Außen- und sicher­heits­po­li­ti­sche Heraus­for­de­rungen für die neue Regierung

Foto: Shut­ter­stock, Drop of Light

Konflikte mit China und Russland, eine Neuver­hand­lung der Verhält­nisse zu den euro­päi­schen Partnern und zu den USA unter Biden – wichtige und dringende Themen werden im Sondie­rungs­pa­pier mit dürren Worten abge­han­delt. Diese Heraus­for­de­rungen werden die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen noch belasten. Eine Analyse von Martin Schulze Wessel.

Um Außen- und Sicher­heits­po­litik geht es in dem Papier, das SPD, Grüne und FDP als Ergebnis ihrer Sondie­rungs­ge­spräche veröf­fent­licht haben, erst ganz am Ende. Inter­na­tio­nale Sicher­heit – eigent­lich eine Kern­auf­gabe des Staates – wird im letzten von zehn Punkten zum Thema. Mit der Gewich­tung entspricht das Sondie­rungs­pa­pier dem voran­ge­gan­genen Wahlkampf: Außen- und Sicher­heits­po­litik kam in den drei Triellen praktisch nicht vor. In der Geschichte der Bundes­re­pu­blik war dies bislang anders: Um die West­bin­dung, um Wieder­be­waff­nung, um Ostpo­litik und Nach­rüs­tung wurde im Wahlkampf gestritten, und Außen­po­litik war bei Regie­rungs­bil­dungen immer wieder ein wichtiges Thema. Nun wäre der Verzicht auf eine außen­po­li­ti­sche Debatte kein Manko, wenn sich die Bundes­re­pu­blik in der inter­na­tio­nalen Politik in ruhigen Gewässern bewegte. Das Gegenteil ist der Fall. Vor allem hat die deutsche Politik heute eine zwei­schnei­dige Hinter­las­sen­schaft der Vorgän­ger­re­gie­rungen Schröders und Merkels zu gewär­tigen. Deutsch­land spielt wieder mit vielen Bällen. Die trans­at­lan­ti­sche Bindung wird durch eine wirt­schaft­lich inter­es­sierte China-Politik balan­ciert, den deutschen Verpflich­tungen gegenüber Israel steht der kritische Dialog mit dem Iran gegenüber. Deutsch­land signa­li­siert Sicher­heits­ver­spre­chen in Bezug auf die Ukraine und verfolgt mit Russland ein Gasge­schäft, das die Sicher­heit der Ukraine unter­gräbt. Es gibt also Fragen, über die zu streiten ist und für die es bei der Bildung einer Regierung eine gemein­same Grundlage geben sollte.

Verant­wor­tung oder Interessenpolitik?

Das Sondie­rungs­pa­pier leistet dies nicht. Vor dem Hinter­grund des geringen Stel­len­werts, den es der Außen- und Sicher­heits­po­litik einräumt, erstaunt die etwas voll­mun­dige Über­schrift „Deutsch­lands Verant­wor­tung für Europa und die Welt“. Die Formu­lie­rung, die in Konti­nuität etwa zur außen­po­li­ti­schen Halb­zeit­bi­lanz der Regierung Merkel von 2019 steht, überhöht Außen­po­litik zu einer mora­li­schen Aufgabe. Zwei­fellos sollte Außen­po­litik einen Grund in der Moral haben, und daraus sind konkrete poli­ti­sche Verpflich­tungen abzu­leiten, wie etwa die im Papier erwähnte Verpflich­tung Deutsch­lands gegenüber Israel. Außen- und Sicher­heits­po­litik insgesamt unter die Über­schrift der „Verant­wor­tung“ zu stellen, verschleiert jedoch nur, dass es in der deutschen Außen­po­litik, auch wenn diese innerhalb einer regel­ba­sierten inter­na­tio­nalen Ordnung statt­findet, nicht zuletzt um die Wahr­neh­mung von Inter­essen geht. Zumindest im Bereich der Ener­gie­po­litik wurden diese Inter­essen von Deutsch­land mitunter robust durch­ge­setzt. Warum spricht man nicht neutral von der „Rolle“, die Deutsch­land in der inter­na­tio­nalen Politik spielen will? Das wäre der Sache ange­mes­sener und entspräche auch mehr dem Wording, dessen sich andere demo­kra­ti­sche Regie­rungen bedienen.

