Vorraussetzungen einer sozial-ökologischen Transformation
Die einfachen Umweltprobleme sind gelöst, vor uns liegen die schwierigen Fälle: Erderwärmung, Biodiversitätsverlust, Ressourcenverbrauch. Die Grenzen klassischer Politik sind erreicht, nun muss eine transformative Umweltpolitik die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme gezielt umgestalten. Dem Staat kommt dabei eine aktive Rolle zu. Er kann die Eigeninitiative von Unternehmen und Bürgern nicht ersetzen, sondern muss sie dabei unterstützen, die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen und den Wohlstand zu bewahren.
Blickt man auf die letzten 50 Jahre der Umweltpolitik in Deutschland zurück, so war sie unbestreitbar in vielen Bereichen sehr erfolgreich. Die Luftqualität hat sich deutlich verbessert, der Zustand der Abwässer, die in die Flüsse entlassen werden, ist ebenfalls deutlich besser geworden und die Befürchtung, dass ganz Deutschland in seinen Abfällen erstickt, wie dies Anfang der 1990er-Jahre noch schien, hat sich nicht bewahrheitet. Ein Grund zum Feiern ist dies jedoch nicht. Retrospektiv betrachtet haben wir die einfacheren Umweltprobleme gelöst. Vor uns liegen die schwierigen Fälle: Treibhausgasemissionen und die resultierende Erderwärmung, Biodiversitätsverluste, diffuse Stoffeinträge unterschiedlichster Art, zu hohe Ressourcenverbräuche etc. Die Politik sieht sich einer Dimension der Probleme gegenüber, die sowohl in ihrer Komplexität als auch in ihrer Reichweite über die Herausforderungen aus den Anfangszeiten der Umweltpolitik weit hinausgehen.
Skala und Komplexität von Umweltproblemen nehmen deutlich zu
Die Hauptursache für die zunehmende Skala und Komplexität der aktuellen und künftig erwartbaren Umweltprobleme liegt schlicht in der immer umfangreicheren Einwirkung des Menschen auf die globale Umwelt. Diese hat ein solches Ausmaß angenommen, dass von einer neuen geologischen Epoche gesprochen werden kann, in der die Menschheit selbst eine globale geophysikalische Kraft darstellt, dem „Anthropozän“. Weiteres Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum lassen es als sicher erscheinen, dass der ökologische Fußabdruck des Menschen auf der Erde immer größer wird.
Verschiedene Faktoren kommen noch hinzu, die die Probleme verschärfen. So ist eine wesentliche Ursache für die Komplexität der Umweltprobleme die wachsende internationale Verflechtung. Viele der Umweltprobleme, mit denen wir es heute zu tun haben, sind entweder selber globaler Natur oder ihre Treiber sind eng mit dem Phänomen der Globalisierung verknüpft. Bei den Treibhausgasemissionen ist unmittelbar ersichtlich, dass eine Lösung nur im internationalen Zusammenspiel zu erreichen ist – was es erforderlich macht, sehr viele unterschiedliche Interessen miteinander zu verbinden. Ähnliches gilt für Plastikeinträge in die Meere oder die Übernutzung von Fischbeständen. Immer öfter und immer stärker spielt aber auch die Verlagerung der Umweltprobleme über den internationalen Handel eine Rolle. So kann die Europäische Union zwar darauf verweisen, dass sich viele Umweltindikatoren innerhalb ihrer Grenzen verbessert haben. Dies liegt aber in vielen Fällen nur daran, dass die (umweltbelastende) Produktion der Güter, die hier konsumiert werden, zunehmend in andere Länder außerhalb der Union transferiert worden ist. Insgesamt gesehen hat sich die Umweltbilanz in den letzten Jahrzehnten verschlechtert. Unsere Umweltpolitik war also nur partiell erfolgreich. Internationale Verknüpfungen bei Produktion und Handel wie auch bei den Regelungssystemen führen dazu, dass viele der gravierenden aktuellen Umweltprobleme national nicht mehr gelöst werden können.
Eine weitere umweltpolitische Herausforderung besteht darin, dass viele der weniger eingriffstiefen (also einfacher umzusetzenden) Maßnahmen bereits umgesetzt worden sind. Deutlich wird dies etwa am aktuellen Beispiel der Abgasdiskussion im Straßenverkehr. Bekannt ist, dass die geltenden Grenzwerte für die Abgase (Stickoxide, Feinstaub und CO2-Emissionen) immer noch mit erheblichen negativen Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen verknüpft sind. Notwendig wäre eine weitere, möglichst rasche Absenkung der Grenzwerte. Gleichzeitig haben die Automobilhersteller in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein erhebliche Probleme, die schon bestehenden Grenzwerte einzuhalten. Eine zusätzliche Absenkung der Grenzwerte in einem für die Gesundheit und Umwelt erforderlichen Maß stellt die Automobilindustrie und damit das bestehende Verkehrssystem vor gravierende Schwierigkeiten.
