Außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen für die neue Regierung
Konflikte mit China und Russland, eine Neuverhandlung der Verhältnisse zu den europäischen Partnern und zu den USA unter Biden – wichtige und dringende Themen werden im Sondierungspapier mit dürren Worten abgehandelt. Diese Herausforderungen werden die Koalitionsverhandlungen noch belasten. Eine Analyse von Martin Schulze Wessel.
Um Außen- und Sicherheitspolitik geht es in dem Papier, das SPD, Grüne und FDP als Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche veröffentlicht haben, erst ganz am Ende. Internationale Sicherheit – eigentlich eine Kernaufgabe des Staates – wird im letzten von zehn Punkten zum Thema. Mit der Gewichtung entspricht das Sondierungspapier dem vorangegangenen Wahlkampf: Außen- und Sicherheitspolitik kam in den drei Triellen praktisch nicht vor. In der Geschichte der Bundesrepublik war dies bislang anders: Um die Westbindung, um Wiederbewaffnung, um Ostpolitik und Nachrüstung wurde im Wahlkampf gestritten, und Außenpolitik war bei Regierungsbildungen immer wieder ein wichtiges Thema. Nun wäre der Verzicht auf eine außenpolitische Debatte kein Manko, wenn sich die Bundesrepublik in der internationalen Politik in ruhigen Gewässern bewegte. Das Gegenteil ist der Fall. Vor allem hat die deutsche Politik heute eine zweischneidige Hinterlassenschaft der Vorgängerregierungen Schröders und Merkels zu gewärtigen. Deutschland spielt wieder mit vielen Bällen. Die transatlantische Bindung wird durch eine wirtschaftlich interessierte China-Politik balanciert, den deutschen Verpflichtungen gegenüber Israel steht der kritische Dialog mit dem Iran gegenüber. Deutschland signalisiert Sicherheitsversprechen in Bezug auf die Ukraine und verfolgt mit Russland ein Gasgeschäft, das die Sicherheit der Ukraine untergräbt. Es gibt also Fragen, über die zu streiten ist und für die es bei der Bildung einer Regierung eine gemeinsame Grundlage geben sollte.
Verantwortung oder Interessenpolitik?
Das Sondierungspapier leistet dies nicht. Vor dem Hintergrund des geringen Stellenwerts, den es der Außen- und Sicherheitspolitik einräumt, erstaunt die etwas vollmundige Überschrift „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“. Die Formulierung, die in Kontinuität etwa zur außenpolitischen Halbzeitbilanz der Regierung Merkel von 2019 steht, überhöht Außenpolitik zu einer moralischen Aufgabe. Zweifellos sollte Außenpolitik einen Grund in der Moral haben, und daraus sind konkrete politische Verpflichtungen abzuleiten, wie etwa die im Papier erwähnte Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel. Außen- und Sicherheitspolitik insgesamt unter die Überschrift der „Verantwortung“ zu stellen, verschleiert jedoch nur, dass es in der deutschen Außenpolitik, auch wenn diese innerhalb einer regelbasierten internationalen Ordnung stattfindet, nicht zuletzt um die Wahrnehmung von Interessen geht. Zumindest im Bereich der Energiepolitik wurden diese Interessen von Deutschland mitunter robust durchgesetzt. Warum spricht man nicht neutral von der „Rolle“, die Deutschland in der internationalen Politik spielen will? Das wäre der Sache angemessener und entspräche auch mehr dem Wording, dessen sich andere demokratische Regierungen bedienen.
„Nationale Sicherheitsstrategie“ und „Außenpolitik aus einem Guss“
Das Papier kündigt an, deutsche Außenpolitik solle „künftig aus einem Guss agieren“. Dafür soll eine „nationale Sicherheitsstrategie“ vorgelegt werden. Das sind richtige Ziele, doch schon das Sondierungspapier ist nicht aus einem Guss, sondern bringt – wie könnte es anders sein – widerstrebende Vorstellungen zusammen. Das 2014 in Wales formulierte Ziel der NATO-Mitgliedsstaaten, zwei Prozent ihres BIP in die Verteidigung zu investieren, wird weder zustimmend noch ablehnend erwähnt, was einen Dissens zwischen den Sondierungspartnern signalisiert. Stattdessen enthält das Papier einen Satz über Soldatinnen und Soldaten: „Wir verbessern ihre Ausrüstung wie auch die der Bundeswehr.“ Als ob Soldatinnen und Soldaten nicht zur Bundeswehr gehörten.
Nicht aus einem Guss ist auch die Haltung zu Rüstungsexporten. Angekündigt wird eine „restriktive Rüstungsexportpolitik“, die jedoch in Abstimmung mit den europäischen Partnern auf der Grundlage einer EU-Rüstungsexportverordnung realisiert werden soll. Die Zustimmung Frankreichs zu einer gemeinsamen restriktiven Rüstungspolitik wird die neue Bundesregierung vermutlich nicht erlangen. So verdeckt die Formulierung nur einen weiteren Dissens zwischen den Sondierungspartnern.
Weiter-so statt Aufbruch?
Dass das Papier der drei Parteien bestehende Differenzen überspielt, ist nicht anders zu erwarten. Gravierender ist es, dass das Papier die außenpolitische Herausforderung durch autoritäre Staaten und Diktaturen wie Russland und China nur verhalten anspricht. Diesbezüglich spricht das Papier lediglich von einem „Systemwettbewerb“. Dass es nicht nur um einen Wettbewerb, sondern auch um Konflikt geht, deutet der Text nur vage an, wenn er von der notwendigen Abwehr von „Desinformation, Fake-News-Kampagnen, Propaganda sowie Manipulationen aus dem In- und Ausland“ spricht. Kein Wort hingegen davon, dass wir es in Europa mit einer fortgesetzten völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und einem nicht erklärten Kriegszustand zwischen Moskau und Kiew in Donezk und Luhansk zu tun haben. Auch die sich deutlich abzeichnende Fähigkeit und Bereitschaft Russlands, Gas als Erpressungsmittel gegenüber der Ukraine und Europa einzusetzen, spiegelt sich in dem Sondierungspapier nicht wider. Ein Sondierungspapier ist nicht dazu da, jedes Problem zu beschreiben. Sein eigentliches Manko besteht darin, dass es der schwierigen – man kann auch sagen – dramatischen Lage der internationalen Politik in seinem gesamten Problemaufriss nicht gerecht wird. Es suggeriert – ganz im Gegensatz zu seiner „Aufbruch“-Rhetorik – die Möglichkeit des Weiter-so.
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