„Nationale Sicher­heits­stra­tegie“ und „Außen­po­litik aus einem Guss“

Das Papier kündigt an, deutsche Außen­po­litik solle „künftig aus einem Guss agieren“. Dafür soll eine „nationale Sicher­heits­stra­tegie“ vorgelegt werden. Das sind richtige Ziele, doch schon das Sondie­rungs­pa­pier ist nicht aus einem Guss, sondern bringt – wie könnte es anders sein – wider­stre­bende Vorstel­lungen zusammen. Das 2014 in Wales formu­lierte Ziel der NATO-Mitglieds­staaten, zwei Prozent ihres BIP in die Vertei­di­gung zu inves­tieren, wird weder zustim­mend noch ablehnend erwähnt, was einen Dissens zwischen den Sondie­rungs­part­nern signa­li­siert. Statt­dessen enthält das Papier einen Satz über Solda­tinnen und Soldaten: „Wir verbes­sern ihre Ausrüs­tung wie auch die der Bundes­wehr.“ Als ob Solda­tinnen und Soldaten nicht zur Bundes­wehr gehörten.

Nicht aus einem Guss ist auch die Haltung zu Rüstungs­exporten. Ange­kün­digt wird eine „restrik­tive Rüstungs­export­po­litik“, die jedoch in Abstim­mung mit den euro­päi­schen Partnern auf der Grundlage einer EU-Rüstungs­export­ver­ord­nung reali­siert werden soll. Die Zustim­mung Frank­reichs zu einer gemein­samen restrik­tiven Rüstungs­po­litik wird die neue Bundes­re­gie­rung vermut­lich nicht erlangen. So verdeckt die Formu­lie­rung nur einen weiteren Dissens zwischen den Sondierungspartnern.

Weiter-so statt Aufbruch?

Dass das Papier der drei Parteien bestehende Diffe­renzen über­spielt, ist nicht anders zu erwarten. Gravie­render ist es, dass das Papier die außen­po­li­ti­sche Heraus­for­de­rung durch auto­ri­täre Staaten und Dikta­turen wie Russland und China nur verhalten anspricht. Dies­be­züg­lich spricht das Papier lediglich von einem „System­wett­be­werb“. Dass es nicht nur um einen Wett­be­werb, sondern auch um Konflikt geht, deutet der Text nur vage an, wenn er von der notwen­digen Abwehr von „Desin­for­ma­tion, Fake-News-Kampagnen, Propa­ganda sowie Mani­pu­la­tionen aus dem In- und Ausland“ spricht. Kein Wort hingegen davon, dass wir es in Europa mit einer fort­ge­setzten völker­rechts­wid­rigen Annexion der Krim durch Russland und einem nicht erklärten Kriegs­zu­stand zwischen Moskau und Kiew in Donezk und Luhansk zu tun haben. Auch die sich deutlich abzeich­nende Fähigkeit und Bereit­schaft Russlands, Gas als Erpres­sungs­mittel gegenüber der Ukraine und Europa einzu­setzen, spiegelt sich in dem Sondie­rungs­pa­pier nicht wider. Ein Sondie­rungs­pa­pier ist nicht dazu da, jedes Problem zu beschreiben. Sein eigent­li­ches Manko besteht darin, dass es der schwie­rigen – man kann auch sagen – drama­ti­schen Lage der inter­na­tio­nalen Politik in seinem gesamten Problem­auf­riss nicht gerecht wird. Es sugge­riert – ganz im Gegensatz zu seiner „Aufbruch“-Rhetorik – die Möglich­keit des Weiter-so.

Textende

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