Dieser Fall ist symptomatisch für die Situation, in der wir uns in vielen Bereichen befinden. Um die aktuellen und künftig absehbaren Umweltprobleme einzudämmen, müssten drastische Reduktionen in den Emissionen von Schadstoffen sowie bei Energie- und Ressourcenverbrauch erfolgen. Mit den bestehenden Technologien und in den bestehenden Produktions- und Verbrauchsmustern ist dies aber kaum umsetzbar.
Eine adäquate Reaktion auf die Umweltprobleme erfordert einen neuen Ansatz in der Wirtschaftsund Umweltpolitik
Wie aus den vorherigen Abschnitten hervorgeht, bedarf es eines neuen, integrierten Ansatzes, um den gegenwärtigen Umweltproblemen wirksam zu begegnen. Dabei dürfen Probleme nicht länger isoliert betrachtet werden, vielmehr muss ihre ständige Interaktion mit unterschiedlichen Sektoren, Regierungsebenen sowie räumlichen und zeitlichen Dimensionen anerkannt werden. Eine punktuelle Reduktion einzelner Umweltauswirkungen ist nicht mehr ausreichend. Die Grenzen der klassischen Umweltpolitik sind hier deutlich sichtbar.
Was stattdessen benötigt wird, ist eine Umweltpolitik, die eine umfangreiche Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft initiiert, fördert und gestaltet. Dieser Ansatz einer transformativen Umweltpolitik, die gezielt die Umgestaltung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Systeme anstrebt, stellt eine Antwort auf die globalen Umweltproblematiken der Gegenwart dar, die über die bisherige Strategie einzelner isolierter Maßnahmen hinausgeht.
Ein solcher Wandel komplexer Systeme ist speziell in Deutschland nicht einfach. Die in den meisten Fällen bereits sehr ausdifferenzierten und historisch fest fundierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme sowie die Zersplitterung rechtlicher und politischer Zuständigkeiten erschweren es, sich auf tiefgreifende, systemändernde Maßnahmen zu verständigen. Nichtsdestotrotz ist eine Umweltpolitik erforderlich, die bereit ist, die Führung bei der Initiierung und Lenkung der benötigten Transformation zu übernehmen.
Eine Degrowth-Strategie wird bei der Lösung der Probleme nicht helfen
Vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme lautet eine gängige Forderung, auf Wirtschaftswachstum zu verzichten und sich auf Suffizienz zu fokussieren. In Anbetracht der bereits ausgeschöpften natürlichen Ressourcen sehen Befürworter des Degrowth-Ansatzes die einzige Möglichkeit zur Sicherung des Planeten in der Verringerung des Konsums. In ihren Augen stellen technologische Innovationen und die Steigerung von Ressourcen- und Energieeffizienz zudem keine befriedigenden Lösungen dar, da steigende Nachfragen dennoch zu vermehrtem Umweltverbrauch führen.
Bei diesen Überlegungen wird oft außer Acht gelassen, dass sich die Zahl der Bewohner auf der Erde trotz einer abflachenden Zunahme und einer erwartbaren Stabilisierung der Weltbevölkerung vermutlich noch um den Faktor 1,5 erhöhen wird. Und wichtiger ist noch, dass man in großen Teilen der Welt den berechtigten Wunsch hat, zu den Industrienationen mit Blick auf Bildung, Lebenserwartung, Zugang zu sauberem Wasser, Ernährung etc. aufzuschließen. Ein wesentlicher Grund, weshalb die erheblichen und häufig ja auch bereits sichtbaren Umweltprobleme noch nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erhalten, besteht darin, dass sie im Vergleich zu den sozialen Problemen immer noch eher klein erscheinen und dass der bisherige Entwicklungspfad in den letzten 50 Jahren eine enorme Steigerung an Wohlfahrt für einen Großteil der Menschheit bewirkt hat. Dies geht bei den Debatten zu den wachsenden Umweltproblemen schnell unter. Lösungen, die die Interessenlagen der Menschheit nicht widerspiegeln, werden keine Aussicht auf Erfolg haben. Und eine Transformation in Deutschland, die international nicht anschlussfähig ist, ist ebenfalls weder sinnvoll noch faktisch umsetzbar.
