Bericht aus Wien: Österreich auf dem Weg in die digitale Demokratie?
Fred Luks berichtet einmal im Monat für LibMod aus der österreichischen Hauptstadt.
Grüß Gott! Nein, es geht hier nicht um elektronische Wahlmaschinen oder die Herausforderungen des e‑Government. Es geht um den Partizpationspopulismus, der in Österreich Fahrt aufzunehmen scheint. Digital heißt: null oder eins. Oder im vorliegenden Kontext: ja oder nein. Schwarz oder weiß. Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass die Österreicherinnen und Österreicher in Zukunft mit dieser Art von Entscheidungen konfrontiert sein werden.
Wie beim letzten Mal berichtet, hat die konservative Österreichische Volkspartei unter dem Namen „Liste Kurz“ die Nationalratswahlen gewonnen. Mit der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs, die als dritte durchs Ziel ging, soll nun eine Regierung gebildet werden. Die Koalitionsverhandlungen laufen noch. Manche Dinge scheinen aber schon festzustehen. Zum Beispiel, dass Burschenschafter in der Österreichischen Politik in Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen werden – bekanntlich nicht eben Vertreter einer liberal-modernen Weltsicht… Gewiss wird uns das hier noch beschäftigen.
Was alle, die an einer liberalen Moderne interessiert sind, auch beschäftigen sollte: Die zukünftigen Koalitionspartner scheinen einig, „das Volk“ mehr als bisher befragen zu wollen. Streit gibt es allerdings beim Thema EU: Die FPÖ will ermöglichen, über Österreichs Mitgliedschaft abzustimmen, dagegen wehrt sich die ÖVP. Jedenfalls gewinnt in Österreich der Plebiszitpopulismus weiter an Boden. Wie im letzten Bericht erwähnt: Diese Art von Populismus verhöhnt institutionelle Abläufe und die ihnen innewohnenden Abwägungsprozesse und Kompromisse. Fachliche Kompetenz und parlamentarische Entscheidungsfindung werden gering geschätzt, der so genannte „Volkswille“ dagegen sehr hoch.
Die rechtspopulistischen „Freiheitlichen“ haben im Wahlkampf besonders laut getönt, dem „Volk“ mehr Macht zu geben. Nun wollen sie die Hürden für Volksabstimmungen senken. Zu diesem Thema blickt man hierzulande gerne in die Schweiz und stellt immer wieder fest: Österreich ist nicht die Schweiz. Dennoch sind sogar Vertreter von ÖVP und FPÖ in die Eidgenossenschaft gereist, um sich das dortige politische System genau anzuschauen.
Das Problem scheint mir nicht, dass man sich Wege überlegt, wie man die Demokratie demokratisieren kann. Heikel ist die Angelegenheit aufgrund der offenbar stärker werdenden Tendenz, die Vorzüge repräsentativer Prozesse und Dinge wie Minderheitenschutz und Fachwissen kleinzureden. Markus Miessen hat in seinem Buch Albtraum Partizipation deutlich auf die Grenzen umfassender Beteiligungsprozesse hingewiesen. Ganz ähnlich sät auch der Publizist Robert Misik Zweifel an Partizipation – unter anderem mit dem Argument, dass „querulantische und radikale Minderheiten aus Leuten, die sonst nichts Gescheiteres zu tun haben im Leben“, die die vernünftigen Leute vertreiben und radikale Kräfte die Oberhand gewinnen könnten, „weil es den anderen einfach mit der Zeit zu blöd wird.“
In der Tat. Außerdem, darauf weist auch Misik hin, sind die zeitlichen und monetären Voraussetzungen zur Beteiligung an Partizipationsprozessen überaus ungleich verteilt. Die alleinerziehende Reinigungsfachkraft aus dem Arbeiterviertel Wien-Favoriten hat gewiss geringere Chancen auf wirksame Partizipation als eine Rechtsanwältin, die im feinen ersten Wiener Gemeindebezirk wohnt. Dazu kommt, und das gilt für die Putzfrau ebenso wie für die Anwältin, ein Kompetenzproblem, wenn es um die Entscheidung über hochkomplexe Materien geht, die selbst Fachleute kaum in den Griff bekommen.
Und worauf man im aktuellen Kontext wohl wetten kann: Wenn plebiszitäre Prozesse gestärkt würden, ließen sich die Rechten die Gelegenheit nicht entgehen, „ihre“ Themen dem Volk vorzulegen. Man kann sich angesichts der zurückliegenden Wahlkämpfe leicht ausmalen, wie Kampagnen zu Themen wie Migration oder Sicherheit aussehen würden – nicht zuletzt deshalb, weil es in Österreich gleich drei auflagenstarke Krawallzeitungen gibt, die sich die Chance ebenfalls nicht entgehen lassen würden… Es droht, da ist dem „Standard“ zuzustimmen, „ein brandgefährlicher Umbau des Staates in Richtung einer Stimmungsdemokratie“.
Die aktuellen Entwicklungen sprechen natürlich nicht prinzipiell gegen mehr direkte Beteiligung. Aber es wäre naiv und verantwortungslos, sie nicht mitzudenken. Der ehemalige Bundespräsident und Verfassungsjurist Heinz Fischer hat jüngst mit Hans Kelsen darauf hingewiesen, dass Demokratie nicht die Diktatur der Mehrheit bedeute. Dass er diese Erinnerung für nötig hielt, darf man als aussagekräftiges Zeichen der Zeit ansehen. Ich halte Sie auf dem Laufenden.
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