Die Duftmarke

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Sie wird „das schöne Gesicht des Teufels“ genannt: Ayelet Shaked, die ultra­rechte israe­lische Justiz­mi­nis­terin, parfü­miert sich in einem Wahlspot mit einem Flakon, auf dem „Faschismus“ steht. Wie kommt es, dass Worte im politi­schen Diskurs Israels kein Gewicht mehr haben?

Die elegante Frau legt einen Ohrring an, sie wirft sich einen Blazer über die schmalen Schultern, dann tänzelt sie eine Treppe herab. Derweil zählt eine Stimme im Off auf, welche Siege im Kampf gegen das Oberste Gericht Israels bereits errungen wurden. Wenige Momente später greift die Frau nach einem Flakon und trägt ein Parfüm auf. Auf dem Fläschchen steht: „Fascism“, zu Deutsch: „Faschismus“. Mit kessem Blick und direkt in die Kamera schauend sagt die Frau: „Für mich riecht’s nach Demokratie.“ 

Portrait von Richard C. Schneider

Richard C. Schneider ist Buchautor und Dokumen­tar­filmer. Er war Leiter der ARD-Studios in Rom und in Tel Aviv, und bis Ende 2022 Editor-at-Large beim BR/​ARD. Er schreibt heute als freier Korre­spondent für den SPIEGEL aus Israel und den Paläs­ti­nen­si­schen Gebieten..

So endet der Wahlspot der israe­li­schen Justiz­mi­nis­terin Ayelet Shaked. Zusammen mit Erzie­hungs­mi­nister Naftali Bennett hat Shaked vor wenigen Wochen die Partei „Die neue Rechte“ gegründet. Zuvor waren beide aus der Siedler­partei „Das jüdische Haus“ ausgetreten.

Der Spot ist ein Polit-Novum. Einer­seits spielt er mit dem Vorwurf, der Shaked seit Jahren gemacht wird: Dass sie eine Faschistin sei. Anderer­seits zeigt er – durchaus mit Absicht – Shakeds ultra­rechte politische Gesinnung.

2015, nach den letzten Knesset-Wahlen, wurde Shaked Justiz­mi­nis­terin. Seitdem arbeitet sie daran, die israe­lische Demokratie nach ihrem Willen zu formen. Manche würden sagen: aus den Angeln zu heben. Sie macht keinen Hehl daraus, dass ihr Libera­lismus und Demokratie zuwider sind, dass sie sich Israel eher „jüdisch“ als „demokra­tisch“ wünscht. Und sie kämpft gegen das Oberste Gericht, das ähnlich wie das deutsche Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt das letzte Wort hat, wenn es um umstrittene Gesetze geht. Das „Bagatz“, wie das Gericht auf Hebräisch genannt wird, ist ein Bollwerk des Libera­lismus. Heute muß man fast schon sagen: eines der letzten liberalen Bollwerke im politi­schen System Israels. Denn Shaked hat in den vergan­genen Jahren – ähnlich wie Donald Trump im Supreme Court – Richter einge­setzt, die ihre Weltan­schauung teilen.

Wider­spruch gegen ultra­rechte Gesetze könnte unmöglich werden

Wenn am 9. April in Israel gewählt wird und Premier Benjamin Netanyahu und die rechten Parteien gewinnen, dann ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass Shaked erneut Justiz­mi­nis­terin wird. Und was sie dann vorhat, hat Shaked, die oft als „das schöne Gesicht des Teufels“ bezeichnet wird, schon angekündigt: Sie will die Kompe­tenzen des Obersten Gerichts beschneiden, insbe­sondere dessen Möglichkeit, von der Knesset verab­schiedete Gesetze zu kippen. Das soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Heißt im Klartext: Was immer eine neue, ultra­rechte Regierung entscheidet, ist unabwendbar. Jedes Gesetz käme durch, Wider­spruch unmöglich.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muß man sich verge­gen­wär­tigen, dass die israe­lische Demokratie in einer tiefen Krise steckt – wie so viele westlichen Demokratien in Zeiten von Fake News und Desta­bi­li­sie­rungs­ver­suchen von Innen und Außen. Bürger­liche Freiheiten aufgrund von akuter Terror­gefahr zu beschneiden, ist in Israel Norma­lität. Inzwi­schen kennen auch europäische Staaten das Dilemma, sowohl Sicherheit als auch bürger­liche Freiheiten bewahren zu wollen. Häufig klappt das nicht und geht auf Kosten der Freiheit.