Notwendig ist eine Serie von Transformationen in allen wichtigen Sektoren mit dem Ziel einer Green Economy
Was benötigt wird, ist ein radikaler Umbau der meisten Wirtschaftssektoren – ein Umbau, der weit über die derzeitigen Initiativen und punktuellen Veränderungen hinausgeht. Ein Beispiel hierfür ist die Energiewende mit ihrem Umbau zu einem Energiesystem, das auf ganz anderen Grundlagen steht. Beispielhaft ist die Energiewende aber nicht nur deshalb, weil sie das Ausmaß des Umbaus aufzeigt, sondern auch, weil sie deutlich macht, wie groß die Hindernisse sein werden, aber auch welche neuen Chancen sich damit verbinden. Diese Chancen gehen weit über die Entwicklung eines Energiesystems hinaus, das keine Treibhausgase mehr erzeugt, sondern das durch seine lokalen Erzeugungsmöglichkeiten einen wichtigen Beitrag zum Abbau internationaler Spannungen, zur Erhöhung der Versorgungssicherheit sowie zur Steigerung dezentraler Wertschöpfung leisten kann. Beispielhaft ist die Energiewende auch deshalb, weil sie in einer fernen Perspektive die Möglichkeit beinhaltet, Energie noch wesentlich kostengünstiger zu produzieren, womit sich sowohl aus der Perspektive gesellschaftlicher Wohlfahrt als auch aus Umweltsicht neue Optionen verknüpfen.
Eine Transformation vom Ausmaß der Energiewende deutet sich im Verkehrsbereich längst an. Dort geht es nicht nur um die Einführung autonomer Elektrofahrzeuge. Die Verkehrswende wird mit einer Vielzahl von neuen Formen von Mikromobilität, Sharing-Konzepten, vor allem aber auch einer neuen Perspektive auf Stadtentwicklung und Digitalisierung zu einer vollständigen Transformation von Mobilität führen und gleichzeitig Transformationsprozesse in anderen Bereichen fördern. Erkennbar relevant wird auch die Agrarwende, wenngleich viele Akteure dies noch beharrlich ablehnen. Auch sie wird zu grundlegenden Veränderungen führen, wie etwa der deutlichen Reduktion von Fleischproduktion, der Abkehr von Pestizideinsatz, einer verbrauchsnahen Produktion, einer stärkeren Digitalisierung etc. Und auch hier ergeben sich durch den Umbau ganz neue Möglichkeiten, sei es im Bereich des „Vertical Farming“, also der High-Tech-Nahrungsmittelproduktion in städtischen Gebäuden, oder dem Neuaufbau von Systemen der Proteinerzeugung.
Die sozial-ökologische Transformation wird sich über kurz oder lang durch sämtliche Sektoren hindurchziehen. Eine Ressourcen- und Materialwende, bei der sich eine Kreislaufwirtschaft mit einem „inneren Wachstum“ durch Ausnutzung der enormen Effizienz und Konsistenzpotenziale in der Wirtschaft verknüpft, wird beispielsweise ein weiterer, zentraler Baustein sein. Letztliches Ziel muss eine Green Economy sein, also eine CO2-neutrale, ressourceneffiziente, umweltfreundliche und sozial integrative Wirtschaft. Eine solche Wirtschaft wird langfristig ein höheres BIP-Wachstum hervorbringen. Wirtschaftswachstum ist damit weiterhin ein Bestandteil einer grünen Wirtschaft. Jedoch geht es um ein neues ökonomisches Paradigma, in dem materieller Wohlstand nicht mit erhöhten Umweltrisiken und ökologischer Knappheit einhergeht.
