Hilft Aufklärung in der Corona-Krise mehr als Tracing Apps?

Alexandra Borchardt für LibMod/ / Zentrum Liberale Moderne über Tracing Apps zur Eindämmung der Corona / Covid-19 Pandemie und die Abwägung zwischen Sicherheit, Gesundheitsschutz und Freiheit.
bob boz /​ Shutter­stock

Asiatische Demokratien wie Südkorea haben vorge­macht, dass die digitale Nachver­folgung von Infek­ti­ons­ketten eine Corona­epi­demie wirksam eindämmen kann. Doch ein Imperativ zur Tracing-App lasse sich daraus nicht ableiten, warnt Alexandra Borchardt. Die Nutzung einer solchen Appli­kation berge auch Nachteile – und könnte im schlimmsten Fall sogar schaden. Ein Debattenbeitrag.

Wenn die Corona-Pandemie eines zeigt, ist es das: Freiheit wirkt. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob das überall und für jeden gilt, oder ob man überhaupt noch von Freiheit reden kann, wenn unter der viralen Bedrohung die meisten Abwei­chungen von vernünf­tigen Verhal­tens­weisen mit Verboten belegt sind. Aber im Großen und Ganzen halten sich Menschen überwiegend auch dort mit erstaun­lichem Gleichmut an die fast überall geltenden Kontakt­ver­bots­regeln, wo sie nicht Gefahr laufen, mit Kontrolle und empfind­lichen Strafen rechnen zu müssen. Südkorea zum Beispiel gilt als ein Musterland beim Eindämmen der Seuche, verboten wurde dort wenig. Auch aus Schweden, wo die Regierung stark auf Appelle setzt, sind noch keine italie­ni­schen Bilder durch­ge­drungen. Das Virus als unsicht­barer gemein­samer Feind ist diszi­pli­nie­render als vielerlei Staats­gewalt. Braucht man also wirklich sogenannte Tracing Apps, die jeden Bürger, jede Bürgerin auf Schritt und Tritt begleiten, um die Ausbreitung der Covid-19 Krankheit zu verlangsamen? 

Portrait von Alexandra Borchardt

Alexandra Borchardt ist Journa­listin und Autorin von ‚Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journa­lismus braucht‘

Nun gut, kommen werden sie ohnehin. Derzeit sind sie in der Design­phase, die Debatte um die verschie­denen Systeme wird gerade ausge­fochten. Sie dreht sich vor allem darum, welche Privat­sphäre-Standards eingebaut werden müssen. Tatsächlich wäre es fahrlässig, Versuche von vorne­herein zu verdammen, die soziales und wirtschaft­liches Leben wieder ermög­lichen könnten, egal ob High- oder No-Tech. Und es sollte EU-Bürgern lieber sein, dass die EU-Kommission die Initiative ergreift, als wenn sich jeder zwangs­läufig ameri­ka­nische Standard-Lösungen aufs Mobil­te­lefon lädt. Aber Skepsis und Nachdenken sind aus vielerlei Gründen angebracht.

Vernach­läs­sigen Appnutzer Hygieneregeln?

Zunächst einmal: Technische Lösungen versprechen oft mehr, als sie halten können. Ihre Nutzer wiegen sich dann in falscher Sicherheit und neigen zu riskantem Verhalten. Manch ein Lawinen­opfer zum Beispiel könnte noch leben, wäre es nach dem Blick auf den Schnee­be­richt oder in den Himmel daheim geblieben, statt auf die neuesten Berg-Gadgets zu vertrauen. Im Falle von Seuchen, die jeden treffen können, wirken Sozial­tech­niken allemal effek­tiver als Techno­logie. Verhal­tens­regeln wie Hände­wa­schen, Masken tragen oder physische Distanz zu anderen Menschen halten, sind simpel, leicht zu lernen und senken das Risiko. Apps können also maximal eine Ergänzung im Krisen-Milde­rungs-Baukasten sein, die nur dann sinnvoll ist, wenn sie mehr nützt als schadet.

Wissen­schaftler verschie­dener Fachge­biete zweifeln genau daran. Entweder, die Apps seien nicht effektiv, dann brauche man sie nicht, oder sie seien effektiv, dann müsse man sich trotzdem fragen, ob es auch Instru­mente gibt, die weniger stark in die Privat­sphäre eingreifen, zitiert die BBC Jennifer Cobbe, Infor­ma­ti­kerin an der Univer­sität Cambridge, in einem umfas­senden Feature zum Thema. Auch Natali Helberger, Jura-Profes­sorin aus Amsterdam ist skeptisch: „Wir kennen die Neben­wir­kungen nicht und wir wissen, Apps alleine sind keine Lösung.“

Abzuwägen ist auch, ob das elektro­nische Tracing mehr nutzt, als dass es Verwirrung stiftet. Die Anwen­dungen, die derzeit entwi­ckelt werden, regis­trieren über Bluetooth, wer sich in wessen Nähe aufge­halten hat. Wir jemand positiv auf das Virus getestet, lässt sich so leichter und schneller identi­fi­zieren, wer sich poten­ziell angesteckt haben könnte. Im Fall Corona heißt das, falscher Alarm und damit verbundene Ängste und Sorgen aller Orten sind wahrscheinlich. Solange die Identi­fi­zierten schnell getestet werden können und Entwarnung möglich ist, mag das zu verschmerzen sein. Aber das ist nicht überall gewähr­leistet. Und es gibt praktische Probleme. Was ist zum Beispiel mit medizi­ni­schem Personal, das sich ständig im Umfeld von Kranken und Infizierten bewegt? Für sie wären solche Kontakt­melder sinnlos. Die Welle an Bürokratie und unnützen Tests, die ein Tracking im schlechten Fall nach sich ziehen könnte, wäre gewaltig, von Diskri­mi­nierung ganz zu schweigen.