Das Natio­nal­staats­gesetz besagt, dass nur noch „Jüdisches“ gefördert wird

Die Israelis sind damit stets einver­standen gewesen. Die Kontrolle ist umfassend. Ohne ID-Nummer ist man in Israel ein Nichts. Für alles – für einen Termin auf dem Amt, für Kinokarten und fürs Tanken – braucht man die ID-Nummer. Der Staat weiß sozusagen ständig, wo man sich befindet. Und als in Europa noch darüber disku­tiert wurde, ob und wie man einen biome­tri­schen Pass einführen kann und darf, gingen die Israelis an ihren Flughäfen schon durch die Sicher­heits­checks, indem sie die Hand auf einen Scanner legten. Schwups, fertig.

Hinzu kommt der ewige Konflikt, ob ein „jüdischer“ Staat auch ein „demokra­ti­scher“ ist. Ist Israel der Staat der Juden? Ist es der Staat aller Juden, also auch jener, die in der Diaspora leben und jederzeit nach Israel einwandern könnten? Oder ist es der Staat aller seiner Bürger, also auch der arabi­schen, drusi­schen, tscher­kes­si­schen und bedui­ni­schen? Die israe­lische Demokratie leider auch unter diesem Konflikt.

Das vor wenigen Monaten verab­schiedete Natio­nal­staats­gesetz hat deutlich gemacht, dass die Rechte sich entschieden hat: Israel ist der Staat des jüdischen Volkes – und nur des jüdischen Volkes, wie Netanyahu jüngst im Wahlkampf unter­strich. Wo noch die Unabhän­gig­keits­er­klärung von 1948 die Balance zwischen „jüdischem Staat“ und „Staat aller Bürger“ gut hinbekam, versucht es das Natio­nal­staats­gesetz nicht einmal mehr – selbst wenn in den „Basic Laws“ (entspricht dem deutschen Grund­gesetz) nichts von der Gleich­be­rech­tigung aller Bürger zurück­ge­nommen wurde. Doch das neue Gesetz besagt, dass der Staat nur noch „Jüdisches“ fördert. Andere gesell­schaft­liche Gruppen sollen demnach in Zukunft das Nachsehen haben.

Heute gelten Linke als „Verräter“

Ein weiteres Problem ist seit den Siebzi­ger­jahren mit der Siedler­be­wegung entstanden. Diese erachtet die Gesetze Gottes, also das jüdische Religi­ons­gesetz, die Halacha, für wichtiger als die irdischen Gesetze des Staates Israel. Es kam immer wieder zu bewußten Verlet­zungen geltenden Rechts. Die Frage, ob ein religiöser Siedler­junge in der Armee einem Befehl seines Vorge­setzten gehorchen muss, wurde von vielen Siedler­rab­binern negativ beant­wortet. Das Gesetz Gottes stehe über dem Befehl eines Offiziers oder General­stabs­chefs. Was diese perma­nente Diskussion in Siedler­kreisen bewirkt hat, ist klar: Viele Menschen fingen an, staat­liche Autorität als „links­li­beral“ und „religi­ons­feindlich“ zu diffa­mieren – und die Siedler­be­wegung so zu legiti­mieren. Dies nicht zuletzt deswegen, weil es Netanyahu in den vergan­genen zehn Jahren gelungen ist, den öffent­lichen Diskurs mit einer neuen Termi­no­logie in die Irre zu führen. Waren früher „Linke“ und „Rechte“ selbst­ver­ständlich Zionisten, die sich nur über den richtigen Weg zum Wohle des Staates stritten, sind „Linke“ heute „Anti-Zionisten“ und „Verräter“.

Ayelet Shaked ist – selbst als säkulare Israe­litin – ein Produkt dieses politi­schen Klimas. Sie wird – falls Netanyahu die Wahl gewinnt und sie Justiz­mi­nis­terin bleibt – ihre Pläne zu Fakten machen. Eine Duftmarke hat sie schon gesetzt.

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