Der Wandel hin zu einer Green Economy gelingt nur, wenn der Staat transformierend eingreift
Die sozial-ökologische Transformation ist gestaltbar. Für die nationale Umweltpolitik wie auch für die vielen anderen relevanten Akteure gibt es dazu diverse Möglichkeiten. Damit die deutsche Umweltpolitik in diesem Transformationsprozess die notwendige Führungsrolle übernimmt, muss sie neu konzipiert werden. Transformative Umweltpolitik muss als Gesellschaftspolitik verstanden und implementiert werden. Sie muss viel stärker als bisher in andere Politikfelder und in die Gesellschaft hineinwirken. Dabei reicht es nicht aus, anderen Akteuren zuzuhören und ihre Interessenlagen und Erwartungshaltungen zu berücksichtigen. Eine transformative Umweltpolitik muss darauf abzielen, auf Augenhöhe mit anderen Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft einen Dialog zu führen und vereinbarte Ziele gemeinsam, planmäßig und zuverlässig umzusetzen. Dazu wiederum ist es wichtig, soziale, technische und ökonomische Trends frühzeitig zu erkennen, sie aufzugreifen und in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung weiterzuführen. Die geeigneten Akteure müssen identifiziert oder gar erst aufgebaut werden. Ebenso müssen strategische Gelegenheitsfenster rechtzeitig erkannt oder auch gezielt geschaffen werden. Eine transformative Umweltpolitik muss auch die Diskussion über gesellschaftliche Werte einschließen und öffentliche Diskurse beeinflussen. Klassische Umweltpolitik, die lediglich bei besonders sichtbaren Umweltproblemen eingreift, reicht nicht mehr aus. In der Zukunft werden ihre Instrumente zwar weiter von Bedeutung sein, ihre Begründungsbasis und ihre konzeptionelle Grundlage ist aber überholt.
Ein zentraler Ansatzpunkt für eine erfolgreiche Transformationspolitik ist, gesellschaftlichen Wertewandel aufzugreifen und voranzutreiben. Ob ein Tempolimit als tiefer Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte angesehen wird oder als ein notwendiger Bestandteil einer staatlichen Pflicht zur Verkehrssicherung, ist abhängig von Werturteilen. Die Tatsache, dass in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten eine ganz andere Perspektive auf bestimmte Produkte, Dienstleistungen, Verhaltensweisen etc. herrscht(e), belegt, dass nicht nur die Schönheit, sondern auch der Wert eines Gegenstandes ganz im Auge des Betrachters liegt. Der Staat hat hier erhebliche Möglichkeiten auf die jeweilige Sichtweise einzuwirken und mit Blick auf den notwendigen sozial-ökologischen Transformationsprozess besteht hier auch erheblicher Bedarf. Während einerseits ein deutlicher Druck besteht, dass der Klimaschutz verbessert wird, erscheint es etwa nach wie vor nicht nur gesellschaftlich akzeptabel, sondern auch erwünscht, stark spritverbrauchende Autos zu fahren. Eine Politik, die den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben will, kann hier zu einem Bewusstseinswandel beitragen und beispielsweise herausstellen, dass die SUVs, die heute verkauft werden, längst aus der Zeit gefallen und hoffnungslos überholt sind.
Der Staat muss seine Rolle als gestaltender Akteur im gesellschaftlichen Diskurs neu definieren
Als Akteur, der die gesellschaftliche Wertedebatte vorantreibt, muss der Staat den Diskurs mit anderen Akteuren suchen und führen. Es geht dabei nicht nur darum, staatliche Maßnahmen vorher mit den Betroffenen zu diskutieren, sondern darum, mit ihnen einen laufenden Diskurs über die notwendige Transformation zu führen. Dazu gehört auch die Schaffung neuer Institutionen, die als Akteure des Wandels in bestimmten Bereichen fungieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die seinerzeitige Einrichtung von Eurosif, dem europäischen Dachverband für nachhaltige Geldanlagen. Eurosif wurde auf Anregung der Europäischen Kommission gegründet. Die Kommission hat auch die Rahmenbedingungen geschaffen, damit sich der Verband entwickeln konnte. Sowohl der Verband selbst als auch seine zahlreichen Ableger haben im Laufe der Jahre deutlich zur Weiterentwicklung des Themas Nachhaltigkeit im Finanzmarkt beigetragen. In den bevorstehenden Transformationsprozessen werden noch viele solcher Akteure erforderlich sein.
Ein wichtiger Faktor, um nachhaltige Transformationen voranzutreiben, sind Gelegenheitsfenster. Fukushima etwa bot die Gelegenheit, die Nutzung der Atomenergie in Deutschland zu beenden. Für Transformationsprozesse sind solche Gelegenheiten essenziell. Sie erleichtern bzw. ermöglichen teils erst den Start der Transformation und sie sind auch im weiteren Verlauf von Bedeutung, um die Transformation weiter voranzutreiben und ihre Richtung zu beeinflussen. Monitoring- und Evaluationsprozesse verbunden mit festen Vorgaben im Hinblick auf Ziele und Fristen sind hier wichtige Ansätze, die inzwischen in der Energiewende, aber auch beim Klimaschutz vielfach etabliert sind.
