Bericht aus Wien: Öster­reich auf dem Weg in die digitale Demokratie?

Foto: Raimond Spekking, via Wikimedia Commons

Fred Luks berichtet einmal im Monat für LibMod aus der öster­rei­chi­schen Hauptstadt.

Grüß Gott! Nein, es geht hier nicht um elektro­nische Wahlma­schinen oder die Heraus­for­de­rungen des e‑Government. Es geht um den Partiz­pa­ti­ons­po­pu­lismus, der in Öster­reich Fahrt aufzu­nehmen scheint. Digital heißt: null oder eins. Oder im vorlie­genden Kontext: ja oder nein. Schwarz oder weiß. Die Wahrschein­lichkeit wächst, dass die Öster­rei­che­rinnen und Öster­reicher in Zukunft mit dieser Art von Entschei­dungen konfron­tiert sein werden.

Wie beim letzten Mal berichtet, hat die konser­vative Öster­rei­chische Volks­partei unter dem Namen „Liste Kurz“ die Natio­nal­rats­wahlen gewonnen. Mit der rechts­po­pu­lis­ti­schen Freiheit­lichen Partei Öster­reichs, die als dritte durchs Ziel ging, soll nun eine Regierung gebildet werden. Die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen laufen noch. Manche Dinge scheinen aber schon festzu­stehen. Zum Beispiel, dass Burschen­schafter in der Öster­rei­chi­schen Politik in Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen werden – bekanntlich nicht eben Vertreter einer liberal-modernen Weltsicht… Gewiss wird uns das hier noch beschäftigen.

Was alle, die an einer liberalen Moderne inter­es­siert sind, auch beschäf­tigen sollte: Die zukünf­tigen Koali­ti­ons­partner scheinen einig, „das Volk“ mehr als bisher befragen zu wollen. Streit gibt es aller­dings beim Thema EU: Die FPÖ will ermög­lichen, über Öster­reichs Mitglied­schaft abzustimmen, dagegen wehrt sich die ÖVP. Jeden­falls gewinnt in Öster­reich der Plebis­zit­po­pu­lismus weiter an Boden. Wie im letzten Bericht erwähnt: Diese Art von Populismus verhöhnt insti­tu­tio­nelle Abläufe und die ihnen innewoh­nenden Abwägungs­pro­zesse und Kompro­misse. Fachliche Kompetenz und parla­men­ta­rische Entschei­dungs­findung werden gering geschätzt, der so genannte „Volks­wille“ dagegen sehr hoch.

Die rechts­po­pu­lis­ti­schen „Freiheit­lichen“ haben im Wahlkampf besonders laut getönt, dem „Volk“ mehr Macht zu geben. Nun wollen sie die Hürden für Volks­ab­stim­mungen senken. Zu diesem Thema blickt man hierzu­lande gerne in die Schweiz und stellt immer wieder fest: Öster­reich ist nicht die Schweiz. Dennoch sind sogar Vertreter von ÖVP und FPÖ in die Eidge­nos­sen­schaft gereist, um sich das dortige politische System genau anzuschauen.

Das Problem scheint mir nicht, dass man sich Wege überlegt, wie man die Demokratie demokra­ti­sieren kann. Heikel ist die Angele­genheit aufgrund der offenbar stärker werdenden Tendenz, die Vorzüge reprä­sen­ta­tiver Prozesse und Dinge wie Minder­hei­ten­schutz und Fachwissen klein­zu­reden. Markus Miessen hat in seinem Buch Albtraum Parti­zi­pation deutlich auf die Grenzen umfas­sender Betei­li­gungs­pro­zesse hinge­wiesen. Ganz ähnlich sät auch der Publizist Robert Misik Zweifel an Parti­zi­pation – unter anderem mit dem Argument, dass „queru­lan­tische und radikale Minder­heiten aus Leuten, die sonst nichts Geschei­teres zu tun haben im Leben“, die die vernünf­tigen Leute vertreiben und radikale Kräfte die Oberhand gewinnen könnten, „weil es den anderen einfach mit der Zeit zu blöd wird.“

In der Tat. Außerdem, darauf weist auch Misik hin, sind die zeitlichen und monetären Voraus­set­zungen zur Betei­ligung an Parti­zi­pa­ti­ons­pro­zessen überaus ungleich verteilt. Die allein­er­zie­hende Reini­gungs­fach­kraft aus dem Arbei­ter­viertel Wien-Favoriten hat gewiss geringere Chancen auf wirksame Parti­zi­pation als eine Rechts­an­wältin, die im feinen ersten Wiener Gemein­de­bezirk wohnt. Dazu kommt, und das gilt für die Putzfrau ebenso wie für die Anwältin, ein Kompe­tenz­problem, wenn es um die Entscheidung über hochkom­plexe Materien geht, die selbst Fachleute kaum in den Griff bekommen.

Und worauf man im aktuellen Kontext wohl wetten kann: Wenn plebis­zitäre Prozesse gestärkt würden, ließen sich die Rechten die Gelegenheit nicht entgehen, „ihre“ Themen dem Volk vorzu­legen. Man kann sich angesichts der zurück­lie­genden Wahlkämpfe leicht ausmalen, wie Kampagnen zu Themen wie Migration oder Sicherheit aussehen würden – nicht zuletzt deshalb, weil es in Öster­reich gleich drei aufla­gen­starke Krawall­zei­tungen gibt, die sich die Chance ebenfalls nicht entgehen lassen würden… Es droht, da ist dem „Standard“ zuzustimmen, „ein brand­ge­fähr­licher Umbau des Staates in Richtung einer Stimmungsdemokratie“.

Die aktuellen Entwick­lungen sprechen natürlich nicht prinzi­piell gegen mehr direkte Betei­ligung. Aber es wäre naiv und verant­wor­tungslos, sie nicht mitzu­denken. Der ehemalige Bundes­prä­sident und  Verfas­sungs­jurist Heinz Fischer hat jüngst mit Hans Kelsen darauf hinge­wiesen, dass Demokratie nicht die Diktatur der Mehrheit bedeute. Dass er diese Erinnerung für nötig hielt, darf man als aussa­ge­kräf­tiges Zeichen der Zeit ansehen. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

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