Der Libe­ra­lismus ist tot, es lebe der Liberalismus

Shut­ter­stock

Der Libe­ra­lismus ist eine histo­ri­sche Erfolgs­ge­schichte. Aber er scheint keine Antworten auf Abstiegs­ängste und wachsende Ungleich­heit zu finden. Ralf Fücks plädiert für eine liberale Fort­schritts­er­zäh­lung, die mehr ist als die Vertei­di­gung des Status quo.

Der Libe­ra­lismus sitzt in der Tinte. Weltweit sind anti­li­be­rale Gegen­be­we­gungen auf dem Vormarsch. In immer mehr Ländern kommen auto­ri­täre Popu­listen an die Macht. In Deutsch­land gibt es eine tief­sit­zende anti­li­be­rale Tradition rechts wie links. Wenn Christian Lindner vom poli­ti­schen Libe­ra­lismus spricht, klingt das nach einer kleinen trotzigen Minder­heit, wenn die anderen über die FDP sprechen, nach Franz Josef Degen­hardt: Spiel nicht mit den Schmud­del­kin­dern, sing nicht ihre Lieder.

Dabei verdanken wir dem Libe­ra­lismus einen Gutteil der Errun­gen­schaften der modernen Welt – die unver­äu­ßer­li­chen Menschen­rechte und das Recht auf indi­vi­du­elle Selbst­be­stim­mung ebenso wie die Funda­mente der demo­kra­ti­schen Republik: Regierung durch das Volk und für das Volk, freie Wahlen, Herr­schaft des Rechts, Schutz von Minder­heiten, Unab­hän­gig­keit der Justiz, Pres­se­frei­heit und eine dyna­mi­sche Wirt­schaft, die auf Unter­neh­mertum, Wett­be­werb und offene Märkte aufgebaut ist. 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­render Gesell­schafter des Zentrums Liberale Moderne.

Die Kombi­na­tion liberaler poli­ti­scher Systeme und kapi­ta­lis­ti­scher Markt­wirt­schaft hat ein nie gekanntes Maß an Rechts­si­cher­heit, indi­vi­du­eller Freiheit und Wohlstand hervor­ge­bracht. Bei Licht betrachtet ist der Libe­ra­lismus eine histo­ri­sche Erfolgs­ge­schichte. Wie konnte er so in Verruf geraten?

Finanz­märkte und Klima­po­litik: Der Libe­ra­lismus schuldet Antworten

Der Verweis auf den Neoli­be­ra­lismus ist schnell bei der Hand. Obwohl er ganz andere histo­ri­sche Wurzeln hat, wird er inzwi­schen mit Markt­ra­di­ka­lismus gleich­ge­setzt. Tatsäch­lich hat das Mantra aus Dere­gu­lie­rung, Priva­ti­sie­rung und rigider Haus­halts­po­litik die öffent­li­chen Insti­tu­tionen geschwächt.

Die Dere­gu­lie­rung der Finanz­märkte hat zur großen Krise von 2007/​2008 beigetragen und die Globa­li­sie­rung in Miss­kredit gebracht. Der wachsende Nied­rig­lohn­sektor, prekäre Arbeits­ver­hält­nisse, die krasse Ungleich­heit der Vermögen und die orga­ni­sierte Steu­er­ver­mei­dung inter­na­tio­naler Konzerne haben ein Grund­rau­schen erzeugt, dass es nicht mehr gerecht zugeht. Der Libe­ra­lismus scheint blind für die soziale Frage. Er hält es mit den Erfolg­rei­chen, nicht mit den Verlie­rern. Nicht von ungefähr haftet das Brandmal einer „Partei der Besser­ver­die­nenden“ der FDP immer noch an.

Auch auf die Gefähr­dung der Ökosys­teme, von denen die mensch­liche Zivi­li­sa­tion abhängt – Klima, Böden, Meere -, gibt es bisher wenig über­zeu­gende Antworten von liberaler Seite. Die Warnung vor einem ökolo­gi­schen Gouver­nan­ten­staat ist berech­tigt. Sie verliert aber an Kredit, wenn sie die Dring­lich­keit der ökolo­gi­schen Wende herun­ter­spielt. Wie eine liberale Ökolo­gie­po­litik aussieht, die Klima­schutz mit Markt­wirt­schaft, Inno­va­tion und Konsum­frei­heit in Einklang bringt, ist nicht ausbuchstabiert.

Es gibt noch tiefer­lie­gende Ursachen für die Defensive frei­heit­li­cher Politik. Der klas­si­sche Libe­ra­lismus vermeidet die Frage, wie der gesell­schaft­liche Zusam­men­halt jenseits der unsicht­baren Hand des Marktes gesichert werden kann. Begriffe wie Soli­da­rität oder Gemein­schaft stehen unter Kollek­ti­vismus-Verdacht. Sie sind ihm ebenso suspekt wie ein allge­gen­wär­tiger fürsorg­li­cher Staat. Umver­tei­lung gilt vielen Liberalen als Teufels­zeug, ein Verstoß gegen reine Lehre der Marktwirtschaft.

Die Vordenker des Libe­ra­lismus verzichten bewusst auf große Zukunfts­ent­würfe. Ihr Ziel ist es, die Zukunft offen zu halten – sie entsteht aus dem freien Spiel der Kräfte, aus der Summe indi­vi­du­eller Entschei­dungen einer Vielzahl von Akteuren. Liberale Politik ist Versuch und Irrtum, Reform statt Revo­lu­tion, leiser Zweifel statt lauter Gewiss­heit, Wett­be­werb um die beste Lösung statt Verkün­dung großer Ideen, nach denen die Zukunft einge­richtet werden soll. Das ist klug und human.