Kennzeichen der einsetzenden Transformationsprozesse ist auch, dass sie häufig nur aufgreifen, was wirtschaftliche oder gesellschaftliche Entwicklungen längst begonnen haben. So wird von moderner Mobilität seit geraumer Zeit erwartet, dass sie mit viel geringeren Umweltbelastungen einhergeht. Diese gesellschaftliche Forderung wurde mit steigenden Abgas-Grenzwerten festgeschrieben. Der Abgasskandal hat dann wiederum gezeigt, dass das System mit Benzin- und Dieselmotoren die Erwartungen nicht mehr erfüllen kann. Der Diesel-Skandal zeigt nun die Möglichkeiten der Politik auf. Sie kann solche krisenhaften Ereignisse nutzen, um die Transformation voranzutreiben, statt zu versuchen, die wachsenden Spannungen zwischen Ansprüchen und Realität zu vertuschen. Das Hinauszögern der notwendigen Transformationen führt am Ende aber nur dazu, dass Strukturen, die ohnehin nicht mehr haltbar sind, konserviert werden. Das kostet nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern die Volkswirtschaft insgesamt extreme Summen. Da in vielen anderen Transformationsfeldern inzwischen auch deutliche Diskrepanzen zwischen gesellschaftlichen Erwartungen, gesetzlichen Vorgaben und faktischem Handeln bestehen, gibt es diverse Möglichkeiten, neue Nuklei für Transformationen zu schaffen.
Wir müssen „Verlässlichkeit im Wandel“ sicherstellen
Ein weiterer wichtiger Aspekt einer erfolgreichen Transformationspolitik ist, Verlässlichkeit im Wandel herzustellen. Seit langem ist bekannt, dass es insbesondere für Akteure aus der Wirtschaft wichtig ist, feste Rahmenbedingungen und klare Zielvorgaben zu haben, um eine optimale ökonomische Entwicklung zu gewährleisten. Fundamentale Transformationsprozesse erzeugen zunächst Unsicherheit. Ihr Ziel ist es ja gerade, bestehende Strukturen aufzubrechen. Dazu ist es auch erforderlich, Wettbewerb um zukunftsfähige Lösungen zuzulassen. Welche Technologien, welche Geschäftsmodelle und welche Verhaltensweisen sich künftig als geeignet erweisen, lässt sich im Vornhinein nicht bestimmen. Wichtig ist aber in gleichem Maße, im Verlauf des Transformationsprozesses ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder Sicherheit zu schaffen. Hier ist der Staat gefragt. Systemtransformationen erfordern ab einem gewissen Zeitpunkt des Hochskalierens erhebliche privatwirtschaftliche und öffentliche Investitionen, etwa in neue Fertigungsanlagen für Batterien und Elektrofahrzeuge sowie den Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur. Privatwirtschaftliche Investoren werden aber erst bereit sein, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen, wenn Verlässlichkeit im Wandel gegeben ist. Eine Transformationspolitik muss also das Kunststück beherrschen, Unsicherheit zu erzeugen und zugleich Sicherheit zu schaffen.
Gerechtigkeit ist der Schlüssel
Darüber hinaus gibt es noch diverse weitere wichtige Erfolgsfaktoren für nachhaltige Transformationsprozesse, die Anknüpfungspunkte und Handlungserfordernisse für den Staat bedeuten. Für den Verlauf der sozial-ökologischen Transformation wird es vor allem maßgeblich sein, die Frage der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Die soziale Dimension von ökologischen Transformationsprozessen – etwa einer CO2-Steuer – wird schon intensiv diskutiert. In den anstehenden Transformationsprozessen ist sie aber nur eine Facette einer umfangreicheren Gerechtigkeitsfrage. Die heutigen rechtlichen und finanziellen Strukturen bilden die aktuellen gesellschaftlichen Ansprüche und Realitäten vielfach nicht mehr ab. Weshalb gibt es automatische Parksysteme für Autos, aber kaum Systeme, die automatisches Bremsen einleiten bei einer Gefährdung von Fahrradfahrern und Fußgängern? Warum müssen die Kunden der Wasserwerke (faktisch alle Bürger) die Kosten der Verschmutzung der Grundwässer durch die Landwirtschaft bezahlen? Warum müssen Konsumenten Plastikverpackungen, die sie nicht haben wollen, mitbezahlen und dann entsorgen? Die Liste möglicher Beispiele ist nahezu endlos. Sie zeigt den dringenden Bedarf, die Gerechtigkeitsfrage neu zu diskutieren. Nur auf dieser Basis wird es möglich sein, einen neuen gesellschaftlichen Konsens zu finden. Und nur auf dieser Basis kann die sozial-ökologische Transformation gelingen.
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