Ökologie und Freiheit

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Weniger fliegen! Weniger Fleisch essen! Im Kampf gegen den Klima­wandel sollen wir vor allem eins: uns mäßigen. Keine Frage: Persön­liche Verant­wortung zählt. Aber retten Verzicht und Verbote die Welt? Nein, argumen­tiert Ralf Fücks: Wir brauchen eine grüne indus­trielle Revolution. Wer Ökologie und Freiheit gegen­ein­ander ausspielt, wird am Ende beides verlieren.

Die Ausein­an­der­setzung um den Klima­wandel ist in eine neue Phase getreten. Kohle­aus­stieg, Automo­bi­lität, Pestizide in der Landwirt­schaft, indus­trielle Fleisch­pro­duktion: Jetzt geht‘s ans Einge­machte. Je deutlicher die Gefährdung unserer ökolo­gi­schen Lebens­grund­lagen zutage tritt, desto lauter wird der Ruf: „Du musst Dein Leben ändern!“ Für die Verfechter eines neuen, kontrak­tiven Lebens­stils ist der Klima­wandel die Folge der expan­siven Lebens­weise von einer Milliarde Menschen, die alle Segnungen der Moderne ohne Rücksicht auf die Folgen genießen. Die Freude am Fahren, der Flugurlaub, die große Wohnung, die strom­fres­sende Online-Kommu­ni­kation und der hohe Fleisch­konsum, all das gilt als ökolo­gi­scher Sündenfall. Unser Streben nach „immer mehr“ ruiniert den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“ ist deshalb der neue katego­rische Imperativ. 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­render Gesell­schafter des Zentrums Liberale Moderne.

Die extro­ver­tierte Selbst­ver­wirk­li­chung der Moderne basiert bis heute auf der scheinbar unbegrenzten Verfüg­barkeit fossiler Energien. Sie waren der Treib­stoff einer ungeheuren Steigerung von Produktion und Konsum. Jetzt, da sich erweist, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas das Erdklima aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedonismus der Moderne unter Kritik. Eine Freiheit, die auf Kosten des Rests der Menschheit ausgelebt wird, wird zum bloßen Egoismus. Sie zerstört die Freiheit künftiger Genera­tionen, in einer halbwegs intakten Umwelt zu leben. Statt die Grenzen des Möglichen ständig auszu­weiten, sollen wir uns jetzt in die plane­ta­ri­schen Belas­tungs­grenzen fügen.  Das Zeitalter des „höher, schneller, weiter“ ist vorbei. Die neue Ethik der Begrenzung gebietet Entschleu­nigung und Genüg­samkeit. Sein statt Haben.

Wenn der Appell zum Verzicht auf taube Ohren stößt, müssen kollektive Gebote und Verbote nachhelfen. Sie schränken die Freiheit des Einzelnen ein, um das Leben aller zu schützen. Das Gebot der Restriktion erscheint moralisch unangreifbar. Es ist dennoch die falsche Antwort auf Klima­wandel und Arten­sterben. Ökolo­gisch springt es zu kurz, gesell­schaftlich mündet es in eine scharfe Polari­sierung, politisch führt es auf die schiefe Ebene eines Autori­ta­rismus im Namen der Weltrettung.

Die Zukunft: „eine Art von ökolo­gi­schem Calvinismus“

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat den neuen Kultur­kampf bereits vor Jahren präzise voraus­ge­sehen: „Die expres­sions- und emissi­ons­feind­liche Ethik der Zukunft zielt geradewegs auf die Umkehrung der bishe­rigen Zivili­sa­ti­ons­richtung. (..) Sie fordert Minimierung, wo bisher Maximierung galt, sie verordnet Sparsamkeit, wo bisher Verschwendung als höchster Reiz empfunden wurde, sie mahnt die Selbst­be­schränkung an, wo bisher die Selbst­frei­setzung gefeiert wurde. Denkt man diese Umschwünge zu Ende, so gelangt man im Zuge der meteo­ro­lo­gi­schen Refor­mation zu einer Art von ökolo­gi­schem Calvinismus.“

Die Erbit­terung, mit der um Tempo­limits und Fahrverbote gestritten wird, ist der Vorschein des neuen Kultur­kampfs zwischen den Anhängern einer moralisch aufge­la­denen Politik der Restriktion und jenen, die diese Politik als Angriff auf ihre Lebensform empfinden. Die einen berufen sich auf Klima- und Gesund­heits­schutz als zwingendes Gebot, die anderen sehen eine Verschwörung von grünen Autogegnern, die keine Ahnung vom realen Leben haben. Dieser Konflikt hat eine soziale Schlag­seite, weil es vor allem die privi­le­gierten Kinder der Wohlstands­ge­sell­schaft sind, die eine „Wende zum Weniger“ propa­gieren. Wenn dann heraus­kommt, dass die Befür­worter von Fahrver­boten zur Klasse der Vielflieger gehören, ist das ein gefun­denes Fressen für alle Grünen-Hasser und Vertei­diger des Status quo. Die moralische Überhöhung der Klima­frage frisst ihre Kinder.