Bloßer Prag­ma­tismus greift aber zu kurz. In Zeiten um sich grei­fender Verun­si­che­rung kommt es entschei­dend auf Zukunfts­kom­pe­tenz an: Wem traut man zu, die Heraus­for­de­rungen von Globa­li­sie­rung und digitaler Revo­lu­tion, Klima­wandel und welt­weiter Migration am besten zu bewältigen?

Wer Sicher­heit vernach­läs­sigt, schürt Populismus

Die Popu­listen von links und von rechts mobi­li­sieren starke Gefühle: Furcht, Hass, Stolz, Natio­na­lismus. Dagegen erscheinen die Verfechter der liberalen Demo­kratie oft blass. „Verfas­sungs­pa­trio­tismus“ ist eine gute Idee, bleibt aber ein abstraktes Konstrukt. Die demo­kra­ti­sche Republik ist mehr als die Summe ihrer Institutionen.

Sie beruht auf dem gemein­samen Handeln ihrer Bürger, auf der Verstän­di­gung über gemein­same Ziele. Das geht nicht ohne eine Vorstel­lung von der Zukunft, wie sie sein soll. Zukunfts­angst ist der mentale Reso­nanz­boden der Auto­ri­tären. Es braucht die Zuver­sicht, dass wir die Zukunft zum Besseren gestalten können, statt sie als bloßes Verhängnis zu sehen, das über uns hinwegrollt.

In einer Zeit stür­mi­scher Verän­de­rungen wächst das Bedürfnis nach Sicher­heit und Soli­da­rität, nach Rück­ver­si­che­rung in der Gemein­schaft. Die Natio­na­listen verspre­chen soziale und emotio­nale Sicher­heit durch Rückzug in den Natio­nal­staat und in die Volks­ge­mein­schaft als Bollwerk gegen die Stürme da draußen.

Der Libe­ra­lismus wird nur aus der Defensive kommen, wenn wir die konser­va­tiven Bedürf­nisse nach Sicher­heit und Zuge­hö­rig­keit aufgreifen und frei­heit­liche Antworten auf sie finden. Wenn Emmanuel Macron von einem „Europa, das schützt“ spricht, trifft er einen Nerv.

Die ökono­mi­sche Globa­li­sie­rung erfordert einen sozialen und ökolo­gi­schen Ordnungs­rahmen. Globale Migration muss reguliert werden. Die Offenheit für tech­ni­sche Inno­va­tion braucht ein Mindestmaß an indi­vi­du­eller Befä­hi­gung, um mit neuen Tech­no­lo­gien Schritt zu halten, und von sozialer Absi­che­rung, um disrup­tive Verän­de­rungen aufzufangen.

Die Mutter aller Frei­heiten ist die Freiheit von Furcht. Wer Angst hat, sozial abzu­stürzen, ist nicht frei. Zu gelebter Freiheit gehört auch, sich angstfrei im öffent­li­chen Raum zu bewegen. Wer die öffent­liche Sicher­heit und Ordnung vernach­läs­sigt, bereitet den Boden für auto­ri­täre Populisten.

Libe­ra­lismus muss zwischen Gegen­sätzen vermitteln

Es reicht nicht aus, die Liebe zur Freiheit und die Vertei­di­gung liberaler Werte zu beschwören. Ein moderner Libe­ra­lismus muss schein­bare Gegen­sätze vermit­teln: Freiheit und Sicher­heit, Indi­vi­dua­lität und Soli­da­rität, Vielfalt und Gemein­sam­keit, Kosmo­po­li­tismus und Patrio­tismus, wirt­schaft­liche Dynamik und ökolo­gi­sche Verant­wor­tung. Er muss sich aus der schlichten Entge­gen­set­zung von Markt und Staat befreien und die Bedeutung öffent­li­cher Insti­tu­tionen für die gleiche Freiheit aller würdigen.

Märkte sind an Voraus­set­zungen gebunden, die sie nicht aus sich selbst heraus erzeugen können: Rechts­si­cher­heit, sozialer Frieden, Schutz der natür­li­chen Lebens­grund­lagen, eine funk­tio­nie­rende Wett­be­werbs­ord­nung, ein leis­tungs­fä­higes Wissen­schafts- und Bildungs­system, eine moderne Infra­struktur. Das alles gibt es nicht kostenlos. „Je weniger Staat, desto besser“ ist ebenso irre­füh­rend wie sein Gegenteil.

Kurz und gut: Wir brauchen eine zeit­ge­nös­si­sche Erneue­rung des Libe­ra­lismus, die Freiheit und Sicher­heit unter einen Hut bringt. Wir müssen das liberale Verspre­chen auf Chan­cen­ge­rech­tig­keit und sozialen Aufstieg einlösen und eine neue Idee von Fort­schritt entwi­ckeln, die nicht bloß das Bestehende fort­schreibt. Das Vertrauen, dass frei­heit­liche Demo­kra­tien auf Dauer auch wirt­schaft­lich erfolg­rei­cher, inno­va­tiver und gerechter sind, steht auf der Kippe. Wir müssen jetzt liefern.

Der Text erschien am 1. November 2018 unter dem Titel „Es lebe der Libe­ra­lismus!“ in der Tages­zei­tung „Die Welt“. 

Textende

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