Nachhaltiges Wachstum und menschenwürdige Arbeit: Der Beitrag der Chemieindustrie zum SDG Nr. 8
Ralf Fücks analysiert die Rolle der Chemieindustrie in der der notwendigen grünen industriellen Revolution – unter dem Aspekt des achten der fünfzehn „Sustainable Development Goals“: „menschenwürdige Arbeit und nachhaltiges Wachstum“. Wir dokumentieren seinen Beitrag zum Blog der SDGS.
Es lohnt, immer mal wieder einen Blick auf die „Sustainable Development Goals“ zu werfen. Sie wurden im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen als Aufruf zu einer kollektiven Kraftanstrengung der Weltgemeinschaft verabschiedet, bis zum Jahr 2030 Hunger und Armut zu überwinden, den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu schaffen, Diskriminierung zu beenden und soziale Teilhabe aller zu ermöglichen. Ob diese Ziele tatsächlich bis zum Ende unseres Jahrzehnts verwirklicht werden können, ist zweifelhaft. Sie bleiben dennoch richtig – als Leitlinie für staatliches Handeln wie für zukunftsorientierte Unternehmen.
Der SDG-Katalog umfasst 15 aufeinander bezogene Ziele. Nummer 8 fordert menschenwürdige Arbeit und nachhaltiges Wachstum. Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck. Es soll der Vollbeschäftigung und einem guten Leben für alle dienen und muss zugleich die ökologischen Lebensgrundlagen sichern.
Die Herausforderungen sind gewaltig. Ein Großteil der Menschheit lebt heute noch in Armut. Für Milliarden Menschen sind gute Ernährung, medizinische Versorgung, Bildung, soziale Sicherheit, halbwegs komfortables Wohnen und menschenwürdige Arbeit immer noch Mangelware, trotz aller beeindruckenden wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung Richtung zehn Milliarden Menschen wachsen, am stärksten in den armen Ländern. Gleichzeitig gefährden Klimawandel, Artensterben und Verlust fruchtbarer Böden unsere natürlichen Lebensgrundlagen.
Diese doppelte Herausforderung – ein besseres Leben für Milliarden Menschen, ohne dabei das Ökosystem zu ruinieren – erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution in einer historisch kurzen Frist. Ihr Kern ist die Entkopplung von Wohlstandsproduktion und Naturverbrauch. „Green Growth“ bedeutet höhere Produktivität und steigenden Output bei sinkenden Emissionen und Ressourcenverbrauch. Dabei spielt die chemische Industrie eine Schlüsselrolle.
Sie ist eine global ausgerichtete, beschäftigungs- und exportstarke, innovative Branche mit hoher Wertschöpfung und relativ hohen Löhnen, gleichermaßen relevant für unseren Alltag als Konsumenten wie als Vorlieferant für andere Wirtschaftszweige – Landwirtschaft, Bausektor, verarbeitende Industrie und Verkehrsbranche.
Gleichzeitig stand und steht die Chemieindustrie immer wieder im Licht der Kritik. Zwar liegen die großen Chemieunfälle – Sandoz, Seveso, Bhopal – schon Jahrzehnte zurück, die jüngste Explosion eines Tanklagers im Chemiepark Leverkusen zeigt aber die latenten Risiken. Auch die Diskussion um giftige Chemikalien in Lebensmitteln, Kinderspielzeug, Teppichböden oder Holzschutzmitteln erregt die Gemüter nicht mehr so heftig wie in früheren Jahren – nicht zuletzt dank der Verschärfung entsprechender Schutzgesetze. Aber die kritische Debatte um Pestizide in der Landwirtschaft, Nitrat im Grundwasser, die Risikoabschätzung neuer Chemikalien und Grüne Gentechnik ist nach wie vor virulent.
Ein neues Mega-Thema ist die Frage nach den Klimawirkungen der Chemie. Sie wird in den kommenden Jahren noch an Relevanz gewinnen, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen ist die chemische Industrie eine energie-intensive Branche mit einem hohen Anteil fossiler Energieträger und entsprechend hohen CO2-Emissionen. Gleichzeitig hat sie enorme Potentiale für eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen – sowohl in den eigenen Produktionsprozessen wie in anderen Wirtschaftszweigen.
Die entsprechenden Anwendungsfelder sind vielfältig – Batterietechnik, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, Leichtbau-Materialien, biobasierte Kunststoffe, Dämmstoffe für Gebäude und die biotechnische Optimierung von Nutzpflanzen sind nur einige Beispiele. Für den Klimaschutz ist die Chemieindustrie gleichzeitig ein Problem und ein Problemlöser. Sie kann und muss eine zentrale Rolle beim Übergang in eine klimaneutrale Industriegesellschaft spielen.
Die umwelt- und klimapolitischen Fortschritte der Branche in den letzten zwei Jahrzehnten sind beeindruckend. Der spezifische Energie- und Wasserverbrauch und die CO2-Emissionen pro Produkteinheit gingen drastisch zurück – für die deutschen Chemieunternehmen gilt als Faustregel, dass sie seit 1990 ihre Produktion verdoppelt und ihre Emissionen halbiert haben. Das waren allerdings eher die „low hanging fruits“ – weitere Fortschritte in Richtung Klimaneutralität erfordern einen strukturellen Umbau der Industrie.
Die neuen, ambitionierten Klimaziele Deutschlands und der EU werden den Veränderungsdruck noch einmal erhöhen. In der nächsten Etappe geht es um eine grundlegende Veränderung der Rohstoff- und Energiebasis und der Produktionsprozesse – weg von fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren Energien, Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Die chemische Industrie kann zum Vorreiter für eine Kreislaufökonomie und die industrielle Photosynthese werden – die Umwandlung von Sonnenenergie, Wasser und CO2 in chemische Energie.
Dazu braucht es nicht nur technische Innovationen und enorme Investitionen der Unternehmen, sondern auch flankierende staatliche Rahmenbedingungen. Dazu zählen wettbewerbsfähige Strompreise und eine forschungs- und investitionsfreundliche Steuerpolitik, der Aufbau eines internationalen Verbunds erneuerbarer Energien und einer Wasserstoff-Infrastruktur bis zu beschleunigten Genehmigungsverfahren.
Nicht zuletzt geht es darum, einen sozialverträglichen Weg des ökologischen Umbaus einzuschlagen, der Beschäftigung und Einkommen sichert. Die deutschen Chemieunternehmen stehen im globalen Wettbewerb. Sie können ihn nur mit Forschung & Innovation, der Qualität ihrer Produkte, einer vorbildlichen Sicherheitskultur und attraktiven Arbeitsbedingungen bestehen. Es geht um die Entwicklung nachhaltiger Produktionsverfahren, Produkte und Geschäftsmodelle, die global anschlussfähig sind, insbesondere in den Wachstumsregionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. So kann aus der Herausforderung des Klimawandels eine ökonomische und soziale Erfolgsgeschichte werden.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Spenden mit Bankeinzug
Spenden mit PayPal
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.