Kommt nun etwa der Zwang zum Smartphone?

Außerdem offenbart sich der digitale Graben hier besonders deutlich. Cathy O’Neill, kritische Mathe­ma­ti­kerin und Bestseller-Autorin („Weapons of Math Destruction“), schreibt in einem Kommentar für Bloomberg: „Um etwas zu bewirken, muss die App denje­nigen helfen, die am verletz­lichsten sind – Menschen, die wegen Merkmalen wie Rasse, Einkommen, Alters oder Beruf überdurch­schnittlich gefährdet sind und an dem Virus sterben. Aber viele von ihnen haben keine Smart­phones. Sie sind obdachlos, in Pflege­heimen, in Gefäng­nissen.“ Zumindest in Amerika mit seinem maroden Gesund­heits­system werde die App nicht funktio­nieren, argumen­tiert sie, denn viele Menschen ließen sich nicht testen oder behandeln und seien zudem auf riskante Jobs angewiesen. Die Lehre daraus: Tracing Apps sind immer nur so wirksam wie das Gesund­heits­system dahinter. Man kann das noch weiter fassen: Techno­logie ist immer nur so gut wie die Gesell­schaft dahinter.

In einem freiheit­lichen Staat kann ohnehin niemand dazu gezwungen werden, stets ein Mobil­te­lefon bei sich zu tragen – ja noch nicht einmal dazu, eines zu besitzen. Im Fall des Corona-Virus ist das ein besonders gewich­tiges Argument. Denn gerade unter den Alten, die ein besonders hohes Risiko für schwere Krank­heits­ver­läufe haben, ist das Handy – wenn vorhanden – eher Telefon als weiteres Körperteil. Und auch unter den Jüngeren sollte es Menschen geben, die das Gerät daheim­lassen, wenn sie nur mal schnell einkaufen oder eine Runde zum Laufen gehen. Ganz abgesehen davon, dass der eine oder die andere das Telefon bewusst zuhause lassen könnte, um der Nachver­folgung zu entgehen. Selbst im vielfach als Vorbild zitierten Singapur hat nur jeder sechste Bürger die App herun­ter­ge­laden. Nennens­werte Effekte hat sie aber womöglich nur, wenn sie etwa von 60 Prozent der Bevöl­kerung genutzt wird, so eine Modell­rechnung von Wissen­schaftlern veröf­fent­licht in Science.

Corona­krise als Gegen­stand einer Liberalismusdebatte

Um eine Debatte kommt aller­dings in der Corona-Pandemie keine Gesell­schaft herum: Was bedeutet Freiheit? Das Konzept ist ohnehin angezählt in einer durch­di­gi­ta­li­sierten Welt, in der alles mit allem vernetzt und von Algorithmen beein­flusst ist. Bislang ging es aber vor allem darum, Privat­sphäre und Bequem­lichkeit ins Verhältnis zu setzen. Und schon da halten es die meisten Konsu­menten eher mit der Bequem­lichkeit: elektro­nisch bestellen, zahlen, kommu­ni­zieren und navigieren – wer verzichtet darauf schon gerne allein für den Gewinn, unbeob­achtet zu sein? Aber was ist, wenn Privat­sphäre mit Gesundheit oder gar Leben abgewogen werden muss, womöglich auch „nur“ mit wirtschaft­lichem Überleben? Ist die Freiheit, die Techno­logie da poten­ziell ermög­lichen kann, mit ein paar persön­lichen Daten nicht sogar günstig erworben? Solche Fragen haben keine einfachen Antworten. Die Freiheit des einen hört immer dort auf wo die des anderen beginnt, in einer liberalen Gesell­schaft müssen die Grenzen demokra­tisch ausge­handelt werden.

Den Wert der Bürger­rechte kann aller­dings oft erst derjenige ermessen, dem sie genommen wurden. Jene chine­si­schen Ärzte, die früh vor Corona warnten und dafür sanktio­niert wurden, hätten gerne mehr davon gehabt. Der Welt wäre das gut bekommen.

Alexandra Borchardt hat sich in ihrem Buch „Mensch 4.0 – Frei bleiben in einer digitalen Welt“ (Güters­loher Verlagshaus, 2018) damit beschäftigt, wie sich Freiheit und Digita­li­sierung verein­baren lassen. Die Brisanz des Themas hatte sie sich in dem Ausmaß nicht vorstellen können. 

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