD steht.
Georgien Dream bereitet außerdem den Ausbau regierungsnaher NGOs (sogenannte GONGOs) vor. Das Parlament verabschiedete dazu ein Gesetz zur Gründung der „State Grants Management Agency“ (SGMA). Mit einem Jahresbudget von 20 Millionen GEL (rund 7 Millionen Euro) wird die SGMA künftig nur solche NGOs fördern, die sich mit politisch weniger sensiblen Themen befassen. Organisationen hingegen, die Missstände unter Georgian Dream dokumentieren und im Register für ausländische Vertreter eingetragen sind, werden von der Förderung ausgeschlossen.
Das Vorgehen von Georgian Dream wurde erheblich begünstigt durch die Entscheidung des US-Präsidenten (Trump, Anm. d. Red.), die Arbeit von USAID und NED, zwei der wichtigsten Geldgeber der georgischen Zivilgesellschaft, auszusetzen. In der Folge nahm der Druck auf zahlreiche Organisationen spürbar zu. Da auch die Unterstützung der EU weiterhin ausbleibt, ist ihre Existenz nun ernsthaft bedroht.
Die GD wird aber nicht nachlassen, sondern weitere Gesetzesinitiativen vorantreiben, die den autoritären Kurs im Land festigen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivist:innen stehen dadurch vor einer zunehmend prekären Situation. In diesem neuen Umfeld bleiben ihnen im Wesentlichen nur vier Optionen: Sie können trotz erheblicher Risiken weiterkämpfen und dabei Geldstrafen oder Haft in Kauf nehmen, ihre zivilgesellschaftliche Tätigkeit aufgeben und in andere berufliche Bereiche wechseln, das Land verlassen und ihre Arbeit aus dem Ausland fortsetzen oder sich als „ausländische Agenten“ registrieren lassen, was mit erheblichen Reputationsschäden verbunden wäre. Georgien steht möglicherweise vor einer weiteren Abwanderungswelle qualifizierter Fachkräfte. Dies könnte zur Folge haben, dass im Land kaum noch Akteur:innen des gesellschaftlichen Wandels verbleiben und der öffentliche Diskurs zunehmend von jenen bestimmt wird, die vom Machterhalt der Partei Georgian Dream profitieren. Sollte dieses Szenario eintreten, wären die für Oktober 2025 geplanten Kommunalwahlen kaum mehr als eine bloße Formalität.
Man sollte nicht davon ausgehen, dass Georgian Dream bereits die Grenze ihrer repressiven Maßnahmen erreicht hat. Vielmehr ist es denkbar, dass sich die Partei an autoritären Regimen wie in Tadschikistan, Belarus oder Kirgisistan orientiert und künftig verstärkt auf Internetzensur und Einschränkungen der Meinungsfreiheit setzt. Dadurch könnte sie Webseiten gezielt blockieren, die Kontrolle über den digitalen Raum zentralisieren und bürgerliche Freiheiten weiter einschränken. Auch die Universitäten, die bislang als Rückzugsorte freier Meinungsäußerung und kritischen Denkens gelten, könnten zunehmend unter Druck geraten.
Fazit
Es zeigt sich deutlich, dass Bidzina Ivanishvili seine Ankündigungen aus der Rede vom April 2024 ernst gemeint hat. Inzwischen setzt er sie Schritt für Schritt um und beseitigt gezielt alle Strukturen, die seine Macht in Frage stellen könnten. Die Zeit läuft gegen die georgische Zivilgesellschaft, die über Jahre hinweg eine tragende Rolle im europäischen Integrationsprozess des Landes gespielt hat. Eine konkrete Maßnahme der Europäischen Union könnte darin bestehen, die Isolation von Funktionären der Partei Georgian Dream fortzusetzen, etwa indem deren Teilnahme am bevorstehenden Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft am 16. Mai in Tirana sowie am darauffolgenden Treffen am 2. Oktober in Dänemark verweigert wird. Darüber hinaus sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten gezielt jene unterstützen, die Georgien verlassen möchten, etwa durch Stipendien, Praktikumsplätze oder temporäre Umsiedlungsprogramme. Ebenso entscheidend ist die Unterstützung jener, die ihre Arbeit im Exil fortsetzen wollen. Dies erfordert einfache Einreisemöglichkeiten sowie erleichterte Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln in den EU-Mitgliedstaaten. Die Europäische Union hat bereits die Umschichtung von 120 Millionen Euro zugunsten zivilgesellschaftlicher Organisationen beschleunigt und die Förderkriterien für EU-Zuschüsse überarbeitet.
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