Die Duftmarke
Sie wird „das schöne Gesicht des Teufels“ genannt: Ayelet Shaked, die ultrarechte israelische Justizministerin, parfümiert sich in einem Wahlspot mit einem Flakon, auf dem „Faschismus“ steht. Wie kommt es, dass Worte im politischen Diskurs Israels kein Gewicht mehr haben?
Die elegante Frau legt einen Ohrring an, sie wirft sich einen Blazer über die schmalen Schultern, dann tänzelt sie eine Treppe herab. Derweil zählt eine Stimme im Off auf, welche Siege im Kampf gegen das Oberste Gericht Israels bereits errungen wurden. Wenige Momente später greift die Frau nach einem Flakon und trägt ein Parfüm auf. Auf dem Fläschchen steht: „Fascism“, zu Deutsch: „Faschismus“. Mit kessem Blick und direkt in die Kamera schauend sagt die Frau: „Für mich riecht’s nach Demokratie.“
So endet der Wahlspot der israelischen Justizministerin Ayelet Shaked. Zusammen mit Erziehungsminister Naftali Bennett hat Shaked vor wenigen Wochen die Partei „Die neue Rechte“ gegründet. Zuvor waren beide aus der Siedlerpartei „Das jüdische Haus“ ausgetreten.
Der Spot ist ein Polit-Novum. Einerseits spielt er mit dem Vorwurf, der Shaked seit Jahren gemacht wird: Dass sie eine Faschistin sei. Andererseits zeigt er – durchaus mit Absicht – Shakeds ultrarechte politische Gesinnung.
2015, nach den letzten Knesset-Wahlen, wurde Shaked Justizministerin. Seitdem arbeitet sie daran, die israelische Demokratie nach ihrem Willen zu formen. Manche würden sagen: aus den Angeln zu heben. Sie macht keinen Hehl daraus, dass ihr Liberalismus und Demokratie zuwider sind, dass sie sich Israel eher „jüdisch“ als „demokratisch“ wünscht. Und sie kämpft gegen das Oberste Gericht, das ähnlich wie das deutsche Bundesverfassungsgericht das letzte Wort hat, wenn es um umstrittene Gesetze geht. Das „Bagatz“, wie das Gericht auf Hebräisch genannt wird, ist ein Bollwerk des Liberalismus. Heute muß man fast schon sagen: eines der letzten liberalen Bollwerke im politischen System Israels. Denn Shaked hat in den vergangenen Jahren – ähnlich wie Donald Trump im Supreme Court – Richter eingesetzt, die ihre Weltanschauung teilen.
Widerspruch gegen ultrarechte Gesetze könnte unmöglich werden
Wenn am 9. April in Israel gewählt wird und Premier Benjamin Netanyahu und die rechten Parteien gewinnen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Shaked erneut Justizministerin wird. Und was sie dann vorhat, hat Shaked, die oft als „das schöne Gesicht des Teufels“ bezeichnet wird, schon angekündigt: Sie will die Kompetenzen des Obersten Gerichts beschneiden, insbesondere dessen Möglichkeit, von der Knesset verabschiedete Gesetze zu kippen. Das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Heißt im Klartext: Was immer eine neue, ultrarechte Regierung entscheidet, ist unabwendbar. Jedes Gesetz käme durch, Widerspruch unmöglich.
Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muß man sich vergegenwärtigen, dass die israelische Demokratie in einer tiefen Krise steckt – wie so viele westlichen Demokratien in Zeiten von Fake News und Destabilisierungsversuchen von Innen und Außen. Bürgerliche Freiheiten aufgrund von akuter Terrorgefahr zu beschneiden, ist in Israel Normalität. Inzwischen kennen auch europäische Staaten das Dilemma, sowohl Sicherheit als auch bürgerliche Freiheiten bewahren zu wollen. Häufig klappt das nicht und geht auf Kosten der Freiheit.
Das Nationalstaatsgesetz besagt, dass nur noch „Jüdisches“ gefördert wird
Die Israelis sind damit stets einverstanden gewesen. Die Kontrolle ist umfassend. Ohne ID-Nummer ist man in Israel ein Nichts. Für alles – für einen Termin auf dem Amt, für Kinokarten und fürs Tanken – braucht man die ID-Nummer. Der Staat weiß sozusagen ständig, wo man sich befindet. Und als in Europa noch darüber diskutiert wurde, ob und wie man einen biometrischen Pass einführen kann und darf, gingen die Israelis an ihren Flughäfen schon durch die Sicherheitschecks, indem sie die Hand auf einen Scanner legten. Schwups, fertig.
Hinzu kommt der ewige Konflikt, ob ein „jüdischer“ Staat auch ein „demokratischer“ ist. Ist Israel der Staat der Juden? Ist es der Staat aller Juden, also auch jener, die in der Diaspora leben und jederzeit nach Israel einwandern könnten? Oder ist es der Staat aller seiner Bürger, also auch der arabischen, drusischen, tscherkessischen und beduinischen? Die israelische Demokratie leider auch unter diesem Konflikt.
Das vor wenigen Monaten verabschiedete Nationalstaatsgesetz hat deutlich gemacht, dass die Rechte sich entschieden hat: Israel ist der Staat des jüdischen Volkes – und nur des jüdischen Volkes, wie Netanyahu jüngst im Wahlkampf unterstrich. Wo noch die Unabhängigkeitserklärung von 1948 die Balance zwischen „jüdischem Staat“ und „Staat aller Bürger“ gut hinbekam, versucht es das Nationalstaatsgesetz nicht einmal mehr – selbst wenn in den „Basic Laws“ (entspricht dem deutschen Grundgesetz) nichts von der Gleichberechtigung aller Bürger zurückgenommen wurde. Doch das neue Gesetz besagt, dass der Staat nur noch „Jüdisches“ fördert. Andere gesellschaftliche Gruppen sollen demnach in Zukunft das Nachsehen haben.
Heute gelten Linke als „Verräter“
Ein weiteres Problem ist seit den Siebzigerjahren mit der Siedlerbewegung entstanden. Diese erachtet die Gesetze Gottes, also das jüdische Religionsgesetz, die Halacha, für wichtiger als die irdischen Gesetze des Staates Israel. Es kam immer wieder zu bewußten Verletzungen geltenden Rechts. Die Frage, ob ein religiöser Siedlerjunge in der Armee einem Befehl seines Vorgesetzten gehorchen muss, wurde von vielen Siedlerrabbinern negativ beantwortet. Das Gesetz Gottes stehe über dem Befehl eines Offiziers oder Generalstabschefs. Was diese permanente Diskussion in Siedlerkreisen bewirkt hat, ist klar: Viele Menschen fingen an, staatliche Autorität als „linksliberal“ und „religionsfeindlich“ zu diffamieren – und die Siedlerbewegung so zu legitimieren. Dies nicht zuletzt deswegen, weil es Netanyahu in den vergangenen zehn Jahren gelungen ist, den öffentlichen Diskurs mit einer neuen Terminologie in die Irre zu führen. Waren früher „Linke“ und „Rechte“ selbstverständlich Zionisten, die sich nur über den richtigen Weg zum Wohle des Staates stritten, sind „Linke“ heute „Anti-Zionisten“ und „Verräter“.
Ayelet Shaked ist – selbst als säkulare Israelitin – ein Produkt dieses politischen Klimas. Sie wird – falls Netanyahu die Wahl gewinnt und sie Justizministerin bleibt – ihre Pläne zu Fakten machen. Eine Duftmarke hat sie schon gesetzt.
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