Die Anhänger einer restrik­tiven Umwelt­po­litik berufen sich gern auf die Maxime „Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln.“ Sie berufen sich auf ökolo­gische Sachzwänge, die über der Politik stehen. Der Fahrplan für den Kohle­aus­stieg ergibt sich dann nicht aus einem Aushand­lungs­prozess zwischen diver­gie­renden ökolo­gi­schen, wirtschaft­lichen und regio­nalen Inter­essen, sondern aus scheinbar exakten Tabellen, wie viel CO2 der deutsche Strom­sektor pro Jahr einsparen muss, um die Erder­wärmung unter zwei Grad zu halten. Scheinbar exakt, weil jede isolierte Betrachtung einzelner Sektoren ebenso fiktiv ist wie eine national begrenzte Sicht­weise. Dabei hilft ein tragfä­higer Konsens über den Kohle­aus­stieg dem Klima­schutz mehr als ein forcierter, aber hoch umstrit­tener Plan, der mit erheb­lichen wirtschaft­lichen und sozialen Risiken behaftet ist.

Demokratie als Luxus?

Die Kritik an der Langsamkeit der Demokratie mit ihren ewigen Kompro­missen hat eine lange Tradition. Es ist kein Zufall, dass promi­nente Umwelt­schützer wie der Norweger Jorgen Randers mit dem chine­si­schen Modell sympa­thi­sieren. Wenn man Ökologie in erster Linie als Einschränkung von Produktion und Konsum versteht, ist das konse­quent. Autoritäre Regimes scheinen eher in der Lage, die notwen­digen Verzichts­leis­tungen durch­zu­setzen. Demokratie wird zum Luxus, den wir uns angesichts schmel­zender Eisberge nicht mehr leisten können; Freiheit schnurrt auf die Einsicht in die ökolo­gische Notwen­digkeit zusammen.

Wenn die Erder­wärmung außer Kontrolle gerät und die Meere kippen, wird das große Verwer­fungen nach sich ziehen, von wirtschaft­lichen Einbrüchen bis zu weltweiten Wande­rungs­be­we­gungen. Insofern gefährdet die Umwelt­krise auch die Demokratie. Wir müssen deshalb alles tun, um die ökolo­gische Trans­for­mation der Indus­trie­ge­sell­schaft voran­zu­treiben, ohne die liberalen Freiheiten preiszugeben.

Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten Lösungen fördern. Sicher, auch eine liberale Ordnungs­po­litik kommt nicht ohne Grenz­werte und Verbote aus. Aber sie sind nicht der Königsweg für die Lösung der ökolo­gi­schen Frage. Zielfüh­render ist die Einbe­ziehung ökolo­gi­scher Kosten in die Preis­bildung. Markt­wirt­schaft funktio­niert nur, wenn Preise die ökolo­gische Wahrheit sagen. Die Mehrbe­las­tungen, die durch Umwelt­steuern entstehen, können durch eine Senkung von Lohnsteuern und Sozial­ab­gaben kompen­siert werden.

Es geht um die Entkopplung von Wohlstand und Naturverbrauch

Damit wir uns recht verstehen: Es gibt keine Freiheit ohne Verant­wortung für das eigene Handeln. Deshalb ist es gut und richtig, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Jedem steht es frei, das »gute Leben« in einem Mehr an freier Zeit und sozialen Bezie­hungen zu suchen – statt in einer Steigerung von Einkommen und Konsum. Aber ein nüchterner Blick auf die Größe der ökolo­gi­schen Heraus­for­derung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genüg­samkeit nicht zu lösen ist. Ohne eine grüne indus­trielle Revolution werden wir den Wettlauf mit dem Klima­wandel nicht gewinnen. Er erfordert die Umstellung auf erneu­erbare Energien, eine Effizi­enz­re­vo­lution im Umgang mit knappen Ressourcen und den Übergang zu einer modernen Kreis­lauf­wirt­schaft. Im Kern geht es um die Entkopplung von Wohlstands­pro­duktion und Natur­ver­brauch. Das ist ambitio­niert, aber machbar.

Angesichts der Zuspitzung ökolo­gi­scher Krisen stehen wir vor drei abseh­baren Optionen. Die erste liegt in der Radika­li­sierung einer Umkehr­be­wegung. Sie sucht die Rettung in der freiwil­ligen oder erzwun­genen Umpro­gram­mierung des Menschen, in Verzicht und Verbot. Ihr Gegenpol ist ein trotziges „weiter so“. Sloterdijk nennt das eine „komple­mentäre Welle der Resignation, des Defätismus und des zynischen Nach-uns-die-Sintflut“. Die Wahrschein­lichkeit, dass sie die Oberhand gewinnt, ist hoch. Die dritte Möglichkeit liegt in einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik, einer Ko-Evolution zwischen Biosphäre und techni­scher Zivili­sation. Angesichts der Belas­tungs­grenzen des Erdsystems bleiben uns zwei große Quellen des Fortschritts: Die Einstrahlung von Sonnen­en­ergie auf die Erde und die mensch­liche Kreati­vität. Auf einer Kombi­nation von beidem muss eine freiheit­liche Zivili­sation aufbauen. Wer Ökologie und Freiheit gegen­ein­ander ausspielt, wird am Ende beides verlieren.

Dieser Essay erschien am 27. Februar unter der Überschrift „Die Logik der Restriktion scheint zwingend – und ist doch falsch“ in der Tages­zeitung „Die Welt“.

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